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Wie der Afghanistaneinsatz anfing - Teil III: Der wenig umstrittene 2. Afghanistanbeschluss (zu ISAF)

Veröffentlicht von: Nachtwei am 1. September 2011 08:57:37 +01:00 (57239 Aufrufe)

"11. September bis 22. Dezember 2001 - Von New York nach Washington aus Berliner Sicht" nach den persönlichen Aufzeichnungen von W. Nachtwei. Teil III: Der wenig umstrittene 2. Afghanistanbeschluss zu ISAF; Grüne Bilanzierungen von 2008

Von New York nach Afghanistan aus Berliner Sicht

Teil III: Der wenig umstrittene 2. Afghanistanbeschluss zu ISAF;

Grüne Bilanzierungen von 2008

28.11.2001

90. Verteidigungsausschuss

V-Minister: Frieden könne nicht von außen erzwungen werden, müsse von innen kommen. Jede von außen aufgezwungene Ordnung würde nur Gegenkräfte mobilisieren. Flankierende, absichernde Unterstützung kann notwendig sein, dann vor allem von muslimischen Staaten.

Seit 23.11. MedEvac-Airbus in 12-Stunden-Bereitschaft. Bei ABC, Marine und Spezialkräften werde die Einsatzbereitschaft vorbereitet. (zzt. die Impfphasen)

Militärische Führer in AFG haben seit 20 Jahren nichts anderes gelernt als Krieg zu führen, andere reinzulegen und umzubringen. Das berge Risiken.

Absetzbewegungen gebe es bei Stämmen und Clans, nicht bei Al Qaida. Auch bei optimistischem Verlauf bleibe die Notwendigkeit der Terrorbekämpfung.

Die NATO solle nicht in die Rolle einer großen humanitären Organisation geraten. Zur Absicherung des Friedensprozesses gebe es keine Überlegungen bei der NATO. Erst müsse es den Friedensprozess geben.

Wir haben ein Interesse an der Bekämpfung des Terrorismus und der Stärkung der VN, aber kein direktes Interesse an AFG.

StS AA zur Petersberg-Konferenz: Bisher Einigung auf vier Grundsätze: (a) man will Einigung, (b) Benennung einer repräsentativen Übergangsregierung, (c) Interims Große Ratsversammlung, (d) Übergangszeitraum von zwei Jahren.

Die humanitäre Hilfe sei noch nicht in trockenen Tüchern und werde von Taliban massiv behindert. VN sei zuversichtlich, das Schlimmste verhindern zu können. Problematisch bleibe Kandahar.

Bundestag

Rede von W. Nachtwei zum Einzelplan 14: „Angesichts der Vorgänge in AFG ist aber auch eine gewisse Art von vorausschauender Diskussion angebracht, allerdings nicht in der völlig verkürzten und deplazierten Art, in der sie der Kollege Rühe hier vorgeführt hat.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat über ihren Fachmann Winrich Kühne inzwischen eine vorzügliche und hilfreiche Studie dazu vorgelegt, in der festgestellt wird, dass, wenn es zu eine Übergangsregierung kommt, ein begleitender internationaler Friedensprozess von entscheidender Bedeutung sein kann, um vor allem ein politisches und Sicherheitsvakuum zu überbrücken. Wenn die Konfliktparteien dies wollen, dann wäre ein Friedenseinsatz der VN unter den gegebenen Bedingungen wohl ein besonders großer und schwieriger.

Dabei muss Verschiedenes klar sein: Eine solche Mission könnte sich nur auf die Kernaufgaben beschränken. Eine ganz zentrale Erfahrung der Einsätze auf dem Balkan müsste sie unbedingt berücksichtigen: eine integrierte Führungsstruktur zwischen Militär und Zivilen. Selbstverständlich müssten die Hauptbeiträge aus den muslimischen Staaten kommen. Nur bei technologischen und ausbildungsmäßig anspruchsvolleren Komponenten könnten Beiträge aus dem Westen denkbar sein. Vor alle aber - das ist vielleicht auch der wichtigste Punkt - würde internationales Fachpersonal benötigt, zum Beispiel zur Unterstützung des Aufbaus von lokalen Verwaltungen. Hier gibt es einen enormen Nachholbedarf. Denken wir einmal zurück an den Sommer 1999 im Kosovo: Truppen waren ziemlich schnell verfügbar, aber nach Zivilpersonal, nach Polizeikräften musste mühsam gesucht werden. Damit gingen die entscheidenden ersten Monate verloren. Damit würden gleichzeitig empfindliche Langzeitprobleme geschaffen. Deshalb ist eine rechtzeitige Vorbereitung und Rekrutierung gerade von solchem Zivilpersonal dringend erforderlich, damit die fantastischen, zugleich aber äußerst prekären Chancen für einen Friedensprozess in AFG bestmöglich genutzt werden können. Die Bundesrepublik kann mit ihren neu aufgebauten Kapazitäten dazu hervorragend beitragen."

27.11.-5.12. Bonner Petersberg-Konferenz zu AFG unter der Ägide der VN, abgeschlossen am

5.12. mit der Unterzeichnung des Petersberg-Abkommens

Konflikt in meinem KV Münster und im Münsterland

Am 1.12. erscheint in den Westfälischen Nachrichten ein Interview mit dem Grünen Ratsherrn H. über seine Austrittspläne und die Chancen einer Neugründung. Überschrift „Moralischer Tiefpunkt". Mich erreicht der Artikel in Riga, wo tags zuvor im Wald von Bikernieki eine Gedenkstätte eingeweiht worden war - zur Erinnerung an die dort von den Nazis ermordeten Abertausenden jüdischen und nichtjüdischen Menschen. In Münster treten mindestens neun langjährige grüne Weggefährten aus der Bundespartei aus, darunter mehrere (Ex-)Ratsmitglieder, und verbleiben in der reaktivierten kommunalpolitischen Vereinigung GAL Münster. (Im Januar 2002 348 Mitglieder; seit Beginn der rot-grünen Koalition ca. 50 Austritte) Durch eine Satzungsänderung am 31.1. 2002 werden aber weitgehende Mitwirkungsrechte der GALìer im Kreisverband gewährleistet. SZ am 2.2.2002: „Grüne in Münster trennen sich gütlich - Kritiker gründen eigene Vereinigung, arbeiten aber weiter im Kreisverband mit".

Im Kreis Steinfurt treten 20 (von 293) Mitglieder aus, im Kreis Coesfeld 18 (von 176), darunter einige sehr Aktive. Der Ortsverein Dülmen löst sich auf.

3.12.

  • Schriftliche AA-Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die im Zusammenhang mit der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte relevanten Frage der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und de Entwicklung in AFG  (regelmäßiges Berichtsformat)

6.12.

Jahrestagung der Afghanistan Support Group in Berlin

11.12. Unterrichtung der Außen- und Sicherheitspolitiker von SPD und Grünen durch die Minister Fischer Scharping

Joschka: DEU Standort und Gastgeber der Petersberg Konferenz. Sicherheitskomponente Robust für die Übergangszeit, Begleitung des Nation Building, kein klassisches Peacekeeping. Selbstschutz und Schutz der Übergangsregierung, der humanitären Hilfe und der Zivilbevölkerung. Das müsse mit dem 22. Dezember beginnen. Die Warlordstruktur dürfe sich nicht verfestigen. Man könne nicht auf das Ende der US-Operationen warten.

Es gebe ein eigenes VN-Mandat und eigene Kommandostruktur, Trennung von OEF. Maximal für zwei Jahre, enge Überprüfungsfristen. Es bestehe nicht die Absicht, wie im Kosovo länger zu bleiben.

Der Einsatz bleibe räumlich begrenzt und werde wahrscheinlich sehr stark von Europa mitgestaltet.

DEU`s Schwerpunkte seien Bildung, Erziehung, Frauen.

Minister S.: Die Sicherheitslage sei weiterhin sehr instabil. Eine für ganz AFG kalkulierbare Macht gebe es nicht. Militäroperationen können noch einige Wochen oder länger dauern.

Keine Illusionen, was eine internationale Truppen leisten kann und was nicht -  z.B. nicht die Autorität der Regierung durchsetzen.

Was man für Kabul und Umgebung brauche: Die afghanischen Vorstellen lägen sehr niedrig, die Vorstellungen der NATO beim 15-fachen. Beides sei unrealistisch.

Glasklare Trennung zwischen VN-Mission und kriegerischen Operationen. Niemand bei den VN denke an klassische Blauhelme.

Joschka: Ausbildung administrativer Strukturen sei die Hauptaufgabe.

Gernot E. (SPD): Neue regionale Initiative mit DEU?

Joschka: Das wäre eine ganz andere Dimension. Iran, Irak, Pakistan - das wäre Weltpolitik, eine Überforderung für eine Mittelmacht wie DEU. Da sei Europa gefragt.

Minister S.: Nur GB, FR, DEU verfügen über militärische Führungsfähigkeiten, andere nur über Beteiligungsfähigkeiten. Auch islamische Staaten haben keine Führungsfähigkeiten.

Zzt. 80 NGO`s im Land.

Fraktionssitzung:

Joschka: Nach 23 Jahren gebe es jetzt erstmals eine Chance. Aber keine falschen Erwartungen! Nicht vergleichbar mit Kosovo, keine protektoratsähnlichen Verhältnisse.

Polizeiausbildung sei große Aufgabe.

Steffi: Ausdrückliches Lob für Petersberg! Richtig sei, über eine VN-Schutztruppe nachzudenken angesichts er Friedenschancen. Sie befürchte aber, dass zwischen OEF und VN-Truppe nicht zu trennen sei.

Claudia erinnert daran, dass sich das AA schon seit längerem so sehr für AFG engagiert habe wie kaum ein anderes Land. Vor kurzem gab es keine Gesundheitsversorgung für Frauen. Jetzt gebe es eine Gesundheitsministerin. Sie sei sehr für die Beteiligung an einer VN-Schutztruppe.

Winne H.: Wenn eine Friedensmission, dann eine aus Staaten mit kultureller Nähe und ohne Verwicklung in AFG.  Ein Riesenproblem sei der parallele Krieg. Wie viele Tote und Verwundete habe es gegeben?

Annelie B.: Eine Friedenstruppe sei keineswegs grundsätzlich falsch. Aber könne man sie und OEF auseinanderhalten?

Marieluise: Das nächste halbe Jahr müsse zur Klärung grundsätzlicher Fragen genutzt werden, die jedes Mal bei Bundeswehreinsätzen hoch kommen. Viele in sozialdemokratischen und grünen Milieus seinen stehen geblieben.

  • „Von der Friedensbewegung zur Friedenspolitik - Elemente einer neuen Weltinnenpolitik", Fraktionsbeschluss vom 11.12.2001, lang & schlüssig 14/48 (29 S.)

12.12.

91. Verteidigungsausschuss, 9.00 und 15.00 Uhr

TOP Sicherheits- und verteidigungspolitische Lage nach dem Terroranschlag auf die USA (ausführlich), StS BMVg: Am 9.12. Erkundungsteam für die ABC-Füchse verlegt. Anschließend Entscheidung über den konkreten Stationierungsort. Das Vorausteam der Marine sei inzwischen zurück. Ein mögliches Gastland möchte vorläufig nicht genannt werden. Täglich 300 Soldaten durch Bewachungsaufgaben gebunden. Keine Auskünfte zu Spezialkräften. (Am Rande ergibt sich: Verlegung der Hauptkräfte ab Mitte Dezember)

Heeresinspekteur: Ewas sei leistbar, was gehe grundsätzlich noch? Das Heer sei sechsfach gebunden. Die Balkanmandate gehen bis 11.500. Bei neuen Anforderungen müsste in das Bisherige eingegriffen werden.

Die Einsatzvorbereitung brauche ungefähr sechs Wochen.

 

14.12. Bericht vom Obleutetreffen des Verteidigungsausschusses: Zzt. gebe es ein großes Gezerre um die AFG-Truppe. GB sei für ein rein britisches Headquarter und für Blauhelme nach drei Monaten; FR für Kap-VI; beide seien sauer über dt. Petersberg-Erfolg. USA ggfs. nur für ein Technical Agreement ohne VN-Mandat. Alle drei Positionen seien für die Bundesregierung nicht akzeptabel. Eine AFG-Beteiligung gebe es nicht um jeden Preis.

Außerordentliche Sitzungstage des Bundestages in der schon begonnenen Weihnachtspause

  • 20.12. Resolution des VN-Sicherheitsrates 1386 (2001) zur Errichtung einer Sicherheitsunterstützungstruppe für einen Zeitraum von sechs Monaten, „um die Afghanische Interimsbehörde bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und seiner Umgebung zu unterstützen (...)"
  • Winrich Kühne: UNO-Friedenseinsatz in AFG?, SWP-Aktuell November 2001 (Verfasser ist Mitglied der International Advisory Group der Lessons Learned Unit der UNO)
  • W. Kühne: Nach dem Petersberg - schwieriger Friedenseinsatz mit Beteiligung der Bundeswehr? www.swp-berlin.org 3.12.: „(...) Die Vorstellung von einem afghanischen Friedensprozess, der aus sich heraus stabil bleibt, ist eine Illusion. (...) Washington betreibt ein gefährliches Spiel, wenn es die Entsendung solcher Truppen blockiert, um sich bei der Bekämpfung von Al Qaida und den Rest-Taleban nicht behindern zu lassen. Eine multinationale Friedenstruppe wird zweifellos der Einstieg in einen der bisher schwierigsten Friedenseinsätze sein. Einen ´quick fix` wird es noch weniger als auf dem Balkan geben. Die internationale Gemeinschaft und ganz speziell die westliche Politik werden einen langen Atem haben und ernst machen müssen mit dem Satz, dass die Anstrengungen zur Befriedung AFG`s nicht weniger entschieden sein werden als die zur Beseitigung der Taleban. (...) Die Masse der Truppen wird aus muslimischen Ländern wie Marokko, Ägypten, Indonesien, Maysia etc. kommen  müssen. Darüber besteht Einigkeit. (...) Eine Beteiligung der Bundeswehr wird also, neben zivilem Personal, unumgänglich sein (...) Denn es wäre eigenartig, wenn eine Rot-Grüne Koalition ihr Ãœberleben zwar für die Beteiligung an einem Kampfeinsatz riskiert, dann aber die Beteiligung an einem Friedenseinsatz ablehnt."
  • W. Kühne: Der Streit um den Friedenseinsatz in AFG: Eine schwache Truppe - Zu wenig Soldaten, zu wenig Kompetenzen - in den Verhandlungen um das UN-Mandat bahnt sich ein verhängnisvoller Fehler an, SZ 20.12.

21.12. ISAF-Mandat

  • Antrag der Bundesregierung „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in AFG auf Grundlage der Resolutionen (...)" (Drs. 14/7930)
  • Stellungnahme „Anforderungen an eine Kabul-Schutztruppe" von W. Nachtwei

AK IV:

StS AA: Die VN-Resolution erfülle die vier Bedingungen des Bundeskanzlers (Ka. VII, Zustimmung der Interimsregierung zu Aufgaben + Umfang; Eigenständigkeit + keine Vermischung, CENTCOM für Deconflicting + Notfall; räumliche und zeitliche Begrenzung)

Auftrag sei die Unterstützung der vorläufigen Staatsorgane, bei der die erste Verantwortung liege. Keine Kosovo-Situation!

Londoner Truppenstellerkonferenz mit 14 Staaten (auch Jordanien und Malaysia), zu denen inzwischen acht weitere gekommen wären.

Hilfe zum Institutionenaufbau sei nicht Aufgabe der Truppe, sondern Aufforderung an die Mitgliedsstaaten.

Uli: Generell sei es so gefährlich nicht. Man müsse sich nur an die Landessitte halten. Z.B. sei ein humanitärer Helfer erschossen worden, weil er im Stehen gepinkelt habe.

92. Verteidigungsausschuss, 19.00 Uhr, TOP Geplante Beteiligung der Bundeswehr an einer UN-mandatierten internationalen Sicherheitspräsenz in Kabul und Umgebung

V-Minister: GB übernehme die Führung, von USA Hilfe im Notfall. DEU sehe keine Möglichkeit, die Lead-Nation-Funktion zu übernehmen. Das Einsatzführungskommando sei noch nicht so weit. Andere Führungsstäbe seien nicht verzichtbar.

Der Einsatz berge erhebliche Risiken. Zu warnen sei aber vor einer maximalistischen Sprache („immer gefährlicher"). Es sei vergleichbar mit den Risiken des Kosovo-Einmarschs im Juni 1999.

W.N.: Angesichts des Raumes, der prekären Interimsregierung und der geringen eigenen Kräfte sei der Einsatz eine Minimallösung.

Aufforderung an die Militärs, den Primat der Politik offen zu beraten.

Generalinspekteur: Zur Kommandostruktur. Gesamtstärke 4.700. DEU hielt 5-6.000 für erforderlich.

Flächendeckender Einsatz im Raum Kabul nicht möglich und auch nicht nötig. Das Regierungszentrum mit Botschaften umfasse 2 x 2 km. Darüber hinaus eine gewisse Kontrolle.

Ein separates Abkommen zu Notfallhilfe und Exit sei in der Mache (incl. Exitstrategie). Bei dieser Größenordnung sei ein strategischer Exit nicht organisierbar, aber ein taktischer (mit Luftnahunterstützung).

Stützpunkte: Mit der VN-Resolution seien die Nachbarstaaten zur Unterstützung aufgefordert. Bisher gebe es noch keine Verhandlungen und keine Entscheidung.

Nachfolge der Lead-Nation: Idealerweise sollte das bei Beginn klar sein. Nur wenige Staaten seien dazu in der Lage.

Heeresinspekteur: Als Vorauskräfte des Heeres seien 200 Fallschirmjäger voll ausgebildet (eine verstärkte Kompanie), dazu 30 Niederländer. (Das Erkundungskommando umfasste ein, zwei Dutzend)

Dabei 6 Dingos, 6 Wiesel, 3 Wölfe, bei den Niederländern auch Mörser, Vorräte für zwei Wochen. Der ganze Kranz von Kampf- und Unterstützungskräften könne frühestens Ende Januar in Marsch gesetzt werden. Das schwere Gerät brauche auf dem Seeweg 30 Tage..

Zur Ausbildung (...)

22.12.

Fraktionssitzung (erstmalig Bundestagssondersitzung am Samstag seit 31 Jahren)

Rezzo: Alle wichtigen Anliegen seien durchgesetzt.

Joschka: Es habe sehr schwere Verhandlungen gegeben. Erstmalig habe DEU auf VN-Ebene mitverhandelt. Es gebe kein dauerhaftes deutsches Interesse an AFG, also auch kein Dauerengagement.

W.N.: Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe sei notwendig und unverzichtbar, um die einmalige Chance für AFG zu nutzen. Der Auftrag sei klar, begrenzt und stark genug. Der dt. Kräfteansatz sei so vernünftig und verantwortbar.

Wer gegen Krieg in AFG und für Förderung des Friedensprozesses sei, wer die Autorität der VN und ihre Erfahrungen respektiere, der müsse zustimmen. Der Einsatz sei notwendig und verantwortbar. Eine Nichtzustimmung sei nur noch mit Ausflüchten möglich.

Claudia: Eindeutig pro. Ein Nacheinander der Einsätze könne man sich wegen der Gefahr eines Machtvakuums nicht erlauben.

Rita: Jetzt zeige sich, was ein grüner Außenminister bedeute. Von einem solchen Mandat hätte man früher nur träumen können.

Hans-Christian: Man könne gar nicht grundsätzlich gegen diesen Einsatz sein. Er soll den Friedens- und Konsolidierungsprozess sichern.

Aber Bedenken habe er wegen des gleichzeitigen Krieges. Die USA betrieben eine Liquidierungspolitik. Dieser Krieg bedrohe den Friedensprozess, vielleicht auch die Sicherheitstruppe.

Winne: Dieser Einsatz sei grundsätzlich verschiedenen von OEF. Aber er sei auch nicht von seiner Vorgeschichte (Krieg) zu trennen

(...)

Hans-Christian: Er stimme zu, nicht aus Koalitionsraison, sondern der Sache und des VN-Mandats wegen, trotz der Vorbehalte. Das bedeute keine Anerkennung des Krieges. Es sei eine persönliche Entscheidung und keine Distanzierung von anderen.

Amtseinführung des Chefs der afghanischen Übergangsregierung Hamid Karsai in Kabul

Bundestag , 1. Lesung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in AFG (Drs. 14/7930)

Aussprache eine Dreiviertelstunde

Bundeskanzler Schröder: „(...) keine abstrakten Diskussionen über die Frage führen, ob sechs Monate ausreichen oder nicht, sondern deutlich machen: Es handelt sich um ein von den Aufgaben her, vom Einsatzort her und von der Zeit her um ein begrenztes Mandat. (...)"

93. Verteidigungsausschuss, 11.40 Uhr: Beratung und Beschlussfassung zum ISAF-Antrag der Bundesregierung

Z. (SPD): Richtig sei ein robustes Mandat, die zeitliche Begrenzung auf zunächst sechs Monate und die Trennung der Aufgaben von ISAF und E.F.

N. (FDP): Bei seiner Fraktion gebe es Kritik an der Nichtbeteiligung der NATO. Das beschädige sie. Rechtzeitig informiert werden müsse über die Weitergabe der Lead-Rolle, die die Briten nach drei Monaten abgeben würden.

W.N.: (Argumentation wie in der Fraktion) AFG habe jetzt phantastische Chancen. Alles müsse dafür getan werden, diese nicht zu verspielen. Das Mandat müsse sehr schnell angetreten werden. Zu begrüßen sei der Aufruf der VN an die Mitgliedsstaaten, schnell zum Aufbau eigener Sicherheitsstrukturen in AFG beizutragen. Bundesregierung und Parlament müssten darauf achten, dass auch dafür schnellstmöglich Kapazitäten zur Verfügung gestellt würden.

W. (PDS): Man stimme nicht zu, weil die Mission keine Friedensmission sei. Die Nordallianz sei keine Alternative zu den Taliban, sie sei eine Mörderbande. Mit dieser Mission werde die Autorität der VN mit Füßen getreten.

Bundestag, 2./3. Lesung

536 ja, 35 nein, 8 Enthaltungen

Ziemliche Lustlosigkeit, angefangen beim Kanzler. Danach Flucht in Weihnachtspause.

31.12.

  • Manfred Eisele: Ungeklärte Fragen - Das Mandat des Sicherheitsrats zu AFG läßt trotz seiner „robusten" Ausrichtung manches offen, FAZ

 

2002

10./11.1. Fraktionsklausur in Wörlitz

Es dominieren wieder die innenpolitischen Themen: Gentechnik, ökologische Herausforderung und Arbeitsmarkt, Wahlkampf.

W.N.: Seit Jahresbeginn sei eine Rückkehr zur Innenpolitik überfällig. Vorsicht aber vor einer Flucht in die Innenpolitik! Eine Wiederholung von 1998, wo Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik bewusst hintangestellt wurde, sei nicht möglich. Andernfalls gebe es nach der Wahl ein böses Erwachen. Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik müsse eine wichtige Rolle spielen („Rolle Europas in der Globalisierung"), denn

- die Grünen stellen den Außenminister,

- sie sei ein Zwangs-TOP durch den weiteren Kampf gegen den Terrorismus

- Quantensprung dt. Außen- und Sicherheitspolitik, ihre Entgrenzung.

Hieran machen sich die Glaubwürdigkeitsprobleme der Partei fest und interne Mandats- und Mobilisierungsprobleme.

Da reiche eine Delegation des Themas an Joschka und Gefolgschaft nicht, schon wegen der Kluft zwischen Joschka und dem Bild der Partei. Notwendig sei ein beschleunigter Klärungsprozess in politischen Identitätsfragen von Krieg/Militär/Gewaltfreiheit und insgesamt Friedenspolitik in Regierungsverantwortung.

Wenn es um die zentrale Frage der Verhütung und Eindämmung von Gewalt und Krieg gehe, dann hätten die Grünen in ihrem Verantwortungsbereich eine ansehnliche Bilanz. Grüne stünden für Antikriegs- und Friedenspolitik unter schwersten Bedingungen. Den Anspruch sollten wir selbstbewusst und offensiv vertreten und nicht an die PDS abtreten.

(Anmerkung: Aus meinen Auszeichnungen entnehme ich keine weiteren Debattenbeiträge zur Außenpolitik.)

14.1.

  • AA-Pressemitteilung: Winterschulprogramm für Mädchen in Kabul beginnt mit Hilfe der Bundesregierung

16.1.

Obleuteunterrichtung durch V-Minister:

Die Zuführung der Vorauskommandos nach Kabul sei erschwert worden durch die Witterung und beschädigte Landebahn in Bagram.

Man wolle bloß keine Lead-Nation sein, wie das manche äußern (AA!). Dafür brauche man 2.000 Mann und vor allem weniger Transportabhängigkeit über 5.500 km Distanz. Manche würden der Bundeswehr alles zutrauen - früher im Bösen, jetzt im Guten. In manchen Bereichen hätten Soldaten 1.000 Einsatztage seit Dayton, drei von sechs Jahren! Er sei auch sehr skeptisch gegenüber einer Auftragsausweitung.

20.-22.1.

Wiederaufbaukonferenz zu AFG in Tokio

  • Bericht der Bundesregierung für die Konferenz: Der Beitrag Deutschlands zum Wiederaufbau und Entwicklung von AFG

25.-27.1.

LDK Grüne NRW: Aufstellung der Landesliste. W.N. wird auf Platz 10 gewählt

Ende Januar

Dt. Fact Finding Mission zum Polizeiaufbau in Kabul:

  • Bericht und Vorschläge der von der Bundesregierung nach Kabul entsandten Delegation zur Feststellung der Notwendigkeit und Möglichkeit einer Unterstützung der afghanischen Interimsregierung (IR) beim Wiederaufbau der Polizei 20.-24.1.2002
  • AA-Pressemitteilung vom 13.2.2002: Deutschland übernimmt führende Rolle beim Aufbau der Polizei in AFG

17.3.

BDK in Berlin beschließt das neue Grundsatzprogramm

von Bündnis 90/Die Grünen: mehr als 30 Seiten zu internationaler Politik, ausgehend von den Grundwerten Menschenrechte und Gewaltfreiheit

 

8.5.

  • Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bilanzierender Gesamtbericht zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA (...), Drs. 14/8990

Nachfolgende friedens- und sicherheitspolitische Bewertungen und Schlussfolgerungen:

 

- W. Nachtwei: Aktuelle Informationen zu AFG: Deutsche Beiträge gegen den 22-jährigen Krieg und für Gewalteindämmung und Friedensförderung in AFG, 26.2.2002

- W. Nachtwei: Welt im Umbruch - Friedenspartei im Wandel: Grüne und Krieg, Militär und Gewaltfreiheit - Klärungsvorschläge zur grünen Grundsatzdebatte, 20.3.2002 (www.nachtwei.de/index.php/artcles/503)

- W. Nachtwei: Kurs halten unter schweren Bedingungen: Bilanz und Perspektiven grüner Sicherheits- und Friedenspolitik, in: S+F Sicherheit + Frieden 2/2002

- C. Roth/W. Nachtwei: Anmerkungen zur Mandatsverlängerung „Enduring Freedom" 14.11.2002

- Abschlussbericht der Friedenspolitischen Kommission der Grünen Jugend „Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn", Februar 2008 (139 S.)

- Abschlussbericht der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission von Bündnis 90/Die Grünen, Berlin September 2008 (3.2 Die grüne AFG-Politik, S. 42-45, 4. Grüne Prinzipien für internationales Krisenengagement und Auslandseinsätze, S. 49 ff.)

- W. Nachtwei: Der ISAF-Einsatz der Bundeswehr - Anmerkungen zu einer überfälligen Bilanzierung, in: Friedensgutachten 2010 der fünf deutschen Friedensforschungsinstitute, Berlin Mai 2010

- W. Nachtwei: Der deutsche Afghanistan-Einsatz: Bedeutung, Bilanz und Konsequenzen, in: Das internationale Afghanistan-Engagement in der Sackgasse? Eine politisch-ethische Auseinandersetzung, hrsg. von Heinz-Gerhard Justenhoven und Ebrahim Afsah ( Institut für Theologie und Frieden Hamburg), Nomos Baden Baden 2011

- W. Nachtwei: Der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr - Vom Stabilisierungseinsatz zur Aufstandsbekämpfung, in: SOWI-Jahresschrift (in Vorbereitung, erscheint im Herbst 2011)

 

- Liste „Berichte und Stellungnahmen zu AFG 2001-2011" von W.Nachtwei

- Liste „Parlamentarische Initiativen von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag zu AFG" seit 1984

 

ANHANG

 

Was aus dem umstrittenen OEF-Mandat AFG vom 16.11.2001 wurde -

Die Einsatzrealität der dt. Spezialsoldaten (KSK) im Jahr 2002

(Ergebnisse des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuss, hier: Sondervotum der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs. 16/10650 vom 15.10..2008)

 

„(Politische Einleitung...) Der Bundestagsbeschluss zur Beteiligung der Bundesrepublik an der US-geführten Operation Enduring Freedom am 16. November 2001 war die wohl umstrittenste Entscheidung zu einem Auslandseinsatz der Bundeswehr. In der Tat beinhaltete sie eine bis dahin undenkbare Entgrenzung deutscher Sicherheitspolitik - hinsichtlich des Einsatzraumes, des Auftrages und der möglichen Intensität des Einsatzes. Die ungewöhnlich vielen Erklärungen zur Abstimmung am 16. November, insbesondere aus den Reihen der rot-grünen Koalition, machten deutlich, wie groß die Befürchtung war, in einen unabsehbaren Kriegseinsatz zu geraten.

Ohne die Gewissensentscheidung der Befürworter in Zweifel zu ziehen, spricht vieles für die These, dass die Bundesregierung nur dank dreier begünstigender Faktoren eine eigene - knappe - Mehrheit für ihren Antrag erreichte: (a) Durch eine Protokollnotiz und einen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen war der ursprünglich entgrenzte Auftrag eingehegt worden (klare Bindung an Völker- und Menschenrecht, Betonung der nichtmilitärischen Terrorismusbekämpfung, indirekter Ausschluss des Irak als Einsatzgebiet); (b) durch einen überraschend schnellen Zusammenbruch des Taliban-Regimes hatte sich die Konfliktlage in Afghanistan erheblich entspannt; (c) indem Bundeskanzler Schröder die Abstimmung über OEF mit der Vertrauensfrage verband, stellte er gleichzeitig den Fortbestand der rot-grünen Koalition zur Disposition. Was aus der Sicht des Kanzlers legitim war, wurde von nicht wenigen Abgeordneten als Erpressung aufgefasst.

Die deutsche Beteiligung an OEF war für die Politik wie für die Bundeswehr Neuland und mit besonders vielen Ungewissheiten behaftet: Nach den bisherigen Beteiligungen an UN-mandatierten und NATO-geführten Friedensmissionen ging es jetzt erstmalig um die Unterstützung eines Verbündeten, der nach den Attacken vom 11. September 2001 das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nahm. Anstelle einer multinationalen Mission ging es jetzt um die Unterstützung einer US-Operation mit multinationaler Beteiligung gegen einen schwer identifizierbaren Gegner. Bisher waren KSK-Einheiten mehrfach bei der Fahndung und Festnahme mutmaßlicher Kriegsverbrecher auf dem Balkan im Rahmen der dortigen multinationalen Friedensmissionen eingesetzt worden. Jetzt ging es erstmalig um einen Dauer-Kontingenteinsatz, um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte in einem kriegerischen Umfeld, 6.000 km von Deutschland entfernt und anfangs ohne eigene logistische Kette.

Erstmalig führte das noch im Aufbau befindliche Einsatzführungskommando in Potsdam die Operation.

Trotz alle Bemühungen zur Einhegung des militärischen Auftrages entsandten Bundesregierung und Bundestag bis zu 100 Spezialsoldaten in einen operativen „Nebel": Nur rudimentär bekannt war das Einsatzgebiet, kaum bekannt waren die Voraussetzungen, Leistungsfähigkeiten und Grenzen von Spezialeinsätzen. Allerdings verband sich mit der Entsendung von Spezialkräften die Erwartung, dass damit der Auftrag besonders präzise und unter möglichster Vermeidung ziviler Opfer durchgeführt werden könnte.

Die Geheimhaltung war zunächst so total, dass sogar die Obleute des Verteidigungsausschusses nicht über den Spezialeinsatz unterrichtet wurden. Das änderte sich erst mit der Amtsübernahme von Verteidigungsminister Dr. Peter Struck. Von da an wurden die Obleute über Zahl und Art der Einsätze und besondere Vorkommnisse unterrichtet.

Insofern bot der Untersuchungsausschuss die Möglichkeit, über das exekutive Handeln hinaus auch das Bundestagsmandat nachträglich auf seine Klarheit, Umsetzbarkeit und Verantwortbarkeit hin zu überprüfen. Der Untersuchungsausschuss ist somit für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auch der Versuch einer parlamentarischen Selbstüberprüfung.

(IV. Das KSK-Kontingent in Kandahar, 3. Aufträge und Einsätze)

(...) Von den insgesamt elf geplanten Einsätzen des 1. Kontingents wurden fünf durchgeführt: Viermal war es die untere Stufe von Direct Action (...), einmal Spezialaufklärung.

(IX. Bewertungen und Schlussfolgerungen, 1. Einsatzrealität)

Die Spezialsoldaten kamen zu einer Zeit (Anfang Januar 22002) nach Afghanistan, als die Kampfhandlungen abgeflaut waren und sich Al Qaida und Taliban schon weitgehend zurückgezogen hatten. (...) Die Anforderungen der Einsätze waren erheblich, die Risiken hoch. Die Einsätze bewegten sich alle im Rahmen von Special Reconnaissance (Spezialaufklärung) und Direct Action (hier als Sensitive-Sites-Exploitations, Durchsuchung von Verstecken, Waffenlagern etc.). Bei den KSK-Einsätzen im Untersuchungszeitraum kam es nicht zu Schusswechseln, Luftbodeneinsätzen, Gefangennahmen oder Beiträgen zur Inhaftierung. Von den eingesetzten Soldaten kam niemand zu Schaden. Durch die deutschen Soldaten wurde niemand direkt verwundet oder getötet. Insofern blieb die Einsatzrealität weit hinter den Möglichkeiten des Mandats, aber auch hinter vielen Befürchtungen zurück. Gerüchte von opferreichen Kampfeinsätzen des KSK im Jahr 2002 entbehren nach den Ermittlungen des Untersuchungsausschusses jeder Grundlage. Bei der Operation ´Anaconda` waren die KSK-Soldaten allerdings im Umfeld einer Operation eingesetzt, die mit der Verwüstung eines ganzen Landstrichs durch ein Bombardement der US-Luftwaffe endete.

(3. Sinn des Auftrags und politische Zweckentfremdung)

Die einhellig von den Soldaten geäußerten Zweifel am Sinn des Dauer Kontingenteinsatzes waren berechtigt. Gegen Ende des 1. Kontingents sank der Bedarf erkennbar. Die Übernahme eines eigenen Verantwortungsbereichs durch das 3. Kontingent ab August 2002 und die Auftragsverlagerung zum

Vorfeldschutz für das ISAF-Kontingent in Kabul waren dieser Entwicklung geschuldet.(...) Der KSK-Einsatz war spätestens vom 2. Kontingent an nicht mehr mit militärischer Notwendigkeit, sondern nur noch politisch begründbar - als bündnispolitisches Signal gegenüber den USA. (...) Da,it verstieß die politische Führung gegen das Prinzip eines ehrlichen Mandats und die berechtigte Erwartung der Soldaten, dass ihr Einsatz - nach er Rechtmäßigkeit - zuallererst militärisch notwendig und verantwortbar sein muss und nicht primär ein Mittel zu anderen politischen Zwecken sein darf. (...)"

Abschlussbericht der Friedens- und sicherheitspolitischen

Kommission von BÃœNDNS 90/DIE GRÃœNEN (September 2008)

3.2. Die grüne Afghanistan-Politik

(Der Gesamtbericht unter www.gruene-partei.de/cms/themen/rubrik/11/11049.friedenspolitik.htm; W. Nachtwei verfasste den Entwurf für diesen Abschnitt.)

Bereits in den 80er Jahren forderten die GRÜNEN den Abzug der sowjetischen Truppen, eine Verhandlungslösung und ein Stopp aller Waffenlieferungen nach Afghanistan.

Die DKP und ihre Verbündeten verhinderten damals eine breitere Thematisierung von Afghanistan in der Friedensbewegung. Zur Zeit der Taliban setzten sich bündnisgrüne AußenpolitikerInnen ganz besonders für die Menschenrechte der Frauen in Afghanistan ein.

Die Anschläge des 11. September konfrontierten bundesdeutsche Politik erstmalig mit der Herausforderung des entgrenzten internationalen Terrorismus. Bündnisgrüne Außenpolitik war in der staatlichen Zentralaufgabe gefordert, den bestmöglichen Schutz der eigenen BürgerInnen und der offenen  Gesellschaft gegen Gewaltbedrohungen von außen zu gewährleisten. Afghanistan war unter den Taliban zu dem Ausbildungs- und Ruheraum Tausender internationaler Kämpfer und Terroristen geworden. Diese Bedrohung für die internationale Sicherheit und den Weltfrieden zu beenden und die Hintermänner des 11. September zu fassen, war Konsens im UN-Sicherheitsrat.

Bundeskanzler Schröder versicherte den USA die „uneingeschränkte Solidarität" der Bundesrepublik. Der Kabinettsbeschluss, neben Transport-, Sanitäts- und ABC-Kräften auch Marinekräfte und bis zu 100 Spezialsoldaten für die US-geführte „Operation Enduring Freedom" (OEF) bereitzustellen, war in Fraktion und Partei höchst umstritten. Er bedeutete eine nie dagewesene Entgrenzung eines Auslandseinsatzes. Die Befürchtung war groß, dass die Bundesrepublik darüber in einen unabsehbaren Antiterrorkrieg geraten könnte.

Die rotgrüne Regierung erreichte nur deshalb eine knappe eigene Mehrheit für die OEF-Teilnahme, weil der militärische Auftrag durch flankierende politische Beschlüsse eingegrenzt wurde (strikte Bindung an Menschen- und Völkerrecht, Ausschluss des Irak), weil das Talibanregime schneller als erwartet zusammenbrach und weil der Bundeskanzler die OEF-Abstimmung mit der Vertrauensfrage verband.

Wo nicht wenige die Bundesrepublik auf dem Weg in einen „Krieg gegen Afghanistan" sahen, betonte die rot-grüne Bundesregierung den Primat einer umfassenden Antiterrorpolitik von Gefahrenabwehr, Ursachenbekämpfung und Menschenrechtsorientierung. Ausgehend von der Erkenntnis, dass „ordnungslose Räume" wie Afghanistan beste Nährböden für Terrorismus sind, war vor allem Außenminister Fischer von Anfang an maßgebliche Förderer des Friedensprozesses in Afghanistan. So war es kein Zufall, dass die Petersberg-Konferenz und weitere große internationale Afghanistan-Konferenzen in Deutschland stattfanden.

Grüne Afghanistanpolitik konzentrierte sich vor allem auf die Stärkung von Friedenspotenzialen, die Unterstützung von Zivilgesellschaft und die Förderung von Frauenrechten in einer Gesellschaft mit extrem frauenfeindlichen Traditionen.

Von vorneherein beschränkte sich das internationale Engagement auf eine unterstützende Rolle gegenüber der provisorischen afghanischen Regierung. Die vergleichsweise kleine, VN-mandatierte ISAF-Schutztruppe sollte für die Regierung in Kabul Sicherheitsunterstützung erbringen und für internationale Organisationen ein sicheres Umfeld schaffen. Das gelang.

Schrittweise entstanden in Kabul staatliche Institutionen, konnte 2005 erstmalig ein Parlament gewählt werden. Dass seit Anfang 2002 Nichtkrieg herrschte, Millionen von Flüchtlingen zurückkehrten, Millionen Kinder und erstmalig wieder Mädchen in die Schule gehen konnten - all das waren Riesenerfolge angesichts von mehr als 20 Jahren Kriegswirren.

Über Jahre unterlag die Beteiligung des KSK an OEF in Afghanistan striktester Geheimhaltung. Das nährte alle möglichen Vermutungen. Inzwischen wurde öffentlich bekannt, dass die tatsächlichen KSK-Einsätze weit hinter dem zurück blieben, was vom Auftrag her möglich gewesen wäre. Bei den KSK-Einsätzen im Rahmen von OEF gab es seitens der Spezialsoldaten keinen Schusswaffengebrauch, keine Gefangennahmen, keine Getöteten oder eigene Opfer. Es ist offenkundig, dass die rot-grüne Regierung  schon im Laufe des Jahres 2002 in erster Linie aus bündnispolitischer Opportunität KSK-Soldaten nach Afghanistan zu entsandte.

Der „leichte" internationale Unterstützungsansatz war in Anbetracht der Erfahrungen der Afghanen mit verschiedenen Fremdherrschaften angemessen. Zugleich war die Annahme, über die Konzentration auf die Hauptstadt Frieden und Aufbau im ganzen Land voranbringen zu können, eine große Illusion. Beispielhaft für die Unterschätzung der Herausforderungen war, wie Deutschland seine Führungsrolle beim Polizeiaufbau wahrnahm: qualitativ solide, quantitativ völlig unzureichend angesichts des katastrophalen Zustandes der Polizei, der immensen Korruption und Gewaltkultur, der expandierenden Drogenökonomie und der für alle Arten von Schmuggel weit offenen Grenzen.

Hinter den Anforderungen weit zurück blieben generell die Anstrengungen für den zivilen Aufbau. Trotz anderslautender Beteuerungen stehen sie bis heute im Schatten des Militäreinsatzes und leiden unter einem erheblichen Mangel an Kohärenz und Ressourcen.

 

Eine weitere Kurzsichtigkeit des internationalen Unterstützungsansatzes war die Konzentration auf die Förderung  zentralstaatlicher Institutionen „von oben" in einem Land, das nie eine funktionierende Zentralstaatlichkeit erlebt hat, und die Vernachlässigung traditioneller Strukturen. Hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen von externem Statebuilding in einer stark traditionellen Gesellschaft besteht international, aber auch in Deutschland noch ein erheblicher Klärungs- und Einigungsbedarf.

Das waren nicht die einzigen strategische Fehler.

Wahrscheinlich noch gravierender war die jahrelange Fixierung der USA auf den von Präsident Bush ausgerufenen „War against Terrorism", der mit einer Missachtung der Stabilisierungsbaubemühungen der anderen Verbündeten im Rahmen von ISAF einherging. Die Ignoranz gegenüber dem Stabilisierungsprojekt Afghanistan erreichte seien Höhepunkt mit dem Irakkrieg. Er zog nicht nur erheblich Kräfte und Mittel der USA und anderer „Williger" von Afghanistan ab. Er war zugleich ein Tiefschlag für die Glaubwürdigkeit des internationalen Engagements in Afghanistan.

Als im Sommer 2003 89 internationale Nichtregierungsorganisationen die Ausweitung von ISAF aufs ganze Land unter NATO-Führung forderten (!), übernahm wohl die Bundesrepub- lik Verantwortung im Norden. Es dauerte aber geschlagene drei Jahre, bis andere ISAF-Partner auch Verantwortung im Süden und Osten übernahm. Damit waren entscheidende Jahre verloren gegangen.

Im Laufe der Jahre trat immer deutlicher zutage, dass OEF in Afghanistan durch das Völkerrecht nicht mehr gedeckt ist und durch die Art des teilweise völkerrechtswidrigen Auftretens und der Operationsführung mehr zur Spirale von Hass und Gewalt beitrug als zur Terroreindämmung. Die Grünen fordern seit 2006 die Einstellung er Operation. Es ist ein großer Fehler, dass die Bundesregierung auch heute noch an der OEF-Beteiligung festhält und einer Auseinandersetzung um eine verantwortbare und wirksame Antiterrorstrategie ausweicht.

Die Warnung im Jahr 2001 vor einem „Krieg in Afghanistan" hat sich in den Jahren bis 2005 nicht bestätigt. Die bundesdeutsche Solidarität mit den USA war keineswegs „uneingeschränkt", die Haltung gegenüber dem Antiterrorkrieg de facto distanziert. Die Absage an den Irakkrieg war die Konsequenz daraus und zugleich ein historischer Schritt zu außenpolitischer Mündigkeit im Bündnis. Die Bundesrepublik trug unter Rot-Grün maßgeblich zur Kriegs- und Gewalteindämmung in Afghanistan, zu Aufbau und Friedensförderung im multilateralen Kontext bei.

Die o.g. strategischen Fehler waren aber auch eine wesentliche Ursache dafür, dass der Krieg seit 2006 vor allem in Teile des Südens und Ostens zurückgekehrt ist, dass die Unsicherheit landesweit wieder zunimmt. Ein Strategiewechsel in der internationalen Afghanistanpolitik und eine Aufbauoffensive, wie vom Göttinger Parteitag und der Bundestagsfraktion gefordert, sind vordringlich, um eine Wende zum Besseren zu schaffen. Andernfalls ist ein Rückfall zu Talibanherrschaft und Bürgerkrieg vorprogrammiert.

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Gesamtbilanz

Über die Frage der Rechtfertigung der Einsätze im Kosovo und Afghanistan wurden zu lange die Fragen der Wirksamkeiten und den daraus resultierenden Notwendigkeiten vernachlässigt.

Bis heute hat die Bundesregierung keine unabhängige Auswertungen dieser größten, kostspieligsten und riskantesten deutschen Beteiligungen an multilateralen Krisenengagements vorgelegt. Solche sind überfällig.

Generell zeigt sich an beiden Krisenländern, dass Militär einerseits zur Abwehr größter Bedrohungen und zur Absicherung von Stabilisierungs- und Friedensprozessen unverzichtbar sein kann. Sie sind zugleich eine Warnung vor jeder Überschätzung militärischer Mittel und ein dringender Appell, endlich den Rückstand ziviler, diplomatischer und polizeilicher Friedensfähigkeiten aufzuholen.

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Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch