Mein Brief zur Wahl der/des nächsten Wehrbeauftragten des Bundestages an den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion vom 2. Mai. Links zu Presseresonanz dazu

Von: Nachtwei amDi, 05 Mai 2020 09:53:06 +02:00

Acht Tage vor der Wahl eines nächsten Wehrbeauftragten im Bundestag wurde bekannt, dass der SPD-Fraktionsvorstand einstimmig beschloss, nicht den bisherigen Amtsinhaber Hans-Peter Bartels (SPD), sondern die Innen- und Rechtspolitikerin Eva Högl zur Wahl vorzuschlagen. Nachdem ich in 25 Jahren mit fünf WEhrbeauftragten produktiv zusammengearbeitet habe, erlaube ich mir eine Stellungnahme zu diesem Vorgang.    



Mein Brief zur Wahl der/des nächsten Wehrbeauftragten des Bundestages an den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion (02.05.2020)

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Am 07. Mai steht im Bundestag wieder die Wahl eines Wehrbeauftragten an. Am 29. April wurde bekannt, dass der SPD-Fraktionsvorstand nach einstimmigem Beschluss nicht den bisherigen Amtsinhaber Hans-Peter Bartels (SPD) zur Wiederwahl vorschlägt, sondern die Innen- und Rechtspolitikerin und stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl.

Auch wenn sich Ehemalige grundsätzlich besser aus dem Tagesgetümmel heraushalten sollten, melde ich mich jetzt doch zu Wort. Immerhin habe ich seit 25 Jahren fünf Wehrbeauftragte erlebt und mit ihnen ausgesprochen produktiv zusammengearbeitet. Hans-Peter Bartels wie Rolf Mützenich waren mir immer besonders gute Kollegen im Verteidigungsausschuss bzw. Unterausschuss Abrüstung (seit 1998 bzw. 2002).

Hier mein Schreiben vom 02. Mai 2020

An den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion

Dr. Rolf Mützenich

Wahl des/der nächsten Wehrbeauftragten

Lieber Rolf,

mit Freude und hohem Respekt erfuhr ich am 24. September letzten Jahres, dass Deine Fraktion Dich mit höchster Zustimmung zu ihrem Vorsitzenden gewählt hatte. In besonders schwieriger Zeit übernahm mit Dir ein Parlamentarier, den ich seit 2002 als fachlich und sozial höchst kompetenten Kollegen erlebt hatte, die Spitzenverantwortung des Fraktionsvorsitzenden. Für diese besonders verantwortungsvolle und beanspruchende Arbeit wünsche ich Dir viel Kraft.

Gestatte, dass ich mich zur bevorstehenden Wahl der/des nächsten Wehrbeauftragten an Dich wende. Ich tue das vor dem Hintergrund meiner inzwischen 25-jährigen Zusammenarbeit und Erfahrung mit inzwischen fünf Wehrbeauftragten und in dem Bewusstsein, wie elementar wichtig und bewährt dieses Amt für die Angehörigen der Bundeswehr, für ihre Integration in Rechtsstaat und Gesellschaft und das Parlament ist. Insofern handelt es sich hier auch nicht um eine innere Angelegenheit der SPD-Bundestagsfraktion.

Euer Fraktionsvorstand beschloss einstimmig, Eure stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dr. Eva Högl zur Wahl des nächsten Wehrbeauftragten vorzuschlagen und damit dem bisherigen Wehrbeauftragten eine erneute Kandidatur zu verweigern.

Nicht nur mir drängt sich der Eindruck auf, dass hier

- fraktions- und vielleicht parteiinterne Interessen ausschlaggebend waren und dabei

- die für die Bundeswehrangehörigen, die Bundeswehr und das Parlament bestmögliche Personalauswahl für das Amt des Wehrbeauftragten eine sekundäre Rolle spielte.

Hans-Peter Bartels habe ich seit 1998 elf Jahre als Kollegen im Verteidigungsausschuss hoch schätzen gelernt. Als Wehrbeauftragter füllt er seit fünf Jahren sein Amt mit umfassender und verlässlicher Kompetenz, mit hohem Einsatz für die Menschen in der Bundeswehr und die Einhaltung der Grundsätze der Inneren Führung aus. Wie ich durchweg gehört habe, bringen ihm Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr volles Vertrauen entgegen. Seine  parlamentarische Kontrollfunktion übte er zum Besten einer in Rechtsstaat und Gesellschaft verankerten Bundeswehr und mit großer Unabhängigkeit aus. Seine Amtsführung findet fraktionsübergreifend hohe Anerkennung. Über seine Kontrollpflichten hinaus hat er Debatten und Verständigungen über wichtige, die Bundeswehr und deutsche Sicherheitspolitik betreffende Fragen initiiert und durch eigene Anregungen bereichert. Beispielhaft erinnere ich mich an das Expertengespräch „ISAF: Lessons learned – Erfahrungen für neue Einsätze nutzen“, einer gemeinsamen Veranstaltung von Wehrbeauftragtem, Dt. Bundeswehrverband, Reservistenverband und Aspen-Institut. Es war eine der besten Veranstaltungen, die ich im politischen Berlin seit 2002 zum Afghanistan-Einsatz erlebt habe.

In seiner sicherheitspolitischen Orientierung bemerkte ich bei Hans-Peter Bartels keinen Widerspruch zu den von SPD-Ministern in der Koalition mitgetragenen Positionen.

Eure Kandidatin für das Amt des Wehrbeauftragten wird als Innen- und Rechtsexpertin sehr geschätzt. Es ist möglich, dass Frau Högl eine gute Wehrbeauftragte sein könnte.

Allerdings ist das Amt des Wehrbeauftragten keine Aufgabe wie ein Ministerposten, die politische Führungspersonen übernehmen können, auch ohne fachpolitisch versiert sein zu müssen. Wer mit der komplexen Großorganisation Bundeswehr klar kommen, bei der Truppe „landen“ und ihr sowie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen will, braucht ein gewisses Grundverständnis des Militärischen, Erfahrung mit der Bundeswehr und ihrer Menschen. http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&ptid=1&aid=1572Bisher gibt es darauf keine Hinweise bei der SPD-Kandidatin.

Mit Hans-Peter Bartels eine so bewährte, über alle Parteigrenzen hinweg anerkannte „erste Vertrauensperson“ der Soldatinnen und Soldaten „abzuwählen“, ist fachlich in keiner Weise begründbar und – erlaube mir die direkte Formulierung - in der Art und Weise des Vorgehens menschlich unanständig.

Bei Truppenbesuchen und vielen anderen Begegnungen mit Soldaten der Bundeswehr beobachte ich seit Jahren einen beunruhigenden Vertrauensverlust gegenüber „der Politik“. Treiber dieses Vertrauensverlustes wurden immer wieder klar in den Jahresberichten des Wehrbeauftragten benannt. Zu ihnen gehören nach meiner Erfahrung nicht zuletzt Einsatzaufträge, denen es an Zielklarheit mangelte und deren Wirksamkeit bisher nie systematisch und ressortübergreifend überprüft wurde, sowie die verbreitete Wahrnehmung unter Einsatzrückkehrern und ihren Angehörigen, dass ihre Einsatzleistungen in Politik und Gesellschaft nur wenig Interesse, geschweige Anerkennung finden. Der Vertrauensschwund erreichte unter der vorherigen Verteidigungsministerin einen Tiefpunkt.

Vor diesem Hintergrund wirkt Eure Personalentscheidung, die offenbar von fraktions-/partei-internen Motiven bestimmt ist und keine erkennbare Rücksicht auf die Belange der Soldatinnen und Soldaten nimmt, alles andere als vertrauensbildend - sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch in der Öffentlichkeit. Sie kann erheblichen politischen Schaden anrichten. Für antidemokratische Kräfte, die sich ganz rechts im Bundestag großmäulig als „Fürsprecher unzufriedener Soldaten“ geben, ist sowas eine Vorlage.

In den 61 Jahren des Amtes des Wehrbeauftragten, dieser großen Errungenschaft des deutschen demokratischen Rechtsstaats, stellte die SPD vier in Bundeswehr und Parlament hoch angesehene Wehrbeauftragte. Bitte haltet glaubwürdig an dieser guten Tradition fest!

Mit herzlichen kollegialen Grüßen

Winni

Aktuell dazu mit Auszügen des Briefes

Thorsten Jungholt in der WELT 05-.05.2020, https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article207739099/Widerstand-gegen-Muetzenichs-friedenspolitische-Alleingaenge-waechst.html

Peter Carstens in der FAZ/FAZ.NET 05.05.2020, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/die-spd-und-der-wehrbeauftragte-ein-linksruck-16753950.html?fbclid=IwAR0vBxAS-wNb4-uHxDy__cYdujLDFuVGzQxoeoq3mFmnE2i4CBs5382Dx8E

Hintergrund

Interview zu 60 Jahre Wehrbeauftragter auf „Streitkräfte und Strategien/NDR 11.02.2019,   http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&ptid=1&aid=1572