Von 1994-1998 war der Bundeswehrgeneral Manfred Eisele Stellvertreter Kofi Annans im Department of Peacekeeping Operations der Vereinten Nationen und oberster Blauhelm. Hier Näheres zu dem empfehlenswerten Buch und meine Leseprobe.
„Des Friedens General: Manfred Eisele - Vom Kriegsflüchtling zum obersten Blauhelm" Neuerscheinung zu seinem 75. Geburtstag
1994 steckte das UN-Peacekeeping nach Somalia, Ruanda und Srebrenica in einer tiefen Krise. Eine Überprüfung und Reform des UN-Peacekeeping war dringend notwendig. Neu eingerichtet wurde im UN-Sekretariat, Department of Peacekeeping Operations (DPKO), der Posten eines Beigeordneten Generalsekretärs, Stellvertreter des damaligen DPKO-Leiters Kofi Annan. 49 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der deutsche Generalmajor Manfred Eisele auf die Position des höchsten UN-Blauhelms berufen, die er bis 1998 innehatte!
2013 ist das Jahr, in dem Manfred Eisele 75 Jahre wurde, in dem sich die Entsendung erster UN-Peacekeeper zum 65. Mal und der deutsche UN-Beitritt zum 40. Mal jährt. Herausgegeben von Ekkehard Griep, stv. Vorsitzenden der DGVN, erschien jetzt im Herder-Verlag das Buch zu d e m deutschen UN-Peacekeeping-General und -Pionier mit Beiträgen von 19 AutorInnen. Manfred Eisele steht für „Den Frieden sichern - Verantwortung übernehmen - die Vereinten Nationen stärken".
www.dgvn.de/meldung/neuerscheinung-am-20-juni-des-friedens-general
Manfred Eisele war wohl der erste aktive General der Bundeswehr, der von den friedensbewegten und antimilitaristischen Grünen im Bundestag offiziell eingeladen wurde. Ich habe ihn als Wegweiser in Zeiten des Umbruchs erlebt. Hier mein Buchbeitrag als Leseprobe:
Der Peacekeeping-General: Wegweiser in Zeiten des Umbruchs
von Winfried Nachtwei
Am 11. September 1996 begegnete ich Generalleutnant[1] Manfred Eisele, dem obersten Militärberater des VN-Generalsekretärs, zum ersten Mal. Es war inmitten der Haushaltswoche des Bundestages am Tag der Aussprachen zu den Einzelplänen von Kanzleramt, Auswärtigem Amt, Verteidigung und Entwicklung. Am Abend hatte die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) zum Roundtable mit General Manfred Eisele und Botschafter Günter Joetze, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, geladen. Nach dem Umfang der Notizen in meiner Kladde Nr. IV und trotz Bestform von Joschka Fischer vormittags im Bundestagsplenum (ich hatte notiert: „es gibt wieder viel zu lachen, für alle") war der Abend mit Manfred Eisele d e r Höhepunkt des Tages. Er referierte über „Möglichkeiten und Grenzen präventiver Politik im Rahmen der Vereinten Nationen":
Prävention, Kriegs- und Krisenverhütung seien das bestimmende Element der VN schon laut deren Charta.
Inzwischen gebe es eine Mehrzahl  an innerstaatlichen Konflikten, die im Unterschied zu zwischenstaatlichen Kriegen noch viel grausamer geführt würden. Alle (damals) 185 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen seien sehr unwillig, Mittel zur Prävention zur Verfügung zu stellen. Ohne den sog. „CNN-Faktor" seien keine Betroffenheit und kein öffentlicher Konsens zu erreichen, erst Recht nicht die Bereitstellung von Truppen. Beispiel Ruanda: Auf 19 Anfragen der VN an Mitgliedsländer habe es 19 Ablehnungen gegeben. Wo der Wille zum Eingreifen vorhanden sei, fehlten die Mittel. Wo die Mittel vorhanden seien, fehle der Wille. Positive Beispiele seien dagegen die erfolgreiche Vermittlung zwischen Eritrea und Jemen durch Hans-Dietrich Genscher und die - bislang einzigartige - vorbeugende Stationierung von Blauhelmen in der Republik Mazedonien.
Konkret schilderte Eisele  dann die aktuellen Planungen für  einem VN-Einsatz in Burundi. Schon die bloße Vorbereitung eines solchen Einsatzes könne krisenpräventiv wirken. Für eine Kapitel VI-Mission habe man seitens des VN-Sekretariates 76 Einladungen an Mitgliedsstaaten herrausgegeben - und 12 Antworten erhalten, davon fünf positive. Wo 25.000 Mann notwendig seien, seien lediglich 7.000 Soldaten von Bangladesh und afrikanischen Staaten angeboten worden. Man müsse generell wissen, dass das Sekretariat zur Führung eines Kapitel VII-Einsatzes  nicht in der Lage sei. Die NATO schaffe hingegen mit ihren Combined Joint Task Forces (CJTF) genau das Instrument, das die VN hier benötigten. Wenn die NATO über den Schatten des Kalten Krieges springen würde, könnte sie CJTFs zur Verfügung stellen. Und warum scheiterten Friedenseinsätze? Der Hauptgrund seien unklare Mandate.
Stolz könne man sein, so Eisele weiter, auf Bundeswehreinrichtungen wie das Zentrum Innere Führung in Koblenz und das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen. Die seien vorbildlich. (Das kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen: Die praxisorientierte Weiterbildung der Staatsbürger in Uniform und die Weiterentwicklung der Inneren Führung in Koblenz, das international hoch angesehene militärische Kompetenzzentrum für Rüstungskontrolle in Geilenkirchen.)
In einem mehrseitigen Bericht unterrichtete ich anschließend meine Fraktion über den Vortrag, der hundertprozentig den aktuellen friedens- und sicherheitspolitischen Bedarf traf - und den diesbezüglich hin- und hergerissenen, suchenden Bündnisgrünen eine Perspektive bot.
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Vom Krieg zum Frieden
Herbst 1996, das erste Jahr des multinationalen IFOR/SFOR-Einsatzes in Bosnien-Herzegowina und der Beteiligung der Bundeswehr daran. Das Jahr nach dem Massaker von Srebrenica, nach der Beendigung der Belagerung Sarajevos durch NATO-Luftangriffe, nach dem Friedensvertrag von Dayton. Heiß stritten wir Grüne, damals in der Opposition, um Für und Wider eines Bundeswehreinsatzes. Zum IFOR-Mandat hatte die Fraktion  im Dezember 1995 zu keinem Mehrheitsvotum mehr gefunden. Dann aber nahm innerhalb von fünf Monaten in der Fraktion die Befürwortung eines Bundeswehreinsatzes in Ex-Jugoslawien erdrutschartig zu. Ohne den erhobenen Zeigefinger der Partei hätte vermutlich sogar eine deutliche Fraktionsmehrheit für die Regierungsvorlage gestimmt. Zusammen mit den Abgeordnetenkollegen Gert Weisskirchen (SPD) und Reiner Eppelmann (CDU) initiierte ich einen Gruppenantrag zur Unterstützung eines Zivilen Friedensdienstes, der auch von Heiner Geißler, Armin Laschet (beide CDU), Eckart Kuhlwein, Markus Meckel, Uta Zapf (alle SPD) und Christa Nickels (Grüne) unterstützt wurde. 1996 galt uns Grünen als „Jahr der Bewährung für gewaltfreie Politik". (Absatz wie im Skript)
Am 15. April 1996, meinem 50. Geburtstag, hatte ich zusammen mit dem Unterausschuss „Vereinte Nationen" die Infanterieschule des Heeres und insbesondere das VN-Ausbildungszentrums der Bundeswehr in Hammelburg besucht. Als junger Soldat war für mich in den 1960er Jahren Hammelburg etwas ganz Besonderes: Hier fanden die für mich unerreichbaren, dafür umso mehr bewunderten Einzelkämpferlehrgänge statt. Jetzt war es mein erster Besuch in dem seit Januar 1994 bestehenden VN-Ausbildungszentrum. Hier fanden mehrwöchige Militärbeobachterlehrgänge, VN-Grundlehrgänge für Stabsoffiziere, Führerlehrgänge der Krisenreaktionskräfte und die sechstägige Kontingentausbildung für IFOR statt. Bei der VN-Ausbildung kam  es darauf an, anstelle der herkömmlichen Infanteristenparole „dran, drauf, drüber" einem gänzlich anderen Ansatz zu folgen, nämlich „blau zu denken",[2] mit Gelassenheit und Freundlichkeit aufzutreten - eben „firm, fair, friendly", so wie man das Verhalten der Blauhelme der Vereinten Nationen idealtypisch beschrieb. Auch wenn Eskalationsmöglichkeiten immer vorhanden sein müssten, so wurde uns erläutert, stände die Deeskalation doch im Mittelpunkt. Mental auf die unparteiische, auf Gewaltanwendung möglichst verzichtende Rolle vorzubereiten, sei nicht einfach. Kooperation, so erfuhren wir, gab  es bereits mit entsprechenden Ausbildungszentren in Schweden, Finnland, Österreich. Bemerkenswert erschien mir, welchen hohen Stellenwert in der VN-Ausbildung Schutz und Sicherheit der eigenen Soldaten und eher polizeitypische Einsatz- und Verhaltensgrundsätze hatten (Deeskalation, Verhältnismäßigkeit der Mittel). Nichts von Risikofreude, gar Draufgängertum. Was heute selbstverständlich ist, wurde damals von Auswärtigen Amt und vom Bundesinnenministerium noch abgelehnt: Kurse für Zivilpersonal.
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Konfrontation mit der Kriegswirklichkeit
Sechs Wochen nach der ersten Begegnung mit General Eisele erlebte ich erstmalig die Realität eines VN-Szenarios und eine VN-Mission, also Teile „seines Alltags": Mit einer Delegation der Vorstände von grüner Partei und Bundestagsfraktion besuchten wir im Oktober 1996 Bosnien-Herzegowina, Trogir, Mostar, Sarajevo, Tuzla, Banja Luka. Mit dabei waren die Fraktionsvorsitzenden Kerstin Müller und Joschka Fischer, die Parteivorsitzenden Krista Sager und Jürgen Trittin, die Mitabgeordneten Marieluise Beck, Werner Schulz, Gerd Poppe, die Mitarbeiter Achim Schmillen, Uli Fischer, Erich Rathfelder von der taz, Christiane Schlötzer-Scotland von der SZ. Als erste deutsche Delegation dieser Art wollten und wagten wir die Reise, gerade weil wir uns nicht einig waren. Schockierend waren Ausmaß und Intensität der Zerstörungen: die toten Obstplantagen von Mostar, die zerhackten und enthaupteten Häuser. Am Hang von Sarajevo realisierten wir, was wir eigentlich schon seit Jahren über die Medien wussten - die gnadenlose Belagerung der multiethnischen Großstadt Sarajevo über drei lange Jahre, die Beschießung ihrer Bewohner. Hier gab es kein Ausweichen mehr vor der Einsicht, dass in bestimmten Situationen Militär zum Schutz wehrloser Menschen vor massiver Gewalt notwendig sein kann. Zugleich begegnete uns mit IFOR, mit General Friedrich Riechmann (dem Kommandeur des deutschen Kontingents), eine andere Art von Militär: VN-mandatiert mit dem Auftrag, Gewalt zu verhüten und einzudämmen; das war ein quasi polizeilicher Auftrag mit militärischen Mitteln. Eine positive Irritation für alle diejenigen unter uns, für die Soldaten schlichtweg Krieger waren und im Kontinuitätsverdacht zur Wehrmacht standen. Auffällig war auch der nüchterne Realismus dieser Art von Militärs: Nichts an Allmachtsphantasie, mit militärischen Mitteln einen politischen Konfliktknoten durchschlagen und stabilen Frieden schaffen zu können; dafür viel Bewusstsein von der Notwendigkeit und den Stärken der anderen, von diplomatischen, zivilen und polizeilichen Akteuren.
Die Bosnienreise wurde für alle Mitreisenden zu einer Schlüsselerfahrung. Sie verschob unsere friedens- und sicherheitspolitischen Koordinaten. Aus der eindringlichen Begegnung mit dem katholischen Bischof von Banja Luka erwuchs für uns eine Haltung, die ich das „Gelöbnis von Banja Luka" nannte: „Im Einflussbereich europäischer Politik dürfen wir kein zweites Bosnien mehr zulassen!"
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Premiere bei den Grünen
Wenige Monate später lud die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen für den 31. Januar 1997 zu dem Hearing „Internationale Strukturpolitik, Gewaltprävention und konstruktive Konfliktbearbeitung" ins Bonner „Wasserwerk" ein, mit Lothar Brock, Tobias Debiel, Manfred Eisele, Thomas Fues, Knut Ipsen, moderiert von Ludger Vollmer.
Manfred Eisele war damit als erster aktiver Bundeswehrgeneral Gast der grünen Fraktion. Er sprach zu „Möglichkeiten der Einmischung in gewaltsam eskalierte Konflikte":
Nur in Deutschland gebe es ein Verständnis von Zivilgesellschaft als Zivilistengesellschaft. Kaum für möglich werde gehalten, dass sich Soldaten dazu äußern. Dabei umfasse Zivilgesellschaft doch Bürgergesellschaft, Zivilcourage, Bürgermut.
Die VN-Charta stehe für die kollektive Prävention von Bedrohungen des Friedens. Allerdings habe das Nichteinmischungsgebot verhindert, dass jemals über die Kurdenfrage in der Türkei, über Algerien und Nordirland debattiert worden sei. Hinzu kommen müsse eine Bedrohung des zwischenstaatlichen Friedens.
Das frühere Argument, man habe „nichts gewusst", sei heute für Staaten hinfällig. Rechtzeitige politische Willensbildung zu betreiben, sei heute das Kernproblem.
Einzigartig sei der Einsatz in Makedonien. Erstmalig werde eine multinationale Truppe zur Prävention eingesetzt, wo es bisher noch gar keine Gewaltauseinandersetzung gegeben habe. In demokratischen Staaten sei es schwer, dafür Parlamentarier und Finanzminister zu gewinnen. Es fehle ja der politische Druck.
Auf dem Balkan, so schilderte Eisele, gebe es die ganze Spannweite von Missionen: In Bosnien neben SFOR mit der International Police Task Force (IPTF) der Vereinten Nationen einen zivilen Peacekeeping-Einsatz, 1.700 Personen aus 70 Ländern, eine gigantische Aufgabe. Deutsche Polizisten spielten dabei eine dramatisch gute Rolle. In Ostslawonien, unmittelbar an Bosnien angrenzend, sei die VN-Mission schwerstbewaffnet mit Panzern, Artillerie und Kampfhubschraubern. Auch hier zeige sich, dass nach aller Erfahrung Peacekeeping und Peace-enforcement nicht scharf voneinander zu trennen seien. Nicht hinnehmbar sei, leicht bewaffnete Infanteristen irgendwo hin zu schicken und dann - nachträglich - ggfs. nachzubessern. Vielmehr gelte es, von vorneherein ausreichend bewaffnete Truppen zu entsenden. Um abzuschrecken, brauchten sie nur ihr Potenzial zu zeigen. In Ostslawonien sei bisher kein Schuss  gefallen, und habe es keinen einzigen Toten gegeben. Aber das fordere von Soldaten äußerste Selbstdisziplin, wenn sie einerseits über entsprechende Waffen verfügen, sich andererseits aber bis zur Grenze provozieren lassen müssen, ohne den Finger zu krümmen.
Plötzlich wurde die sachliche Debatte unterbrochen, als aus dem Publikum ein Teilnehmer den vortragenden General mit dem Vorwurf attackierte, Soldaten seien Mörder. Es war der mir aus der Münsteraner Friedensbewegung bekannte (und bis heute bei der DKP aktive) Ansgar. Eisele forderte ihn ruhig und sehr bestimmt auf, diese Beleidigung zurückzunehmen. Andernfalls würde er ihn zur Anzeige bringen. Nach kurzer Bedenkzeit nahm der junge Mann die Beleidigung zurück. Eiseles Reaktion: ganz ruhig im Ton, klar in der Ansage, entschiedene Botschaft, verhältnismäßige Eskalation mit Angebot zum Einlenken - beeindruckend.
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Nach dem Kosovokrieg
Knapp vier Jahre später hatten wir Grüne zwei Jahre Regierungserfahrung hinter uns, mit dem Kosovokrieg als schlimmstmöglichem Einstieg. Im November 2000 begegnete ich Manfred Eisele an der Evangelischen Akademie Meissen bei der Tagung „Friedensethik nach den Erfahrungen von Bosnien und Kosovo". In meiner Kladde XII finde ich ausführliche Aufzeichnungen zum Vortrag „Friedenserhalt durch militärische Gewalt? Erfahrungen nach dem Kosovokrieg" von Manfred Eisele.
Er habe seine Aufgabe immer als Friedenssicherung verstanden, nicht als Kriegsvorbereitung, sich selbst nicht als „warrior".
Einzig und allein der VN-Sicherheitsrat habe das Recht, bei „Bedrohungen des Friedens" internationale Interventionen zu autorisieren. Aber was tun, wenn aus nationalen Motiven im Sicherheitsrat ein Veto eingelegt wird? „Tut uns leid" sagen - und Opferhilfe beim Völkermord anbieten? Ein Präzedenzfall  sei es gewesen, als die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) 1990 in den liberianischen Bürgerkrieg intervenierte und der VN-Sicherheitsrat wegsah. Letztendlich wurde die Intervention dann durch eine kleine, zusätzlich entsandte VN-Mission doch noch legalisiert. Gemeinsam waren eine große westafrikanische und eine kleine VN-Truppe in gewissem Ausmaß erfolgreich.
Der Kosovo habe gezeigt, so Eisele, dass Luftstreitkräfte das ungeeignete Mittel zur Wiederherstellung von Frieden seien. Man müsse beiden Konfliktparteien in die Augen sehen können - das sei aber nur auf dem Boden möglich. Regierungen dächten  bei Krisenbewältigung offenbar immer nur an Soldaten. Während des Luftkrieges habe er im Bundesinnenministerium wenig Wachsamkeit erlebt. Auf die Anfrage im Hause von  Innenminister Schily, ob Polizisten schon auf gepackten Koffern säßen, kam die Antwort, daran habe man noch nicht gedacht. Deutsche Polizisten waren dann relativ schnell da. Aber sie können nicht befohlen werden.
Eisele war eindeutig: Keiner könne von außen Frieden schaffen - gegen den Willen der Konfliktparteien. Erfreulich sei es, dass die NATO erste Überlegungen zu einer zivil-militärischen Doktrin (CIMIC) anstelle. Mit der Weizsäcker-Kommission habe man gefordert, Polizeikräfte für internationale Einsätze zur Verfügung zu stellen. Aber bisher gebe es keine Polizeireserve. Die fehle jetzt. Deutschland solle sich um den Aufbau eines Zivilen Friedenskorps bemühen. Das tue das Auswärtige Amt jetzt auch.
Eisele in einer Mischung aus Vision und Realismus: Die Welt sei auf dem Weg, den Frieden vorzubereiten. Der Soldat solle und wolle dem Frieden dienen.
Wie wenig Konsens in der deutschen Politik über den Wert der VN-Friedenssicherung bestand, habe das Beispiel zweier führender Politiker gezeigt: Helmut Schmidt und andere hätten den Kosovoeinsatz abgelehnt mit der „Alternative": Deckel drauf halten und ausbluten lassen. Verteidigungsminister Rühe habe auf VN-Anfragen regelmäßig deutsche Unterstützung verweigert.
Heute, mehr als zehn Jahre nach der Tagung in Meissen, gehört zur Grundausstattung sicherheitspolitischer Diskussionen die Klage über das Fehlen einer breiten Debatte über die üblichen Fachzirkel hinaus. Das Jahr 2000 war eines  jener Jahre, in denen besondere Chancen für eine breitere friedens- und sicherheitspolitische Debatte bestanden, aber verspielt wurden. Manfred Eisele gehörte zu den Mitgliedern der sogenannten Weizsäcker-.Kommission zur „Gemeinsamen Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr". Ihr am 23. Mai vorgelegter Bericht wurde übereinstimmend als äußerst fundiert und anregend gewertet - und schon nach drei Wochen faktisch aus der Debatte genommen, als der damalige Verteidigungsminister Scharping seine Eckpfeiler zur Bundeswehrreform vorlegte. In einem Warn-Brief an meine Fraktionsvorsitzenden schrieb ich damals: „Die größte Bundeswehrreform seit ihrer Gründung wird de facto von einem Minister erlassen. Die Koalitionsfraktionen und das Parlament haben dabei nichts zu melden. Ein solcher Regierungsstil von Befehl und Gehorsamserwartung ist vordemokratisch." Im Jahr 2000 hatten sich gerade im rot-grünen und friedensbewegten Spektrum die Wellen der Empörung über die deutsche Beteilung am Kosovo-Krieg keineswegs gelegt. Wir Fachpolitiker der Grünen drängten auf eine nüchterne und selbstkritische Bilanzierung des Einsatzes. Manfred Eisele leistete dazu Beiträge. Aber die „eigene" Regierung wollte das nicht. Wieder eine vertane Chance.
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Bürgerkriegsgefahr in Mazedonien - internationaler Terrorismus
Die Erinnerung an das Jahr 2001 wird heute dominiert von den Terroranschlägen des 11. September und dem Beginn des Afghanistaneinsatzes. Weitgehend vergessen ist, dass das sicherheitspolitische Berlin in den Monaten zuvor absorbiert war von einer erneuten Kriegsgefahr vor der Haustür, beim Kosovo-Nachbar Mazedonien. Vor allem während des Kosovokrieges hatte ich erfahren, dass offizielle Unterrichtungen durch die Bundesregierung notwendig und nützlich, aber keineswegs ausreichend waren für ein solides und differenziertes Lagebild. Notwendig wurde ein eigenes schnelles, vertrauliches Beratungsnetz, das sich schrittweise aus meinen Kontakten mit Regionalexperten, Polizisten, Offizieren und Journalisten entwickelte und das ich während der Mazedonienkrise im Frühjahr und Sommer 2001 erstmalig in Anspruch nahm. Nach den Terrorangriffen des 11. September und der Ausrufung der „uneingeschränkten Solidarität" gegenüber den USA durch Bundeskanzler Schröder vervielfachte sich der Beratungsbedarf. General Eisele gehörte dann zu denjenigen, denen ich ein Beratungspapier übersenden konnte und die dann sehr offen, konkret, ohne falsche Rücksichten Stellung bezogen.
Er repräsentiert die reichen Erfahrungen der VN-Friedenssicherung, wie sie im politischen Berlin trotz ZIF und DGVN und Global Public Policy Institute viel zu wenig Beachtung finden.
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Wegweiser und Mutmacher
Am 8. Juli 2004 nahm Manfred Eisele in der Münchener Residenz an der Verleihung der Dag-Hammarskjöld-Medaille der DGVN an den VN-Spitzendiplomaten Lakhdar Brahimi und die Schülergruppe „Aktion Völkerrecht" aus Heidelberg teil. 1998 war ihm selbst diese Medaille für „Verdienste um Frieden und Verständigung" zusammen mit Prof. Dr. Klaus Hüfner verliehen worden. Meinem Dokumentationsbedürfnis folgend fotografierte ich ihn - gemeinsam mit der DGNV-Generalsekretärin Dr. Beate Wagner und Generalinspekteur a.D. Klaus Naumann. Seitdem ist das Eisele-Foto ein fester Bestandteil meines Vortrages „Friedensarbeiter - Ein Gang durch die Werkstätten der zivilen Friedensförderung, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung".
Krisenprävention und Kriegsverhütung finden selbstverständlich und zu Recht viel Zustimmung. Doch ihr Handicap ist ihre unspektakuläre Art, die relative Unsichtbarkeit ihrer Methoden und die Vielzahl der Beteiligten, die Unsichtbarkeit ihrer Erfolge, ihr Mini-Nachrichtenwert angesichts des dominierenden Bad-News-Mechanismus.
Umso wichtiger sind Persönlichkeiten und Gesichter wie Manfred Eisele. Er steht für eine Friedens- und Sicherheitspolitik mit klarer VN-Orientierung, nüchternem Realitätssinn, einem enormen Erfahrungsschatz. Ein Soldat, General, Bürger für den Frieden, für gemeinsame und menschliche Sicherheit. Wie ich ihn immer wieder erlebt habe, so auch auf dem Foto: Manfred Eisele strahlt, ohne zu blenden.
Anfang September 2010 kehrte ich vom meinem 15. Besuch in Afghanistan zurück. An der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg hatte ich einen Vortrag zu halten: „Wie vernetzt und ressortübergreifend müssen VN-Friedensmissionen sein?" Nach Rückkehr von einer solchen Reise fühle ich mich in der Regel noch etwas robuster. Aber ein Generalstabslehrgang ist schon ein besonderes Forum. Und wenn unter den Zuhörern ein Kompetenzzentrum wie General a.D. Eisele sitzt, nimmt die Herausforderung noch zu. Von daher war es mir eine besondere Peinlichkeit, dass so etwas Simples wie die Projektion meiner Folien nur teilweise funktionierte. Die hochmoderne Konferenztechnik des Gneisenau-Saals war mit meinen herkömmlichen Folien schlichtweg überfordert. Sie nahm ihnen Licht- und Ausdrucksstärke.
Doch Manfred Eisele gab mir zu verstehen, dass der Zenit der Power-Point-Präsentationen sowieso überschritten sei und die Überzeugungskraft der Persönlichkeit wieder Oberhand gewinne. Und da sei der Auftritt ein voller Erfolg gewesen.
Als Politiker begegnen einem zahllos viele Menschen, unter ihnen viele ausgesprochen interessante Frauen und Männer.
Beim Schreiben dieser Zeilen wird mir bewusst, dass ich Manfred Eisele ganz besonders viel verdanke: an friedenspolitischer Orientierung in unübersichtlichen Zeiten, an VN-Orientierung mit Realismus, Herz und Verstand.
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[1] Für die Dauer seiner Tätigkeit bei den Vereinten Nationen wurde Generalmajor Manfred Eisele der höhere Dienstgrad Generalleutnant verliehen.
[2] „blau" im Sinne von Blau als Farbe der Vereinten Nationen.
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: