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Zäsur des deutschen KFOR-Einsatzes: Übergabe von "Camp Prizren" an die kosovarische Seite - Bericht vom ersten KOSOVO-/KFOR-Besuch 1999

Veröffentlicht von: Nachtwei am 2. Oktober 2018 14:55:57 +01:00 (31174 Aufrufe)

Seit 1997 hatte ich intensiv mit dem Gewaltkonflikt, dann Krieg, dann Stabilisierung, Friedensförderung im Kosovo zu tun. Zehn Mal war ich vor Ort, sah Fortschritte, erlebte auch den Rückschlag der Märzunruhen 2004. Inzwischen scheint KFOR weitgehend ein vergessener Einsatz zu sein. Verhinderte Kriegsgewalt bringt keine Bilder, hat keinen Nachrichtenwert. Die Übergabe von Prizren ist eine gute Gelegenheit, doch hinzusehen, den Peacekeepern zu danken. Hier mein Reisebericht aus der Startphase Oktober 1999. 

Übergabe des „Camp Prizren“ an die kosovarische Seite:

Zäsur des deutschen KFOR-Einsatzes –

Auftrag Kriegsverhütung erfolgreich umgesetzt

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (10/2018)

(Fotos unter www.facebook.com/winfried.nachtwei )

Zur Übergabe

19 Jahre lang war das Feldlager Prizren der zentrale Stützpunkt des deutschen KFOR-Kontingents im Kosovo. Am 04. Oktober übergab der Parlamentarische Staatssekretär BMVg Thomas Silberhorn die Liegenschaft an die kosovarische Regierung. Hier soll ein Innovations- und Trainingspark entstehen, organisiert von der kosovarischen Regierung und unterstützt von der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). In Prizren`s Altstadt fand ein öffentlicher Appell in Anwesenheit des kosovarischen Präsidenten Thaci, Premierminister Haradinaj, der Parl. Staatssekretärin Maria Flachsbarth BMZ und des deutschen Botschafters Christian Heldt statt. ( https://www.youtube.com/watch?v=5mmYljchzD4 , https://www.bmvg.de/de/aktuelles/staatssekretaer-silberhorn-uebergibt-feldlager-prizren-im-kosovo-28166 )

Auch wenn mit dem Abzug aus Prizren das deutsche Kosovo- und KFOR-Engagement nicht endet (rund 70 Bw-Soldaten bleiben im KFOR-HQ in Pristina, Schwerpunkt Aufklärung, Beratung), ist die Übergabe des deutschen Hauptstützpunktes nach 19 Einsatzjahren eine Zäsur, ja ein historisches Ereignis. Seinem Ende entgegen geht der längste und personalstärkste Großeinsatz der Bundeswehr.

Ganz nüchtern und ohne jede Schönrednerei steht diese Übergabe für erfolgreiche Auftragserfüllung durch 50 deutsche KFOR-Kontingente mit ihren weit über 100.000 Bundeswehrsoldaten. Wie in Bosnien gelang auch hier der militärische Kernauftrag: Verhinderung erneuter Kriegsgewalt und Förderung eines sicheren Umfelds, wo vor Ort Konfliktpotenzial und Gewaltakteure reichlich bereit standen. Militärische Gewalt wurde insgesamt sehr zurückhaltend eingesetzt. Insgesamt war KFOR ein Friedenssicherungs- und Stabilisierungseinsatz in einem konfliktreichen Nachkriegsgebiet – und keineswegs ein Kriegseinsatz, wie es aus der Ferne manchmal heißt.

Ein Aufflammen von Kriegsgewalt in der unmittelbaren Nachbarschaft (Montenego, Presevotal, Mazedonien) konnte in 2000/2001 wirksam verhindert werden. Ein Ausreißer in dieser Positivbilanz waren die Märzunruhen 2004, wo das deutsche KFOR-Kontingent den albanischen Mob wüten und „ethnisch säubern“ ließ. Dass noch kein nachhaltiger Frieden gewachsen ist, dass Korruption, Organisierte Kriminalität, Arbeits- und Perspektivlosigkeit weiter wuchern, lag außerhalb der Wirkungsmöglichkeiten von KFOR.

Gespaltene Anerkennung

Die Leistungen der Abertausenden deutschen KFOR-Soldaten sind beispielhaft, ja traditionswürdig. Sie verdienen Aufmerksamkeit, hohe Anerkennung und herzlichen Dank. Das war offenbar bei der Übergabe in Prizren von Seiten der kosovarischen Bevölkerung und Repräsentanten zu erleben. In Deutschland hingegen gab es dazu praktisch keine Öffentlichkeitsarbeit. Einzig in der FAZ berichtete ihr Balkan-Korrespondent Michael Martens umfassend zu den fast 20 deutschen KFOR-Jahren; auf „Augen geradeaus“ erschien ein Kurzbericht und auf der BMVg-Seite eine Meldung. Das war`s. Die Verhinderung von  kriegerischer und ethnischer Gewalt liefert keine spektakulären Bilder – und hat damit automatisch nur einen geringen Nachrichtenwert. Wegen der sicherheitspolitischen Bedeutung der KFOR-Zäsur, der erbrachten Leistung Abertausender, der sicherheitspolitischen Wahrnehmung in der Bevölkerung wäre es umso wichtiger, der mit Prizren abgeschlossenen großen Gemeinschaftsleistung per Öffentlichkeitsarbeit Nachrichtengewicht zu verleihen. Damit der schon seit Jahren ziemlich vergessene KFOR-Einsatz nicht vollends in Vergessenheit gerät.

Mir ist völlig unbegreiflich, warum bei dieser einmaligen Gelegenheit zum Mittel der unterlassenen Öffentlichkeitsarbeit  gegriffen wird – und damit KFOR-Veteranen verdiente öffentliche Anerkennung vorenthalten wird. Fortgesetzt wird damit eine schlechte Tradition, die so auch bei der Beendigung des deutschen Bosnien-Einsatzes im Jahr 2012 durchexerziert wurde: mit 17 Jahren der bis dahin längste Einsatz, erfolgreiche und äußerst gewaltarme Auftragserfüllung – nicht der Rede wert!

Angesichts des Anspruchs der neuen Traditionsrichtlinien, vor allem die bundeswehreigene Tradition zu fördern, ist die unterlassene Öffentlichkeitsarbeit doppelt unbegreiflich.  

( https://augengeradeaus.net/2018/10/nach-fast-20-jahren-verabschiedet-sich-die-bundeswehr-aus-prizren/

Zur aktuellen Situation in Prizren und anderen früheren Konfliktherden des Kosovo die Reportage „Ende eines Einsatzes“ von Julia Egleder in „LOYAL“ 10/2018)

Rückblich zu den Anfängen 1999. Erster KFOR-Besuch

Solche Zäsur-Ereignisse nutze ich gelegentlich, um an Personen, Ereignisse, Umstände zu erinnern, die beispielhaft, vielleicht traditionswürdig sind, aber viel zu oft in Vergessenheit geraten.

Kosovo-Luftkrieg der NATO  von März bis Juni 1999 (und der serbische Vertreibungskrieg): Hierzu gehen bis heute die Meinungen sehr auseinander. (vgl. meine Bilanz 10 Jahre danach http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=81&aid=829  )

Der durch den UN-Sicherheitsrat vielfach mandatierte KFOR-Einsatz war von Anfang an viel weniger strittig. Er begann mit rund 50.000 Soldaten aus 40 Nationen im Sommer 1999 und ist inzwischen auf weniger als ein Zehntel geschrumpft.

Seit 1999 besuchte ich den Kosovo zwölf Mal, erstmalig genau vor 19 Jahren am 11. Oktober 1999. Die folgenden Notizen von diesem Besuch vermitteln einen Eindruck von den damaligen Herausforderungen, Konfliktpotenzialen, Beobachtungen – und dem bis heute Geleisteten. Fotos zu dem Besuch unter www.facebook.com/winfried.nachtwei

Meine Stellungnahme zur ersten KFOR-Entscheidung des Bundestages im Februar 1999 und ein Interview zur KFOR-Bilanz nach 18 Jahren vom März 2017 unter http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1456

Erster KOSOVO-/KFOR-Besuch im Oktober 1999

mit den Obleuten des Verteidigungsausschusses

Auszüge der Reisenotizen von Winfried Nachtwei, MdB

11.-12. Oktober, Start 07.30 Berlin-Tegel, (a) KOSOVO: Pristina (COMKFOR, stv. SRSG UNMIK, UNMIK-Police), Prizren (Kommandeur Multinationale Brigade Süd, Russ. Fallschirmjägerbataillon Malisevo), (b) MAZEDONIEN: Erebino (Logistikstützpunkt bei Tetevo), Skopje (Mitglieder maz. Verteidigungsausschuss), (c) BOSNIEN & HERZEGOWINA : Sarajevo/Railovac (stv. Kommandeur SFOR)

Mit Hubschrauber vom Flughafen Pristina zum KFOR-Headquarter in der ehemaligen Film-City oberhalb der Stadt. Im engen und heißen Besprechungsraum Briefing durch COMKFOR General Dr. Klaus Reinhardt zu den Aufgabenfeldern (1) Sicherheit, (2) Kooperation mit UNMIK und Übergangsverwaltung, (3) Humanitäre Hilfe.

(1) Sicherheit: Seit dem Waffenstillstand enormer Rückgang bei den Hauptdelikten Morde, Brandstiftungen, Plünderungen, Entführungen.

Zu KFOR: An jedem Kloster lebt ein Zug, bei jeder serbischen Oma lebt ein Soldat. Sie fahren in Bussen mit. Es wird alles getan, um Menschen zu schützen. Laut US-Brigade inzwischen 40.-50.000 Serben zurück. In einem Dorf 30-40 Familien zurück, KFOR besorgt Saatgut. Bei größeren Fabriken werden Serben von Soldaten an Arbeitsplätze begleitet.  

Zur Wiedereröffnung der Uni: In Gesprächen multiethnische Uni durchgesetzt: drei Tage albanisch, drei Tage serbisch, Studenten werden unter Militärschutz in die Hörsäle gebracht – wie in US-Südstaaten in 60er Jahren.

„Wir wollen und müssen multiethnische Uni-Ausbildung gewährleisten.“ Ein hautnahes Problem, das uns in den Händen explodieren kann. „In der jüngsten Gesellschaft Europas dürfen die junge Generation nicht verlieren. Ich will keine Situation wie 1968.“ (Andeutung, dass er damals auch auf der Straße)

(2) Kooperation mit UNMIK: Täglich Gespräche mit dem Hohen Repräsentanten. KFOR mache keinen Schritt ohne UNMIK und umgekehrt. Riesiger Fortschritt gegenüber Bosnien bezüglich Koordinierung/Kooperation. Man habe gelernt. Auf beiden Seiten keine Berührungsängste. Der Zeitpunkt der Wahlen sei aber strittig.

(3) Humanitäre Hilfe: Hierbei seien die deutsche und die US-Brigade führend. Von den 1,7 Mio. Einwohnern brauchen zzt. 56.000 noch Hilfe, um über den Winter zu kommen. Zzt. stehen 82.000 shelter kids und 80.000 Öfen zur Verfügung. Die Bevölkerung könne für vier Monate versorgt werden.

Um mit unseren Fähigkeiten „nicht zu erdrücken“, bieten wir in anderen Bereichen unsere Hilfe nur an. Ca. 400 NGO`s – große Abwehrhaltung ggb. Koordination, die UNHCR leisen muss. Im Unterschied zu KFOR bei NGO`s auch – zumindest mittelfristig – Profilorientierung. Hier sei entscheidend, dass beide Seiten aufeinander zu gehen.

„Wir müssen uns stark zurücknehmen, da wir mit unserem starken Potenzial im Vorteil sind.“

Zu Kosovo Protection Corps (KPC) der zuständige Generalmajor Olshagen: Grundbotschaft „keine hidden army“ – damit hätten die Deutschen ja Erfahrung. KPC kriegt nur allgemeine Hilfe (Umgang mit Minen, Erste Hilfe, nichts Militärisches, damit nicht der falsche Eindruck einer militärähnlichen Organisation entsteht. Deshalb brauchen wir Ausbildungsmöglichkeiten  für Feuerwehr, Technische Hilfe, (THW will aber mit KPC nichts zu tun haben). „Ich will zivile Ausbildungsplätze, Organisations- und Führungshilfe. Da ist die Hilfe der Nationen gefragt.“ Erste Aufgabe sei die Beseitigung des enormen Drecks. Wie in seinem Heimatort Garmisch-P. die großen Schneehaufen, so lägen hier die großen Müllhaufen in den Straßen. Die Flüsse seien die reinen Autokippen.

Bisher könne die KPC mit keiner Mark bezahlt werden.

„Cowboy-Denken akzeptiere ich nicht.“ Hilfe werde vom erhalten abhängig gemacht: Wer Waffen oder Uniform trage, komme nicht in die KPC.

„Zzt. bemühen wir uns um die Demilitarisierung der Begriffe.“

Zu Waffen: Keiner wisse, wie viele es noch gebe. Kampagnen demonstrativer Waffenzerstörung mit Panzern. Jede gefundene Waffe ist illegal. Aufkaufen sei wegen des Macho-Verhaltens sinnlos.

Zu Polizei: In Pristina ca. 800 (incl. Stab). Die Polizeischule soll bis Jahresende 1.900 Polizisten ausgebildet haben.

Zu KFOR: 29 Nationen als Truppensteller (darunter Türkei und Armenien!) Jede Brigade umfasse fünf bis sieben Bataillone, maximal ein bis zwei von einer Nation. Multinationalität bisher kein Problem, keine Brigade schere aus.

Gesamtstärke 40.961, davon 35.794 NATO (USA rund 6.300, GB 6.050, DEU 4.800, IT 4.700, FR 4.400, NL 1.500, GR 1.200, Türkei knapp 1.000, POL 713, UNG 330, TSCH 125), RUS 3.600, ARM 994, FIN 677, OST 432, SWE 45.

Zum russischen KFOR-Kontingent: Die Soldaten seien sehr professionell, engagiert und hilfsbereit, besonders um Neutralität bemüht. Die Fallschirmjägertruppe bekomme hier ihren „Elitestempel“.

Alle Brigadekommandeure seien heilfroh, dass Russland so perfekt mitarbeite. Von der Effektivität her „ist es mir wurscht, ob es ein finnisches, ein deutsches oder russisches Bataillon ist.“

Man sei nicht nur auf Peace Support, sondern auf die Abwehr serbischer Angriffe vorbereitet.

((Der hoch gelobte General Reinhardt, erster deutscher Kommandeur eines multinationalen Großverbandes, erstmals seit 1813/15 britische Verbände einem deutschen General unterstellt: unprätentiös, souverän, locker, freundlich, schriftfrei, immer die politische Zielvorstellung und historischen Erfahrungen im Blick und die Perspektive der anderen Seite – in jeder Hinsicht über den Tellerrand hinaus. Keinerlei Generals-Deformation sichtbar. Sehr klar. Fest, ruhig, gewinnend. Anm.: Der 11. Oktober ist für General Reinhardt der vierte Tag als COMKFOR. Vgl. auch Klaus Reinhardt, KFOR – Streitkräfte für den Frieden. Tagebuchaufzeichnungen als deutscher Kommandeur im Kosovo, Frankfurt 2001, S. 95-99 zum 11. Oktober))

Im UNMIK-HQ in der Stadt Briefing des stellvertretenden Hohen Repräsentanten Jock Covey (US)

Vier Säulen Humanitäre Hilfe, Zivilverwaltung, Medien, Wiederaufbau. Aufbau von Zivilverwaltung (bis Wahl) scheint nach Text der UN-Resolution so einfach. Aber für ein solches Unternehmen haben die Staaten der Welt nicht genug Personal. Und auch eine kleine Gemeinde braucht für sowas Jahrzehnte. Es geht ja nicht, eine neue Verwaltung einfach „abzusetzen“. Aber: Seit 1989 gibt es hier Erfahrungen mit eigenen Verwaltungsstrukturen. Kosovo hat gerade eine Kolonialverwaltung abgeschüttelt. Und es gibt Misstrauen, ob UNMIK die nächste Kolonialverwaltung wird. Deshalb ist die Suche nach einheimischen Talenten so wichtig. Das geht alles zwangsläufig was langsamer. Problem dabei sei, dass die UN-Rechtsabteilung ständig prüfe, ob die Abgabe von Verantwortung überhaupt mit dem Mandat vereinbar sei.

Wenn wir die Verwaltung nicht partnerschaftlich aufbauen, wird der Kosovo unregierbar.

Die Beziehungen zwischen der zivilen und militärischen Seite seien perfekt, davon konnten wir in Bosnien nur träumen.

Minderheitenschutz: Serben, Roma, Bosniaken können hier nicht sicher leben. Verhalten nimmt pathologische Züge an, die über Rache hinausgehen: Manchmal wird regelrecht Jagd auf andere gemacht. KFOR sei extrem bemüht und bemüht, Minderheiten zu schützen.

--- Als wir das Gebäude verlassen, demonstrieren alte Männer. Ein Oberstleutnant: Jetzt nicht täuschen lassen, plötzlich könne was passieren. Wenn es mal wieder brenne, sei nichts aus den Leuten herauszubekommen, eher Schadenfreude auf den Gesichtern. Generalmajor Riechmann (Kommandeur Dt. Heereskontingent, Nationaler Befehlshaber im Einsatz) berichtet von dem extremen Gegensatz hübscher junger Frauen in Designerklamotten – und gegenüber brennt sein Haus. Immer wieder äußerten Soldaten Fassungslosigkeit über die Intensität des Hasses.

UNMIK-Police-Commissioner Sven  Frederiksen (DÄN)

Zwei Aufgaben: Ruhe und Ordnung gewährleisten und unabhängige, demokratische Kosovo-Polizei aufbauen.

Er selbst habe reichliche Balkanerfahrung: 1992/93 Kroatien, 1993/94 Bosnien & Herz. 1996 Albanien.

Diese Polizeimission hat im Unterschied zu den früheren beratenden nun exekutive Funktion., eine starke Mission mit Muskeln zur Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit. Alle Polizisten haben Handfeuerwaffen. Das gebe ein Signal nach außen und innen. Das bisherige Law Enforcement Vakuum sei ein ideales Terrain für Gangster aller Art.

Die Kooperation mit KFOR sei perfekt.

Zurzeit 1.672 Polizisten aus 36 Ländern. (Anm.: Vom UN-Sicherheitsrat mandatiert sind 4.718!)

Geplant sind 1.800 Zivilpolizisten, 205 Grenzpolizei, zehn Einheiten Spezial-(Bereitschafts-)Polizei. Letztere gibt es noch nicht. Nur IND und PAK haben bisher je zwei Kompanien zugesagt, SPA und IT je eine. Bisher ist die Hälfte des geplanten Umfangs vor Ort. Besorgnis, dass dass bisherige Zusagen vor allem aus kulturell entfernten Gebieten. Am besten wäre europäischer Polizeistil.

Allen Delegationen habe er offen gesagt: „Ich kann nicht verstehen, dass nach dem größten Truppenaufmarsch nach dem Zweiten Weltkrieg und nach so präzisen Luftschlägen so große Schwierigkeiten bestehen beim Aufbau von Rechtstaatlichkeit. Dafür brauche ich absolut professionelle Polizeioffiziere. Sonst könnte das erste starke Mandat scheitern!

Wir arbeiten 12 Stunden am Tag sieben Tage in der Woche.“

(Auf Nachfrage) Kein Land hält Reserven vor für internationale Polizeimissionen.

Zur Logistik: Die Ausstattung sei mangelhaft, von drei Kopierern zwei immer kaputt. Die zentrale Kripo-Einheit, die in 240 Mordfällen ermittle, verfüge über einen transportablen Drucker.

Flug nach Przren

Hügeliges Land, Baum und Buschreihen, kleinparzelliges Bauernland, intensive Nutzung, viele Äcke frisch gepflügt, ab und zu zerstörte Häuser (v.a. die Dächer), auffällig viele rote Dächer.

Der Wiederaufbauwille, so er Augenschein wie die Berichte, ist enorm.

„Militärische“ Zerstörungen (Krater u.ä.) sehe ich nicht. (Riechmann: In dieser Region auch am wenigsten. Im Norden und Mitte, im Bereich es Hufseisenplans sehe es anders aus.)

Hauptquartier der Multinational Brigade South (MNB (S), Brigadegeneral Sauer, am Stadtrand von Prizren an einer ehemaligen Fabrik. Alles sehr eng. Zelt an Zelt (je acht Mann). Wie auch an anderen Standorten die übliche Männerordnung.

Arbeitszeiten der Soldaten täglich bis 12 Stunden sieben Tage, sonntags z.T. was kürzer, kein Ausgang, 23.00 Uhr Licht aus.

Das deutsche KFOR-Kontingent umfasst insgesamt 6.120 Personen, davon 4.800 im Kosovo.

Zur deutschen Brigade gehören neun Kampf- und Unterstützungsbataillone, davon zwei Pionierbataillone.

Sicherheitslage letzte Woche: ein Mord, acht Brände, sieben Raubtaten, drei Plünderungen.

CIMIC-Häuserbau: Innerhalb von dreieinhalb Wochen Material für 1.400 Häuser.

Besuch des Russischen Fallschirmjäger-Bataillons der Task Force Malisevo (11. Taktische Gruppe)

Beim Ausstieg aus dem Hubschrauber sollen wir Schutzwesten anlegen.

Die russischen KFOR-Kräfte stammen alle von der 106. Russischen FSchJ-Division aus Tula bei Moskau.

Vor jedem Mannschaftszelt (ca. 40 Soldaten) steht ein Soldat stramm. Das Bataillon besteht aus drei FSchJ-, einer Mörserkompanie und Logistik- und Kampfunterstützungskräften, insgesamt 500 Mann.

Generalmajor Evtuchowitsch, vorher russ. Verbindungsgeneral bei der NATO: Er hatte zuvor zusammen mit General sauer wieder Verhandlung mit Albanern von Orahovac; dann der Bataillons-Kommandeur, ein Major:

Im Gebiet des Bataillons liegen 25 Orte mit ca. 35.000 Einwohnern. Auf meine Nachfrage, ob die einheimische Bevölkerung die neutrale Rolle des russischen Bataillons respektiere, springt zunächst General Sauer ein: Hier habe man inzwischen die „Unvoreingenommenheit“ des Bataillons erkannt. Im Bezirk Orahovac könne man offenbar noch nicht zwischen russischen Soldaten unterscheiden, dort brauche es noch Zeit. (Späte ergänzt General Riechmann: In Orahovac mit seinen 20.-30.000 Einwohnern seien 4.000 verschwunden, davon 2.000 sicher in der Umgebung verscharrt. Er schildert  einen Fall, wo Leichen mit Müll zugekippt wurden. Das sei der Hintergrund der Bevölkerung, die seit etlichen Wochen eine Blockade mit ca. 500 m Tiefe betreibe.)

ParlStS` Brigitte Schulte fragt den Major, was er von Innerer Führung bei der Bundeswehr halte., ob sie Beispiel für die russische Armee sein könne. Da verliert der bis dahin mit Abschreckungsmimik vortragende Offizier (immer wieder vor Kraft in den Stiefeln rotierend) zum ersten Mal die Fasson und schüttelt nur noch kräftigst den Kopf – alles lacht.

Besichtigung der Mannschaftszelte (für je einen Zug) und zweier Schützenpanzer, ein älterer, luftverladbarer dabei. Beim Abwurf sind die Soldaten schon drin!!

Beim Abschied ist die Stimmung erheblich aufgetaut.

Gleichzeitig

- Am Abend wird in Pristina auf der Hauptstraße gegenüber dem UN-Hauptquartier erstmalig ein UN-Mitarbeiter erschossen – weil er Albanern in Serbisch geantwortet hatte.

- Am Dienstagabend verunglücken zwei deutsche Unteroffiziere tödlich mit einem VW-Bus.

- Bei Orahovac entdecken deutsche Gerichtsmediziner ein Massengrab mit bis zu 90 Leichen.

- UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechte, Jiri Dienstbier, spricht von „ethnischen Säuberungen“ gegen Nichtalbaner.

Logistischer Stützpunkt Erebino bei Tetevo/Mazedonien

Einsatzunterstützungs-Regiment im Rahmen des 2. Kontingents, seit vier Wochen hier, vor allem aus Sachsen-Anhaltt, Sachsen, Bayern.

Einzel- und Massenverbrauchsgüter: ca. 37.000 verschiedene Artikel, zehn bis dreißig Lkw-Transporte/Tag von DEU nach MAZ, 2.000 to/Monat.

(…)

Beim Essen Hauptthema mit Offizieren die 6-Monats-Regelung. Einhellig in allen Dienstgradgruppen: mit Familien nicht zu machen. Dann auf jeden Fall lieber vier Monate! Schon jetzt erhebliche Scheidungsraten. (Soldaten sind doch keinem Orden beigetreten!)

Nirgendwo gebe es Privatsphäre, kaum/kein Ausgang! Dann kämen mit der Zeit nur noch eine bestimmte Sorte zur Bundeswehr.

(…)

Weitere Berichte und Stellungnahmen zum Kosovo-Konflikt/Krieg/Einsatz

(a) Kosovo-Krieg

- Persönliche Erklärung zur Abstimmung über den Antrag „Deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt“ am 16. Oktober 1998, Bundestagsdrucksache 13/11469, ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/13/13248.pdf 

- Kosovo-Einsatz der Bundeswehr: Friedenstruppe oder Interventionstruppe gegen Serbien? Stellungnahme zur Bundestagsentscheidung zur Beteiligung an KFOR nach Abschluss eines Friedensvertrags, 28.02.1998, 

- Stellungnahme: NATO-Luftangriffe – antiserbische Aggression oder einzige Rettungschance für das Kosovo? 26. März 1999

- Stellungnahme: Nach Bielefeld – Widersprüche, Glaubwürdigkeitslücken und Verantwortung. Die Grünen zwischen Antikriegsprotest und Kriegsbeteiligung, Juni 1999

- Stellungnahme: Bilanz des Kosovo-Krieges – nicht wieder wegsehen! März 2000

- Stellungnahme: Kosovo-Krieg vor zwei Jahren: Begann alles mit einer Lüge? Zum Streit um die Informationspolitik der Bundesregierung, 2001, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=83&aid=277

- Kosovo-Bilanz: Blick zurück nach vorn, Textentwurf für die Friedens- und Sicherheits-politische Kommission von Bündnis 90/Die Grünen Mai 2008 (weitgehend übernommen)

- Stellungnahme: 10. Jahrestag des Kosovo-Luftkrieges: Politisch-persönlicher Rückblick eines beteiligten Abgeordneten, 23. März 2009, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=81&aid=829

(b) Kosovo-/KFOR-Besuche ab 1999

- Erster Besuch der Obleute des Verteidigungsausschusses im Kosovo, bei KFOR, UNMIK im Oktober 1999 (2. KFOR Kontingent), Reisenotizen  (s.o.)

- Gute Nachricht aus Belgrad – als OSZE-Beobachter bei den ersten freien Wahlen in Serbien, Bericht von meinem Wahlbeobachtereinsatz, Dezember 2000

- Gewalteindämmung von oben: Mit Joschka Fisher in Albanien und Kosovo (Diplomatie in der Mazedonien-Krise), 11.04.2001

- Reisebericht Obleute des Verteidigungsausschuss mit Minister Peter Struck, Dezember 2002 http://nachtwei.de/druck/druck%20Besuch%20bei%20KFOR%20im%20Kosovo%20im%20Dezember%202002.htm

- Kosovo-Besuch mit Minister Struck, April 2003

- Bericht Studienfahrt „Friedensarbeit auf dem Balkan - Kosovo und Mazedonien“, Oktober/November 2003

- Gewaltexplosion im Kosovo im März 2004, Besuch der grünen MdB  Silke Stokar + W. N. .bei deutschen Polizisten in Bosnien und Kosovo unmittelbar zu Beginn der Märzunruhen (mit Augenzeugenberichten), http://nachtwei.de/downloads/civpol_eu_un_04_2004.pdf

- Kosovo ein Jahr nach den Märzunruhen: viel Stagnation + wichtige Fortschritte, Delegation der grünen Bundestagsfraktion, März 2005, http://nachtwei.de/downloads/bericht/kosovo_bericht_200503.pdf

- Obleutebesuch Kosovo mit PStS Pflüger, Mai 2006 (Kladde XXI)

- Obleutebesuch Kosovo (+ Bosnien) Juni 2007, Kurzbericht

- Gespannte Ruhe: Kosovo nach der Unabhängigkeitserklärung 2008, Obleutebesuch April 2008,  http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=11&aid=698

- KFOR-Einsatz im Kosovo auf der Zielgerade - ABER NOCH NICHT AM ZIEL! Besuch des Beirat Innere Führung beim 28. Deutschen Einsatzkontingent im Februar 2011, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1036 

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch