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Winfried Nachtwei: Kurswechsel statt Sofortabzug

Veröffentlicht von: Webmaster am 26. September 2008 20:51:38 +01:00 (85613 Aufrufe)
Zur Forderung nach einem kurzfristigen Truppenabzug aus Afghanistan hat Winfried Nachtwei folgende Stellungnahme "Kurswechsel statt Sofortabzug"
verfasst:

Kurswechsel statt Sofortabzug

Zur Forderung nach einem kurzfristigen Truppenabzug aus Afghanistan

Winni Nachtwei, MdB (26.9.2008)

Die Frage des Abzugs aus Afghanistan ist für mich kein Tabu. Abzugsperspektiven sind notwendig. Durchhalteparolen sind dumm, ein Durchhalten um jeden Preis wäre verantwortungslos.

Genauso verantwortungslos aber wäre ein Sofortabzug binnen einiger Monate. Er würde dem Wunsch der Bevölkerungsmehrheit und der Regierung in Afghanistan zuwider laufen. Gerade Aktive aus der demokratischen Zivilgesellschaft äußerten mir gegenüber vor Ort immer wieder die Befürchtung, dass dann die Taliban-Herrschaft im Süden und Osten, Bürgerkrieg in anderen Landesteilen und ein massiver Destabilisierungsschub in das schwankende Pakistan, immerhin eine Atommacht, vorprogrammiert wären. Auch Vertreter der Nationalen Friedens Jirga, die einen Abzugstermin fordern, lehnen einen Sofortabzug ab - er würde im Chaos enden.

Ein Sofortabzug würde mit dem Exodus des Großteils von internationalen Helfern in Entwicklungszusammenarbeit, Polizeiaufbau und humanitärer Hilfe einhergehen und nur noch wenige, besonders konflikterfahrene Hilfsorganisationen übrig lassen. Völlig ungehindert rein kämen dann zugleich Tausende Kämpfer aus den pakistanischen Grenzprovinzen. Den Krieg beenden - richtig! Ein Sofortabzug zuerst aus dem Norden würde den aber anheizen.

Ein deutscher Sofortabzug wäre nicht zuletzt ein Affront gegenüber den Vereinten Nationen und die in ihrem Rahmen vereinbarte multinationale Afghanistan-Politik.

Die Argumente für den Abzug erscheinen auf den ersten Blick schlagend, wenn sie mit einem „totalen Scheitern des Aufbaus" und mit einer Absage an Besatzungstruppen und „Antiterrorkrieg" begründet werden. So richtig diese Vorwürfe für einzelne Gebiete und Akteure sind, so sehr gehen sie in ihrer Pauschalität aber an den sehr gegensätzlichen Wirklichkeiten Afghanistans vorbei. Sie verzerren vor allem das multinationale und deutsche Engagement im Norden (wie auch im Westen und in etlichen weiteren Provinzen). Dort ist der Aufbau keineswegs gescheitert. Das zu behaupten, zeugt von Ignoranz gegenüber den vielen engagierten Menschen, die in ihrem Dorf, ihrer Stadt, ihrer Provinz was voran gebracht haben und die trotz aller Schwierigkeiten noch Hoffnung haben.

In diesen Regionen sehen sich wohl Terrorzellen im Krieg. Dort führt ISAF aber ausdrücklich keinen Antiterrorkrieg und verhält sich strikt als Unterstützungstruppe und nicht als Besatzungsmacht. Das zeigt sich in den zurückhaltenden Einsatzregeln, in der leichten Bewaffnung, in der Operationsführung - und nicht zuletzt in dem relativ hohen Ansehen bei der örtlichen Bevölkerung.

Die Rufer nach dem Sofortabzug ignorieren, dass ein beträchtlicher Teil der Gewaltkonflikte in Afghanistan lokale Ursachen hat und um Ressourcen, Macht, Familien-/Clanangelegen-heiten geht. (vgl. Oxfam-Studie)

Dass die USA und manche andere Staaten in Afghanistan erheblich ihre nationalen geostrategischen Einflussinteressen verfolgen, ist offenkundig.

Das lässt sich aber nicht auf die Dutzenden Staaten und Organisationen der Internationalen UNO-Gemeinschaft verallgemeinern, die sich seit vielen Jahren intensiv und unter hohen Kosten und Opfern in Afghanistan engagieren.

Im Rahmen des UNO-Auftrags unterstützt Deutschland die afghanische Bevölkerung und Regierung, ihr nach über 20 Kriegsjahren zerstörtes Land aufzubauen und selbst tragende Sicherheit zu schaffen. Das geschieht nicht zuletzt aus dem von der UNO definierten kollektiven Sicherheitsinteresse, dass Afghanistan nicht wieder d e r Ruhe- und Ausbildungsraum für Abertausende internationale Kämpfer und Terroristen wird. Das geschieht auch im Bewusstsein des historischen Versagens, als Afghanistan nach Abzug der Sowjets 1989 von der Internationalen „Gemeinschaft" im Stich gelassen worden war - und in einen fürchterlichen Bürgerkrieg stürzte.

Vermeintliche imperialistische Interessen der Bundesrepublik sehe ich hier nicht am Werk.

Sie sind auch nicht als handlungsleitend nachweisbar.

Bis 2005 gelangen wichtige Teilerfolge. Seit 2006 verschlechtert sich die Sicherheitslage, herrscht in vielen Distrikten im Süden und Osten ein asymmetrischer Krieg in Form von Aufstandsbewegung + Aufstandsbekämpfung, sickern Terrorzellen auch in den Norden ein, hat die Regierung massiv an Unterstützung verloren.

Diese Abwärtsdynamik kann nicht mit immer mehr Soldaten und gar Krieg gestoppt und umgekehrt werden. Dringend notwendig ist ein umfassender Kurswechsel, beginnend mit einer ehrlichen Bilanzierung der bisher fast sieben Jahre internationalen Engagements und der strategischen Fehler dabei. Vor allem gegenüber den USA muss durchgesetzt werden, dass alle Streitkräfte nur zur Stabilisierungsunterstützung und zum Schutz der Bevölkerung im Land sind - und nicht wie Besatzer zu einer militärischen Gegnerbekämpfung, die die Gewaltspirale beschleunigt statt bremst. Die Zusammenarbeit mit Stammesautoritäten, die Bekämpfung der Korruption, die afghanische Eigenverantwortung und die Suche nach politischen Konfliktlösungen müssen einen viel höheren Stellenwert bekommen. Dringend notwendig ist eine energische Aufbauoffensive. Realistische und ehrgeizige Zwischenziele müssen vereinbart werden, die dann Wegmarken einer wirklich verantwortbaren Abzugsperspektive sind. Das gilt zu allererst für den Sicherheitssektor.

Das alles wird nur Erfolgschancen haben, wenn es mit großen Anstrengungen um Sicherheitskooperation und politische Konfliktlösung in der Region, insbesondere mit Pakistan und Iran, einhergeht. Die Angriffe von US-Streitkräften auf pakistanisches Gebiet sind völkerrechtswidrig und bewirken das Gegenteil.

Deutschland trägt für den Kurswechsel besondere Verantwortung, weil es bis heute bei den Afghanen ungewöhnlich großes Vertrauen genießt. Diesem besonderen Vertrauen wird die Bundesregierung bisher nicht gerecht.

Einseitig aufgekündigt würde dieses Vertrauen mit einem Sofortabzug. Wer kann das wollen? Wem nutzt das?

Diese Frage muss sich jede Seite hinsichtlich des bewaffneten Konflikts in Afghanistan stellen, wo die Konfliktparteien wesentlich auf die propagandistische Beeinflussung der Bevölkerung dort wie hier zielen.

Teile der Friedensbewegung suchen nach Alternativen zur militärischen Eskalation, weil sie in Afghanistan Frieden fördern wollen und das Schicksal der Menschen im Blick haben. Das war erkennbar auf Konferenzen der Friedensbewegung, das zeigt sich im jüngsten Dossier „Der Afghanistan-Konflikt" von Andreas Buro.

Diese Mühe machen sich solche, die nur den schnellen Abzug fordern, leider nicht. Die Berliner Demo „Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan" am 20. September stand für eine solche „Hauptsache raus" Haltung. Bemerkenswert an dieser „bundesweiten" Demo (neben Stuttgart) war, dass die durchweg „antiimperialistischen" RednerInnen eindimensional Partei nahmen: gegen die „Besatzungstruppen", gegen ihren „gnadenlosen Krieg gegen Afghanistan" + ihre „imperialen Interessen" - und kein Wort verloren über den Terrorkrieg von Taliban, Al Qaida und anderen militanten Gruppen, über den Gewaltimport aus Pakistan. Keine Botschaft der Solidarität ging an die Abertausenden Menschen der afghanischen Zivilgesellschaft, die sich tags drauf am 21. September in vielen Provinzen Afghanistans zum Internationalen Friedenstag der Vereinten Nationen versammelten. Stattdessen erhielt ein Redner des „Antikapitalistischen Blocks" Beifall für sein „Lang lebe der Widerstand gegen die Okkupation!"

(Dem Aufruf von ca. 250 Gruppen und Organisationen, darunter auch der „Grünen Friedensinitiative", folgten wider Erwarten nur wenige tausend Menschen, dominiert von Fahnen und Transparenten der Linken - und ohne jede Fahne von z.B. Pax Christi, Jusos oder Grünen. Von der Breite und Buntheit anderer und früherer Demonstrationen von Friedensbewegung war wenig zu sehen.

Am 19.9. richteten Claudia Roth und ich ein Grußwort an die demokratischen Friedenskräfte in Afghanistan anlässlich des Internationalen Friedenstages, www.gruene.de. Dem Aufruf zu einem 24-stündigen Waffenstillstand hatten sich ISAF und Taliban angeschlossen. Er soll weitgehend eingehalten worden sein.)


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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