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Vor 10 Jahren Beginn des Irak-Krieges: Die rot-grüne Opposition gegen den Krieg, Teil II (bis 1.4.2003)

Veröffentlicht von: Nachtwei am 15. März 2013 21:39:41 +01:00 (27920 Aufrufe)

Im Irak-Krieg (2003-2011) sind nach jüngsten US-Studien zwischen 120.000 und 190.000 Menschen getötet worden. Rot-Grün hat zusammen mit den vielen anderen Gegnern des Angriffs auf den Irak diesen Krieg nicht verhindern können. Die Verweigerung der aktiven Kriegsbeteiligung war nichtsdestoweniger ein historischer Teilerfolg. Man stelle sich vor, Bundestag und Bundesregierung hätten Bundeswehrverbände in diesen de facto völkerrechtswidrigen Angriffskrieg entsandt ... Hier Teil II meiner damaligen Stellungnahmen.

Gemeinsam für eine friedliche Lösung der Irak-Krise! (auch in englischer Fassung „Working together for a peaceful solution of the Iraq crisis!") von Winni Nachtwei, MdB, 10.2. 2003 (aktualisiert 21.2.)

Der Militäraufmarsch am Golf läuft auf Hochtouren. Krieg scheint unausweichlich. 80% der EU-Europäer, die Nachbarstaaten des Irak, die Kirchen sind gegen den Krieg. Er darf nicht unausweichlich sein.

Der Kampf um die Legitimation eines Irak-Krieges spitzt sich zu. In der zweitägigen offenen Sicherheitsratsdebatte sprachen sich die allermeisten Staaten für die Fortsetzung und Stärkung der Inspektionen aus. Die US-Administration führt den Kampf um Unterstützer, um die amerikanische und internationale Öffentlichkeit strategisch und mit allen Mitteln. Nach den Erfahrungen aus den Zeiten vor dem Vietnamkrieg und dem Zweiten Golfkrieg muss mit einer Inszenierung von Kriegslegitimation gerechnet werden.

Friedliche Abrüstung hat sich bewährt

Das Regime des Saddam Hussein ist eine besonders brutale Diktatur und erklärter Todfeind Israels. Er strebt nach Massenvernichtungswaffen und hat diese auch schon eingesetzt. Die Vereinten Nationen haben deshalb völlig Recht mit ihrer Forderung, dass der Irak seine Aktivitäten im Bereich Massenvernichtungswaffen und ballistischen Raketen uneingeschränkt offen legen und einstellen muss. 1991 bis 1998 vernichteten die VN-Kontrolleure den allergrößten Teil der irakischen Massenvernichtungswaffen, ballistischen Raketen und Produktionsanlagen.

In den letzten Jahren wurde der Irak wirksam eingedämmt. Hierzu hat die Bundesrepublik seit 1991 aktiv beigetragen. Vom Irak geht nach allen bisherigen Erkenntnissen keine akute Gefahr für seine Nachbarn, gar für Europa und die USA aus. (vgl. Bernd W. Kubbig (Hrg.): Brandherd Irak, 2003, Auszüge in FR 11.1.2003, www.fr-aktuell.de/doku)

An dieser Lageeinschätzung hat auch der Vortrag von US-Außenminister Powell vor dem Sicherheitsrat am 5. Februar nichts geändert. Dabei lobte er auch ein britisches Dossier, das zum großen Teil Kopie eines studentischen Forschungsberichts mit z.T. 12 Jahre alten Informationen ist. Die US-Hinweise müssen nun von den Inspektoren und den SR-Mitgliedsstaaten überprüft werden. Dass die US-Regierung ihre Erkenntnisse den Rüstungskontrolleuren nicht sofort zur Verfügung gestellt hat, ist wahrlich nicht die „rückhaltlose Unterstützung" für UNMOVIC und IAEO, wie sie die Resolution 1441 von allen Mitgliedsstaaten verlangt. Im Sicherheitsrat sprachen sich elf der fünfzehn Außenminister für die Fortsetzung der Inspektionen aus.

Zurzeit können die VN- und IAEO-Rüstungsinspektoren im Irak so gut arbeiten wie nie zuvor. Bisher wurden keine Massenvernichtungswaffen und Produktionsanlagen gefunden. Für Verbindungen zu internationalen Terrornetzwerken gibt es weiterhin keine stichhaltigen Hinweise - so z.B. der britische und deutsche Nachrichtendienst. (vgl. Ulrich Schneckener: Irak und Terrorismus, swp-aktuell, Febr. 2003, abgedruckt in FR 20.2.03. Gäbe es allerdings eine Zusammenarbeit mit Al Qaida, dann wäre das ein sicherheitspolitischer GAU.) Noch viele offene Fragen bestehen zu Altbeständen. Die VN-Kontrolleure vermissen auf Seiten des Irak aktive Kooperationsbereitschaft, konstatierten in ihrem Bericht am 14. Februar aber Fortschritte. Inzwischen erfolgten erste U-2-Aufklärungsflüge. Der Irak muss die Resolution 1441 des VN-Sicherheitsrates uneingeschränkt erfüllen.

Mit Hilfe eines dauerhaften und intensivierten Rüstungskontrollregimes kann der Irak wirksam kontrolliert und entwaffnet werden. Das gilt auch und umso mehr für den Fall, dass dem Irak von den Rüstungskontrolleuren doch noch massive Verstöße gegen die Resolution 1441 nachgewiesen werden sollten.

Einzig legitime Instanz zur Bewertung der UNMOVIC- und IAEO-Erkenntnisse muss der VN-Sicherheitsrat bleiben. Ausschließlich er darf Entscheidungsinstanz über Krieg und Frieden sein. Eine Militärintervention allein auf Grundlage der Resolution 1441 würde die Schwelle für Ausnahmen vom internationalen Gewaltverbot enorm absenken und somit das Völkerrecht die VN und das Völkerrecht schwächen. Ein solches Vorgehen wäre völkerrechtlich höchst strittig. Für eine Kriegsermächtigung wäre eine zweite Resolution des Sicherheitsrates politisch notwendig.

Krieg: nicht zu rechtfertigen und nicht zu verantworten

Wo friedliche Mittel aussichtsreich und längst nicht ausgeschöpft sind, wo es den USA ausdrücklich um einen Regimewechsel geht, ist ein kriegerisches Vorgehen gegen den Irak nicht zu rechtfertigen. Es wäre ein „Präventivkrieg" gemäß der neuen US-Doktrin der „präventiven Selbstverteidigung" und Teil einer strategischen Neuausrichtung der US-Weltpolitik, die den offensiven „Krieg gegen den Terror" mit dem ggfs. „präventiven" Krieg gegen „Terrorstaaten" verbindet. Diese unterhöhlt das internationale Gewaltverbot, stellt Krieg in das Belieben der Stärkeren und zerstört damit das Völkerrecht.

Ein Krieg ist wegen der seiner unabsehbaren Folgen für die Region, für die internationale Sicherheit und Weltwirtschaft auch nicht zu verantworten.

- Die Kriegsfraktion in der US-Regierung setzt auf eine in wenigen Wochen siegreiche Intervention. Das ist möglich, aber unwahrscheinlich. Das Kriegsziel Regimewechsel bedeutet Kampf um Bagdad, wo die US-Streitkräfte ihre technologische Überlegenheit nur noch begrenzt ausspielen könnten. Die VN rechnen mit einer halben Million Verwundeter und Toter und mehreren Millionen Flüchtlingen. In einer von Diktatur und Wirtschaftssanktionen geschwächten Gesellschaft gäbe es besonders viele Opfer unter der Zivilbevölkerung. Die menschlichen Folgen einer Intervention müssen umso mehr betont werden, als US-Militärs alles darauf setzen, durch Lenkung der Medienberichterstattung die Opfer der anderen Seite so unsichtbar wie möglich zu machen.

- Ein Krieg gegen den Irak würde weltweit antiamerikanische und antiwestliche Stimmungen, Hass und Gewalt schüren und dem internationalen Terrorismus massenhaft Anhänger und Kämpfer zutreiben. Die sowieso schon äußerst schwierige und mühsame Bekämpfung des internationalen Terrorismus würde zurückgeworfen. Nach dem islamischen Fundamentalismus würden die USA nun auch den arabischen Nationalismus gegen sich aufbringen. Das alles wäre Öl ins Feuer des Kampfes der Kulturen, in dessen Falle gerade internationaler islamistischer Terror den Westen locken will.

- Der äußerst fragile Friedensprozess in Afghanistan würde massiv unter Druck geraten. Die Sicherheitslage für die internationalen Aufbauhelfer und Soldaten, darunter das große deutsche Kontingent mit Führungsverantwortung, würde sich zuspitzen.

- Auch bei einem schnellen militärischen Sieg bleibt die Frage nach dem Danach. Wer einen Regimewechsel will, übernimmt zwangsläufig Verantwortung dafür. Da die irakische Opposition äußerst zerstritten und schwach ist und die akute Gefahr eines Auseinanderbrechens des Irak besteht, wäre ein US-Militärprotektorat über Jahre die Konsequenz. Dazu ist die US-Öffentlichkeit nicht bereit und dafür fehlen weltweit die Mittel. Auf dem Balkan und in Afghanistan hat die Internationale Gemeinschaft schon allergrößte Probleme, mit Friedenskonsolidierung und Nation Building voran zu kommen.

Der Vergleich mit Deutschland und Japan nach 1945 führt in die Irre. Die Vorstellung, den Irak nach einem imperialen Krieg zu demokratisieren und darüber die Neuordnung des ganzen Nahen Ostens anzustoßen, ist angesichts realer Hegemonialinteressen unglaubwürdig und zugleich völlig illusionär. Nicht die Demokratisierung der Region, sondern ihre Chaotisierung wäre die absehbare Folge eines kriegerischen Regimewechsels.

- Die Destabilisierung der europäischen Nachbarregion hätte unmittelbare Konsequenzen für die europäische Sicherheit. Über Eskalationen in Richtung Türkei, in Afghanistan und mit Israel sowie eine weltweite Terroroffensive könnte die Bundesrepublik auch direkt einbezogen werden.

Die Kriegs- und Folgekosten für die USA werden - je nach Szenario - auf 100 bis 2000 Mrd. US-Dollar für die nächsten zehn Jahre geschätzt. Ein längerer Krieg hätte über eine Ölpreis-Explosion eine weltweite Rezession zur Folge.

Nach aller politischer und friedensethischer Auseinandersetzung um die Legitimität deutscher Beteiligungen am Kosovokrieg und an der militärischen Bekämpfung des Terrorismus in den letzten Jahren:

Der drohende Irak-Krieg ist keine legitime Selbstverteidigung, keine „humanitäre Intervention" und keine „Krisenbewältigung". Er wäre der Prototyp eines ungerechtfertigten Krieges und würde deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen massiv zuwider laufen.

 

Kriegsbefürworter ziehen Parallelen zu den 30er oder gar 40er Jahren. Richtig daran ist nur, dass aggressive Diktatoren nicht mit Beschwichtigungspolitik (Appeasement) zu stoppen sind und dass ihnen gegenüber Krieg grundsätzlich im Fall eines Angriffs und akuter Bedrohung legitim sein kann. Damit enden aber auch die Parallelen. Von Appeasement gegenüber dem Irak kann seit 1990 keine Rede sein. Im Gegenteil wurde er seitdem sehr wirksam eingedämmt. Und eine Parallelisierung zwischen Saddam Hussein heute und dem NS-Regime in den 40er Jahren mit seiner hochmodernen Wehrmacht und seinem beispiellosen Eroberungs- und Vernichtungsprogramm ist völlig geschichtslos.

Je schwächer die Argumente der US-Administration für ein kriegerisches Vorgehen sind, desto massiver und rücksichtsloser wird Druck auf SR-Mitglieder, Verbündete und Anrainerstaaten des Irak ausgeübt, um deren politische und logistische Unterstützung oder zumindest Duldung er erreichen. Staaten, die auf Wirtschafts-, Finanz- und Militärhilfe der USA angewiesen sind, droht der Entzug von Hilfen. Andere werden „gekauft". Wo wie im Fall der Bundesrepublik solche handfesten Erpressungen zunächst noch weniger opportun sind, wird politisch ein Disziplinierungs-Exempel statuiert - zur Warnung an alle potentiellen Abweichler. Risse zwischen den europäischen Staaten, zwischen älteren und neueren Partnern in EU und NATO werden gezielt geschürt, um Deutschland und Frankreich zu isolieren.

Eine solche Politik beschädigt das transatlantische Verhältnis, das immer eine Partnerschaft sowie eine Interessen- und Wertegemeinschaft sein sollte, in seinen Grundfesten.

Alternativen zum Krieg

Das irakische Regime muss die Resolution 1441 uneingeschränkt erfüllen und aktiv mit den Rüstungskontrolleuren zusammenarbeiten.

Auswege wären der Rückzug Saddam Husseins in ein Exil oder ein Putsch. Beides gilt als sehr unwahrscheinlich.

Die Rüstungsinspektoren von UNMOVIC und IAEO brauchen nicht Wochen, sondern Monate, um ihren Auftrag seriös durchzuführen.

Ein ausdauerndes und robustes Rüstungskontrollregime im Irak bietet die beste Gewähr für seine wirksame Entwaffnung. Dafür muss die Zahl der Inspektoren deutlich erhöht werden und noch effektivere Aufklärungsfähigkeiten (U-2-Flugzeuge, Hubschrauber, Luna-Drohne) zum Einsatz kommen. (vgl. hierzu auch die Studie: Iraq - What Next? Carnegie Endowment for International Peace, Januar 2003, www.ceip.org/Iraq)

Das sollte einhergehen mit der Entsendung von VN-Menschenrechtsbeobachtern in den Irak, der gezielten Unterstützung demokratisch orientierter Kräfte in der irakischen Opposition und der Aufhebung des kontraproduktiven, katastrophalen Embargos.

Die langjährige USA-Korrespondentin der taz, Andrea Böhm, hält zur Durchsetzung des Kontrollregimes die Androhung von Militärschlägen für unerlässlich.(taz 3.2.03) Offenkundig hat die Kriegsdrohung der USA den VN-Kontrolleuren ihre Arbeit erheblich erleichtert. Aber aus der Kosovo-Krise ergab sich die nachdrückliche Erfahrung: Wer droht, muss auch zur Umsetzung der Drohung mit allen ihren Konsequenzen bereit sein, muss also ihre Verantwortbarkeit prüfen und darf nicht einfach auf die Wirksamkeit eines Bluff bauen.

Über den Irak hinaus müssen die bestehenden Rüstungskontrollregime zu Massenvernichtungswaffen wirksamer gemacht werden. Ausgerechnet die USA widersetzen sich aber einem Kontrollregime im Bereich Biowaffen und betreiben eine Deregulierung von vertragsgestützter Rüstungskontrolle.

Vorrang muss die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Lösung von Regionalkonflikten haben. Dabei spielt die Eindämmung und Regulierung des israelisch-palästinensischen Konfliktes die Schlüsselrolle. Ein Irak-Krieg stellt diese Prioritäten auf den Kopf.

Deutsche Position, Verantwortung und Nichtbeteiligung

Die rot-grüne Bundesregierung hat sich so früh und so deutlich gegen einen Irak-Krieg und gegen eine Beteiligung daran ausgesprochen wie keine andere vergleichbare Regierung. Sie geht zurück auf den Bundestagsbeschluss vom November 2001, als der Einbeziehung des Irak in die militärische Bekämpfung des Terrorismus eine Absage erteilt wurde. (vgl. Gunter Hofmann: Der lange Weg zum lauten Nein, Zeit 23.1.2003) Bei Joschka Fischer habe ich seit Februar 2002 vor und insbesondere hinter den Kulissen persönlich miterlebt, wie grundsätzlich und strategisch seine Ablehnung eines Irak-Krieges ist - gerade als Realpolitiker und Kenner des Nahen Ostens.

Die deutsche Anti-Kriegs-Position war und ist international von größter Bedeutung. Sie repräsentiert wie keine andere Regierung die Anti-Kriegs-Haltung nicht nur der europäischen Zivilgesellschaft. Kategorische Botschaften brachten Massenwirkung im Wahlkampf. Sie beschränkten aber zugleich die diplomatische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik, insbesondere im Hinblick auf eine gemeinsame europäische Position. Hier blieb es bei der traditionellen Uneinigkeit in der EU in Sachen Irak. Das uneinige Regierungs-Europa überließ der US-Politik das Feld.

Als Mitglied des VN-Sicherheitsrates und mit dem Vorsitz im Februar trägt die Bundesregierung zentrale Mitverantwortung, für die dauerhafte Abrüstung des Irak und für eine friedliche Lösung zu wirken. Dabei gilt es zugleich, die Autorität der VN als einzig legitimierter Entscheidungsinstanz über Krieg und Frieden zu wahren und Schäden für das transatlantische Verhältnis, die europäische Integration und die Position Deutschlands unter seinen Partnern zu begrenzen. Die Bundesregierung hat eindeutig zugesagt, ihre Politik und ihr Stimmverhalten an diesen Grundpositionen ausrichten.

Zugleich hat sie den USA die volle Bewegungsfreiheit auf deutschem Hoheitsgebiet und den Schutz von US-Liegenschaften garantiert. Das ist angesichts der politischen Verpflichtungen gegenüber dem größten Bündnispartner zunächst selbstverständlich. Es würde aber zu einem heiklen Problem, wenn eine US-Militärintervention im Irak gegen das Völkerrecht verstoßen würde. Eine über die Nichtbeteiligung hinausgehende aktive Behinderung der Verbündeten USA und Großbritannien würde deren Aufmarsch und Nachschub erheblich erschweren. Die transatlantische Partnerschaft und die NATO würde das in ihren Grundfesten treffen. Hier muss ein Weg gefunden werden, der weder im Völkerrechtsbruch noch im Bündnisbruch endet.

Für die Bundeswehrkontingente bei Enduring Freedom, insbesondere die sechs ABC-Spürpanzer in Kuwait und die Marineschiffe am Horn von Afrika gilt unverändert, dass sie nur im Rahmen ihres Auftrages eingesetzt werden dürfen. Damit ist ihre Verwendung im Rahmen eines Angriffs auf den Irak politisch ausgeschlossen. Daran würde auch eine personelle Aufstockung der zzt. nur 60 ABC-Soldaten in Kuwait nichts ändern. (lt. Bundestagsbeschluss sind bis zu 800 zulässig.)

Die Verstärkung der deutschen ISAF-Kräfte in Kabul bedeutet keine Lastenumverteilung im Hinblick auf den Irak. Sie ergab sich aus den Notwendigkeiten vor Ort. Die USA sind an ISAF nicht beteiligt. (Allerdings ist das große Bundeswehrkontingent im Schlimmstfall einer Evakuierung voll auf US-Hilfe angewiesen. Damit ist die Bundesrepublik in einer Frage, wo es um Leben und Tod gehen kann, von den USA abhängig - also auch druckempfindlich.)

Anfragen zur aktiven Unterstützung (Militärpolizei, regionale Raketenabwehr, ABC-Abwehrkapazitäten) wurden abgelehnt. Von einer kriegswilligen Bundesregierung hätte noch einiges mehr angefordert werden können - z.B. ECR-Tornados, die den deutschen Anteil am Kosovo-Luftkrieg ausmachten. Hinsichtlich der AWACS-Flugzeuge ist die Linie klar: Sie dürfen nur zur Luftraumüberwachung über Bündnisgebiet eingesetzt werden. Zielerfassung und Feuerleitaufgaben sind tabu. Alles andere wäre „Einsatz bewaffneter Streitkräfte" außerhalb des Bündnisgebietes, worüber der Bundestag beschließen müsste.

Abgelehnt wurde auch jede Beteiligung an den Kriegskosten. 1991 hatte die Bundesrepublik ca. 18 Mrd. DM zugeschossen.

Eine problematische Grauzone ergibt sich im Fall der Türkei und der Bereitstellung von Patriot-Luftabwehrraketen und ABC-Abwehrkräften: Wochenlang haben Frankreich, Bundesrepublik, Belgien und Luxemburg eine Entscheidung hierüber im NATO-Rat verzögert, um ein falsches Signal zu vermeiden. Inzwischen wurde der NATO-interne Planungsprozess freigegeben mit der ausdrücklichen Auflage, dass dies nur zur Verteidigung der Türkei geschehe und andere Operationen und Entscheidungen nicht präjudiziere. Die Bundesrepublik überlässt der Türkei Patriot-Raketen, Systeme und Bedienungsmannschaften kommen aus den Niederlanden. Ansonsten gilt als Grundlinie: Unterstützung im Bündnisfall, keine Unterstützung bei einem Angriff auf den Irak.

Die Frage der Türkei-Unterstützung ist offensichtlich ein Feld, wo es nicht primär um Vorsorge gegen eine reale Bedrohung geht, sondern um ein großes Powerplay, wo solche Verbündete „vorgeführt" werden sollen, die für eine friedliche Lösung des Irak-Konfliktes arbeiten.

Die Ablehnung von Soldaten, Gerät und Geld für einen Irak-Krieg ist politisch von höchster Bedeutung und sollte nicht - wie von Opposition und Teilen der Friedensbewegung geschehen - klein geredet werden.

Im Wahlkampf wurden allerdings zum Teil Erwartungen geweckt, als könne sich die Bundesrepublik nach eigenem Gutdünken aus ihren vertraglichen und politischen Bündnisverpflich-tungen verabschieden. Tatsache ist aber, dass es für ein Deutschland, das glücklicherweise eng in multilaterale Zusammenhänge eingebunden ist und bleiben muss, selbstverständlich eigene Positionen, aber keinen „deutschen Weg" und keinen Alleingang, kein absolutes „Ohne mich" gibt. Ein deutscher Unilateralismus würde - unabhängig von den Motiven - von den europäischen Nachbarn schnell als bedrohlich empfunden.

Eine Isolation Deutschlands in EU und NATO würde die europäische Integration zurückwerfen und zentrifugale Kräfte stärken, politischen Einfluss der Bundesrepublik gravierend mindern und grundlegende deutsche Interessen beschädigen.

Die Isolationsgefahr realistisch und ohne Überdramatisierung oder Verharmlosung einzuschätzen, fällt schwer. Falsch ist, diese Gefahr in Reaktion auf die Polemik der Opposition zu leugnen. Auf diplomatischer Ebene ist der Bedeutungsverlust zum Teil Fakt. Zu kurz greift, eine eventuelle deutsche Marginalisierung und Isolation auf Ebene der Regierungen gegen die breite internationale gesellschaftliche Akzeptanz der deutschen Position aufzurechnen und als erträglich erscheinen zu lassen. Bei den zwischenstaatlichen Beziehungen geht es um Vertrauenskapital und Kooperationsfähigkeit, Macht und Einfluss und den vielfältigen Konsequenzen daraus.

Verkompliziert wird die Abschätzung von Isolationsrisiken durch den Zeitfaktor: Anfang Februar schien diese Gefahr erheblich. Mit der Französisch-Deutsch-Russischen Erklärung wendete sich das Blatt. Seit den Sitzungen des Sicherheitsrates ab 14. Februar und den weltweiten Massendemonstrationen geraten umgekehrt die kriegswilligen Regierungen, angefangen bei Tony Blair, in eine beispiellose Isolation. Beunruhigend sind die von etlichen Medien und Politikern bewusst geschürten antifranzösischen und antieuropäischen Stimmungen.

Um auf dem diplomatischen Glatteis gesprächs- und verhandlungsfähig zu sein, braucht die Bundesregierung, braucht der für die operative Umsetzung von Friedenspolitik verantwortliche Außenminister Bewegungsfreiheiten. Deshalb sind detaillierte Festlegungen künftigen Verhaltens angesichts der vielen Unbekannten nicht sinnvoll. Etwas anderes und völlig legitim ist, an die Bundesregierung Erwartungen und Forderungen zu richten.

Konservative Opposition

CDU/CSU und FDP greifen seit Wochen massiv die Anti-Kriegs-Position von Rot-Grün an, reden die Kriegsrisiken klein und halten sich die Möglichkeit einer deutschen Kriegsunterstützung offen. Indem sie zugleich jede Kritik am Kurs der Bush-Administration als „Antiamerikanismus" diffamieren und auf Abweichler mit der Bündnis-Keule eindreschen, machen sie sich zum Schützenhelfer der amerikanischen Kriegsfraktion.

Die Opposition wirkt dabei mit solchen Medien zusammen, die aus innenpolitischen Motiven ausschließlich nach Glaubwürdigkeitsverlusten von Rot-Grün suchen und am Absturz der Koalition bei ihrer Gradwanderung interessiert zu sein scheinen.

Nachdem die Union ihre Kritik an der Bundesregierung zunächst auf Verfahrens- und Beziehungsfragen konzentrierte und der Kernfrage nach dem Für und Wider eines Irak-Krieges auswich, „schwenkt" sie seit den Landtagswahlen deutlich „auf Bush-Kurs ein". (SZ 7.2.) Auf der Münchener Sicherheitskonferenz erklärte die CDU-Vorsitzende Merkel die Unterstützung der Union für eine Militäraktion gegen Saddam Hussein. Die Bundeswehr soll sich an einer solchen Aktion beteiligen.

Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Christian Schmidt forderte inzwischen die Bundesregierung auf, wegen ihrer „starren Anti-Kriegs-Position" die Präsidentschaft im Sicherheitsrat abzugeben. Damit votiert Schmidt nicht nur für eine flexible Kriegs-Position, sondern sabotiert offen die deutschen Bemühungen für eine friedliche Lösung. Unionspolitiker führen besonders eifrig „deutsche Interessen" im Mund. Doch die sind ihnen offenbar egal, wenn es um parteipolitische Interessen geht.

Zur Erinnerung: Wenn CDU/CSU-Politiker Verständnis für die Attacken von US-Verteidigungsminister Rumsfeld auf die Bundesregierung äußern, dann finden jetzt politische Richtungen zusammen, die in den 80er Jahren schon einmal zusammenwirkten. Damals leistete die Reagan-Administration dem Irak massive Unterstützung beim Krieg gegen den Irak. Dabei spielte Donald Rumsfeld eine Schlüsselrolle. Mit Duldung der CDU/CSU-FDP-Regierung leisten deutsche Firmen zentrale Beiträge zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und weiter reichenden Raketen im Irak. Und beide waren beim großen Appeasement gegenüber dem Irak dabei, als dieser Chemiewaffen gegen den Iran und einheimische Bevölkerung einsetzte.

Die Ablehnung eines Irak-Krieges reicht weit in die Wählerschaft von CDU/CSU. Die Politik der Unionsführung ist verlogen, opportunistisch und gefährlich zugleich.

Verbündete und Rückenstärkung

In diesen Wochen findet ein globaler Kampf um die (De-)Legitimation eines Irak-Krieges statt.

Damit Friedenspolitik überhaupt eine Chance hat und sich behaupten kann gegen die mächtige Kriegspartei und ihr Drohpotential, braucht sie politische Alternativen zum Kriegskurs (s.o.), braucht sie möglichst viele Verbündete und breiteste Unterstützung, international und innenpolitisch. Keiner kann es alleine schaffen, nicht Regierungen, nicht Antikriegsbewegung. Regierungen und gesellschaftlicher Protest brauchen sich gegenseitig.

Nach einer Umfrage von Gallup-International in 41 Ländern gibt es nirgendwo eine für einen Militäreinsatz gegen Bagdad ohne ein VN-Mandat. Eine Intervention mit Mandat fände nur in wenigen Ländern eine Mehrheit.

Die 53 Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union haben sich eindeutig gegen einen Irak-Krieg ausgesprochen. Die Position der Kirchen, angefangen beim Papst, ist so deutlich und einhellig wie nie zuvor. Am 5. Februar beschlossen in Berlin zwanzig protestantische und orthodoxe Kirchenoberhäupter, darunter der Vertreter von 50 Millionen Gläubigen in den USA, einen einzigartigen Appell gegen einen Irak-Krieg. Das australische Oberhaus sprach Premierminister Howard das Misstrauen aus, weil Truppen ohne Unterrichtung des Parlaments an den Golf entsandt wurden. (Am Aufmarsch gegen den Irak sind bisher direkt nur USA, Großbritannien und Australien beteiligt. Die alliierte Allianz im 2. Golfkrieg umfasste demgegenüber über 30 Staaten mit 680.000 Soldaten.)

Noch nie waren sich die Menschen in Europa in einer außenpolitischen Frage so einig wie in der Ablehnung eines Irak-Krieges. Dieses einige Europa hat sich mit den historischen Demonstrationen vom 15. Februar sichtbar vereint und die Spaltung „von unten" reduziert, die acht Regierungs- und Staatschefs gegen den Willen ihrer eigenen Bevölkerungen provoziert hatten. Millionen Europäer verhalfen dem EU-Sondergipfel zu einer gemeinsamen Erklärung, die den Primat der friedlichen Abrüstung des Irak betont und mehr Zeit und Ausstattung für die Inspektoren einfordert.

Die Europäer haben allen Grund zu Selbstbewusstsein gegenüber einer Hypermacht, „die vor militärischer Kraft kaum laufen kann und sich und die Welt seit dem 11. September in permanentem Ausnahmezustand sieht." (A. Böhm, a.a.O.) Die angeblichen „Eurowürstchen" sind weltweit führend bei der ganz und gar nicht „weichen" Aufgabe von Kriegseindämmung, Friedenskonsolidierung und Nation Building. (Die EU stellt zehnmal mehr Soldaten in Peacekeeping-Einsätzen als die USA. 55% der Weltentwicklungshilfe kommen aus der EU etc.)

In Deutschland entstehen nach den klaren Stellungnahmen der Kirchen große gesellschaftliche Bündnisse gegen einen Irak-Krieg und für Frieden und Abrüstung im Nahen Osten. Der Anti-Kriegs-Protest geht weit über die inzwischen kleinen Kreise der heterogenen Friedensbewegung hinaus. Noch nie hatte in Deutschland eine Anti-Kriegs- und Friedensbewegung die eigene Regierung nicht als Gegner, sondern als positiven Adressaten. Im Gegensatz zur jahrzehntelangen Rollenverteilung zwischen oppositioneller Protestbewegung und Regierung kommt es jetzt darauf an, alles auf die friedliche Lösung des Irak- und Nahost-Konflikts und den Schutz des Völkerrechts gegen die „Präventivkrieger" zu konzentrieren und der Bundesregierung dafür - selbstverständlich kritisch und nicht uneingeschränkt - den Rücken zu stärken. Es geht jetzt nicht um die Durchsetzung von Maximalpositionen der Friedensbewegung (z.B. Ausstieg aus Enduring Freedom), nicht um das radikalste Anti-Kriegs- und Ohne-Mich-Bekenntnis (z.B. die kontraproduktive Strafanzeigen-Kampagne der dfg-vk gegen die Bundesregierung). Es geht selbstverständlich auch nicht um Führungs- oder gar Alleinvertretungsansprüche. Es geht um breitestmögliches politisches Zusammenwirken bis in die Wählerschaft von CDU/CSU und FDP. Es geht um beste friedenspolitische Wirksamkeit in höchster Kriegsgefahr.

Die größte Friedensdemonstration in der Geschichte der Bundesrepublik schaffte das in beeindruckender Weise.

An einem Strick ziehen können jetzt wieder viele, die sich in den Auseinandersetzungen um Kosovo- und Afghanistan-Krieg entzweit haben. Die Bündnisgrünen unterstützen diese Friedensaktivitäten aber nicht als eine Art Wiedergutmachung für angebliche „Regierungssünden" oder als Rückkehr zu Pazifismus und Friedensbewegung ihrer früheren Jahre. Die Beteiligung der Bündnisgrünen resultiert aus ihrer außen- und friedenspolitischen Orientierung, deren Ziel die Kriegsverhütung und -eindämmung im Dienste gemeinsamer Sicherheit ist und wo militärische Mittel nur unter engen Voraussetzungen und einzig im Rahmen der VN-Charta legitimierbar sind.

Adressat und Partner USA

Adressat aller Friedensappelle und -bemühungen muss die US-amerikanische Öffentlichkeit und das „Andere Amerika" sein. Nicht wichtige Verbündete, nicht der Papst, nur das „Meinungsklima" in den USA scheint für die Kriegsfraktion in der US-Regierung noch eine Autorität zu sein. Entscheidend wird sein, ob ein Weg gefunden wird, auf dem Präsident Bush ohne Gesichtsverlust von einem Krieg Abstand nehmen kann.

Offene Ohren werden wir nur finden können, wenn wir jede Pauschalisierung und jeden Anti-Amerikanismus vermeiden und alle Kritik an der US-Politik so deutlich wie präzise formulieren. Wir verwechseln die Falken und die Kriegsfraktion nicht mit den USA. Wir wissen um die Vielfalt der USA und die scharfe Kritik des „Anderen Amerika" an der eigenen Regierung. Wir sind uns bewusst, was die Europäer und besonders die Deutschen den USA zu verdanken haben und dass die USA die Anstöße zu den Vereinten Nationen gaben. Wir wissen, dass die Balkan-Kriege nur mit den USA erstickt werden konnten. Wir sind uns bewusst, dass wir nur gemeinsam mit den USA die großen globalen Herausforderungen bewältigen können. Gerade deshalb werben wir bei unseren amerikanischen Freunden für eine friedliche Lösung des Irak-Konfliktes und gegen den Auszug ihrer Regierung aus der transatlantischen Wertegemeinschaft.

In diesem Sinne sollten wir sprechen, handeln und demonstrieren.

In diesem Sinne sollten wir alle unsere Bekannten, Freunde, Partnergemeinden und -organisationen in den USA, aber auch in Großbritannien, Spanien, Mittel- und Südostosteuropa ansprechen und vor allem mit ihnen sprechen- per e-mail, Fax und Telefon. Notwendig sind Dialoge. Gegenseitige Monologe fördern nur die Schwerhörigkeit.

 

Krieg gegen den Irak und wider die Weltgemeinschaft

Winni Nachtwei, MdB, sicherheitspolitischer Sprecher, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen/DGVN (Stand 1.4.2003)

(1) Wider die Weltgemeinschaft

Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Irak-Konfliktes ist zerstört. US-Präsident Bush hat sie mit seinem Angriffsbefehl beiseite gewischt. Mit seinem Alleingang an der Spitze einer simulierten Koalition setzte er sich über den Willen der großen Mehrheit des Sicherheitsrates, der Staatengemeinschaft, der Kirchen und der Weltbevölkerung hinweg. Er handelt außerhalb der VN-Charta, verstößt gegen das internationale Gewaltverbot sowie die sicherheitspolitischen Interessen wichtiger Verbündeter und schädigt die VN. Das Saddam-Hussein-Regime ist menschenverachtend und in keiner Weise erhaltenswert. Der Angriff auf den Irak ist nichtsdestoweniger der Prototyp eines ungerechtfertigten Krieges. In den Augen der allermeisten deutschen Völkerrechtler ist der Irak-Krieg völkerrechtswidrig, international ist er völkerrechtlich höchst strittig. Die nachgeschobenen Kriegsziele der Befreiung des Irak und der demokratischen Neuordnung der Region sind unglaubwürdig und illusionär. Auch sie können den Krieg nicht legitimieren.

Die neokonservative US-Regierung fällt zurück in das imperialistische Zeitalter zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Sie verrät die große Tradition der USA als demokratischer Führungsmacht, deren Präsidenten die Initiatoren von VN und Völkerbund waren.

(2) Alles umsonst?

Nie in der Geschichte gab es einen so breiten, weltweiten und frühen Widerspruch gegen einen Krieg wie in den letzten Monaten. War alles umsonst? Die VN-Rüstungskontrolleure waren so effektiv wie nie zuvor. Sie waren eine wirksame Alternative zum Krieg. Die Kriegsunwilligen konnten den Krieg verzögern, aber nicht verhindern. Die USA unter Bush sind aber so mächtig und entschlossen-rücksichtslos, dass auch die große Mehrheit der Staaten sie nicht aufhalten konnte. Die Bush-Administration hat die breite Solidarität mit den USA nach dem 11. September verspielt und sich weltweit isoliert wie nie zuvor. Sie war schon vor dem Krieg moralischer Verlierer.

(3) Bedingungslose Solidarität

Die CDU/CSU-Führung attackierte sei Monaten die Anti-Kriegsposition der Bundesregierung und vermied zugleich eigene Positionen zum Krieg und zur US-Politik. Sie leistete den neokonservativen Kriegswilligen in den USA Schützenhilfe. Inzwischen unterstützt sie den US-Krieg, tarnt dies aber weiterhin mit verschwiemelten Formulierungen. In blinder Loyalität marschiert vor allem die CDU-Vorsitzende hinter der US-Regierung raus aus dem, was mal transatlantische Wertegemeinschaft hieß. Die C-Parteien haben offen mit der christlichen Friedensethik gebrochen. Mit der Merkelrede vom 19. März ist im Bundestag ein parteiübergreifender außenpolitischer Konsens zerbrochen.

Mit Sätzen wie „wir stehen an der Seite der Amerikaner und nicht des Diktators Saddam Hussein" übernehmen Unionspolitiker das Schwarz-Weiß-Muster der US-Kriegspartei und unterstellen Kriegsgegnern Kollaboration mit dem Diktator. Die Unionsführung wirft der Bundesregierung „Mitschuld" am Irak-Krieg vor und versucht ihr über Themen wie AWACS, Überflugrechte etc. eine angebliche Kriegsbeteiligung und somit den Bruch des Wahlversprechens zu unterstellen. Das sind demagogische Manöver, um von der eigenen Kriegswilligkeit abzulenken. Offenkundig ist: Wäre die Union an der Regierung, gäbe es jetzt eine aktive militärische Beteiligung der Bundesrepublik.

Die Mehrheit der Unionsanhänger ist gegen den Irak-Krieg. Diese sollten wir unterstützen und fördern gegen ihre kriegswilligen Spitzen.

(4) Unberechenbarkeiten

Nach zwölf Kriegstagen hat es nicht den schnellen Sieg von „Enthauptung" und Kollaps des Regimes gegeben. Schon jetzt ist der Krieg für die Alliierten verlustreicher als der Kosovo- und Afghanistankrieg. Die Angreifer bewirken zunehmend eine humanitäre Katastrophe für die Zivilbevölkerung: Das oil-for-food-Programm der VN wurde unterbrochen. Gerade beschloss der VN-Sicherheitsrat auf dt. Initiative die Wiederaufnahme. Immer mehr Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Nicht absehbar ist der weitere Kriegsverlauf. Der gefürchtete Kampf um Bagdad ist wahrscheinlicher geworden und damit ein mörderischer Häuserkampf. Kommt es zu einer nationalen Solidarisierung gegen die Invasoren, könnte Bagdad mit seinen fünf Millionen Einwohnern zu einem „städtischen Vietnam" werden. Möglich ist der Einsatz von Chemiewaffen. Möglich sind aber auch weiterhin ein schneller Zusammenbruch des Regimes, Funde von Massenvernichtungswaffen, Befreiungsszenen.

Mit den 500 bei den Angriffsverbänden „eingebetteten" Journalisten sollte der Krieg medial als globale Machtdemonstration inszeniert werden, als Antwort auf die Ohnmacht des 11. September. Doch die Bilder faszinierender High-Tech-Macht bekommen Konkurrenz von den Bildern der Opfer, Zerstörungen und Gefangenen. Al Dschasira bricht das Bildermonopol der US-Strategen. Die Macht der Bilder kann politisch kriegsentscheidend werden.

Der Menschen im Irak wegen ist ein schnelles Kriegsende wünschenswert. Wir wollen wahrlich nicht Recht bekommen mit unseren Warnungen vor einem langen und verheerenden Krieg. Ein schneller Sieg würde zugleich der machtpolitischen Hybris der US-Falken enormen Auftrieb geben und nächste „Präventivkriege" wahrscheinlicher machen. Doch die Falken werden zu spüren bekommen, dass auch die überlegenste Militärmacht der Welt nur Pyrrhussiege erringen kann und allein ein Koloss auf tönernen Füßen ist.

 

(5) Politische Prioritäten

Der globale Kampf um die Legitimation des Irak-Krieges ist nicht zu Ende. Patriotischer Schulterschluss (USA, Großbritannien), ein glimpflicher Kriegsverlauf und Ohnmachtsgefühle im Antikriegslager können zu einer Relegitimierung des Krieges und der dahinter stehenden Hegemonialpolitik führen. Die offensive Auseinandersetzung mit dem Kriegskurs bleibt notwendig, insbesondere auch mit der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie" der USA (Bush-Doktrin), ihrer Perversion des Präventionsgedankens und Enthemmung der Nuklearstrategie. Ein Wegducken in der Hoffnung, möglichst schnell zur früheren „Bündnis-Normalität" zurückzukehren, wäre blauäugig und gefährlich.

Die Auseinandersetzung mit der Kriegspartei muss sich zugleich vor pauschalen Verteufelungen der Kriegsbefürworter und latenter Verharmlosung des Saddam-Hussein-Regimes hüten, sie braucht Differenzierung und Dialog, um wirksam zu sein. Angesichts der Patenrolle Saddam Husseins für antiisraelische Selbstmordattentäter ist der Wunsch gerade vieler Menschen in Israel nach Saddams Sturz naheliegend.

Wo die Politik der Kriegsverhinderung am Ende und der große Schaden eingetreten ist, muss jetzt alle Politik auf Schadensbegrenzung gerichtet sein: Einhaltung des Kriegsvölkerrechts, Mobilmachung für humanitäre Hilfe im Irak, Verhinderung von Eskalationen und regionalen Destabilisierungen (Massenvernichtungswaffen, Türkei und Kurden im Nordirak, Israel-Palästina), Stärkung der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, Rettung und Neubestimmung des transatlantischen Verhältnisses, Förderung der Beziehungen zur arabisch-islamischen Welt.

Schadensbegrenzung hat jetzt Priorität vor allen anderen Fragen.

Nach Ende des Krieges tragen die USA und ihre „Koalition der Willigen" die Hauptverantwortung für die Bewältigung der Kriegsschäden. Unterstützungen seitens der Kriegsunwilligen über die selbstverständliche humanitäre Hilfe hinaus ist an zwei Voraussetzungen geknüpft: die zentrale Rolle der VN, Revision der US-Sicherheitsstrategie. Es kann nicht sein, dass EU und VN im Irak Wiederaufbauhilfe leisten und die US-Administration zettelt den nächsten „Präventivkrieg" an.

(6) Keine aktive Kriegsbeteiligung

Es bleibt dabei: Die Bundesrepublik beteiligt sich weder mit Soldaten, noch mit Gerät und Geld an dem Irak-Krieg. US-Anfragen zur direkten Unterstützung wurden abgelehnt. Die ABC-Spürpanzer und andere Beiträge zu Enduring Freedom dürfen allein im Rahmen ihres Mandates der Terrorismusbekämpfung (einschließlich Nothilfe) nur außerhalb des Irak und nicht beim Angriff auf den Irak eingesetzt werden. Auftrag und Einsatzregeln beschränken die (vier) AWACS-Aufklärungsflugzeuge der NATO (ein Drittel dt. Besatzung) ausdrücklich auf die Luftraumaufklärung für das Bündnisgebiet. Die Beteiligung an Luftoperationen über dem Irak durch Zielerfassung und Feuerleitung ist ihnen untersagt. (Solche Einsatzregeln, die weiter gehende Fähigkeiten begrenzen, sind bei vielen Einsätzen üblich) Das hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 19.3. im Bundestag erneut klar gestellt. Für den Fall, dass türkisches Militär kriegerisch im Nordirak vorgeht und die Türkei dort zur Kriegspartei wird, werden die deutschen Besatzungen aus den AWACS abgezogen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der gegenwärtige AWACS-Einsatz kein Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist und deshalb zurzeit nicht vom Bundestag zu beschließen ist.

Diese Nichtbeteiligung sollte nicht klein geredet werden. Wer hier dennoch wider klare Ansagen der Bundesregierung immer wieder eine deutsche Beteiligung behauptet oder angebliche Rechtsunsicherheiten suggeriert, verfolgt parteipolitische Interessen.

(7) Überflug- und Transitrechte: Kriegsunterstützung?

Von britischen und US-Standorten in der Bundesrepublik sind Militärverbände zum Krieg an den Golf verlegt worden. Es gibt keine Hinweise, dass von Deutschland aus Einsätze gegen den Irak geflogen werden. Über alliierte Stützpunkte in Deutschland (vor allem Frankfurt/Main-Air-Base und Ramstein) wird ein Teil der Kriegslogistik abgewickelt. In Landstuhl bei Kaiserslautern befindet sich das größte europäische US-Militärhospital.

Ist es nicht moralisch zwingend und zugleich kriegsbehindernd, die Ãœberflug- und Transitrechte zu blockieren?

Friedensbewegung und Regierung haben verschiedene Handlungsmöglichkeiten.

Demonstrationen und Sitzblockaden an den Stützpunkten gegen die Kriegsunterstützungen sind richtig, angemessen und unterstützenswert. Das habe ich beim letzten Länderrat und beim Bundeskongress der Grünen Jugend unter dem Beifall der Anwesenden erklärt. Falls es zu Prozessen gegen Sitzblockierer kommt, will ich als Zeuge für die Rechtmäßigkeit ihres Tuns aussagen.

Für die Bundesregierung ist die Angelegenheit komplizierter, sie ist keine KDV-Organisation. Als Regierung eines Staates, der glücklicherweise und unwiderruflich in multilaterale und Bündnisstrukturen eingebunden ist, muss sie sich an Recht und Verträge halten, Bündnisverpflichtungen beachten und politische Konsequenzen abwägen.

Die Akzeptanz der britischen und US-Alliierten in der deutschen Bevölkerung sinkt mit ihrer Beteiligung an dem Angriff auf den Irak. Wenn sie zurückkehren, werden sie nur menschlich, aber nicht mehr politisch willkommen sein.

Die Verweigerung der alliierten Bewegungsfreiheiten wäre meiner Meinung nach berechtigt. Wäre ein solcher Schritt aber auch politisch verantwortbar?

Die beiden US-Luftstützpunkte sind - neben Rota/Südspanien - die zentralen europäischen Pfeiler der transatlantischen Militärluftbrücke. Hierüber läuft auch die Unterstützung der amerikanischen NATO-Kontingente und der Balkan-Einsätze, Hilfsflüge etc.. Soldatentransporte erfolgen zum großen Teil auch mit zivilen Chartermaschinen.

Die Sperrung der Bewegungsfreiheiten würde die Kriegslogistik behindern und verzögern, den Krieg aber weder verhindern noch verkürzen. Einschneidend betroffen wären zugleich die europäische NATO-Rolle der USA sowie ihre KFOR- und SFOR-Beteiligungen. Die politischen Folgen wären fundamental: Aktive Behinderung wichtigster Überseestützpunkte in einer Kriegssituation würde als Sabotage und historische Undankbarkeit gewertet und ausgeschlachtet. Das wäre der Bündnisbruch, wodurch die ganze sicherheitspolitische Integration Europas mit den USA in ihren Grundfesten erschüttert würde. Ein solcher Totalschaden kann nicht verantwortet werden!

Vielen mag das weniger relevant oder sogar ganz recht sein. Für Bundesregierung und Koalition gilt das keineswegs. Unsere Geschäftsgrundlage ist der Koalitionsvertrag, wonach transatlantisches Verhältnis und europäische Integration zu den Grundkonstanten deutscher Außenpolitik gehören. Diese historischen friedenspolitischen Errungenschaften auf`s Spiel zu setzen, kann niemand von uns verlangen.

Wer überdies die USA nach dem Krieg wieder ins Boot der Völkergemeinschaft bekommen will (das wird überaus schwierig, ist aber unbedingt notwendig), kann nicht vorher alle Brücken abbrechen.

 

Der Wille, solche nicht verantwortbaren Konsequenzen zu vermeiden, ist der Hintergrund für die Weigerung der Bundesregierung, den US-Krieg offiziell als das zu bezeichnen, was er nach Meinung nahezu aller Völkerrechter und verbreiteter interner Einschätzung ist - völkerrechtswidrig. Diese „Zurückhaltung" läuft dem Grundsatz der Einhegung der Politik durch das Recht sowie dem Einsatz von Rot-Grün für die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen zuwider. Die Abwägung zwischen zwei Übeln ist ein Paradox: Die Regierung „duldet die Verletzung des Völkerrechts, um langfristig das Völkerrecht zu retten und die USA einzubinden." (FR 21.3.03)

Dass die Verweigerung des völkerrechtlichen Verdikts ganz und gar keine heimliche Billigung oder Ausdruck von fehlendem (Völker)Rechtsbewusstsein ist, haben Argumentation und Wirken der Bundesregierung und vor allem Joschka Fischers in der internationalen Politik und den VN unübersehbar bewiesen. Vor diesem Hintergrund ist es eine verleumderische Verkürzung, der Bundesregierung wegen der Überflugrechte Beihilfe zum Angriffskrieg vorzuwerfen. Deshalb gestellte Strafanzeigen gegen die Bundesregierung zielen, wenn sie ernst gemeint sind, auf die Verurteilung von Schröder, Fischer etc. und damit auf die Schwächung ausgerechnet der Regierung, die eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Antikriegskoalition spielte.

(Der Generalbundesanwalt hat mit Entschließung vom 21. März das Vorliegen „zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht" wegen eines Verbrechens nach § 80 StGB - Vorbereitung eines Angriffskrieges - verneint. Die Gewährung von Überflugrechten sei eine bloße Duldungs- und Unterlassungshaltung und keine Kriegsbeteiligung. Zudem werde dadurch nicht die Gefahr eines Krieges unter Einbeziehung der Bundesrepublik herbeigeführt. Wortlaut des § 80: „Wer einen Angriffskrieg (Art. 26,1 Grundgesetz), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe ... bestraft.")

(8) Vereinte Nationen

Die VN sind durch den US-Alleingang geschädigt. Zugleich haben sie in den letzten Wochen so sehr weltweit an Respekt gewonnen wie kaum zuvor. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit rangen die Mitglieder des Sicherheitsrates um die Frage Krieg oder Frieden. Mittlere Staaten blieben trotz aller Abhängigkeiten und US-Pressionen standhaft.

Gerade jetzt geht es darum, die VN und andere internationale Institutionen in Richtung einer kooperativen und nicht konfrontativen, multilateralen und nicht hegemonialen Weltordnung zu stärken.

Gerade jetzt muss die vertragsgestützte Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen weiterentwickelt werden - gegen die Deregulierungspolitik der US-Regierung und ihre wahnwitzige Perspektive von „Abrüstungskriegen". Hier muss schleunigst bekannt gemacht werden, was sich im Rahmen verschiedener Verträge als wirksame Rüstungskontrolle und Abrüstung herausgebildet hat.

Gerade jetzt müssen die Fähigkeiten der VN zur Friedenssicherung und -förderung massiv ausgebaut werden. Die Bundesregierung hat hierfür vor einem Jahr das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze in Berlin gegründet, das in seiner Art einmalig in der Welt ist. (Ausbildung, Rekrutierung von Zivilpersonal für Friedenseinsätze von VN, OSZE und EU,  Einsatzbegleitung und -auswertung) Zehn Bundesministerien arbeiten an einem ressortübergreifenden Aktionsplan Krisenprävention, den die Bündnisgrünen in der Koalitionsvereinbarung verankern konnten und mit dem systematisch die Fähigkeiten der Zivilen Konfliktbearbeitung gestärkt werden sollen.

(vgl. hierzu den erstmaligen umfassenden Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, Bundestagsdrucksache 14/9466; W. Nachtwei: Kurs halten unter schweren Bedingungen: Bilanz und Perspektiven grüner Sicherheits- und Friedenspolitik, in: Sicherheit + Frieden, Nr.2/2002)

(9) Europa

Die US-Regierung konnte rücksichtslos agieren, weil der Wertekonsens der transatlantischen Gemeinschaft brüchig ist und insbesondere die EU-Staaten zu schwach und uneins sind. Die Gesellschaften Europas waren so einig gegen den Irak-Krieg wie bei keinem anderen außenpolitischen Thema in den letzten Jahrzehnten Das Regierungs-Europa aber versagte als machtpolitisches Korrektiv gegenüber dem US-Kurs. Dabei ist ein „europäischer Weg" gemeinsamer, umfassender und friedlich-vorbeugender Sicherheit in den Beschlüssen und vielen Politikfeldern der EU angelegt. Angeführt von Frankreich, Deutschland, Belgien haben viele EU-Staaten eine Mündigkeit wie nie gegenüber dem größten Verbündeten bewiesen und eine „Tapferkeit der Kleinen" im Sicherheitsrat ermöglicht. Damit die EU ihre enorm gewachsene Verantwortung außerhalb des US-Windschattens und im Sinne einer kooperativen internationalen Friedensordnung wahrnehmen kann, braucht sie umfassende außen-, sicherheits- und friedenspolitische Fähigkeiten, müssen Fähigkeitsdefizite vor allem in der strukturellen und operativen Krisenprävention ausgeglichen werden. Eine Diskussion, die zum wiederholten Male nur die Militäretats in den Blick nimmt, wäre verkürzt und friedenspolitisch kontraproduktiv.

In diesen Monaten übernahm die EU von den VN die Verantwortung über die Polizeimission in Bosnien-Herzegowina. Heute übernimmt die EU von der NATO erstmalig die Führung einer Militäroperation, des Unterstützungseinsatzes in Mazedonien. Das alles ist eingebettet in das umfassende Engagement der EU auf dem Balkan. Das sind kleine, aber überaus bedeutsame Schritte zur Herausbildung einer europäischen Sicherheitspolitik.

(10) Transatlantisches Verhältnis

Peter Boenisch, früherer Chefredakteur BILD: „Heute verteidigen wir die Werte, die uns die USA beigebracht haben. (...) das Recht des Stärkeren, die Logik des Krieges, die Macht der Gewalt, das lernten wir von den USA, sei das Arsenal der UdSSR. Ihr habt uns den Gleichschritt des Denkens abgewöhnt, nun fordert Ihr ihn ein. Ihr habt uns die Militarisierung des Denkens ausgetrieben, jetzt fängt sie bei Euch an. Der Helm soll den Kopf schützen, aber er darf ihn nicht beherrschen. Das heutige Washington scheint an diesem Tag des demokratischen Unterrichts die Schule geschwänzt zu haben. (...) Saddam sitzt nicht auf Allahs Schoß und George W. Bush nicht rechts neben dem lieben Gott." (Berliner Zeitung 24.3.03)

Wir bleiben uns bewusst, was die Europäer und gerade die Deutschen den USA zu verdanken haben. Dafür gibt es keinen Schlussstrich. Wie sind uns bewusst, dass die großen Herausforderungen dieser Welt nur mit den USA zu bewältigen sind.

Was aber nach dem 11. September zutage trat, ist nun offenkundig: Das transatlantische Bündnis braucht eine neue Verständigung über seine gemeinsamen Werte und Interessen, Risiken und Bedrohungen und die dafür angemessene Politik. Notwendig ist der transatlantische Dialog auf allen Ebenen zusammen mit den Multilateralisten in der US-Politik sowie dem Anderen Amerika, notwendig ist die Nichtverbreitung und Eindämmung der „Präventiv"krieger und ihrer unilateralen Hegemonialpolitik.

(11) Arabisch-islamische Welt

Die Anti-Kriegsposition des Papstes und der christlichen Kirchen, Frankreichs, Deutschlands und der großen Mehrheit der Völker Europas fand in den arabischen und islamisch geprägten Staaten ein breites Echo. Sie wirkt einem drohenden Kampf der Kulturen entgegen, den internationale Terrornetzwerke wollen und dem die US-Regierung blind vor Selbstüberschätzung massiven Auftrieb verschafft.

(12) Friedensbewegung und Grüne

Die aktuelle Friedensbewegung ist so breit, vielfältig und zu großen Teilen neu und jung, dass niemand Besitz- oder Führungsanspruch hat. Wir Bündnisgrüne sind nicht die „Speerspitze" der Friedensbewegung, aber auch nicht ihre Schmuddelkinder, wie manche Gruppen auf ihrem moralischen Hochsitz verbreiten. Die jetzige Anti-Kriegsposition von Rot-Grün ist die konsequente Fortsetzung unserer Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik in den letzten Jahren und nicht eine Kehrtwende.

Die Grünen sind Partner der Teile der Friedensbewegung, denen es um wirksame Friedenspolitik geht und die unterschiedliche Rollen und Handlungsmöglichkeiten von Bewegungen, Parteien und Regierungen berücksichtigen.

Die Grünen haben Grund zu Selbstbewusstsein: Die Berliner Riesen-Demo vom 15. Februar bestand zu mehr als 50% aus Grün-WählerInnen. Ein Friedenspolitiker mit weltweiter Anerkennung und Wirkung ist Joschka Fischer. Die rot-grüne Bundesregierung positionierte sich früh gegen einen Irak-Krieg und für eine friedliche Abrüstung und trug wesentlich zur weltweiten Koalition von Kriegsunwilligen bei. Das als bloße Antikriegsrhetorik abzutun, ist ignorant und arrogant.

Dass sich Teile der Friedensbewegung angesichts des unerreichbaren Mr. Bush Protestadressaten im eigenen Land suchen, ist logisch. Richtigerweise richten sich z.B. Proteste gegen Esso als Ableger des weltweit größten US-Ölkonzerns ExxonMobil, der schon seit Jahren einen Regimewechsel in Bagdad propagierte und zu den wichtigsten Finanziers des Bush-Wahlkampf gehörte. Bei Protesten vor allem die Bundesregierung ins Visier zu nehmen, macht aber Nebenwidersprüche zum Hauptwiderspruch und ist kontraproduktiv.

(13) Perspektiven

Allen nüchternen politischen Erörterungen zum Trotz bin ich doch tief verzweifelt: angesichts der Arroganz des wichtigsten Verbündeten, angesichts der aktiven Verwilderung der internationalen Beziehungen und der düsteren Aussichten auf mehr und mehr Hass, Krieg und Terror in der Welt. Die von den US-Neokonservativen betriebene Zeitenwende macht Angst.

Ohnmacht zu verarbeiten, Verzweiflung aufzufangen, Anti-Kriegsprotest zu verstetigen und in beharrliche Friedensarbeit und Friedenspolitik zu verwandeln, ist eine Herausforderung der nächsten Zeit. Die Chancen dafür sind besser als während des zweiten Golfkrieges. Die Alternativen sind heute klarer und realitätstüchtiger. Verbündete gibt es so viele und einflussreiche wie nie und weit über die kleinen Kreise von organisierter Friedensbewegung hinaus. Die Chancen müssen genutzt werden.

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