Nachtwei: Vortrag beim Benefizkonzert für „Lachen helfen" in Afghanistan
Von: Webmaster amFr, 28 August 2009 16:16:44 +02:00Bei dem Benefizkonzert des afghanischen Gesangsduos Parastoo und Rahim Mahryar für „Lachen helfen e.V." am 28. August in St. Augustin hielt Winfried Nachtwei den Vortrag. „Lachen helfen" (www.lachen-helfen.de) ist eine Privatinitiative deutscher Soldaten und Polizisten für Kinder in Krisengebieten. Initiatorin des Abends war Nadia Fasel, Redakteurin der Afghanistan-Redaktion der Deutschen Welle. Der Vortrag von Winni Nachtwei findet sich im Folgenden:
Vortrag beim Benefizkonzert für „Lachen helfen" in Afghanistan
am 28. August 2009 in St. Augustin
Winfried Nachtwei, MdB
Liebe Frau Fasel als Initiatorin des heutigen Abends,
lieber Herr Thien als Vorsitzender von „Lachen helfen",
sehr geehrte Hausherren der Bundeswehr,
liebe Gäste,
allem Wahlkampf zum Trotz rede ich heute nicht als Parteipolitiker. Ich werde Ihnen auch keine politische Analyse samt Lösungsempfehlungen vorstellen. Gestatten Sie einige Gedanken.
Täglich hören wir schlimme Nachrichten aus Afghanistan:
gestern wurden in der Provinz Khost 4 Polizisten durch IED getötet. In der Provinz Paktia wurden 12 Aufständische getötet und 7 gefangen genommen. Vorgestern fiel der Chef der Justizabteilung in der Provinz Kunduz einer Bombe zum Opfer, 3 Polizisten wurden in Badghis im Nordwesten getötet. Tags zuvor starben in Kandahar mindestens 43 Zivilpersonen durch einen zur Bombe umfunktionierten Tanklastwagen.
Diese fürchterlichen Ereignisse sind wie Blitze, die alle mitbekommen.
Die Verschärfung der Sicherheitslage ist ausgesprochen beunruhigend. Da gibt es nichts zu beschönigen. Zugleich wäre es falsch, diese Blitze für die ganze afghanische Wirklichkeit zu nehmen.
Beispiel: die Wahlen vor einer Woche. Wir erfuhren von schlimmen Drohungen und Gewaltakten gegen die Wahlen und freche Wahlfälschungen.
Der deutsche Journalist Martin Gerner erlebte in Kunduz aber auch junge Frauen, die „den ganzen Tag als unabhängige Wahlbeobachter nachgeschaut haben an den Urnen, ob auch alles mit rechten Dingen zugeht. Sie waren in ihrer Zielstrebigkeit nicht zu bremsen, gut gelaunt und von einer beeindruckenden Zuversicht.
Gerade jüngere Menschen sind auf unaufgeregte Art entschlossen etwas beizutragen, damit ihre Gesellschaft sich verändert. Eine 18-jährige Journalistin, die ich getroffen habe, hat überhaupt kein Verlangen andere Länder zu sehen. Zumindest nicht jetzt. Weder Iran noch Europa oder die USA. Nicht weil der Westen ihr nichts bieten könnte. Sondern weil sie täglich Möglichkeiten und Grenzen durchmisst, in einem Leben, in dem sie sich einen Traum vor Augen hält: Staatsanwältin zu werden. Journalismus ist für sie eine Zwischenstation. Täglich berichtet sie über all das, was nicht machbar ist für Frauen in Kunduz. Ihren Optimismus schöpft sie aus vielen kleinen Veränderungen im Alltag. Einige ihrer Interviews werden über den Äther zum Stadtgespräch. Hörer sprechen ihr und sich Mut zu. Ihr Bruder, etwas jünger als sie, sagt: deine Arbeit als Journalistin bringt uns noch um. Sie macht trotzdem weiter. Letztlich scheint es der Familie ernst zu sein mit den Möglichkeiten ihrer Tochter."
Wer über Sicherheit hinaus auch Frieden fördern will, darf sich nicht mit den Risiken und Bedrohungen begnügen, muss vor allem auch Chancen und Friedenskräfte erkennen und Hoffnungsfunken anfachen.
Der Afghanistaneinsatz ist sehr umstritten. Neben plausiblen Einwänden spüre ich nicht selten auch die Grundhaltung, dass wir in Deutschland doch eigentlich gar nichts mit Afghanistan zu tun hätten, dass sich die Politik lieber um die Verhältnisse hierzulande kümmern solle.
Was also haben wir in Deutschland mit Afghanistan zu tun?
In den 60er und 70er Jahren war Afghanistan ein Schwerpunkt bundesdeutscher Entwicklungshilfe. Die Arbeit der deutschen Entwicklungshelfer ist bis heute in bester Erinnerung, z.B. das Technikum in Paktia und Kandahar. Polizeioffiziere absolvierten Lehrgänge an der Polizeiführungsakademie in Münster Hiltrup, aber auch in der DDR.
Als 1989 die Sowjettruppen nach einem verheerenden Kriegabziehen mussten, da wandte sich die Staatengemeinschaft ab, verweigerte Hilfe auf dem schwierigen Weg zum Frieden, überließ die Afghanen ihrem Schicksal.
Danach leisten nur einige wenige mutige Menschen direkte Hilfe. Voller Bewunderung kennen gelernt habe ich:
die Krankenschwester Karla Schefter, die ab 1989 das Chak-e Wardak Hospital bei Kabul aufbaute;
die ehemaligen Entwicklungshelferinnen und -helfer des Freundeskreises Afghanistan mit ihren Projekten in Zentralafghanistan;
Sybille Schnehage in Katachel bei Kunduz;
die Familie Erös mit ihren „Friedensschulen" und Basisgesundheitsstationen in Ostafghanistan.
Auf die Tagesordnung der internationalen Politik geriet Afghanistan nicht erst wieder mit dem 11. September 2001. Schon Jahre vorher bezeichnete der UN-Sicherheitsrat die Verhältnisse in Afghanistan als „Bedrohung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens". Aber mit den Anschlägen vom 11. September wurde Afghanistan unausweichlich zu einer Herausforderung für kollektive Sicherheit. Es war im internationalen Sicherheitsinteresse, nicht weiter hinzunehmen, dass sich Afghanistan unter den Taliban zum Ausbildungs- und Rückzugsraum für Abertausende internationaler Terrorkämpfer entwickeln konnte.
Sehr deutlich erinnere ich mich noch an die sehr schwierigen Entscheidungsprozesse damals. Von vorneherein war uns klar, dass der Konflikt allein mit Militär nicht zu lösen war, dass es vor allem darum ging, die Nährböden von Gewalt und Terror auszutrocknen.
Deshalb war es auch sehr richtig seitens der Bundesregierung, Staatlichkeit, Zivilgesellschaft, Bildung zu fördern, unterstützend und nicht vorschreibend.
Was war das für ein Aufbruch, eine Hoffnung, als Anfang 2002 Frau Müller von der deutschen Botschaft in Kabul vom Winterschulprogramm berichtete, das die Botschaft mit angestoßen hatte: Mädchen hatten binnen weniger Monate Lesen und Schreiben gelernt, Zeichen eines enormen Bildungshungers.
Heute, sieben Jahre später
Bestseller sind seit langem der „Drachenläufer" (über 160 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste!) und „Tausend strahlende Sonnen" von Khaled Hosseini, „Nach Afghanistan kam Gott nur zum Weinen" von Shiba Shakib.
Die Geschichten von Mariam und Laila, Amir und Hassaqn, von Shirin-Gol erreichten die Herzen von Millionen in Deutschland. Diese unglaublich starken Menschen in unfassbar harten, grausamen Verhältnissen.
Jedes Mal, wenn ich aus Afghanistan zurückkehre, bin ich hin- und hergerissen:
Ich sehr die Fortschritte, schon vom Augenschein her, in Herat, Mazar, Kunduz, Kabul. Ich höre von der besten Weizenernte seit 32 Jahren, dem regelrechten Investitionsschub, dem zumindest momentan erfolgreichen Zurückdrängen des Mohnanbaus im Norden. Von dort kommen nur noch 0,6% des landesweiten Mohnanbaus
Ich höre aber auch von den stockenden Aufbaufortschritten, die weit hinter den Herausforderungen und Erwartungen zurückbleiben.
Und ich erlebe die Verschärfung der Sicherheitslage, wohl mit erheblichen regionalen Unterschieden - zwischen Helmand und Mazar liegen Welten -, aber insgesamt bedrohlich. Wo wie im ehemals ruhigen Kunduz ständig Hinterhalte und Anschläge drohen, da wächst die Distanz zwischen Bevölkerung, ISAF-Soldaten und internationalen Helfern. Diese Abwärtsdynamik überschattet bisherige Erfolge und stellt sie infrage.
Das könnte einen mutlos machen und verzweifeln lassen - wenn ich nicht immer wieder so vielen mutigen, lebhaften, fähigen Menschen begegnen würde, z.B.:
- den Lehrerstudenten und -studentinnen in Mazar, die ganz selbstverständlich und lebhaft mit uns „hohen" Besuchern sprachen, denen anzumerken war, das sie was mit ihren Schulkindern, mit ihrem Land vorhaben;
- den Ärzte und Hebammen in Taloqan;
- den Schülerinnen in der Durani-Schule in Kabul;
- den afghanischen Parlamentarierinnen, die im Herbst 2006 erstmalig den Bundestag besuchten und uns als authentische und selbstbewusste Gesprächspartnerinnen faszinierten, vor allem auch im Vergleich zu sonstigen binationalen Begegnungen mit männlichen Politikern, wo oft viel Zeit mit Bla-bla und Selbstdarstellungen vergeht,
- auf internationaler Ebene den Entwicklungshelfern, Soldaten, Polizisten, die den Einheimischen mit Respekt begegnen, die Strapazen und hohe Risiken auf sich nehmen, um den afghanischen Frauen und Männern auf dem steinigen Weg zu Frieden und Wohlergehen zu helfen.
Und nicht zuletzt diejenigen Soldaten und neuerdings auch Polizisten, die in Privatinitiative noch mehr tun, die den Kindern Lachen helfen.
Solche Menschen sind Mutmacher und Hoffnungsträger.
Die kann man doch nicht im Stich lassen!
Da müssen wir Politiker doch alles dafür tun, dass ihr Einsatz einen Sinn macht und Aussichten hat.
Hoffnung macht mir schließlich, was ich am 25. Juni in der FAZ las: US-Generalmajor Richard Formica, Kommandeur des „Combined Security Transition Command" (Ausbildungskommando) empfahl seinen Soldaten das Buch "Three Cups of Tea" von Greg Mortenson als Pflichtlektüre: Die Geschichte eines US-Bergsteigers, der am K 2 im Karakorum-Gebirge scheiterte, in entlegensten und ärmsten pakistanischen Gebirgsdörfern landete - und dort den Bau von Schulen ermöglichte, erst in den wildesten Regionen Pakistans, dann auch in Afghanistan. Schulen, Bildung ausdrücklich als Alternative zum „war on terror". Den afghanischen Menschen zuhören, sie respektieren statt sie zu bevormunden. (Das Buch ist inzwischen unter dem Titel „Ein Traum vom Frieden" bei Piper erschienen.)
Verantwortung
Ich erinnere mich an einen Besuch auf einem Hügel bei Ali Abad südlich Kunduz vor drei Jahren, vor uns eine Gruppe strahlender, quirliger, hoffnungsfroher Jungen. Mit dem Bild schließe ich sonst meine Folienvorträge zu Afghanistan ab. Es darf doch nicht sein, dass diesen Jungs mit der Zeit das Lachen vergeht, dass sie zu den Millionen junger Männer stoßen, die perspektivlos und zornig sind - und brandgefährlich werden!
Das zu verhindern ist im internationalen Sicherheitsinteresse. Aber es ist auch einer Frage der Verantwortung.
70 Jahre ist es her, dass Deutschland am 1. September begann, die europäischen Nachbarn zu überfallen, Europa zu verheeren.
Ich bin Jahrgang 1946, erster deutscher Friedensjahrgang. Mir ist bewusst, welches historische Glück wir gerade in Westdeutschland mit großzügigen Siegern hatten.
Ist es da nicht unsere menschliche Pflicht und Schuldigkeit, von diesem Glücksfall etwas weiterzugeben - dem afghanischen Volk, das unter Jahrzehnten von Krieg und Terror zu leiden hatte?
„Lachen helfen" tut das. Frau Fasel, Sie helfen dabei. Das jetzt folgende Gesangsduo Parastoo und Rahim Mehryar hilft uns zu helfen.
Ich danke Ihnen von ganzem Herzen im Namen der vielen, vielen Bundestagsabgeordneten, die mir auch sonst bei meinen Parlamentsreden zustimmen.
Sie verdienen für Ihre heutige Initiative volle Unterstützung!