Nachtwei zur zweiten Verlängerung der deutschen Beteiligung an UNMIS

Von: Webmaster amFr, 07 April 2006 18:31:14 +02:00
In der Bundestagsdebatte über den Antrag der Bundesregierung auf eine zweite Verlängerung der deutschen Beteiligung an UNMIS hielt Winfried Nachtwei den Redebeitrag seiner Fraktion:

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Monika Knoche, Ihr Vorschlag, 750 Zivildienstleistende in den Südsudan zu schicken,

(Monika Knoche [DIE LINKE]: Zivile Kräfte!)

ist so absurd, so abenteuerlich und verantwortungslos, dass dies der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden sollte.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Sie haben offenkundig nicht den Film gesehen, der in den letzten Monaten hier zu sehen war, nämlich „Lost Children".

(Abg. Monika Knoche [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Ich fange jetzt erst einmal mit meiner Rede an. - In diesem Film wird in einer äußerst erschütternden Weise das Schicksal von Kindersoldaten in Norduganda dargestellt. Sie leiden dort fürchterlich und werden von der Lord's Resistance Army zu mörderischen Instrumenten gemacht. Dieser Film schildert auch, dass der UN‑Sicherheitsrat gegenüber dem verheerenden 20‑jährigen Krieg in Norduganda bisher weitgehend versagt hat.

Aber sonst brauchen sich die Vereinten Nationen nicht zu verstecken. Wer weiß schon, dass die Vereinten Nationen in den letzten 15 Jahren durch Verhandlungen zum Ende von mehr Bürgerkriegen beigetragen haben, als dies in den letzten 200 Jahren zuvor gelang? Eine fantastische Leistung!

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Aber der Nachteil dabei ist: Innerhalb von fünf Jahren ist die Hälfte dieser Länder wieder in den Krieg zurückgerutscht. Woran lag es? Es lag wesentlich daran, dass die internationale Friedenssicherung inkonsequent war und zu wenig Ausdauer hatte. Hierum geht es im Südsudan.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn man sich einmal den Fahrplan des Friedensabkommens von Nairobi ansieht, dann stellt man fest, wie hochkompliziert das ist und dass das nicht einfach nur aus militärischen Maßnahmen besteht. Es geht in erster Linie um politische Unterstützung, um den Aufbau von Zivilpolizei, um die Menschenrechtsförderung, die Verwaltung sowie die humanitäre und Entwicklungsunterstützung. Das alles ist ohne ein Mindestmaß an Sicherheit und Frieden nicht möglich.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Das alles zusammen bildet die UNMIS - beschlossen einhellig, einmütig vom UN‑Sicherheitsrat, personell getragen von mehr als 60 Staaten, darunter Russland, China und sogar Simbabwe.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Der Bundestag entscheidet heute über den militärischen Teilbeitrag von deutscher Seite. Es ist schon da-rauf hingewiesen worden: UNMIS ist insgesamt nach Kapitel VII mandatiert. Das heißt, UNMIS ist über die Selbstverteidigung hinaus grundsätzlich berechtigt, Zwang auch zur Nothilfe und zur Durchsetzung des Auftrags einzusetzen. Es ist inzwischen eine zehn Jahre alte Erfahrung von UN-Peacekeeping, dass man das machen muss; damit müssen Sie sich einmal auseinander setzen. Wenn man sich die Situation in Südsudan anschaut, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass das auch unverzichtbar ist. Denken Sie nur an die Angriffe, die es zuletzt wieder von der Lord's Resistance Army gegeben hat! Den Vorschlag, Zivildienstleistende dahin zu schicken, brauche ich nicht noch einmal zu kommentieren.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Der deutsche Beitrag besteht aus - das ist die Regelhöhe - 50 Militärbeobachtern und einigen Stabsoffizieren. Diese unbewaffneten Militärbeobachter wirken in Uniform gewaltfrei für Gewaltverhütung. Sie sind so sehr auf sich gestellt und auf UNMIS-Blauhelme von Nichtverbündeten angewiesen wie nirgendwo sonst. Diesen Militärbeobachtern ist, so finde ich, für ihren Einsatz ganz besonders zu danken.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vor einem Jahr stimmte die Bundesregierung zum ersten Mal über die deutsche UNMIS-Beteiligung ab. Dabei hat es drei Stimmen aus der FDP dagegen gegeben. Damals gab es eine zusammenfassende Bewertung dieser UNMIS-Beteiligung. Zitat:

Der Blauhelmeinsatz im Süd-Sudan ist völkerrechtlich abgesichert, politisch begründet und moralisch geboten. ... Diese Entscheidung entspricht dem ... Verständnis, Gewalt und Androhung von Gewalt aus der Politik zu verbannen.

Völlig richtig. Wer hat diese Worte damals gesagt? Das war der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Heute sind Gegenstimmen gegen die UNMIS noch weniger begründbar. Sie können nur aus innenpolitischen Gründen motiviert sein.

(Beifall des Abg. Markus Löning [FDP])

Kollege Gehrcke, Sie weisen - ich finde, zu Recht - immer wieder darauf hin, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit 1945 müssen Sie dazu aber immer auch einen zweiten Satz sagen, der inhaltlich aussagt: Die Vereinten Nationen und die UN-Charta sind das Regelwerk und der Weg zur Kriegsverhütung und Friedenssicherung.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Nachtwei, Sie müssen zum Schluss kommen.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Ich komme zum Schluss. - Gegenüber diesem zweiten Gebot internationaler Friedenspolitik verweigert sich die Mehrheit Ihrer Fraktion. Von UNO-Fähigkeit, von Friedensfähigkeit sind Sie offenkundig noch sehr weit entfernt.

Danke schön.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Knoche noch einmal das Wort.

Monika Knoche (DIE LINKE):

Danke, Herr Präsident. - Herr Nachtwei, gestatten Sie mir, dass ich Folgendes sage. Ich stelle fest, dass Sie und Ihre Fraktion sich in der heutigen und den zurückliegenden Debatten, in denen es um prinzipielle Friedensfragen und Militäreinsätze geht, in Ihrer Argumentation ausschließlich gegen die Linke wenden, weil es erkennbar außerhalb Ihrer Gewöhnungen und Ihres Selbstverständnisses liegt, dass es in diesem Deutschen Bundestag eine konsequente Friedenspolitik noch gibt.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÃœNDNIS 90/ DIE GRÃœNEN)

Einen ganz deutlichen Hinweis darauf finde ich in zwei Ihrer Bemerkungen. Sie haben sich gleich zu Beginn Ihrer Rede einen sehr euphorischen Applaus aus dem Hause verschafft, indem Sie einen wirklich offenkundigen Versprecher von mir aufgegriffen haben. Selbstverständlich meinte ich „zivile Friedensdienste", die in diesem Gebiet ihren Einsatz finden können, was die Resolution 1590 der UNO in ausführlicher Breite darstellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das deutsche Engagement findet sich da nicht in hinreichendem Maße wieder.

(Lachen bei der CDU/CSU und beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Ich finde es, wenn Sie gestatten, etwas uncharmant und schon gar nicht galant, wenn jemand auf einem offenkundigen Versprecher eine rhetorische Figur aufbaut.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Mir kommen die Tränen! - Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie traurig!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung Kollege Nachtwei.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Kollegin Monika Knoche, ich erlaube mir, mich deshalb mit den Positionen der Linksfraktion auseinander zu setzen, weil ich erstens begrüße, dass durch die Linksfraktion jetzt wieder so konträre Positionen in den Bundestag kommen, wie sie auch in der Gesellschaft vorhanden sind,

(Beifall bei der LINKEN)

und weil es mir zweitens äußerst wehtut, dass es hier eine Fraktion gibt, die die friedens- und sicherheitspolitischen Entwicklungen des letzten Jahrzehnts vollkommen verpennt hat und trotzdem die Backen so aufbläst.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Dieses Maß an Heuchelei in diesem Bereich muss man erst einmal an den Tag legen.

Nun zu Ihrem Versprecher. Ich nehme gern Ihre Korrektur zur Kenntnis, dass Sie meinten, der „zivile Friedensdienst" solle dorthin geschickt werden. Ich gehöre zu den Förderern und Betreibern des zivilen Friedensdienstes von Anfang an. Ich weiß daher, wie schwierig diese Aufgabe ist und dass dieses Feld noch weit mehr der Unterstützung dieses Hauses und der Bundesregierung bedarf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zugleich muss ich Ihnen sagen: Wir müssen immer sehr genau aufpassen, dass diese Friedensfachkräfte nicht überfordert und dass sie nicht in Abenteuer geschickt werden.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Aus Ihrem Munde hört sich der gute Begriff von der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung wie eine faule Ausrede an.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)