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Genauer Hinsehen: Sicherheitslage Afghanistan (Lageberichte + Einzelmeldungen) bis 2019
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Nachtwei: Reisebericht Afghanistan September 2009 (Teil 2)

Veröffentlicht von: Webmaster am 13. Oktober 2009 19:42:29 +01:00 (119246 Aufrufe)

Teil 2:

Sicherheitslage Nord

Zur Erinnerung die Dimensionen der Nordregion: 1.300 km W-O und 390 km N-S, d.h. ungefähr die halbe Fläche Deutschlands, allerdings mit viel schwierigerer Geografie und kaum Infrastruktur. Die Provinz Kunduz ist so groß wie Rheinland-Pfalz und das Saarland. Fahrtdauer Kunduz - Feyza bisher 12 Stunden.

(1) Konzentrationen von Sicherheitsvorfällen/Anschlägen gibt es im Nordwesten vor allem im Distrikt Ghormach und um Meymaneh, die Hauptstadt der Provinz Faryab, entlang der Ringroad in den Provinzen Jowzjan und Balkh westlich und südlich von Mazar, am stärksten rund um Kunduz bis Imam Shahib und Archi an der tadschikischen Grenze und nach Süden in die Provinz Baghlan, schließlich westlich Feyzabad im Nordosten.

Im Problemdistrikt Ghormach konnten viele Checkpoints von ANA, ANP und Stand-By-Police etabliert werden. Inzwischen kippt die Lage wieder: die ANA ist abgezogen, Stand-By-Police sei mit Aufständischen verstrickt, die kaum bezahlte ANP (von 90 $ Sold kommen nur 60 an!) werde schwächer. Wieder einmal kamen Aufbauprojekte nur spärlich zustande. Polizeiausbildung läuft nicht wie geplant, Distrikt- und Provinzgouverneur blockieren sich gegenseitig.

Im Problemdistrikt Chahar Darreh westlich von Kunduz zeigt sich besonders deutlich der Zusammenhang von Sicherheit und Entwicklung: Anfang des Jahres wurden dort über ein Sonderprogramm Millionen in den Aufbau gesteckt. Mit der Zuspitzung der Sicherheitslage ab Frühjahr war das alles hinfällig.

(2) ISAF- und Soldaten-Erfahrungen: Jede dt. Schutzkompanie, jede Teileinheit der Quick Reaction Force war inzwischen in Gefechten. Jeder kennt jemanden, der verwundet wurde. Die Soldaten müssen mit sehr unterschiedlichen Risikolagen klarkommen, von high-risk-Strecken bis zur Gesprächsaufklärung, wo man das Fahrzeug verlässt. Beispielhaft sei das Verhalten der Infanteriekompanie des PRT Kunduz: Nachdem sie gegen 9.30 Uhr mit Handwaffen und Panzerfäusten beschossen worden war, kehrte sie mit 9 Verwundeten ins Camp zurück - und fuhr um 17.00 wieder raus zur Polizeistation Chahar Darreh. Das verweist auf eine enorme Einsatzdichte. Meiner Einschätzung, dass es vielleicht mehr seelische als physische Verwundungen gebe, wird nicht widersprochen. Konkretere Angaben gibt es nicht. Berichtet wird von extremen Einsatzbedingungen. In der Führerkabine stieg die Temperatur auf 80° C!

Wo Truppe vor Ort bleibe (und nicht nur mal auftauche), seien die Reaktionen aus der Bevölkerung sofort freundlicher und offener, gelinge Stabilisierung.

Elementar für die Einsatzbereitschaft ist die sanitätsdienstliche Versorgung. Die NATO-Zeitvorgabe ist, dass ein Verwundeter 90 Minuten nach Verwundung auf einem Operationstisch sein soll. Die Karte mit 1-Stunden-Radien (boden- und Hubschrauber gestützt) zeigt eine weitgehende Abdeckung im deutschen Hauptverantwortungsbereich im Norden und Lücken im Nordosten. (90 Minuten ein Flug Mazar-Feyza) Flüge bei Dunkelheit sind nur sehr eingeschränkt möglich.

Die größten und gefährlichsten Ausstattungsdefizite bestehen bei den Hubschraubern. Bei einem Bestand von 9 CH-53 Hubschraubern vor Ort sei es mehrere Tage nicht möglich gewesen, mit 2 Hubschraubern Feyza anzufliegen. Die Rücksicht auf die deutsche Industrie und ihre Langsamkeit dürfe doch nicht heißen, dass man erst in etlichen Jahren über die notwendigen Fähigkeiten verfüge. Diese brauche man hier und heute. Also müsse man ein Übergangsmodell leasen. Dabei sei die Umschulung der Besatzungen ausdrücklich nicht das Problem.

Zu schaffen mach der Ersatz für im Einsatz beschädigte geschützte Fahrzeuge. Der komme nicht nach, so dass die Zahl der geschützten Fahrzeuge sinke. Ein Ärgerpunkt ist die Frage individueller Veränderungen an Fahrzeugen, z.B. mehr Schutz bei Selbstmordattacken durch eine dickere Schraube. Wo man vor Ort einfache technische Lösungen hat, sei das Genehmigungsverfahren über Deutschland ausgesprochen bürokratisch und schwerfällig.

(3) ANA-Unterstützung: Besuch des dt. Operational Mentoring Liaison Teams (OMLT) in Camp Shaheen einige km südwestlich von Mazar. Hier ist das Hauptquartier des 209. ANA Corps unter Generalmajor Murat, dem - erfolgslosen - Verteidiger der Buddha-Statuen von Bhamyan.

Der ANA-Aufbau ist ein Schlüsselelement der ISAF Exit-Strategie.

Die ANA insgesamt umfasst 92.000 genehmigte Stellen, die in den nächsten Monaten auf 134.000 angehoben werden sollen. Anvisiert, aber noch nicht beschlossen ist eine Endstärke von 240.000 (Polizei 162.000).

Das 209. Shaheen Corps hat zzt. 7.713 Dienstposten und soll in 2 Jahren auf 10.573 anwachsen. Das Ist liegt bei über 7.000 Soldaten. Die Abwesenheitsrate beträgt 16% (1.100). Ursachen sind die geringe Bezahlung (100 $, + 80 $ bei Einsatz), die vielen Operationen, die extrem lange Abwesenheit von den Familien. General Murad plant die Aufstellung einer 3. Brigade.

Die Ausbildung der ANA läuft schon weitgehend selbständig. Ihre Ausstattung ist zu 100% US-amerikanisch. Ihre Fernmeldetechnik ist z.T. besser als die der Bundeswehr. Daraus ergibt sich eine völlige strukturelle Abhängigkeit von den USA.

Die 70 Mann des dt. OMLT sind mit 27 beim Corpsstab, 2 bei der 1. Brigade, 24 beim 2. Kandak (Bataillon) der 1. Brigade, 17 beim 5. Kandak. Darüber hinaus sind dem Corps 97 Berater von 6 weiteren Nationen, insbesondere Norweger zugeordnet (v.a. ). DEU ist hier die Leadnation.

Die Capabiliy Milestones (CM) definieren die Fähigkeitsstufen:

CM 1 Einheiten haben die volle Befähigung, Counterinsurgency-Operationen auf Bataillonsebene zu planen, durchzuführen und durchzuhalten, Koalitionsunterstützung nur noch bei Luftnahunterstützung und medizinischer Evakuierung;

CM 2 Einheiten haben dieselbe Befähigung mit Koalitionsunterstützung;

CM 3 Einheiten haben diese Befähigung teilweise auf Kompanieebene mit Koalitionsunterstützung;

CM 4 Einheiten sind aufgestellt, aber noch nicht zu Counterinsurgency-Operationen in der Lage.

Von CM 4 bis CM 1 dauert es ca. 2 Jahre.

Während die Hauptquartiere des Corps und der 1. Brigade in Mazar und zwei ihrer Kandaks CM 1 erreicht haben, liegt die 2. Brigade in Kunduz mit ihren Kandaks überwiegend bei CM 3, ist also noch schwach.

Die Command and Control (C2) Struktur der OMLT`s steht zwischen den Parallelstrukturen von ISAF-HQ, ISAF-Regional Command, PRT einerseits und dem US-amerikanischen Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A), der Task Force Phoenix (> 6.000 Personen), Task Force Warrior (> 1.000) im Norden. Kommentar eines Offiziers: Inzwischen könne man mit dieser Doppelstruktur leben. Aus der CSTC-A-Publikation „The Enduring Ledger" (www.cstc-a.com) vom August ist zu entnehmen, dass am 10. September CSTC-A und die NATO Training Mission AFG (NTM-A) zu einem integrierten Stab zusammengeführt wurden, geführt von einem Kommandierenden General mit Doppelhut.

(Kommandeur der CSTC-A ist Generalmajor Richard Formica. Im März empfahl er seinen Soldaten „Three Cups of Tea" von Greg Mortenson zur Lektüre. Der New-York-Times-Bestseller ist die Geschichte eines US-Bergsteigers, der nach dem Scheitern am K 2 im Karakorum die Gastfreundschaft eines pakistanischen Gebirgsdorfes erlebt - und das Fehlen jeder Schule. Schulen in den entlegendsten und vernachlässigsten Gebieten Pakistans, dann Afghanistans zu bauen, wurde seine Mission. Nach dem 11.September erklärte er seine Bildungsoffensive zur Alternative zum militärischen „war on terror" und das „Hören auf die Menschen und Berge" zur obersten Devise. Das Buch ist inzwischen als „Der Traum vom Frieden" auf Deutsch erschienen.)

Die internationalen OMLT begleiteten die ANA seit Januar bei 10 Operationen, darunter OP Tofan über 5 Monate in Ghormach, OQAP im Juli in Kunduz, vom Juni bis Oktober Wahlabsicherung. Hier habe die ANA zusammen mit ANP die zentrale Rolle gespielt. Nichtdeutsche OMLT gingen auch mit in den Süden. Für die Mentoren ist der Aufbau von Vertrauen, die persönliche Beziehung zu ihren ANA-Offizieren das A+O. Sie sind wie deren Schatten, eine Art zweiter Chef. Verfehlt ist jedes forsche Auftreten oder als „Weihnachtsmann" zu kommen.

Der Corps-Kommandeur befiehlt in die Kandaks hinein. Ihm wird alles gemeldet, er befiehlt alles. Entscheidendes Führungsmittel ist das Handy. Der Kommandeur habe auf allem den Daumen drauf. Da gebe es wenig eigenes Denken. Vorausschauende Planung finde kaum statt. Bundeswehr hat immer Versorgung für 48 Stunden, die ANA manchmal gar nichts. Für 5 Tage habe es einmal 6 Flaschen Wasser gegeben. Nichtsdestoweniger mache die Arbeit mit den Afghanen Spaß.

Feyzabad/Badakhshan

Mit CH-53-Transporthubschrauber im „Konturenflug" (150 km/h in ca. 12 m Höhe) von Mazar in 90 Minuten nach Feyzabad: Durch die offene Heckklappe ergeben sich spektakuläre Blicke auf eine grandiose Landschaft: zuerst wüstenähnliche Ebene, nach 30 Minuten huschen wir über einen ersten Kamm; nach 35 Minuten ein Flusstal mit grünen Feldern, Gehöften; nach 45 Minuten Asphaltstraße und Überlandleitung, Fahrspuren kreuz und quer; Aufstieg ins Gebirge, steiler Sinkflug nach dem Kamm, kleine Viehherden, schaukelnder Kurvenflug; nach 50 Minuten Felder mit Menschengruppen, ein Hund läuft uns hinterher, Herdentiere stieben auseinander; nach 60 Minuten steiles Hochgebirge, links oder rechts ragen Felswände hoch, fast zum Greifen nah, dann stürzt der Blick in Abgründe; an entlegendsten Orten tauchen Menschen, einzelne Tiere, kleine Herden auf; Panoramablick auf eine Gebirgskette; nach 65 Minuten größerer Gebirgsfluss, schräg aufragende Felsplatten; nach 75 Minuten erkenne ich das tief eingeschnittene Kocha-Tal mit der Trasse der Straße Nr. 302 von Kunduz nach Feyzabad. Wo sich früher eine strapaziöse Piste herschlängelte, verläuft jetzt eine Asphaltstraße, nur noch von kurzen Baustellen unterbrochen. Bis Jahresende soll die von USAID finanzierte Lebensader fertig sein.

Wir landen auf der Stahlplattenpiste von - so heißt es tatsächlich - „Feyzabad International Airport" mit seinem halbzerstörten kleinen „Flughafengebäude". Die zweimotorige deutsche Transall darf hier nicht landen, weil sie bei Ausfall eines Triebwerkes mit einem einzigen Triebwerk nicht mehr aus dem Tal heraus käme. Bei Nässe gibt es hier keinen Flugbetrieb, weil dann ein Bremsen auf den Stahlplatten unmöglich ist. Schwedische Hercules` fliegen inzwischen Feyza nicht mehr an. Somit ist das hiesige Bundeswehr-PRT voll und ganz auf die Hercules-Transporter anderer Verbündeter angewiesen. Hinzu kommt, dass keine Bundeswehr-Hubschrauber vor Ort sind. Mit anderen Worten: Die Transportanbindung von Feyza ist gewagt.

Die Provinz Badakhshan umfasst 44.000 qkm (fast so groß wie Niedersachsen) und erstreckt sich über 300 x 450 km von 1.200 m bis 5./7.000 m Höhe an der Grenze zu Pakistan und China.

Statt von Entfernungen spricht man Erreichbarkeiten: in den Norden braucht man 8-9 Stunden, nach Süden > 24 Stunden, nach Westen (Takhar) 5 Stunden (nach Fertigstellung der Straße 2,5 Stunden), in den Vakhan-Korridor 2 Tage.

Von den 1,2 Mio. Einwohnern leben 90% auf dem Land. Hier sterben 6,5% der Mütter bei Geburt eines Kindes (in Kabul 0,6%), 19% der Kinder sterben vor ihrem 5. Lebensjahr (2001 waren es 25%), 13% haben Zugang zu sauberem Trinkwasser, 4% zu Strom. Badakhshan ist die ärmste Provinz Afghanistans. Zugleich ist der Bildungsstand in den „Städten", die historisch „linke Hochburgen" waren, vergleichsweise hoch.

Die Einflussgebiete der zentralen Machthaber liegen westlich und östlich des Kocha-Flusses, Nasir Mohammed ist der lokale Powerbroker. Hauptbetätigungsgebiet der Organisierten Kriminalität ist der Schmuggel nach Norden. Der Chef der Grenzpolizei soll hier in besonderer Weise verwickelt sein. Auch wenn in der traditionellen Schlafmohnprovinz Badakhshan die Anbaufläche stark zurückgegangen ist (UNODC meldet 400 ha, der Gouverneur spricht von 1.300 ha), gibt es in der Provinz noch viele Labore. Jemand nennt Badakhshan einen kleinen Narko-State, wo höchste Autoritäten mit Drogengeldern zu tun hätten. Aufständische machen sich längs der 302 im Westen bemerkbar. Diese bieten für den Einsatz in der Provinz Kunduz bis 1.000 $.

Vom Höhenrücken auf der Ostseite des Kocha-Flusses wurden bis Ende 2008 ab und zu Raketen ins Tal geschossen, zuletzt am 2. Mai. Am 27.7. wurde ein letzter IED-Anschlagsversuch rechtzeitig aufgeklärt und verhindert.

Das PRT Feyzabad umfasst 506 Soldaten und 23 Zivilisten, die Schutzkompanie hat 110 Soldaten.

Insgesamt sei Badakhshan eine der sichersten Provinzen.

Trotz Ramadan und Freitag kommen viele Menschen zu den Gesprächen in den Landgemeinden und zum afghanischen Essen am Abend im PRT.

Der stellv. Gouverneur nennt den raschen Ausbau von Straßen (dabei auch Alternativroute nach Kabul über Panshir statt Kunduz) und den Ausbau von Hochschulen (5.000 Abiturienten/Jahr) als zentrale Aufgaben, wo internationale Unterstützung wünschenswert wäre.

Das AA fördert vor allem auch Projekte, die greifbar Verbesserung bringen. Ein Beispiel: In dem Dorf 60 km südöstlich von Feyza, wo im Mai der mutmaßliche Terrordrahtziehers Abdul Razeq festgenommen worden war, fand einige Tage später eine Shura statt. Der Gouverneur habe eine gute Rede gehalten, die deutsche Seite habe ihn mit neuen Projekten unterstützt. Damit sei sichtbar das Zeichen gesetzt worden: „Es lohnt sich."

Ein besonderes Problem sei, dass Jungens von hier in großer Zahl auf Madrasen (Religionsschulen) in Pakistan geschickt würden und dann oft stark radikalisiert zurückkämen. Warum gebe es hier nicht „Jungenschulen" mit dann gemäßigter Ausrichtung?

Bei den Fahrten durch Feyza und Umgebung bewegen wir uns erstaunlich frei, sogar in Batash, wo die Bundeswehr mal gewisse „Probleme" hatte. Während uns ein uniformierter Sprachmittler begleitet, wollte ein anderer das Risiko nicht eingehen. Als Vorbild wird genannt der neuere US-Botschafter Eikenberry, der kürzlich Badakhshan besuchte und ungeschützt auf die Menschen zuging. Das gehe hier noch, diese Chancen müsse man nutzen! Zugleich erfahren wir in der Stadt und abseits der Hauptstraße, wie arm und rau die Ausgangslage ist - und wie schnell man auch mit dem Geländefahrzeug stecken bleiben kann.

Kunduz

(1) Rückblick: Seit 2004 besuchte ich fast zehnmal Kunduz. Bis zum vorigen Jahr waren die Fortschritte mit Händen zu greifen. Im Frühjahr 2007 hatte es etliche Monate ohne Zwischenfälle gegeben. Seit Verhaftung einer Terrorzelle war Ruhe. Das änderte sich schlagartig mit dem Selbstmordanschlag auf dem Markt von Kunduz am 19. Mai 2007, dem drei Bundeswehrsoldaten zum Opfer fielen. Auch wenn es damals eine breite Solidarisierung aus der Bevölkerung gab („Wir brauchen das PRT so nötig wie das Wasser zum Leben"), verschlechterte sich danach die Sicherheitslage, verstärkt seit Sommer/Herbst 2008, extrem seit April 2009. Seitdem gab es immer wieder Gefechte über mehrere Stunden, fiel am 29.4. erstmalig ein Bundeswehrsoldat im Kampf, töteten Bundeswehrsoldaten erstmalig in der Geschichte der Bundeswehr etliche Gegner im Kampf. Inzwischen ist die Rede von vielen hundert Aufständischen.

Als Ursachen für die krasse Rückwärtsentwicklung in Kunduz werden genannt eine schwache Provinzregierung seit Jahren; der über Jahre vernachlässigte Polizei- und Armeeaufbau (Streichung von über 500 Polizeistellen im Vorjahr, wodurch ganze Distrikte praktisch ohne Polizei waren); im Vergleich zu Bedarf und Erwartungen zurückbleibende Aufbaubemühungen; wachsende Enttäuschungen über Zentral- und Provinzregierung; in die Paschtunengebiete zurückströmende und wenig integrierte Flüchtlinge aus Pakistan (250.000 im ganzen Norden); die jüngere Vergangenheit von Teilen der Provinz als letzte Talibanhochburg 2001; aus Pakistan einsickernde Kämpfer; unzureichende Präsenz von ISAF/Bundeswehr in der Fläche und Initiativverlust im vorigen Jahr; Kunduz als strategischer Angriffspunkt der Taliban im Norden, seitdem die dritte ISAF-Nachschubroute über Kunduz geht.

Dieses Mal besuche ich Kunduz nicht, weil die Soldaten dort anderes zu tun haben, als einen Politiker, der dann sowie so nicht aus dem PRT rauskommt, zu betreuen.

(2) Luftangriff bei Kunduz am 4.9.: Er war eine menschliche und auch politische Katastrophe. Er ging einher mit einem gravierenden politischen Versagen des Verteidigungsministers im Umgang mit diesem Ereignis.

In Deutschland wurde kaum wahrgenommen, dass die Bundeswehr am 3.9. im nördlich gelegenen Distrikt Archi in einem schweren Gefecht stand. Auf 4 km wurde die zur Unterstützung herangezogene Schutzkompanie des PRT Feyzabad immer wieder von 40-60 Aufständischen beschossen, es gab 4 Verwundete und 7 beschädigte Fahrzeuge, ein Dingo brannte aus. Die zur Hilfe gerufene ANA-Einheit kam nicht. Sie verblieb in der Polizeistation von Archi.

Alle Seiten hätten sich jetzt anders verhalten als sonst: Die Bundeswehr, die bisher Zivilopfer weitgehend vermieden habe, verantwortet jetzt erstmalig eine hohe Zahl an Zivilopfern. Die US-Seite, deren Luftwaffeneinsätze in den zurückliegenden Jahren immer wieder viele Zivilopfer gefordert hatte, reagierte jetzt so schnell und verurteilend wie nie zuvor. Auf afghanischer Seite schließlich soll es - so mehrere zivile Gesprächspartner - viel weniger Empörung und Entschädigungsforderungen geben als früher bei solchen Fällen. Von offizieller Seite in Kunduz, aber auch in Kabul habe es sogar viel Zustimmung gegeben. Zu vermuten ist, dass die Reaktionen in den paschtunischen Siedlungsgebieten entgegengesetzt waren.

Bundeswehrsoldaten wehren sich gegen Vorverurteilungen des PRT-Kommandeurs und kritisieren die harsche US-Kritik: „Die Amis predigen Wasser und trinken Wein!"

Bundeswehroffiziere distanzieren sich zugleich von einer auf afghanischer Seite verbreiteten Haltung, die gerne viel häufiger Luftnahunterstützung hätte und den Eindruck erweckt, als lasse sich das Taliban-Problem mit einigen weiteren Luftangriffen lösen. Ich erinnere mich an eine Szene bei unserem Juni-Besuch in Kunduz, als der Geheimdienstchef den deutschen PRT-Kommandeur frozelnd anmachte wegen seiner militärischen Zurückhaltung. Dieser nahm das ganz gelassen.

(3) Lageentwicklung in Kunduz: Beschuss, Hinterhalte und Anschläge gibt es fast täglich, manchmal mehrfach am Tag. 6 Gebiete im Süden, Osten und Norden der Provinz sind für Regierung und Sicherheitskräfte no-go-areas. Rundum Kunduz tauchen vermehrt illegale Checkpoints auf. Drohungen erhalten inzwischen sogar Krankenhäuser. Bundeswehr nahm das Rote Kreuz von Sanitätsfahrzeugen weg, weil diese bevorzugt angegriffen wurden. Älteste äußerten, sie hätten den Einfluss auf die Militanten verloren. (Unter ihnen sollen inzwischen etliche internationale Kämpfer, u.a. aus Usbekistan und Tschetschenien, als Ausbilder sein.) Deutsche EZ kann aus Kunduz nicht mehr raus. Berichtet wird von der Waffenausgabe an Zivilisten und ehemalige Kommandeure, die sich selbst gegen Aufständische/Taliban wehren wollen. Dies wird von Kennern der Region interpretiert als Wetterleuchten einer Bürgerkriegsentwicklung für den Fall, dass ISAF und afg. Sicherheitskräfte ihre Puffer- und Schutzfunktion immer weniger realisieren. Fazit: ISAF/Bundeswehr und afg. Sicherheitskräfte sind hier an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Wenn die Schutzkompanie des PRT Feyzabad zur Verstärkung nach Kunduz muss, dann gibt es hier offenbar keine Reserven mehr. Mit dem gegenwärtigen Ansatz ist im nächsten Jahr Schluss mit Kunduz!

(4) Dringender Vorschlag von General Vollmer (Regionalkommandeur Nord): Bisherige Operationen zur Rückgewinnung der Kontrolle über Gebiete mit Aufständischen-Einfluss/Dominanz wirkten wie ein Scheibenwischer. Die Militanten wurden rausgedrängt und kehrten nach Abzug von ISAF und afg. Sicherheitskräften wieder schnell zurück. Um Gebiete auch halten zu können, seien mehr Polizeikräfte unabdingbar. Zzt. hat die Provinz mit ihren 770.000 Einwohnern knapp 1.200 Polizisten. Das Soll liegt 200 Polizisten höher. Im Vorjahr hatte die Zentralregierung schon 537 Polizisten von Kunduz abgezogen, gegen den Protest des Provinzpolizeichefs. Ergebnis: Es gab Distrikte praktisch ohne Polizei.

Ausgehend von der Bevölkerungsdichte und Bedrohungslage berechnete ISAF einen Mehrbedarf von 2.500 Polizisten. Weil Kabul aber keine Aufstockung im Norden finanzieren will bzw. kann, schlägt Vollmer vor, Deutschland solle für zwei Jahre die Polizeigehälter direkt zahlen - bei 140 $ pro Polizist und Monat wären das 9 Mio. $. Großbritannien habe das in Helmand mit 3.500 Polizisten gemacht. Die ruhigeren Wintermonate müssten für die Rekrutierung und Ausbildung genutzt werden. Ausreichend Ausbildungskapazitäten habe man dafür. JETZT müsse damit begonnen werden.

Zugleich fehle es an kurzfristig wirksamen Programmen für Arbeitsplätze.

In der Bundespressekonferenz wischten die Pressesprecher des AA, BMVg, BMI und BMZ mit lakonischen Bemerkungen zur Seite: Deutschland zahle schon in den LOFTA-Fond ein. Außerdem sei eine Polizeiaufstockung Sache der afghanischen Regierung.

Anmerkung: Es ist der Gipfel der Ignoranz, den Vollmer-Vorschlag so abzutun. Das umso mehr, als die Bundesregierung bis zur Stunde keinerlei Aussagen macht, wie die äußerst bedrohliche Entwicklung in der Provinz gestoppt und gedreht werden kann.

(Nach mehreren erfolglosen Fragen dazu im Verteidigungsausschuss an die Bundesregierung habe ich deshalb noch die Kleine Anfrage „Zur aktuellen Lage in AFG", Drs. 16/14057 eingebracht. Die am 5.10. eingetroffene Antwort weicht den Schlüsselfragen aus und offenbart erneut eine Realitätsverleugnung sondergleichen. Wer so in der jetzigen Situation auf Parlamentarierfragen antwortet, verwirkt jedes politische Vertrauen.)

Meine Vorträge „AFG: wie weiter?" beendete ich immer mit dem Foto von lachenden, lebhaften Jungs, die wir im Oktober 2006 an einem Hügel bei Ali Abad südlich Kunduz trafen, verbunden mit dem Appell, alles zu tun, dass nicht auch sie perspektivlos - und dann auch zornig werden.

Ali Abad ist die Gegend, wo es inzwischen dauernd zu Anschlägen und Feuerwechsel kommt, wo der Luftangriff mit mehr als 100 Toten geschah. Wer weiß, welche dieser Jungs heute noch leben, das Lachen verlernt haben, zornig geworden sind, geschossen haben?

Lauter Brücken

Brücke zwischen den Welten: Am 17.9. bin ich per Handy der grünen Wahlkampfkundgebung auf dem Prinzipalmarkt in Münster mit Jürgen Trittin und Maria Klein-Schmeink, der grünen Bundestagskandidatin zugeschaltet: „Hallo Maria, hallo Jürgen, hallo liebes Münster". Über die Lautsprecher berichte ich live aus mehr als 5.000 km Entfernung über die aktuelle Lage in Afghanistan und meine jüngsten Eindrücke. Nachher erfahre ich, dass die Kundgebungsteilnehmer mucksgebannt die Fernübertragung verfolgt hätten.

Soldaten des Deutsch-Niederländischen Korps aus Münster sind am 13. September den Münster-Marathon in Kabul „mitgelaufen" - auf dem Laufband.

Deutsch-afghanische Brücken: Nördlich des PRT Feyzabad überqueren wir den Kocha-Fluss über die „Brücke der deutsch-afghanischen Freundschaft". Die Bundeswehr errichtete die massive 150 m lange Stahlkonstruktion zwischen November und Juli aus eigenen Mitteln. Die nächsten Brücken sind 5 km südlich in Feyzabad und 60 km nördlich.

Zwei Tage vorm Ende des Ramadan, dem Eid-Fest, gibt der AA-Vertreter im PRT Feyza im Meeting-House „Feyzabar" ein afghanisches Essen für uns und afghanische Gäste - zwei Ortsvorsteher, den stellv. Gouverneur, den Uni-Rektor, den Leiter der Justizabteilung der Provinz, den ANA-Militär-geistlichen u.a..

Deutsch-amerikanische Brücken: In der riesigen US-Botschaft in Kabul sprechen wir mit Vertretern der Abteilung Development and Economic Affairs, die bis vor kurzem als Generalkonsul in Düsseldorf bzw. an der US-Botschaft in Berlin waren. Beim Rausgehen begegnen wir neben Botschafter Eikenberry, den ich zuletzt in Berlin als bemerkenswert selbstkritischen General in NATO-Verwendung erlebte, eine altbekannte US-Diplomatin, die an der Berliner Botschaft für deutsche Innenpolitik zuständig war.

Friedensbrücken: Bei UNAMA in Mazar spricht der UNAMA-Vertreter für die auch die Vorbereitungen für den Internationalen Friedenstag am 21. September an: Ausgerufen 2001 von der VN-Generalversammlung wird er seit Jahren von Zehntausenden in Afghanistan begangen, verbunden mit dem Aufruf zu einer eintägigen Waffenruhe - von Regierung, ISAF wie auch Taliban. Der Aufruf wurde 2008 weitgehend befolgt, in diesem Jahr nach UNAMA-Meldung anscheinend auch. Diese gute Neuigkeit erlebte das übliche Schicksal von good news: Sie fand keine mediale Verbreitung. Wer sucht schon nach Hoffnungszeichen und Chancen?

Schlussfolgerungen

(1) Die Instandsetzung der Flutschutzmauer in Qaraqusi am Kocha-Fluss und die kleine Brücke in Batash/Feyzabad sind offenkundig sinnvoll und nötig. Auch wenn die PDF-Gelder für 2009 alle vergeben sind, dürfte es hier an einigen tausend Euro nicht scheitern.

- Dasselbe gilt für die mutigen Demokratie-Pioniere von RADIO AMO unter Abdul Basir Haqjo.

- Ebenso sinnvoll wäre die Ausstattung des Kabuler Wirtschaftsgymnasiums für Mädchen mit den dringend benötigten Schulbüchern. Wer wäre hier zur Unterstützung bereit?

- In Badakhshan ist Deutschland der wichtigste internationale Akteur, weil am meisten präsent. Das beinhaltet Chancen, die aber auch viel mehr und umfassend genutzt werden müssen.

(2) Vor mehr als drei Jahren warnte ich nach einer Reise in den afghanischen Norden „AFG auf der Kippe?", vor mehr als zwei Jahren schlug ich Alarm wegen des stockenden Polizeiaufbaus und EUPOL-Desasters. In all den Jahren erfuhr ich von Seiten der Bundesregierung und aus den Reihen der Großen Koalition wohl viel persönliche Zustimmung, zugleich aber ein fürchterlich langsames Lernen und Umsteuern.

Ich teile die Einschätzung der neuen US-Führung, dass die Zeit enorm drängt, dass im kommenden Jahr die Wende zum Besseren erreicht werden muss, andernfalls das große Scheitern mit seinen verheerenden Konsequenzen nicht mehr aufzuhalten ist.

Überfällig ist jetzt eine selbstkritische Bilanzierung des deutschen AFG-Engagements, seiner Wirksamkeiten, Defizite, Leistungen und Fehler durch eine unabhängige Kommission. Diese hätte zugleich Empfehlungen für eine künftige AFG-Politik zu formulieren. Noch besser wäre es, wenn die Regierungsressorts und der Bundestag die Kraft dazu hätten. Aber nach dem Umgang der Parlamentsmehrheit mit entsprechenden Initiativen der Grünen in den letzten Jahren habe ich da große Zweifel. Nur so besteht eine Chance, die gegenwärtige Abwärtsdynamik zu stoppen und umzukehren sowie breit verlorene Akzeptanz, ja Glaubwürdig zurückzugewinnen - bei der Bevölkerung, aber auch bei den Soldaten.

(3) Ein Sofortabzug von Bundeswehr und anderen ISAF-Truppen hätte nicht - wie von manchen versprochen - ein weniger an Gewalt und Krieg zur Folge, sondern eine enorme Gewalteskalation sowie einen Destabilisierungsschub für die sowieso schon wankende Atommacht Pakistan. Erwartet wird dann eine schnelle Talibanmachtübernahme im Süden und Osten und ein Rückfall in die frühen 90er Jahre, d.h. Kampf der Warlords und Milizen in anderen Landesteilen. Ein Sofortabzug würde einhergehen mit einem Massenabzug von Entwicklungshelfern, von Beratern für den Polizei- und Armeeaufbau. Verbleibende kleinere Hilfsorganisationen und NGO`s könnten das nicht ausgleichen. Die Vorstellung, ein Sofortabzug von ISAF könne einhergehen mit einer kräftigen Aufstockung von Hilfe, ist deshalb illusionär.

Wie das diesjährige Friedensgutachten der fünf deutschen Friedensforschungsinstitute zu Recht feststellt: Ausschlaggebend für eine nachhaltige Kriegsbeendigung ist die Stärkung von Staatlichkeit, von gesellschaftlichen Governance-Strukturen auf verschiedenen Ebenen.

Ausschlaggebend für den Abzug oder befristeten Verbleib der ISAF-Truppen ist die Haltung der afghanischen Bevölkerung. Könnte nicht eine Volksabstimmung in Afghanistan über Abzug oder begrenztem Verbleib der internationalen Truppen ein geeigneter Weg sein, um die Legitimationsfrage vor Ort zu klären?

(4) Angesichts der weiter eskalierenden Gewalt und der nicht erkennbaren Wirkungen der bisherigen US-Truppenverstärkungen erscheinen mir weitere große Truppenaufstockungen keine Lösung. Gerade intime Kenner der afghanischen Konfliktgeschichte drängen zunehmend darauf, dass mit ganz anderer Intensität nach politischen Verhandlungslösungen mit den Spitzen von Taliban und Aufständischen gesucht werden müsse. Hier gebe es de facto erhebliche Differenzierung und teilweise auch politisches Denken, aber natürlich keine Erfolgsgarantien.

(5) Auch wenn politische Verhandlungen die Rahmenbedingungen des internationalen Engagements erheblich verändern können, ändert das nichts an der grundsätzlichen Dringlichkeit, die deutschen Aufbauanstrengungen viel wirksamer zu machen. Definiert und vereinbart werden müssen überprüfbare Zwischenziele auf den zentralen Aufbaufeldern, abgeleitet aus dem dringlichen Bedarf, realistisch im Hinblick auf die afghanischen Möglichkeiten, ehrgeizig im Hinblick auf die deutschen Anstrengungen. Dies muss einhergehen mit einer Neuaufstellung der Planungs- und Führungsorganisation der deutschen AFG-Politik: Wo AFG längst die größte Herausforderung bundesdeutscher Außen- und Sicherheitspolitik ist, ist eine ressortgemeinsame AFG Task Force notwendig, geleitet von einer Person mit Kabinettsrang mit politischem Gewicht und Gesicht. Warum soll in Deutschland nicht möglich sein, was andere Verbündete längst vormachen?

Auf die Aufbauziele hin sind die entsprechenden Fähigkeiten und Ressourcen zu mobilisieren. Sie sind die Ausgangslinie für eine militärische Abzugsperspektive von wenigen Jahren. Statt Kleckern ist endliches intelligentes Klotzen angesagt!

(6) Zu den dringend notwendigen Ressourcen gehört eine personelle Stärkung der dt. Botschaft und ihrer Außenvertretungen im Norden. Mit ganzen drei Referenten des Höheren Dienstes in der Botschaft ist die lt. Ressortzuständigkeit beanspruchte Federführung des AA für den ganzen AFG-Einsatz nicht realisierbar. (Die brit.Botschaft mit ihren ca. 800 Angehörigen hat allein 3 Referenten für afg. Innenpolitik!) Ebenfalls hoch dringlich ist eine Stärkung der Cultural Advisers der Kommandeure.

(7) Die energische Aufbauanstrengung muss sich in einem umfassenden Afghanistan-Mandat des Bundestages niederschlagen, wo neben den militärischen Aufgaben, Fähigkeiten und Ressourcen auch die zentralen zivilen und polizeilichen Aufgaben, Fähigkeiten und Ressourcen festgelegt werden. Es reicht nicht, parallel zum Bundeswehrmandat unverbindliche politische „Girlanden"-Anträge zu beschließen.

(8) Bundesregierung und Bundestag haben inzwischen zig-tausend Soldaten und - grob geschätzt - mehr als tausend Polizisten, Entwicklungshelfer und Diplomaten nach Afghanistan entsandt. Unabhängig von der politischen Haltung zum Afghanistaneinsatz haben diese Menschen das Interesse, die Aufmerksamkeit und die Unterstützung der ganzen deutschen Gesellschaft verdient.

Zugleich ist es an der Zeit, ihr großes Erfahrungspotenzial nicht weiter brach liegen zu lassen, sondern es in geeigneter Weise einzubeziehen und zu nutzen. Die deutsche Afghanistan-Diskussion braucht die Beiträge dieser erfahrenen Leute.

Die AFG-Diskussion wird erschwert durch eine sehr unübersichtliche und widersprüchliche Entwicklung und die natürliche Dominanz schlechter und Gewalt-Nachrichten. Sie ist darüber hinaus hierzulande geprägt von vielen gesinnungsstarken Meinungen, wenig Kenntnis, von regierungsamtlichen Beschönigungen, von Zerrbildern und Halbwahrheiten. (Letztes Beispiel „Hallo Ü-Wagen" auf WDR 5 am 3. Oktober aus Münster) Das sind permanente Arschtritte für die Tausenden Frauen und Männer in verschiedenen Uniformen und in Zivil, die in AFG trotz alle Belastungen und Risiken hervorragende Arbeit leisten. Würden diese sich dort so schludrig aufführen, wie hier über sie und AFG geredet wird, wären sie alle schon hochkant aus dem Land geflogen. Man kann wahrlich sehr geteilter Meinung über den AFG-Einsatz sein. Aber Bemühen um Sorgfalt, Hinsehen, Realitätsnähe sollte das Mindeste sein.

(9) Bundesregierung und Bundestag entsandten Soldaten, Polizisten, Zivilexperten und Diplomaten in einen Einsatz, der sehr fordernd, belastend und teilweise hoch riskant ist. Belastend ist der Einsatz manchmal noch mehr für die Angehörigen zu Hause. Diesen Menschen gegenüber ist die Politik in der Pflicht, alles dafür zu tun, dass ihr Einsatz Aussicht auf Erfolg hat und Sinn macht.

Das ist in der Politik der Bundesregierung noch keineswegs angekommen.

Danke sehr!

für die hervorragende Unterstützung und Begleitung unserer Reise an

- Christian Jetzlsperger, Politischer Referent Botschaft Kabul

- Sibylle Osten, Referentin für Polizeiaufbau, Rechts- und Konsularwesen, Botschaft Kabul

- Thomas Lehmann, GTZ Kabul

- Kurt-Georg Stöckl-Stillfried, Political Adviser RC North (AA)

- Hendrik Schmitz Guinote, BMZ Mazar

- Oberstleutnant Carsten Bruns, ISAF Mazar

- Oberst i.G. Sven Korweslühr, Kommandeur PRT Feyzabad

- Jan-Christian van Thiel, Ziviler Leiter des PRT Feyzabad

Anhang I

Sicherheitsvorfälle 8.-23.9.2009 (Auszug aus meinen „Materialien zur Sicherheitslage ..")

Am 8.9. in Kabul 100 m südlich des Haupteingangs des Flughafens (KAIA) morgens Selbstmordattentat mit Kfz, 4 afg. Zivilpersonen getötet, 3 US-, 5 belg. Soldaten, 14 afg. Und 2 US-Zivilisten verwundet. Zeitgleich Beschuss des KAIA-Geländes mit Raketen. In Sirkanay/Kunar bei Feuergefecht mit OMF 4 US- und 8 ANA-Soldaten getötet, 2 ANA-Soldaten vermisst.

Am 9.9. Befreiungsaktion britischer Kommandoeinheiten für einen am 5.9. in Kunduz entführten westlichen und afghanischen Reporter. Der afghanische Reporter, 2 Zivilisten, ein Soldat und unbekannte Zahl von Militanten kommen dabei um`s Leben. In Nad Ali/Helmand vor dem brit. Camp Bastion durch Selbstmordattentäter mit Kfz 5 Zivilpersonen getötet, je 3 brit. und US-Soldaten und 5 Zivilpersonen getötet.

Am 10.9. in Kandahar/Kandahar 2 Polizisten bei OMF-Überfall getötet. In Andar/Ghazni ein poln. Soldat bei OMF-Angriff getötet. In Ghaziabad/Konar ein US- und ein ANA-Soldat bei Feuergefecht getötet, 9 Soldaten verwundet.

Am 12.9. in Bala Buluk/Farah OMF-Angriff auf einen Konvoi des World Food Programm. Bei dem anschließenden Feuergefecht mehr als 50 Militante, 7 ANA Soldaten und 2 US Soldaten getötet. Im Dorf Wazir nahe Kunduz-Stadt am frühen Morgen 10 Militante durch Luftangriff bei einer Suchaktion gegen Kommandeure und Drahtzieher von Anschlägen. In Imam Shahib/Kunduz bei einem nächtlichen Angriff auf eine Polizeistation 8 Polizisten getötet, 2 vermisst. In Uruzgan 14 Zivilpersonen durch IED getötet. In Maydan Shar/Wardak 2 US-Soldaten durch IED und Handwaffenbeschuss getötet.

Am 13.9. in Panjwayi/Kandahar ein kanad. Soldat durch IED getötet.

Am 14.9. in Maywand/Kandahar 2 US-Soldaten durch IED getötet.

Am 15.9. in Maydan Shahr/Wardak 2 ANA Soldaten durch IED getötet. In Saydabad/Wardak 2 US-Soldaten und ein Sprachmittler durch IED schwer verwundet. In Tere Zayi/Khowst 2 US-Soldaten durch IED schwer verwundet. In Khash Rod/Nimruz 3 US-Soldaten durch IED getötet In Kandahar/Kandahar 4 Zivilpersonen und ein ANA Soldat durch fahrradgestützes IED getötet, 19 weitere verwundet.

Am 16.9. in Nahri Sarraj/Helmand ein brit. Soldat durch IED getötet.

Am 17.9. in Ghormach/Badghis ein ANA Soldat bei OMF Angriff getötet. In Zhari/Kandahar ein US-Soldat durch IED getötet, 5 weitere schwer verwundet. In Panjwayi/Kandahar ein kanad. Soldat durch IED getötet, 11 verwundet. In Nahri Sarraj/Helmand 6 brit. Soldaten durch IED getötet. In Naw Zad/Helmand 5 US-Soldaten durch OMF-Beschuss verwundet. In Kabul Selbstmordattentat mit Kfz gegen einen ital. ISAF-Konvoi auf der Flughafenstraße 700 m vom ISAF-HQ entfernt, 6 ital. Soldaten und 10 Zivilpersonen getötet, 52 Zivilisten und 4 Soldaten verwundet.

Am 18.9. in Nahri Sarraj/Helmand 3 brit. Soldaten bei OMF-Angriff verwundet. Im selben Distrikt 4 dän. Soldaten durch IED verwundet. In Garmser/Helmand 2 US-Soldaten durch IED verwundet. In Charkh/Lowgar 2 US-Soldaten durch IED getötet.

Am 19.9. in Nahri Sarraj/Helmand 1 dän. Soldat durch OMF-Beschuss getötet. In Bagram/Parwan ein US-Soldat bei Raketenbeschuss getötet, 6 verwundet. In Dahani-I-Ghuri/Baghlan ein ungar. Soldat durch IED verwundet.

Am 21.9. in Nahri Saraj/Helmand 1 brit. Soldat durch IED getötet, 2 verwundet. In Kandahar/Kandahar ein US-Soldat durch IED getötet. (Internationaler Friedenstag, an dem UNAMA zum eintägigen Waffenstillstand aufgerufen hat; Befehl von COM ISAF McChrystal und ANA, keine Offensivoperationen durchzuführen).

Am 22.9. in Mahmudi Raqi/Kapisa 5 US-Soldaten durch IED verwundet. In Farah 5 Zivilpersonen in Kfz durch IED getötet.

Am 23.9. in Panjwayi/Kandahar 7-köpfige Familie in KFZ durch IED getötet.

Anhang II Jüngste Berichte und Stellungnahmen (unter www.nachtwei.de)

- Zum ISAF-Luftangriff am 4. September 2009 bei Kunduz, Informationen und Stellungnahme 9.9.

- Vortrag beim Benefizkonzert „Lachen helfen" in Afghanistan, 28.8.2009 in St. Augustin, auch in Dari

- Vor den Wahlen in Afghanistan und Deutschland: Die deutsche Afghanistanpolitik braucht Ehrlichkeit und Konsequenz statt Beschönigung und Halbherzigkeit, Diskussionsbeitrag August 2009

- Krieg in Afghanistan - Bundeswehr im Krieg: Führt die Bundeswehr Krieg? August 2009

- (Klein-)Krieg bei Kunduz - Weizenrekordernte nebenan, Bereicht von einer Reise nach Kabul + Kunduz Juni 2009

- AWACS-Einsatz über Afghanistan: mehr Sicherheit oder mehr Krieg? Beratungspapier 19.6.2009

- Pakistan im April - Visite am Abgrund, Reisebericht Mai 2009

- „Better News statt Bad News aus Afghanistan", V/Juni ,IV/März 2009, III/November, II/September 2008, I/August 2007

- Materialien zur Sicherheitslage Afghanistans, lfd. aktualisiert seit Sommer 2007, (intern), September 2009 (Kurzfassung 15 S., Langfassung 73 S., Auszug Sicherheitslage Nord 10 S.)

- Vor der ISAF-Mandatsentscheidung: Jüngste Eindrücke aus Kabul, Mazar-e Sharif und Kunduz, Bericht von der Obleutereise Ende September/Anfang Oktober 2008

- Kurswechsel statt Sofortabzug - Zur Forderung nach einem kurzfristigen Truppenabzug aus Afghanistan, Stellungnahme 26.9.2008

- Viele Lichtblicke bei immer mehr Düsternis - Besuch in West-, Süd-, Zentral-, Nord-Afghanistan, Reisebericht September 2008

Meine Koordinaten ab Ende Oktober 2009: Nordhornstr. 51, 48161 Münster, 0251/86530; 0171/1973 655; privat: w.a.nachtwei@arcor.de, neue dienstliche Mailadresse kommt in Kürze.

www.nachtwei.de bleibt.

Teil 1 des Reiseberichts findet sich hier.

Der komplette Reisbericht findet sich als PDF-Datei hier.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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