Seit 1996 bin ich immer wieder deutschen Polizisten bei Friedens- und Kriseneinsätzen begegnet - auf dem Balkan, in Georgien, in Afghanistan, in Afrika - und habe ihre Arbeit hoch schätzen gelernt. Am 2. April wurden ca. 300 TeilnehmerInnen an polizeilichen Auslandsverwendungen in 2013 in Berlin geehrt. Zu hören waren auch sehr aktuelle politische Botschaften. Hier der Bericht...
Von Namibia in die Welt – 25 Jahre polizeiliche Auslandseinsätze
Lebhafte Feierstunde für Teilnehmer in 2013
am 2. April 2014 in Berlin
Winfried Nachtwei, MdB a.D.[1] (4/2014)
Auf Einladung von Innenminister Thomas de Maizière kamen im Berliner Congress Center am Alexanderplatz ca. 300 TeilnehmerInnen an polizeilichen Auslandsverwendungen des Jahres 2013 und 200 weitere Gäste zusammen. Es waren Bundespolizisten, Polizisten der Länder, Beamte von BKA und Zollverwaltung, eingesetzt in sieben Missionen der EU (Afghanistan, Bosnien & Herzegowina, Kosovo, Palästina, Moldawien/Ukraine, Georgien), fünf der Vereinten Nationen (Kosovo, Südsudan, Darfur, Liberia, Mali) und in zwei bilateralen Polizeiprojekten (Afghanistan, Saudi-Arabien). Von den zzt. 290 Beamten in Auslandsmissionen kommen 100 von der Bundespolizei, 184 von den Länderpolizeien, 6 vom Zoll. In Einsatzgebieten traf ich seit 1996 immer wieder auf einzelne deutsche PolizistInnen. Heute mal die Rückkehrer eines Jahres zusammen zu sehen, ist schon von der Zahl her beeindruckend. Aus dem Bundestag sah ich die SPD-Abgeordnete Susanne Mittag (ehemalige Polizistin) und die CDU-Abgeordnete Anita Schäfer (Verteidigungsausschuss). Die für die Mitglieder des Innenausschusses reservierten Plätze bleiben wegen anderer parlamentarischer Verpflichtungen frei. (Zur Feierstunde die BMI-Nachricht unter http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2014/04/feierstunde.html?nn=3316656 . Über die offizielle Meldung hinaus finde ich auch vier Tage danach in Medien und Internet keinen Bericht von der Feierstunde.)
Vor genau 25 Jahren, von August 1989 bis März 1990, nahmen deutsche Polizisten erstmalig an einer Friedensmission teil: 50 Beamte des damaligen Bundesgrenzschutz und 30 DDR-Volkspolizisten bei der UN Transition Assistance Group UNTAG in Namibia während des Unabhängigkeitsprozesses . Es war die erste Beteiligung der Bundesrepublik an einer UN-Friedensmission überhaupt. Sie gilt als eindeutig gelungene Mission. Mit der WEU-Mission in Mostar und der Gründung der AG IPM (Internationale Polizeimissionen) 1994 im Bundesinnenministerium begannen vor 20 Jahren auch die gemeinsamen Einsätze von Bund- und Länderpolizeien.
Inzwischen nahmen 9.000 BeamtInnen aus Bund und Ländern an insgesamt 28 internationalen Friedensmissionen teil.
Den fetzigen Aufschlag macht die Big Band des Bundespolizeiorchesters Berlin mit „Jazz Police“.
Rede von Bundesinnenminister de Maizière: Jeder einzelne habe in Krisengebieten einen wertvollen Dienst für die Internationale Gemeinschaft geleitet. „Wir ehren heute diejenigen, die die Hauptlast der internationalen Einsätze tragen. Die Entbehrungen auf sich nehmen. Die fern von Familie und Freunden Dienst tun für unser Land und für Sicherheit und Frieden in der Welt.“ Die Last eines Einsatzes hätten sehr stark auch die Angehörigen zu tragen.
In den Anfängen seien die Einsätze exotisch gewesen, sei man von einer strukturierten Einweisung weit entfernt gewesen. Handy und Skype habe es nicht gegeben.
Mit der Gründung der AG IPM seien Auslandsverwendungen zur gemeinsamen Aufgabe von Bund und Ländern geworden. Ohne das persönliche Engagement ihres Vorsitzenden, Inspekteur Wehe, sei man nicht da, wo man heute stehe.
Inzwischen seien Auslandsverwendungen fester Bestandteil des Aufgabenspektrums von Bund und Ländern.
Das Anforderungsprofil habe sich geändert: Anfangs seien die Anforderungen robuster gewesen, inzwischen werde eine Vielfalt von Spezialisten benötigt.
In den Heimatdienststellen gebe es für die Beamten im Auslandseinsatz oft keine Nachbesetzungen. Kollegen müssten ihre Arbeit miterledigen. Da könne es dann einige kritische Fragen geben. Hier gelte es, Vorurteile zu überwinden. Die Auslandseinsätze hätte auch einen Mehrwert für die Arbeit zuhause.
In Afghanistan seien insgesamt 157.000 Polizisten ausgebildet und 67.000 Trainings- und Mentoring-Maßnahmen durchgeführt worden. Zwischen Ausbildern und Ausgebildeten bestehe eine innere Nähe. Wenn wie heute bei einem Anschlag vor dem afghanischen Innenministerium mindestens sechs afghanische Polizisten ums Leben gekommen seien, dann seien darunter auch vielleicht Kollegen, „die Sie kennen“. Diejenigen, die deutsche Polizisten ausgebildet hätten, wolle man heute nicht vergessen.
Wenn die Voraussetzungen stimmen, werde sich Deutschland weiter in angemessener Weise in Afghanistan engagieren – auch, damit das Erreichte nicht zunichte gemacht wird.
Der Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und Sicherheitsstrukturen in Nordafrika sei nicht nur für die Länder wichtig. Es sei auch Ausdruck unserer internationalen Verantwortung und im deutschen ureigenen Interesse.
„Wir brauchen die Partner der AU, Partner vor Ort.“
Es gebe Engpässe, z.B. bei den Französisch-Kenntnissen. Daran müsse gearbeitet werden.
Ein „Problem“ sei, dass das deutsche Angebot so hoch angesehen sei in der Welt. Der UN-Generalsekretär und andere: Wenn es um Sicherheit und Recht gehe, dann heiße es „die Deutschen ran!“ „Dieser Verantwortung sollten wir uns nicht entziehen.“
„Sounds of Peace“: Musikalische Rundreise des Bundespolizeiorchesters durch die ersten Einsatzgebiete Namibia, Bosnien & Herzegowina, Kosovo, Moldawien, Ukraine . Die landestypischen Musikstücke bringen die lebensfrohen Seiten dieser Krisenländer zum Klingen.
Grußwort von Staatssekretär Stephan Steinlein vom Auswärtigen Amt, das bei den deutschen Beteiligungen an Internationalen Polizeimissionen federführend ist:
Zzt. seien 290 Beamte im Auslandseinsatz. Er sei Minister de Maizière dankbar für seine klaren Worte zur deutschen Verantwortung. Das sei nicht bei allen Innenministern so gewesen.
Die Missionen seien nur dann erfolgreich, wenn alle Resorts zusammenstehen würden. Da sei man gut vorangekommen. Die Zusammenarbeit mit den Ländern sei immer enger.
Aber einiges sei noch zu tun, so bei den Entsendebedingungen.
Erklärtes Ziel des Koalitionsvertrages sei eine Bund-Länder-Vereinbarung zu Auslandseinsätzen. Er würde es begrüßen, wenn bald eine umfassende Vereinbarung zustande käme.
(An die Einsatzrückkehrer:) „Lassen Sie sich als Ratgeber in die Pflicht nehmen. Seien sie Botschafter der Polizeimissionen auch nach innen!“
Grußwort des langjährigen Vorsitzenden der AG IPM und Inspekteur der NRW-Polizei Dieter Wehe: Das Zusammenwirken von Bundeswehr und zivilem Krisenmanagement könne zur Stabilisierung beitragen. Der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin erklärten, Deutschland wolle sich stärker am Krisenmanagement beteiligen. Heute kam die Meldung, dass in der Ukraine Polizeiberatung gefragt sei.
Mit den Reduzierungen in Afghanistan und Kosovo gebe es Entlastungen. „Sind wir genügend auf neue Herausforderungen eingestellt?“ Wo könne man noch besser werden?
Die Einsatzvorbereitung könne stärker mit anderen Trägern der Krisenbewältigung verbunden werden. Die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung und internationale Erfahrungen könnten besser berücksichtigt werden. Es gelte, genauer nach dem Bedarf zu sehen.
„Sie haben extreme Not und Gewalt kennen gelernt. Sie haben jeden Tag interkulturelle Kompetenz gelebt.“
Angesicht knapper Kassen in den Ländern werde es nicht einfacher mit der Teilnahme an Auslandseinsätzen. Letzte Woche habe er ein Gespräch mit dem ehemaligen Bremer Regierenden Bürgermeister Koschnik gehabt. „Was würden Sie speziell deutschen Länderpolizisten sagen?“
Koschnik: Alle hätten den Eid geschworen, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Heute kämen die Gefahren auch von außen. Heute gehörten Auslandseinsätze zum Eid dazu!
Die nächste Innenministerkonferenz sollte auf die Wichtigkeit von polizeilichen Auslandseinsätzen hinweisen.
„Journey of Impression“: Fortsetzung der musikalischen Reise durch die Einsatzgebiete Afghanistan, Liberia, Libyen, Südsudan, Mali mit dem Bundespolizeiorchester und der südafrikanischen Sängerin Kgomotso Tsatsi.
Rede von Andreas Rabe, Bundespolizei, Missionsteilnehmer UNTAG Namibia und MINUSMA Mali:
Aufgabe von UNTAG vor 25 Jahren war die Überwachung der bestehenden Polizeieinheiten SWAPOL und ihrer Einsätze und die Beobachtung von Wahlveranstaltungen. Die Grenzschutzkommandos wählten Freiwillige aus. Verglichen mit damals wurde die Vorbereitung inzwischen deutlich verbessert. Die Polizisten waren überwiegend im Norden stationiert. Bei einer Wahlveranstaltung erlebte er Beschuss mit Mörsern. Über internationale Kollegen erreichte die BGS-Beamten dann auch die Nachricht vom Mauerfall.
Bei MINUSMA in Mali seien zzt. sechs deutsche Polizisten eingesetzt (insgesamt 1.440 UN-Polizisten!). Im Vergleich zu früher seien die Aufgaben jetzt viel komplexer. Sie schließen auch den Schutz der Zivilbevölkerung ein. Die Eignungsanforderungen seien damit signifikant gestiegen. Zugenommen hätten auch die Gefährdungen. In Mali seien schon zwei UN-Polizisten um`s Leben gekommen.
Communities: Nach der Nationalhymne kommen die Teilgruppen der Einsatzrückkehrer zum Foto mit dem Bundesinnenminister auf die Bühne: die Bundespolizisten der UNTAG-Mission, die Bundespolizisten, die PolizistInnen der einzelnen Bundesländer (niemand aus Bremen), die Beamten der Zollverwaltung, die MitarbeiterInnen der AG IPM. Beim anschließenden Empfang können sich die KollegInnen schließlich wiedertreffen und austauschen. Es heißt, man kenne sich viel unter den „IPM“-Kollegen, es sei schon eine Community. Hier ist zu spüren, dass – entgegen verbreiteter Wahrnehmung – die Rekrutierung von Freiwillen nicht das Problem ist. (So auch die Einschätzung von hohen Polizeiverantwortlichen bei der Tagung zu Internationalen Polizeimissionen in Loccum im letzten Oktober.)
Am Stand von „Lachen Helfen“ e.V. werben der Vereinsvorsitzende OTL d.R. Roderich Thien zusammen mit örtlichen Soldaten und dem Bundespolizisten Mario Schulz, der seit Juli 2013 bei UNAMID in Darfur (19.200 Uniformierte, davon 4.500 Polizisten) im Einsatz ist, für die Hilfsinitiative von Soldaten und Polizisten für Kinder in Krisen- und Kriegsgebieten. Mario Schulz engagiert sich für ein Schulprojekt im Flüchtlingslager „Abu Skouk“ im Sudan. (Näheres unter www.lachen-helfen.de/artikel/projekte/aktuelle-hilfsprojekte.html )
Mehr Verantwortung! Die Redner loben den Einsatz der 300 Beamten in Krisengebieten auf dem Balkan, in Afrika und in Afghanistan völlig zu Recht. Mit fachlicher und interkultureller Kompetenz und langem Atem arbeiten sie mit KollegInnen aus Dutzenden Ländern für mehr Bürgersicherheit in (Nach-)Konfliktgebieten. Es stimmt, dass deutsche PolizistInnen bei Friedensmissionen international hoch gefragt sind. Stefan Feller (NRW) als oberste Polizeiberater des UN-Generalsekretärs ist das prominenteste Beispiel dafür. Die Redner betonen, dass Auslandseinsätze inzwischen zu den Kernaufgaben der deutschen Polizei gehören.
In ihren außen- und sicherheitspolitischen Reden traten Bundespräsident Gauck und Außenminister Steinmeier für eine aktivere deutsche Außenpolitik, für mehr internationale Verantwortung der Bundesrepublik ein. Hier kommt der Aufruf an, hier wird er ernst- und angenommen – im Sinne der UN-Friedenssicherung. Die Vorschläge, wie die deutsche Beteiligung an Internationalen Polizeimissionen, an UN-Friedensmissionen quantitativ und qualitativ gestärkt werden kann, welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, liegen auf dem Tisch.
Ein Handicap ist aber weiterhin, dass die Leistungen der PolizistInnen bei internationalen Friedenseinsätzen weitgehend Lichter unter dem Scheffel sind, dass den meisten BürgerInnen und vielen Politikern die zentrale Bedeutung von Polizei- und Rule-of-Law-Missionen für nachhaltige Sicherheit in Krisen- und Konfliktgebieten kaum bewusst ist. Auch bei der öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages zu den Erfahrungen des Afghanistaneinsatzes unmittelbar vor der Feierstunde findet die deutsche Polizeiaufbauhilfe nahezu keine Beachtung. Der 2. Tag des Peacekeepers am 11. Juni 2014 in Berlin bietet gute Gelegenheiten, diese Minimalwahrnehmung zu korrigieren.
Weitere Informationen
- Bericht von der Tagung zu Internationalen Polizeimissionen Ende Oktober 2013 in der Evang. Akademie Loccum mit Vortrag zur Parlamentsbeteiligung bei IPM unter
http://www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1256
- 10 Jahre Auslandseinsätze der Polizei NRW: „Diamanten der deutschen Außenpolitik“, Juni 2004, http://www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&carid=124&aid=507
[1] Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention beim Auswärtigen Amt, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen und von „Lachen Helfen“
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: