Der 5. Teil meiner Kunduz-Reiseberichte. Weitere sollen auf jeden Fall folgen! Ich bleibe dran.
Erste, aber flackernde Lichtblicke seit Jahren -
Kurzbesuch in Mazar-e Sharif und Kunduz
Winfried Nachtwei, MdB a.D. (Juli 2011)
(Vollbericht www.nachtwei.de/index.php/articles1067 )
Auf Einladung des Parlamentarischen Staatssekretärs im BMVg und langjährigen MdB-Kollegen Thomas Kossendey hatte ich am 20./21. April 2011 die Gelegenheit zu einem Kurzbesuch in Mazar-e Sharif und Kunduz. Mit zur Delegation gehören die Abgeordneten Anita Schäfer aus Zweibrücken und Nadine Schön aus Lebach (Wahlkreise der Saarlandbrigade) sowie Aga Zia Farsin, aus Afghanistan stammender, besonders engagierter Berufsschullehrer aus dem Landkreis Ammerland, dem Wahlkreis von T. Kossendey.(...)
Unter den Gesprächspartnern sind einige Bekannte: General Kneip, dem wir 2006 als erstem Regionalkommandeur RC North zweimal begegneten. Unvergessen sind mir seine damaligen eindringlichen Warnungen und Mahnungen angesichts der massiven Verschärfung der Sicherheitslage auch im Norden (parallel zu den mit der ISAF-Süderweiterung dort ausbrechenden schweren Kämpfen). Mein dringender Bericht „Afghanistan auf der Kippe?" vom Juli 2006 blieb damals auf Seiten der Regierung und Großen Koalition ungehört. Fallschirmjäger der Saarlandbrigade, mit denen wir 2008 noch „draußen" unterwegs waren - als uns „Raketenhügel" gezeigt wurden, als ein PRT-Kommandeur den Obleuten des Verteidigungsausschusses gegenüber konstatierte, ISAF/Bundeswehr habe in Kunduz die Initiative verloren. Vertreter des AA, die ich im August 2010 traf und die jetzt über acht Monate mehr an Erfahrung verfügen.
Angesichts der Kürze des Besuches sind die geschilderten Einblicke zwangsläufig selektiv und sicherheitslastig. Es ist mein 13. AFG-Reisebericht.
KUNDUZ
Vorm Abflug nach Kunduz stoße ich vor der Abfertigungshalle in Mazar auf niederländische Offiziere, darunter welche aus Münster. Sie sind Wegbereiter der niederländischen Polizeiausbildungsmission, die mit über 500 Polizisten und Soldaten demnächst ihre Arbeit vor allem in Kunduz aufnehmen soll. Zum Schutz der eigenen Kräfte gehören auch vier F-16-Kampfflugzeuge zum Kontingent. (Am 28.7. in Berlin Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding zwischen dem niederländischen Generalmajor Tom Middendorp und Brigadegeneral Warnecke vom Einsatzführungsstab.)
Aus dem Transall-Cockpit kann ich unsere Flugroute verfolgen: Nach Osten über die Ebene, nach 10 Minuten die Oase von Kholm. Nach 18 Minuten wieder Felder, Überlandstraße Ost-West, dann städtische Siedlung an kurvenreichem Fluss ... Kunduz. Steiler Sinkflug in Linkskurve, kurzer Blick auf die inzwischen fünf Militär- und Polizei-Camps auf dem Plateau, Landung. Direkt neben dem Abfertigungsfeld ragte jahrelang das Seitenleitwerk eines Flugzeugwracks aus dem Boden - als Mahnung und Warnung. Jetzt ist es abgeräumt.
Im Sicherheitshohlweg der Toranlage des PRT kommt uns ein von Schutzgittern umgebenes Ungetüm, ein US-Minenräumfahrzeug (Route Clearance Package) entgegen. Seit Jahren ist die erste Station aller Besucher das stille Gedenken im Ehrenhain vor der Mauer mit den Plaketten für die im Raum Kunduz gefallenen Soldaten: Mischa Meier, Sergej Motz und viele mehr.
PRT Kunduz
Das PRT Kunduz hat seit 2010 einen erheblichen Funktionswandel erlebt. Der Kommandeur führt keine größere Truppe mehr. Über Unterstützungskräfte und Stab hinaus steht ihm nur noch eine Schutzkompanie mit drei Zügen zur Verfügung: einer für Taloqan, einer als Quick Reaction Force als Nahbereichsschutz, einer für CIMIC.
Als „battle space owner" ist der PRT-Kommandeur aber für die Unterstützung aller anderen Bundeswehreinheiten in seiner Region zuständig.
Sehr hilfreich für den Nahbereichsschutz ist die verbesserte technische Aufklärung: Die Kameras des PRT blicken über etliche km. Am Himmel steht seit wenigen Tagen eine Art Zeppelin, wie wir ihn im vorigen Jahr schon über Kabul sahen: „Persistent Threat Detection System". Vom PRT aus hoch gelassen auf maximal 1.000 m können die Kameras (auch Infrarot) bei bester Sicht Personen auf 20 km sehen und Kfz auf 30 km.
Die short/long time patrols der Vergangenheit gibt es jetzt nur noch vom PRT Feyzabad aus.
Insgesamt gibt es im Norden sechs PRT`s. Das türkische PRT in Sheberghan/Jowjan werde zivil geführt und funktioniere nach Aussage von Militärs recht gut. Schweden wolle unbedingt bis Mitte 2012 auf zivile Leitung umstellen. Die USA bauen in Mazar ein Generalkonsulat auf, das das größte in ganz Asien werden soll (wie schon die US-Botschaft in Kabul). Seit drei Wochen gebe es aus Kabul ein Papier zur Evaluierung der PRT.
Von AA-Seite gibt man zu bedenken, dass die zivile Seite ihre Aufgaben nur dank der militärischen Ressourcen erfüllen könne. Das fange schon bei Besuchen an. Insofern habe man persönlich keine Eile mit der zivilen Leitung. Vielleicht könne es in Richtung Deutsches Haus gehen. Allerdings müsse mit dem Aufbau der entsprechenden Personalkapazitäten jetzt begonnen werden.
Zivil-militärische Zusammenarbeit beginnt im PRT mit der einstündigen Morgenlage, an der neben der militärischen Führung immer AA, BMZ und USAID teilnehmen. Aus militärischer Sicht laufe die Zusammenarbeit im PRT hervorragend. Gestern seien Vertreter von „Ärzte ohne Grenzen" dagewesen, um sich über bestimmte Fragen auszutauschen.
(Im Juni höre ich aus einem Ministerium, dass auf Seiten des AA noch keine Aktivitäten zur Stärkung der zivilen Komponente im Transitionsprozess erkennbar seien. Die von der Bundesregierung mitbeschlossene COIN-Strategie von ISAF werde auf Seiten des BMZ und der EZ skeptisch gesehen bzw. abgelehnt.
Ein überfälliger Fortschritt ist das zwischen BMVg und BMZ vereinbarte Ausbildungsmodul „Zivile und militärische Interaktion im Rahmen der Friedenskonsolidierung", das im November erstmalig an der Führungsakademie der Bundeswehr in Kooperation mit der GIZ stattfinden soll. Zielgruppen sind zivile und militärische Fach- und Führungskräfte der vier Ministerien, ergänzt um VertreterInnen von NGO`s, Medien, Wirtschaft. Dass inzwischen das BMI aus diesem Pilotprojekt ausstieg, ist nicht nachvollziehbar. Es ist ein Signal gegen die Professionalisierung des Zusammenwirkens im Rahmen des umfassenden Ansatzes.)
Sicherheitslage im Norden insgesamt
(In der 16. KW ab 18.4. landesweit 411 Sicherheitsvorfälle (2010 364), davon im Norden 11 (22) - Ost 191, Süd 106, Südwest 89.)
Vieles habe sich über die Jahre nicht verändert: Strukturen, Powerproker ...Geändert haben sich Dimensionen, Komplexität und Tempo. Die eigenen Fähigkeiten hätten sich vervielfacht.
Die zwei deutschen Task Forces (in Berlin Ausbildungs- und Schutzbataillone genannt) machen einen deutlichen Unterschied. Norwegen und Schweden wollen ihre Kräfte deutlich aktiver einsetzen. Türkei und Polen agieren demgegenüber sehr zurückhaltend. Die 170. Brigade der US-Army aus Baumholder mache Polizeiausbildung und gehe auch mit raus. Inzwischen sei man deutlich weg vom früheren 1-Stunden-Radius. Inzwischen gebe es etliche Stützpunkte in der Fläche.
Spezialkräfteeinsätze erfolgen mit Billigung des RC North. Civilian Casualties seien ein zentrales Thema. Jeder Hubschraubereinsatz werde gefilmt. Jeder mit Waffeneinsatz sei zwei Stunden später beim COM ISAF.
Spezialeinsätze laufen alle im Partnering. Kein Einsatz, bei dem nicht Afghanen dabei seien. Grundlage seien afghanische Haftbefehle oder die mit den Hauptstädten abgestimmte Zielliste. Bei Operationen von Spezialkräften würden Zielpersonen möglichst gefangen genommen, gebe es Schusswaffeneinsatz nur, wenn nötig. Außer Gefecht gesetzt werden zwei- bis dreistellige Zahlen von Aufständischen. In einem Monat waren es 80. Spezialkräfte seien nicht die Mordkolonne, als die sie oft dargestellt würden.
(In den 90 Tagen vom 17.2.-18.5. wurden nach US-Quellen landesweit 1.478 Spezialoperationen durchgeführt. Dabei wurden 499 Aufständischen-Führer getötet bzw. gefangen genommen, 2.395 Aufständische gefangen genommen und 549 getötet. Lt. COM ISAF Campaign Overview Juni 2010 wurden in den zurückliegenden 90 Tagen im Raum Kunduz, Takhar und Baghlan bei 22 Operationen und 14 „Persons of Interest" 69 Gegner getötet und 51 gefangen genommen. Anthony Cordesman: AFG: Can Meaningful Transition Succeed? July 21 2011, www.csis.org)
Bestätigt wird die Meldung im Longwarjournal vom 7.4., wonach ISAF in mehren Nordprovinzen Ausbildungslager der Taliban und der IMU identifiziert habe. Ein solches Lager in Sar-i Pul existiere nun nicht mehr.
Die Aufklärung habe ergeben, dass die Stimmung bei den Aufständischen sehr unten sei. Aber die höheren, alle in Pakistan sitzenden Führer würden Druck machen.
Beunruhigend sei, wie schnell es Ersatz gebe, binnen Stunden und Tagen.
Insgesamt würden die Aufständischen behindert, aber nicht reduziert und in ihren Operationen verhindert.
(Nicht thematisiert wird die stark von Gerüchten bestimmte psychologische Lage auf Seiten der afghanischen Bevölkerung. Unklar ist für mich, wieweit ISAF und andere internationale Akteure die psychologische Lage überhaupt wahrnehmen (können) und diese in ihrer Kommunikation angemessen berücksichtigen.)
Sicherheitslage in Kunduz: Die Ausgangslage sei jetzt besser als 2010. Dass liege an der offensiveren Vorgehensweise, aber auch am Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF). Aber je mehr den Aufständischen an Raum genommen werde, desto mehr Selbstmordattentate gebe es. Dabei sei ISAF nicht der Hauptangriffspunkt. Auf afghanischer Seite wachse die Nervosität. Afghanische Verantwortungsträger seien angespannt.
Seit Januar gab es 18 sicherheitsrelevante Vorfälle überwiegend mit IED`s.
- Am 10.2. am Eingang der Distriktverwaltung CDR der Distriktgouverneur und sechs weitere Personen durch 16-jährigen Selbstmordattentäter getötet.
- Am 18.2, dem Tag, an dem im OP North in Baghlan drei deutsche Soldaten durch einen ANA-Soldaten erschossen und sechs verwundet werden, wird ein Schützenpanzer Marder der TF Kunduz nordwestlich des PRT erstmalig in Brand geschossen: zwei Treffer in der Panzerwanne mit Durchschlag in den Innenraum. Beteiligte Panzergrenadiere berichten mir, dass hier wohl stärkere Munition zum Einsatz gekommen sei. Man habe Glück im Unglück gehabt. Aber die Aufständischen hätten gezeigt, dass sie auch einen Marder vernichten können.
- Am 21.2. in der Distriktverwaltung Imam Shahib nördlich Kunduz ca. 30 Zivilpersonen durch Selbstmordattentäter getötet.
- Am 10.3. auf dem Markt von Kunduz Provinzpolizeichef mit drei Leibwächtern durch Selbstmordattentäter getötet.
- Am 18. März wird ein RCP von mindestens 70 kg Sprengstoff getroffen. Der Krater hat einen Durchmesser von vier Metern.
Task Force Kunduz
Sie wird im Wesentlichen von der Saarlandbrigade mit 650 Soldaten gestellt. Die 2. und 3. Kompanie waren auch 2008 hier im Einsatz.
Ihr Auftrag: (a) Die bisher erzielten Erfolge im Distrikt Chahar Darreh (CDR) durch die Operation „Aghas-e Bahar" halten und ausbauen, eigenen Einfluss Richtung Ali Abad erweitern; (b) Unterstützung der Polizeiausbildung in Feyzabad mit einer Infanteriegruppe; (c) Partnering mit ANSF. Das Operationsgebiet erstreckt sich über 35 km Nord-Süd und 27 km Ost-West im Raum westlich von PRT und Stadt Kunduz.
Im Juli 2010 war hier eine Aufständischenhochburg, war die eigene Bewegungsfreiheit eingeschränkt, agierten ISAF/Bundeswehr und ANSF aus der Defensive, während die Aufständischen expandierten. Im südlichen CDR bis 100 Mann, im nördlichen CDR ca. 120, nördlich davon ca. 200, insgesamt mehr als 500.
Änderungen bis Februar 2011: Die früheren no-go-areas sind nicht mehr, vollständige Bewegungsfreiheit, Agieren in der Offensive, keine Aufständische in den früheren Hochburgen und an den Versorgungsrouten. Ab Februar Beginn der Reinfiltration. Im März Selbstmordattentäter gezielt gegen VIP`s und Objekte der Regierung und ANSF, in CDR wieder erste IED`s gegen ISAF. In den ersten Aprilwochen hält dieser Trend an.
Man warte auf die Frühjahrsoffensive. Zzt. „machen wir die".
Feldwebel, die 2008 hier waren, sagen einhellig: Im Vergleich zu 2008 habe sich die Lage um 180° gedreht, „das Spiel gewendet".
Auch in den ehemaligen Hochburgen der Aufständischen sei die Reaktion der Bevölkerung positiv. Ihre Botschaft: „Wir arbeiten mit euch zusammen, wenn ihr unsere Sicherheit garantiert. Wenn aber nachts die Männer mit den Kalaschnikows kommen ...!?"
(Der ANSO QUARTERLY DATA REPORT Q. 1 2011 bestätigt diese erstmaligen Lichtblicke seit etlichen Jahren: Die Angriffe der bewaffneten Opposition gingen im 1. Quartal 2011 ggb. dem 1. Quartal 2010 in Kunduz von 79 auf 46 (-42%), in Baghlan von 35 auf 16 (-54%), in Takhar um 74% auf 5, in Sar-e Pul um 10% auf 19 zurück. Dem standen allerdings Zunahmen in bisher ruhigen Provinzen gegenüber: Jawzjian um 175% auf 33, in Badakhshan um 175% auf 11, in Balkh um 121% auf 31, in Fayab um 45% auf 55, in Samangan von 0 auf 2. The Afghanistan NGO Safety Office, www.afgnso.org)
Man ist sich bewusst, dass diese positive Entwicklung eine Momentaufnahme und noch kein Grund zur Beruhigung ist. Die Stunden der Wahrheit kämen im Sommer.
Das Partnering mit der ANA (1. Kandak) geht über das belgische OMLT. Dieses kann unabhängig operieren und wird ausdrücklich gelobt. Probleme macht das Selbstverständnis der ANA, die sich nur für die Clear-Phase, nicht aber die Hold-Phase für zuständig sieht. Dagegen laufe das Partnering mit der ANP täglich. Ihr Chef sei schon seit Jahren CDR. Die ANP habe in CDR ein gutes Ansehen.
Gliederung der TF: im Kern zwei Infanterie-Kompanien mit je einem Zug Panzergrenadiere (je vier Marder). Der 1. Kompanie sind drei Panzerhaubitzen 2000 zugeordnet (zwei im OP North Baghlan). Mit ihren werde fast der ganze Operationsraum abgedeckt. Beim (scharfen) Wirkungsschießen sei die Haubitze das dritte Mittel nach Luftwaffe und Hubschraubern. Seit Januar kein einziger scharfer Schuss. (Zum Vergleich: in Faryab im Nordwesten drei bis vier Mal pro Woche scharfer Mörsereinsatz)
Dislozierung: Vier Stützpunkte außerhalb des PRT - das ANP Headquarter in CDR, Höhe 432 (Gräben und Heskos, „wie 1. Weltkrieg"), J 92 (Zugang zur Westplatte, nur zeitweilig besetzt), Combat Outpost (COP) Quatliam (seit Januar). Die Soldaten sind jeweils zehn Tage und länger draußen, von 30 Tagen vielleicht acht im PRT. Der gewünschte Besuch von Minister Niebel im COP hätte 20 Mann zusätzlich erfordert und wurde deshalb abgelehnt.
Der gegenwärtige Einsatz bindet alle Kräfte fast durchgängig. Die Soldaten sind durch das hohe Operationstempo stark belastet - bei einer Stehzeit von inzwischen einem halben Jahr.
Kompaniechefs und Spieße der Saarlandbrigade: ´Wenn wir nichts machen, rutscht alles wieder weg. Eigentlich habe man zu wenig Kräfte für den Raum. Beide Task Forces seien voll gebunden. Man habe keine Reserve. Notwendig sei eine dritte TF als bewegliches Element.
In der am 13.4. von der ARD ausgestrahlten Dokumentation „Papi ist im Krieg" war auffällig, dass Soldaten ihren Angehörigen lieber nicht erzählen, was sie tun. Das gelte auch hier: Darüber rede man lieber nicht, das schaffe nur Unruhe.
COIN-Phasen: Nach dem CLEAR das HOLD: Um Rückhalt in der Bevölkerung zu stärken und ein Wiedererstarken der Aufständischen zu verhindern, seien jetzt in CDR schnelle Aufbauprojekte vordringlich. Für diese brauche man gar nicht so viel Geld. Im Rahmen der Strukturen des National Solidarity Program vor allem Brunnen, Schottern von Straßen, Wasserspeicher. Das brauche zwei Monate Vorlauf und sei schnell abgeschlossen. Hierfür stehen AA-Gelder zur Verfügung. Die EZ-Durchführungsorganisationen brauchen wegen ihrer anderen Planungszyklen länger.
Operational Mentor and Liaison Team (OMLT)
(Der Kommandeur der 2. ANA-Brigade wurde inzwischen abgelöst. Beim Besuch im letzten August hatte ich den gut Deutsch sprechenden Ex-Kommandeur der Logistikschule in Kabul und Absolventen der Führungsakademie als Hoffnungsträger kennen gelernt.)
Im Juni 2006 wurde in Kunduz das erste deutsche OMLT in Dienst gestellt.
Auftrag der OMLT ist
-Â Â Â Â Â Â Â Â Ausbildung/Beratung
-        Verbindung/Führung
-        Planungsunterstützung
-        Führungsunterstützung
auf Korps-, Brigade-, Bataillons- und Kompanieebene. Alle sechs Wochen erfolgt eine Bewertung der ANA-Fähigkeiten.
Einsatzziel der OMLT ist, die Eigenständigkeit und Effizienz der ANA auf dem Weg zur Unabhängigkeit von ISAF zu erhöhen. Die OMLT seien ein wesentliches Element der Exitstrategie. In sie müsse viel mehr investiert werden.
Zzt. stellt die Bundeswehr 163 von den 308 Beratern in sieben OMLT bei der 2. Brigade. (Belgien 90, Ungarn 43, USA 12) Die 2. Brigade umfasst ca. 3.000 Soldaten in sechs Kandaks (Bataillonen), davon vier Infanterie-Kandaks. Bis Mitte 2011 soll ein fünftes Inf-Kandak dazu kommen. Die 2. Brigade ist für den ganzen Nordosten mit den Provinzen Kunduz, Baghlan, Takhar und Badakhshan mit jeweils einem Infanterie-Kandak zuständig.
Erst seit kurzem begleiten die dt. OMLT ihre ANA-Einheiten auch im Einsatz. Das sei eine entscheidende Voraussetzung für Lernbereitschaft.
Der ANA-Ausbildungszyklus geht über neun Monate, wird aber im Norden kaum einhalten. In der Vergangenheit ging es nach der Grundausbildung direkt in Operationen. Bisher standen Ausbildung und Operationen im Verhältnis 20:80.
Zur Operationsbegleitung stellt jedes dt. OMLT je zwei Kompanie-Teams für zwei Kompanien. (Ein Kompanie-Team besteht aus einer Fahrzeugbesatzung (v.a. Dingo), ein Doppelteam aus drei Fahrzeugen.) Mit anderen Worten: Nur die zwei jeweils wichtigsten Kompanien eines Kandak können begleitet werden. Die Mentoren müssen sich selbst schützen können, fahren z.T. auch auf den ANA-Fahrzeugen )(Pick-Ups) mit.
Um den Auftrag voll wahrnehmen zu können, wäre eine Verdoppelung der OMLT-Kräfte notwendig. Für die Bundeswehr hieße das eine Aufstockung von ca. 160 Mann. Erst damit sei man durchhaltefähig.
Beispiel: Begleitung der Operation Nawroz in Baghlan-i Jadid im Februar:
Der Auftrag war combat clearance operations, um neue Außenposten zu errichten.
In der gemeinsamen Planung entstand der Combined Operation Plan, den alle Beteiliogten unterschrieben. Bei zwei Shuren wurde er in Pol-e Khomri den einheimischen Autoritäten vorgestellt, zuletzt am 16. Februar. Botschaft an die Aufständischen sei gewesen: Entweder Aufgabe oder Kampf. Keine dritte Möglichkeit. Bei der zweiten Shura berichteten Älteste, dass Aufständische nicht aufgeben wollten. Die Ältesten drängten darauf, ja Zivilopfer zu vermeiden. Die Operation sollte am 19. Februar beginnen. Am 18. ereignete sich der Anschlag im OP North, dem drei dt. Soldaten zum Opfer fielen.
Die Operation wurde dennoch durchgeführt. Im Ergebnis wurde Raum genommen. Einige Aufständische seien getötet worden, ein Teil verschwand, andere wichen aus.
Die Wirksamkeit der OMLTs wird nicht nur durch den Kräftemangel beeinträchtigt: Die deutschen OMLT seien zusammengewürfelt aus 15 Dienststellen. Die einsatzvorbereitende Ausbildung der OMLT-Soldaten durch die NATO sei nach Teilnehmeraussagen mangelhaft: In Hohenfels sei es eine Katastrophe gewesen. Keine Zielgruppenanalyse, der US-Ausbilder war nie in einem OMLT. Ausgebildet werde überwiegend die militärische Seite. Die tiefgehende Andersartigkeit der afghanischen Soldaten finde kaum Beachtung. Schon die Unterschiede zu den US-Soldaten seien erheblich.
Hinderlich sei auch der dt. Vorschriften-Bürokratismus: zum Beispiel das grundsätzliche Verbot, gemeinsam mit den Afghanen zu essen. Man dürfe es nur mit Ausnahmegenehmigung - und werde dauernd eingeladen.
Einzelne OMLT-Soldaten äußern sich sehr kritisch zu den ANA-Soldaten: Es gebe viel Faulheit, Missgunst und Neid, ethnische Widersprüche. Auch Vorgesetzte würden nicht für Disziplin sorgen, Posten seien käuflich, Korruption verbreitet. Man wirft die Frage auf, ob beim Aufbau der ANSF nicht ähnliche Illusionen herrschen würden wie früher beim Statebuilding.
Auf jeden Fall brauche man eine erhebliche Frustrationstoleranz . Zentral seien respect & honour. Die US Green Berets seien genau auf eine solche dichte Ausbildung eingestellt.
ANA-Assessment, aktueller Status der 2. Brigade:
Von den sieben Stufen erreicht bisher keine Einheit die oberste (independent). Das 2. (Inf) Kandak erreichte die 2. Stufe (effective with advisors), ebenso die Kandaks Logistik/Sanität (CSS) und Garrison Support Unit (GSU), das 3. (Inf)Kandak erreichte gerade diese Stufe. Die 3. Stufe (effective with assistance) erreichen das Brigade Headquarter, das 1. und 6. (Inf)Kandak. (Die nächsten Stufen sind dependent on CF for success, established, not assessed.)
(Im April waren von insgesamt 158 ANA-Kandaks 56 Stufe 2 und 55 Stufe 3. Im Juli gab es zehn deutsche OMLT. Als erste ANA-Einheit in AFG erhielt Anfang Juli das GSU-Kandak die höchste Stufe „independent" zuerkannt.)
Reintegrationsprogramm
Berichtet wird von einem in einem Kader der Aufständischen in einem Unruhedistrikt im westlichen Badakhshan, der sich beim Gouverneur gemeldet habe.
(dpa-Reportage am 9.3.2011 von Can Merey „Überläufer in Kunduz - Taliban wechseln die Seiten". Allein in der Provinz Kunduz sollen nach Schätzungen zwischen 300 und 400 Taliban-Kämpfer übergelaufen sein. Lt. ISAF seien bis Anfang Mai 1.200 Ex-Kämpfer registriert, davon mehr als die Hälfte im Norden. In den meisten Provinzen seien inzwischen Friedensräte im Rahmen des „Afghan Peace and Reintegration Program" eingerichtet worden.)
PRT Kunduz am Morgen
Bei Kurzbesuchen brauche ich kaum Schlaf. Vor 6.00 Uhr spaziere ich durch das morgenstille Feldlager. Blanke Luft, blanker blauer Himmel. In einer Ecke des Camps fällt der Blick auf ein extra abgeschirmtes Lager mit auffällig großen Sattelitenschüsseln. Das riecht nach Spezialkräften. Auf dem nahen Flugfeld stehen fünf Hubschrauber, davon drei MedEvac. Daneben sechs Marder. Das sind auf einen Blick die gegenüber 2008 vervielfachten militärischen Fähigkeiten.
Weit zieht sich die Mauer mit Plattformen in Abständen. Blick auf`s Vorfeld: Hinter der Abbruchkante der Platte liegt die Landschaft im Morgendunst. Jede Minute zieht auf der Mauerpiste ein Jogger vorbei. Blick zurück auf das inzwischen riesige Feldlager mit seinen Antennen und Fahnen. Ein eigener Planet. Ich denke zurück an das kleine, primitive PRT Anfang 2004 inmitten der Stadt, umgeben von einer landesüblichen Lehmmauer, wo der gute Kontakt zu den Nachbarn als bester Schutz galt.
Alles liegt in tiefstem Morgenfrieden.
Zufallsbegegnung mit jungen Panzergrenadieren aus Augustdorf bei ihrem Frühstück, Kaffee mit Fladenbrot. Vor ihrem Unterkunftsgebäude hängen an einer Ziegelmauer sieben Kreuze mit den Namen von sieben Gefallenen. Darüber „In ewiger Treue". Robust sprechen sie mich an, diesen Überraschungsbesucher aus der fernen und verdächtigen Politik. Ob die Politiker denn überhaupt wüssten, was hier laufe? Ob ich wüsste, was am 18. Februar passiert sei. Zwei von ihnen waren bei dem Angriff auf den Marder dabei. Vermutet wird, dass da eine besondere Munition gegen den Marder zum Einsatz gekommen sei.
Der Morgenfrieden wird zu einem schönen Moment, einer dünnen Haut, die einige Kilometer weiter jederzeit zerplatzen kann - für die Jung`s vielleicht in ein paar Stunden.
Am Abend zuvor gab es einige Hubschrauberbewegungen. Irgendwo sollen Aufständische hochgenommen worden sein. (Vielleicht war es die von ISAF gemeldete Gefangennahme eines Top-Kommandeurs der Islamic Movement of Uzbekistan/IMU mitsamt zwei Kämpfern durch ein Special-Operations-Team von Koalitionstruppen und ANSF in Khanabad/Kunduz)
Die Tage danach draußen im Einsatz schildert ein stellv. Zugführer der TF Kunduz, ein Hauptfeldwebel der Fallschirmjäger aus Zweibrücken, in seinem „Einsatztagebuch", dessen 5. Folge in „Loyal" 6/11 erscheint.
Zusammenfassung und Nachtrag drei Monate später
Beim Besuch in Nord-AFG im August 2010 waren erste Wirkungen des gesteigerten Kräfteansatzes und der offensiveren Operationsweise erkennbar. In Nord-Baghlan konnte die dt. QRF, übergegangen in die Task Force Mazar, mit ANSF und US-Kräften Aufständische zurückdrängen. Diese Linie setzte sich im November und Dezember 2010 fort, als Aufständische aus ihren Hochburgen in Chahar Darreh und Imam Sahib/Kunduz verdrängt wurden. In no-go-areas von 2009/2010 konnten seit Jahreswende Initiative und Bewegungsfreiheit zurück gewonnen werden. In den ersten Monaten des Jahres geschahen keine komplexen Angriffe auf ISAF mehr. Dass das Mobilfunknetz in der Provinz Kunduz seit Anfang Januar wieder rund um die Uhr aktiv ist, nachdem die Taliban im Frühjahr 2010 seine Abschaltung während der Dunkelheit erzwungen hatten, war ein wichtiger Indikator.
Diese seit Jahren erstmaligen Lichtblicke wurden bekräftigt bei unserem Kurzbesuch im April und bestätigt durch den ersten Quartalsbericht 2011 von ANSO. (s.o.)
Lt. UNAMA nahm die Zugänglichkeit von Distrikten für öffentliche Bedienstete landesweit im Mai 2011 erstmalig seit März 2009 wieder etwas zu. (PPU Blue Sky Paper 014) Im Nordosten galten knapp 40 der Distrikte als 100% zugänglich, 26 zu 80-99%, weniger als 5 unter 50%.
Zugleich verstärkte sich aber der Taktikwechsel der Aufständischen hin zu IED- und Selbstmordanschlägen insbesondere gegen afghanische Autoritäten.
Inzwischen sind mehr als drei Monate vergangen, ist der Sommer als „Stunde der Wahrheit" da: Was bleibt von den Teilerfolgen vom Jahresanfang? Wieweit schlagen sich die taktischen Wenden zum Besseren auch auf der strategischen Ebene nieder?
Bericht von der 17. Afghanistanreise
Rückzug aus derVerantwortung? (Vollbericht)
Winfried Nachtwei, MdB a.D. (12/2012)
Vollbericht www.nachtwei.de/index.php/articles/1183 )
Dankenswerterweise nahmen mich die rheinland-pfälzischen Grünen-MdB Dr. Tobias Lindner (Haushaltsausschuss) und Tabea Rößner (Ausschuss für Kultur und Medien) in ihre erste Delegationsreise nach Afghanistan auf. „Allein" blieb ich noch zwei weitere Tage vor Ort.
In Kunduz standen auf dem Programm Unterrichtungen/Gespräche im PRT Kunduz: Kommandeur, Vertreter von BMZ und German Police Project Team (GPPT); Task Force Kunduz; Vertrauensleute zu Betreuungseinrichtungen; individuelle Gespräche mit Diplomaten, Polizisten, Soldaten.
In Mazar-e Sharif ISAF RC North, Stab; Einsatzgeschwader Mazar; Mitarbeiter des Senior Civilian Representative; Public Affairs Officer; Fernmelde-Kompanie; US-Zeppelin PTDS; Wasseraufbereitung; 209. ANA-Korps und deutsche Militärberater (Operational Mentor + Liaison Team OMLT); GPPT und Police Training Center; Teacher Training College; GIZ-Alphabetisierungsprojekt; Abend mit 20 deutschen EZ-MitarbeiterInnen.
Da keine politischen Gespräche auf dem Programm stehen, kommen auch zentrale politische Themen wie Verhandlungsprozess („Reconciliation"), innenpolitische Lage, regionale Konfliktlösung (Pakistan, Istanbulprozess), Zukunft von UNAMA kaum zur Sprache. Bei früheren Reisen erbrachten politische Gespräche in der Regel am wenigsten Hoffnung und am meisten Skepsis.
(...)
KUNDUZ
PRT Kunduz: Insgesamt sind auf dem PRT-Gelände 2.040 Personen stationiert, davon ca. 1.400 Deutsche. Diese setzen sich zusammen aus ca. 500 Soldaten des PRT, 120 Soldaten im Rahmen der OMLT, über 600 der Task Force Kunduz, zusätzlich Task Force 47 (Spezialkräfte). Das Auswärtige Amt ist mit acht MitarbeiterInnen vertreten, das German Police Project Team umfasst 24 Beamte. Die EZ-MitarbeiterInnen leben und arbeiten richtigerweise außerhalb des PRT. Im PRT ist „nur" die BMZ-Vertreterin, die dank ihres afghanischen Hintergrundes und ihrer langen Präsenz vor Ort ganz besonders orts- und menschenkundig ist. Das niederländische Kontingent umfasst 320 Personen.
Ursprünglich sollte in diesen Monaten das PRT Kunduz in zivile Leitung übergehen - wie zuvor in Feyzabad. Aber es habe Widerstände vom BMVg gegeben. Nun solle die Leitungsübergabe Ende des Jahres erfolgen.
Bilateral heißt es von ziviler Seite, dass die Ressortzusammenarbeit ganz in Ordnung sei. Allerdings gehe man als Zivilist in der Masse der Militärs etwas unter. Die „gleiche Augenhöhe" sei für Militärs auch etwas schwierig. Es gebe gelegentlich eine Neigung zur Vereinnahmung.
Aktualisierung: Am 15. November ging das PRT Kunduz in die zivile Leitung eines AA-Diplomaten über. Bisher bestand der Anspruch einer militärisch-zivilen Doppelspitze. Der militärische Anteil heißt jetzt Unterstützungsverband Kunduz. Ich erinnere mich, dass Militärs vor Ort schon vor zwei Jahren auf eine zivile Leitung drängten. Sie wollten, dass der Primat der Politik nicht nur in Berlin betont, sondern auch vor Ort wahrgenommen würde. Nach allen Erfahrungen mit militärisch-zivil-polizeilicher Zusammenarbeit in den letzten neun Jahren ist die zivile Leitung eines PRT eine ganz besondere Herausforderung. Es ist Neuland.
Militärische Lage
Im ersten Quartal gab es in der Provinz 140 Sicherheitsvorfälle, in ganz 2011 waren es 828. Sorgen bereiten die Distrikte Archi, Aliabad und das nördliche Chahar Darreh. Hauptangriffsmittel der Aufständischen sind Sprengfallen (IED). Hauptziele sind Polizeichefs und ähnliche Autoritäten. Bei einem Angriff auf den Kommandeur der Polizeispezialeinheit kürzlich in Kunduz überlebte er wohl. Seine Tochter wurde aber schwer verwundet.
Insgesamt fühlen sich die Menschen sicherer, habe sich die Bewegungsfreiheit verbessert. Allerdings: Bei Vergleichen kommt es auf das Vergleichsjahr an: Gegenüber 2010 ist die Verbesserung auffällig - aber das war auch das schlimmste Jahr. Besser als 2008 sei die Lage noch nicht. Das Afghanistan NGO Security Office (ANSO) komme auch zu einer skeptischeren Bewertung der Sicherheitsentwicklung. (vgl. meine aktuelle Übersicht Sicherheitsvorfälle in Afghanistan Nord und landesweit 2012, bis 22. Mai, www.nachtwei.de/index.php/aricles/1142 )
Aktualisierung: Der 3. Quartalsbericht 2012 von ANSO vom Oktober meldet für die Provinz Kunduz einen Rückgang der Aufständischenattacken um 27% auf 132 ggb. 180 im Vorjahrszeitraum.
Im Fokus der militärischen Operationsführung steht weiterhin der strategisch bedeutsame Nord-Süd-Korridor. Die TF Kunduz steht im Südwesten der Provinz, ein US-Bataillon in Imam Shahib im Norden (es schrumpft demnächst). Die Niederländer unterstützen die Polizeiausbildung in Kunduz, Khanabad und später Archi. Der PRT-Kommandeur als Raumverantwortlicher ist für die Koordination der Kräfte verantwortlich. Er selbst verfügt nur noch über begrenzte eigene militärische Kräfte. Die drei CIMC-Teams bestehen aus je einem Offizier, einem Unteroffizier. Im Keyleaderboard fließen verschiedene Elemente der zivilen Lage zusammen.
Der Kommandeur ist fast täglich draußen. Alle ca. sechs Wochen geht es in die Distrikte, Essen und Gespräche mit ca. 30 Personen, lokalen Autoritäten, am Samstag z.B. nach Imam Shahib, wo die US-Kräfte abziehen und die Niederländer hinkommen.
In Taloqan/Takhar wurde das Provincial Advisory Team (PAT) aufgelöst, am 29. Februar auch die Außenstelle Taloqan der deutschen Botschaft geschlossen. Jetzt sei nur noch ein AA`ler dort und EZ. Noch bestehe persönlicher Kontakt zum Gouverneur. Aber das werde irgendwann auslaufen. Damit wird auch das Lagebild zu dieser zwischen Kunduz und Badakhshan gelegenen Provinz immer gröber und oberflächlicher. Zu bedenken sei aber, dass das kleine PAT vorher eher ein Anlaufpunkt war und nicht sonderlich zur Sicherheit der Provinz beigetragen hätte. Die Afghanen würden hier ihre Angelegenheiten im Wesentlichen selbst klären.
Task Force Kunduz: „Es kommt auf jeden an!"
Die TF besteht aus zwei Infanteriekompanien, einer Pionier-, einer Aufklärungs- und einer Kompanie für verschiedene Teilfähigkeiten. Die TF verfügt über keine Reserven. 80% der Task Force stammt aus der Panzergrenadierbrigade 41 „Vorpommern", 51% aus dem PzGrenBtl 411. Seit April 2011 wurde die Truppe zusammengeführt.
Auftrag ist die Unterstützung der afg. Operationsführung und der Ausbildung der Sicherheitskräfte durch Niederlande u.a. Hauptbedrohungen sind IED`s.
Einsatzraum ist vor allem das nördliche Chahar Darreh (die ANA im Süden des Distrikts) und Aliabad (LOC Pluto). Die Verbindungsstrecken (Lines of Communication, LOC) sind die Lebensadern. Die LOC Kamins, Hauptverbindungsstrecke durch Chahar Darreh, ist einer breiter Feldweg. Manche LOC ist gut bewacht. Anderswo kann es 6 Stunden für einen Kilometer brauchen.
Partner sind ANP, ANA und dt. Berater der 2. Brigade, belg. Berater des 1. ANA-Kandak (Bataillon), die Distriktgouverneure von Chahar Darreh und Aliabad, das PRT Kunduz, die Task Force 47, die mit afg. Spezialkräften zusammenwirkt.
Das Partnering läuft genau besehen nicht „Schulter an Schulter", sondern einander ergänzend auf Ebene der Kompanien und Züge.
Das eigene Auftreten stehe unter der Devise „stark-freundlich-respektvoll-rücksichtsvoll":
Ein von vorneherein starkes und militärisch-abschreckendes Auftreten vermeide, zum Gelegenheitsziel zu werden. Freundlichkeit gegenüber der Bevölkerung, Respekt in der Zusammenarbeit mit afg. Kräften. Es komme darauf an, Vertrauen zu erwerben. Hüten müsse man sich, Afghanen zu beleidigen. Bloß nicht über Afghanen lachen, mit ihnen lachen selbstverständlich. Unterwegs werde viel gewunken. Die Leute sähen von weitem durch die Panzerscheibe, ob Soldaten mit dem Kopf nicken, winken. (Das erinnert an die Anfangsjahre des AFG-Einsatzes. Seit Jahren schien es mit der Winkerei vorbei zu sein. Ich hoffe, dass die Beobachtungen stimmen - und nicht eine schöne Geschichte für die Besucher aus Deutschland sind.)
In den bisherigen vier Monaten des Einsatzes sei nichts passiert, habe man Glück gehabt. Die Panzerhaubitze musste keinen Schuss abgeben, nicht mal Nebelgranaten. (Am 25. Mai kommt es gegen 8.45 Uhr 11 km entfernt vom PRT Kunduz zu einem Sprengtoffanschlag gegen eine dt. Patrouille, nur Sachschaden, kein Personenschaden.)
Die Task Forces (Ausbildungs- und Schutzbataillone) sollen gemäß dem Security-Force-Assistance-Konzept ab Juli 2012 umgegliedert und mit den bisherigen OMLT zusammengeführt werden. Nach Wegfall einer Infanterie-Kompanie besteht die künftige „Partnering + Advisory Task Force"/PATF aus einer kampfstarken Partnering-Kompanie (zugleich Quick Reaction Unit), einer Aufklärungs-Kp, einer verminderten Pionier-Kp, einer Stabs- und Versorgungs-Kp sowie mit Schutzkräften verstärkte Advisory-Teams auf Kandak(Bataillons)-Ebene.
Aktualisierung: Nach Abschluss der Umstrukturierung erfolgte die Umbenennung der PATF Mazar und Kunduz am 14. Und 16. Juli.
Künftig habe die TF keinen eigenen Gefechtsstand mehr, werde nur noch Einzelfähigkeiten wie Artillerie, Aufklärung, Pioniergerät stellen.
Im Gefechtsstand der TF mit Hilfe des über uns stehenden US-Beobachtungs-Zeppelins (Permanent Threat Detection System PTDS) Blick auf die Umgebung des PRT. Die zwei Kameras (auch Infrarot) gewährleisten aus über 1500 Fuß Höhe ein generelles Screening im Umkreis von ca. 20 km. Aufständische wissen, dass ihre Bewegungen von oben gesehen werden, und verzichten dann lieber auf Raketenattacken und IED-Verlegungen.
(Die USA setzten die Helium-gefüllten Ballons erstmalig 2004 im Irak ein, ab 2007 auch in AFG. Heute sollen es mehr als 100 unterschiedlicher Größen (117, 70 Fuß) in ganz AFG sein, über Kandahar allein acht. Sie sind billiger als Drohnen und halten ein gewisses Maß an Einschüssen aus. In einer Reportage berichtete die New York Times am 12. Mai 2012 über Reaktionen auf die „spy ballons": sie seien „game changer" für die militärische Aufklärung, bei Afghanen aber umstritten als „oppression", „shameless", unmoralischer Einblick in die Privatsphäre. Im Sommer könne man nicht mehr auf dem Hausdach schlafen.)
Geräteschau der Intermediate Reaction Force Alpha (IRF) zum Einsatz in der ganzen Provinz. Die IRF besteht aus zwei Zügen mit je vier Marder. Diese Mini-QRF sei „überall willkommen". Auch die US-Streitkräfte hätten nichts Vergleichbares. Zuletzt war die IRF 24 und 21 Tage draußen. Die einsatzvorbereitende Ausbildung für die IRF-Soldaten lief seit Januar 2011, also über ein Jahr. An 25 Wochenenden waren die Soldaten nicht zuhause. 60% des Zuges waren schon mal in Afghanistan, manche viermal. Die Ausstattung eines Truppführers: Weste 15 kg, Waffe 3,5 kg, Funkgerät 12 kg (mit Antenne 25 km Reichweite, top!). Das hat man bei bestimmten Operationen 23 Stunden an. Auf meine Frage, wie lange man so ein Gewicht tragen könne, die Antwort: Wie es nötig sei. Aktiver Hörschutz kostet 900 EUR: Er lässt Funksprüche durch und hält nur Schockwellen ab. Ein Teil der Funkgeräte sei aus der Steinzeit, keine Vereinheitlichung! In Dörfern reichen die Geräte manchmal keine 300 m weit.
Aufbau + Entwicklung
Für die deutsche EZ arbeiten in der Provinz 25 internationale und mehr als 250 lokale Kräfte.
(Landesweit sind es 325 internationale und 1.500 lokale, insgesamt über 1.800.)
2010 gab es in der Provinz einige No-go-Areas. Heute sei die komplette Provinz für Projektarbeit wieder zugänglich - natürlich mit Hilfe des Risk Management Offices. Jeder Besuch sei machbar.
Zzt. laufen in der Provinz 65 dt. EZ-Projekte, 12 sind in Planung. 22 der laufenden Projekte wurden durch den paritätisch besetzten Provincial Development Funds (PDF) beschlossen.
In der Provinzverwaltung gebe es einiges an Frustration. Notwendig wären Mentoringprojekte für /(kleine) Departements. Zu schaffen mache der dominierende Klientelismus: An allererster Stelle stehe die eigene Familie, dann der Clan, das Dorf, weit weg ist schon die Provinz - und ganz weit weg sei Afghanistan. Das gehe mit viel Missgunst einher.
Förderung von Verwaltungsfähigkeit und Staatlichkeit: Da könne man nur sehr begrenzt was schaffen. Es sei eine Illusion, in einer Gesellschaft von informellen und persönlichen Beziehungen schnell Verwaltungsfähigkeit etablieren zu können. Hier müsse man erkennen, was man nicht ändern könne.
Aber es gebe Anzeichen eines Generationenwechsels: Endzwanziger, v.a. Juristen rücken in verantwortliche Positionen. Z.B. der Bürgermeister von Kunduz, die Distriktgouverneure von Imam Shahib und Chahar Darreh.
Seit 2010 liege der Schwerpunkt auf Förderung guter Regierungsführung. Die Finanzierung erfolgt über zwei deutsche Regionalfonds für Infrastruktur und Kapazitätenentwicklung. Das National Solidarity Program wird zu 100% von der afghanischen Seite getragen. (Das NSP entstand 2003 und untersteht dem Ministerium für ländlichen Wiederaufbau und Entwicklung. In fast 30.000 ländlichen Gemeinden gibt es gewählte Community Development Councils; Berichte und aktuelle Daten unter www.ndpafghanistan.org )
Polizeiaufbau
Das Police Training Center Kunduz umfasst 500 Ausbildungsplätze und soll Mitte 2013 voll übergeben werden. Ausgebildet wird nach Curricula des afg. Innenministeriums.
Im Polizei-Compound von GPPT und EUPOL erleben wir eine Abschieds- und Einstiegsfeier für zwei leitende Polizisten. Ein Bundespolizist begrüßt mich mit „Willkommen im Paradies!" Es ist etwas ironisch, aber vor allem ernst gemeint. Denn die Stimmung am Abend und einige Einzelgespräche offenbaren einen sehr guten Zusammenhalt. Eine Beamtin war vorher in Feyzabad gewesen. Das gefiel ihr so sehr, dass sie sich für Kunduz meldete. Reizvoll hier seien die anderen Erfahrungen, die Eigenständigkeit und der Zusammenhalt. Ein alter Hase war in Bosnien, Kosovo, Georgien. Etliche erfahrene IPM-Polizisten kennen wir gemeinsam., z.B. aus NRW Stefan Feller und Tom Litges.
Polizeiausbilder, die erst kürzer hier sind, berichten von den mageren Voraussetzungen der Polizeirekruten. Aber sie würden sich anstrengen, Fortschritte seien sichtbar. Ein persönlicher Gewinn sei der Kontakt mit einer ganz anderen Welt, die Relativierung der Verhältnisse in Deutschland. Als Polizist aus der Frankfurter Bahnhofsgegend verstehe man jetzt die Hintergründe von Afghanen und anderen Migranten besser.
Rundgang am frühen Morgen
Wie bei früheren Besuchen nutze ich die frühen Morgenstunden ab 5.30 Uhr für einen Rundgang durchs Feldlager. Zu dieser Zeit sieht alles aus wie heller Frieden. Die Begrünung des PRT-Geländes kommt voran. Bäume haben inzwischen mittlere Höhe erreicht und überragen die Unterkunftsgebäude. Zwischen den Gebäuden große Rosenbeete, am Flugfeld rote Flecken von dicht wachsendem Klatschmohn. Der Innenhof unseres Unterkunftsgebäudes „Augsburg" ist wieder eine regelrechte Oase. Auf einem Gebäude des Polizei-Compounds dient die Dachterrasse zum Sonnenbaden und als Aussichtsplattform.
Am Flugfeld ein kleiner „privater" Ehrenhain mit sieben Kreuzen für HFw Nils Bruns, 35 Jahre (gefallen 2.4.2010), StGefr Robert Hartert, 25 Jahre (2.4.2010), HGefr Martin Augustyniak, 28 Jahre (2.4.2010), HGefr Sergej Motz, 21 Jahre (29.4.2009), HFw Mischa Meier, 29 Jahre (27.8.2008), StGefr Roman Schmidt, 22 Jahre (20.10.2008), SrUffz Patrick Behlke, 25 Jahre (20.10.2008). Daneben ein Schildkrötengehege:
„Im Gedenken an unsere gefallenen Kameraden der 2./InfTF KDZ ist dieses
Schildkrötengehege entstanden. Die Soldaten der 2./InfTF KDZ verpflichten sich,
diesen Ehrenhain und die dazu gehörigen Schildkröten zu pflegen. In mühevoller Kleinarbeit über mehrere Kontingente wurde der Ehrenhain am 06.12.2011 fertiggestellt.
Schildkröten symbolisieren in diesem Land „ewiges Leben".
Damit unsere gefallenen Kameraden in unseren Gedanken immer weiter leben,
halten wir für jeden Kameraden eine Schildkröte.
Schenkel, OStFw u. KpFw, 2./PzGrenLehrBtl 92 06.12.2011"
Im Nordosten ist eine Erweiterungsfläche für Munition u.ä. im Bau. Andere Baumaßnahmen sind gestoppt. Wahrscheinlich hat das PRT jetzt seine Höchstbelegung erreicht. Auf dem Plateau gibt es inzwischen sechs Feldlager von Sicherheitskräften. Das Police Training Center schließt direkt an das PRT an.
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Dokudrama über den Luftschlag von Kunduz vor 4 Jahren - Hintergründe + politische Verantwortung
Winfried Nachtwei, MdB (3.9.2013)
(www.nachtwei.de/index.php/articles/1232 )
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Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: