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Sicherheitspolitik und Bundeswehr + DR Kongo + Bericht von Winfried Nachtwei
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Fortentwicklung oder Schwächung der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen? Bericht + Kommentar zur Bundestagsdebatte über den Gesetzsentwurf der Koalition und zum Bericht der Rühe-Kommission

Veröffentlicht von: Nachtwei am 4. Februar 2016 13:46:59 +01:00 (127135 Aufrufe)

Ein lange überfälliger Fortschritt sind Evaluierungsberichte nach Einsätzen und andere neue Unterrichtungspflichten der Bundesregierung. Strittig ist die Ausnahme bestimmter Einsatzarten aus der Mandatierungspflicht. Andere wichtige Empfehlungen der Kommission kamen nicht zur Sprache. Dazu zwei Vorschläge.

 Fortentwicklung oder Schwächung der Parlamentsbeteiligung

bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr?

Bundestagsdebatte zum Koalitions-Gesetzentwurf und zum

Abschlussbericht der Rühe-Kommissionam 29.01.2016

Winfried Nachtwei (Anfang Februar 2016)

Die 1. Lesung des Gesetzentwurfes der Koalition und die Debatte des Kommissionsberichts ging am 29. Januar ab 9.00 Uhr über anderthalb Stunden. Anfangs waren um 80 Abgeordnete im Plenum, auf der Regierungsbank die Minister Steinmeier und von der Leyen sowie etliche Staatssekretäre. (Plenarprotokoll: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18153.pdf )

Die Plenardebatte interessierte mich besonders, weil ich von 1994-2009 intensiv an der Praxis der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen beteiligt war, weil ich 2004 zu den rotgrünen Machern des Parlamentsbeteiligungsgesetzes gehörte und im September 2014 bei der öffentlichen Anhörung der Rühe-Kommission als Sachverständiger Stellung nehmen konnte. (https://www.bundestag.de/blob/297112/1bf50ed2d48ad9b2071546410ed76b82/18-26-016f_statement-nachtwei-data.pdf) Bei der Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission am 19. Juni 2015 in Berlin referierte ich zum Abschlussbericht der Kommission. (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1360 )

 Meines Erachtens war der Auftrag der Kommission zu eng formuliert, fokussiert nur auf das Spanungsverhältnis zwischen militärischer Verzahnung/Integration in NATO/EU und der deutschen Parlamentsbeteiligung. 20 Jahre nach dem BVG-Urteil von 1994 und 10 Jahre nach Verabschiedung des ParlBetGes wäre eine (selbst-)kritische Überprüfung der Praxis der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen angebracht gewesen. Der Abschlussbericht der Kommission weitete erfreulicherweise den Blick, berücksichtigte auch den Bedarf von UN-Friedenseinsätzen und machte zentrale Vorschläge zur Einbeziehung nichtmilitärischer Komponenten und zur Wirksamkeitskontrolle von Kriseneinsätzen generell. Diese für die bessere Wirksamkeit von Kriseneinsätzen elementaren Empfehlungen blieben in der Medienberichterstattung nahezu unbeachtet.

Zum Gesetzentwurf allgemein: Er folgt weitestgehend dem Kommissionsvorschlag. Diesem gegenüber neu formuliert der Gesetzentwurf

- In § 2, Abs. 2: „Eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung ist in der Regel nicht zu erwarten (…)“ und (2) d) „Ausbildungsmissionen in sicherem Umfeld, (…)“

- In $ 6 neuer Absatz 1: „ Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag möglichst frühzeitig über konkrete Planungen für bewaffnete Einsätze der deutschen Streitkräfte in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Dem besonderen Schutzbedürfnis laufender vertraulicher Verhandlungen trägt der Bundestag durch eine Behandlung nach der Maßgabe seiner Geheimschutzordnung Rechnung. Die Bundesregierung unterrichtet die zuständigen Ausschüsse mündlich.“

Kommentar (S. 3)

Vorschläge (S. 6)

Die Debatte

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Konfrontiert mit der Gleichzeitigkeit von Krisen versuchen die Ministerien des Äußeren, der Verteidigung und der Entwicklungszusammen-arbeit ihre Handlungsfähigkeit zu verbessern. Das müsse einhergehen mit einer besseren Information und einer anderer Beteiligung des Parlaments.

An vier Aspekten werde das im Gesetzentwurf deutlich:

- Eine neue Evaluierung und Bewertung von Einsätzen;

 Jährlicher Berichte der Bundesregierung zu den militärischen Verbundfähigkeiten und Abhängigkeiten mit der Option, darüber zu einer Gesamtaussprache zur Außen- und Sicherheitspolitik zu kommen;

- Unterrichtung des Parlaments über geheimhaltungsbedürftige Einsätze;

- Nicht jeder Einsatz müsse unbedingt vom Bundestag mandatiert werden, z.B. Ausbildungsmissionen in nicht bewaffneten Konflikten bzw. in befriedeten Gebieten, wo keine Eskalation drohe.

Die Tür habe man für die Opposition offen gehalten sich an der Kommission zu beteiligen. „Die Grünen waren durch Winfried Nachtwei intensiv vertreten, auch wenn es sich dabei um einen früheren Kollegen handelt. Ich möchte ihn aber an dieser Stelle ausdrücklich loben; denn er hat erheblich dazu beigetragen, dass wir das Thema der Evaluierung und Bewertung von Einsätzen aufgenommen haben.“

(Klarstellung W.N.: Als Sachverständiger nahm ich bei einer öffentlichen Kommissionssitzung wohl intensiv Stellung, tat dies aber ausdrücklich nicht im Auftrag oder in Abstimmung mit meiner früheren Fraktion, sondern in eigener Verantwortung.)

Alexander Neu (LINKE): Mit dem Gesetzentwurf wolle die Koalition Parlamentsrechte aus drei Gründen beschneiden: Sie habe den Überblick über die Vielzahl der Auslandseinsätze verloren; die Bundesregierung wolle die Vielzahl der Einsätze gegenüber der Öffentlichkeit nicht mehr erklären; die Abgeordneten hätten keine Lust, quasi jede Woche im Wahlkreis ihre Zustimmung zu Einsätzen erklären zu müssen.

Logistische Unterstützung, medizinische Versorgung, Ausbildungsmissionen unter bestimmten Bedingungen von der Mandatierungspflicht auszunehmen, lehnt die LINKE kategorisch ab. Zusätzlich fordert sie ein Zweidrittelquorum bei Parlamentsentscheidungen über Auslandseinsätze. Für die LINKEN-Abgeordnete Sevim Dagdelen ist – gestützt auf eine Aussage von Parlamentarischem Staatssekretär a.D. Willy Wimmer - der Gesetzentwurf „der größte Angriff auf die Rechte des Parlaments seit Gründung der Bundeswehr.“ Wer dem Entwurf zustimme, „entmachtet das Parlament“. „Selbst im Zeitalter des deutschen Kaiserreiches wurde im Reichstag über Krieg und Frieden entschieden. Heute wollen Sie die Bundesrepublik in vorparlamentarische Zeiten zurückführen, nur damit keiner mehr hier im Bundestag und auch in der Öffentlichkeit über neue Kriege diskutiert.“

Sonja Steffen (SPD): Wo es aktuell mehr Konflikte und Kriege auf der Welt als jemals zuvor gebe, gelte es mehr denn je, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, seien nationale Alleingänge der Anfang vom Ende von Europa. Integration gehe mit mehr gegenseitigen Abhängigkeiten einher.

Die Mitwirkung in integrierten Hauptquartieren und Stäben der NATO, EU (…) solle nicht mandatierungspflichtig sein, „sofern sie sich dabei nicht im Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden oder dort eingesetzte Waffen unmittelbar bedienen.“ Was im ParlBetGes von 2005 in der Begründung stand, sei jetzt in den Gesetzestext übernommen worden.

Im Hinblick auf Fälle, wo eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu erwarten und  eine Parlamentsbeteiligung deshalb nicht erforderlich sei, sieht ihre Fraktion angesichts des BVG-Urteils vom September 2015 noch verfassungsrechtlichen Überprüfungsbedarf.

Niels Annen (SPD): Im Vorfeld der Kommission habe es Misstrauen gegeben. Jetzt sage er deutlich, „die SPD hat Wort gehalten. Es gibt keine Vorratsbeschlüsse. Die Rechte des Parlaments werden nicht beschnitten, sondern sie werden ausgebaut“, gestärkt. Das zeige sich in der Unterrichtungspflicht bei geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen. Bisher sei das freiwillig gewesen. Die Evaluierungspflicht, bisher in der Begründung des Gesetzes von 2005 angedeutet, sei jetzt in den Gesetzestext aufgenommen.  Wichtig sei der jährliche Bericht zu den militärischen Verbundfähigkeiten.

Regelmäßig habe man den Oppositionsfraktionen Gesprächsangebote gemacht und insbesondere mit den Grünen auch sehr konstruktive Gespräche geführt. Das wolle man im Gesetzgebungsverfahren genauso halten.

Frithjof Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen): Gut sei, dass die Koalition „auf jeden konkreten Vorstoß zur Änderung der Verfassung verzichtet“ habe und die „unselige Debatte über Vorratsbeschlüsse oder die Delegation von Abgeordnetenrechten an spezielle Ausschüsse nicht mehr vorgesehen“ sei.

Ausdrücklich begrüße man die Einführung von Evaluierungsberichten zur Wirksamkeit der militärischen und zivilen Komponenten einer Mission, den jährlichen Bericht über militärische Verbundfähigkeiten und die Übernahme der Vorgaben des BVG-Pegasus-Urteils für Eilfälle bei Gefahr im Verzug. Aber das seien nicht die zentralen politischen Punkte des Gesetzentwurfs. In seinem Zentrum stehe der Versuch, Einsatztypen zu definieren, die in der Regel nicht mandatspflichtig sein sollen – so Ausbildungsmissionen in sicherem Umfeld, UN-Beobachtermissionen, logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen. Damit werde die Illusion geweckt, „man könne so die notwendige Einzelfallprüfung eines jeden Einsatzes umgehen oder wenigstens minimieren.“ Die Rechtsprechung des BVG verpflichte aber zu einer Einzelfallprüfung. Damit werde die Kontrollmöglichkeit des Parlaments, insbesondere der Opposition, geschwächt.

Kategorisch abgelehnt wird auch die Herausnahme der Mitwirkung an multinationalen Stäben und Hauptquartieren (solange nicht im Gebiet eines bewaffneten Konfliktes) aus der Zustimmungspflicht. Das widerspreche den Ausführungen des BVG.

Katja Keul (Bündnis 90/Grüne) bekräftigt die Kritikpunkte von F. Schmidt: Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte sei ein „verfassungsrechtlicher Begriff, der nicht von einem unter der Verfassung stehenden Gesetz verbindlich konkretisiert werden“ könne. Ob eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten sei, bleibe eine Frage der tatsächlichen Verhältnisse, was nicht gesetzlich wegdefiniert werden könne.

Bei der Mitwirkung in militärischen Stäben und Hauptquartieren sei es das falsche Kriterium, ob sich die Soldaten auf dem Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden. Angesichts der Kriegführung der Moderne sei das geradezu skurril.

Das alles sei „der untaugliche Versuch, auf einfachgesetzlicher Ebene verfassungsrechtliche Grundsätze zu unterlaufen“. Der Gesetzentwurf verstoße gegen die Verfassung und gehe politisch in die völlig verkehrte Richtung.

(Zum Gesetzentwurf aus Sicht der Grünen Fraktion auch am 1.2.2016  http://www.gruene-bundestag.de/themen/sicherheit/parlamentsvorbehalt-bei-bundeswehreinsaetzen-unter-druck_ID_4398038.html )

Kommentar

(1) Die Reden der LINKEN-Abgeordneten zeigten keinerlei ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf. Wo Kriseneinsätze pauschal als Kriegseinsätze denunziert werden, läuft das auf eine fundamentalistische Ablehnung von UN-Friedenssicherung hinaus. Ihr Urteil ist maßlos, politisch diffamatorisch und eine einzige Absage an eine sachorientierte Streitkultur. Die Reaktionen der anderen Fraktionen darauf waren kraftlos.

(2) Die neuen Unterrichtungs- und Evaluierungspflichten bewerten Koalition wie Grüne zu Recht als wichtigen Fortschritt. Bezüglich der Evaluierung von Einsätzen wäre aber deutliche (Selbst)Kritik angebracht gewesen: Dass es auch nach mehr als zwanzig Jahren deutscher Beteiligungen an multidimensionalen Kriseneinsätzen von deutscher Seite keine systematische und unabhängige Wirksamkeitsanalyse dieser Einsätze gibt, ist ein strategisches Versagen sondergleichen – und Ausdruck von Verantwortungslosigkeit gegenüber den Frauen und Männern, die in riskante Einsätze entsandt wurden. Verstärkt seit der Lageverschärfung in Afghanistan ab 2006 stieß meine/unsere Forderung nach Evaluierung des Einsatzes bei verschiedenen Koalitionen notorisch auf Ablehnung. Die hier zum Ausdruck kommende fortgesetzte Realitäts- und Lernverweigerung war für mich mit die ernüchterndste Erfahrung meiner Abgeordnetenzeit.

Ein Fortschritt ist die Festschreibung der Unterrichtungspflicht zu geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen der Spezialkräfte (§ 6a). Inhaltlich scheint es mir kein Fortschritt zu sein gegenüber einer Unterrichtungspraxis, wie ich sie bis 2009 erlebt habe – als begrenzt informativ. Die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit des KSK-Einsatzes in Afghanistan ließ sich aus den damaligen Unterrichtungen nicht entnehmen.

(3) Ausnahmen von der Zustimmungspflicht des Bundestages sollen gelten bei einer Reihe von  Einsatzformen/Missionen, bei denen „eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen in der Regel nicht zu erwarten“ sei (§ 2):

Neben den im ParlBetGes von 2005 aufgeführten „vorbereitenden Maßnahmen und Planungen“ und „humanitären Hilfsdiensten und Hilfsleistungen der Streitkräfte“ werden nun neu genannt Erkundungskommandos (den Vorbereitungen zugeordnet), „logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen, die Bereitstellung medizinischer Versorgung außerhalb des Gebietes eines bewaffneten Konflikts, Ausbildungsmissionen in sicherem Umfeld, wenn Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung bzw. zu Ausbildungszwecken mitgeführt werden“, und

- „Beobachtermissionen der Vereinten Nationen oder eines anderen Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, die aufgrund des begrenzten Risikos keine Befugnis zur bewaffneten Durchsetzung eines Einsatzauftrages haben und bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden.“

Richtig ist, dass nicht jeder Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Ausland ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist. Besonders klar wird das bei humanitären Hilfseinsätzen (über 150 seit 1960), bei Einsätzen im Rahmen von Rüstungskontrolle und Abrüstung (z.B. „Offener Himmel“, Kleinwaffenaktionsprogramm der UN, > 3.000 Einsätze von Soldaten des Zentrum Verifikationsaufgaben BW seit 1991) und der technischen Beratergruppen der Bundeswehr im Rahmen des Ausstattungshilfeprogramms für ausländische Streitkräfte (z.B. in Namibia, Tansania, Ghana). Wer UN-Friedenssicherung richtigerweise stärken will, sollte unnötige politische Einsatzhürden abbauen.

Ob bei einer Mission eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung konkret (nicht) zu erwarten ist, kann aber nicht allein durch den o.g. Katalog geklärt werden, sondern bedarf selbstverständlich der Einzelfallprüfung. Das wird im Begründungsteil des Gesetzentwurfes deutlich, nicht aber im Gesetzestext selbst. Hier wäre eine ergänzende Präzisierung im Gesetzestext notwendig, weil Begründungen nur für das Gesetzgebungsverfahren gelten und beim in Kraft getretenen Gesetz „verschwinden“.

(4) Keine Mandatierungspflicht der Mitwirkung in multinationalen Stäben und Hauptquartieren, so lange sie sich nicht auf dem Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden (§ 2a): Ausgerechnet Hauptquartiere als die militärische „Gehirnfunktion“ von Einsätzen teilweise aus der Zustimmungspflicht herauszunehmen, scheint widersinnig und die Kritik daran plausibel. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich aber ein echtes Dilemma, ein Spannungsverhältnis zwischen Parlamentsbeteiligung und Integrationserfordernissen.

Ich komme aus Münster. Das dortige Deutsch-Niederländischen Corps stellt seit 2002 eines von insgesamt neun High Readiness Headquarters der NATO. Die binationalen Stabsversorgungs- und Führungsunterstützungsbataillone sind bis zur Zug-Ebene integriert.  Die Rahmennationen Deutschland und Niederlande stellen jeweils ein Drittel des Stabspersonals bei 12 beteiligten Nationen insgesamt. Um schnell in komplexen und dynamischen Situationen mit großen Mengen an Menschen und  Material der unterstellten Verbände handlungsfähig zu sein, muss das Personal mit seinen Verfahren eingespielt sein. Dafür wird so viel geübt, wie es das in anderen Ressorts, gar in der Politik, auch nicht ansatzweise gibt. Hier ein Drittel des Stabspersonals rauszuziehen, hieße, den Corps-Stab insgesamt für die NATO zu blockieren. Ein solches über eine bloße Nichtbeteiligung hinausgehendes, exklusives Blockaderecht des Deutschen Bundestages wäre zersetzend für jede militärische Lastenteilung, Verzahnung, Integration und gegenseitige Verlässlichkeit.

Das war der konkrete Beweggrund, warum ich 2004 bei der Erarbeitung des ParlBetGes auf die Ausnahmeregelung für „ständige integrierte sowie multinational besetzte Stäbe und Hauptquartiere“ drängte (sie kam in die Begründung) und bei der öffentlichen Anhörung der Rühe-Kommission für die Übernahme der Ausnahmeregelung in den Gesetzestext votierte. Mir ist die Problematik dieser Ausnahmeregelung sehr bewusst.

Eine pauschale und kategorische Ablehnung einer Sonderregelung für integrierte Hauptquartiere springt aber zu kurz: Sie lässt die Dimension der militärischen Integration und Verlässlichkeit unter Verbündeten völlig außer Acht. (Spätestens bei einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene wird sich das eine Fraktion nicht mehr leisten können.)

Angesichts einer gefährlich auseinander driftenden EU hat die erhebliche militärische Integration unter EU-Mitgliedern einen besonders hohen Stellenwert. Wer EU-Europa bewahren, gar stärken will, dürfte das nicht ignorieren.

(5) Weitergehende Empfehlungen der Kommission spielten in der Plenardebatte  – bis auf Äußerungen von Rainer Arnold (SPD)  – leider keine Rolle. Sie kreiste fast ausschließlich um den Gesetzentwurf und von Seiten der Opposition nur um die Parlaments- und Oppositionsrechte. Die weitere politische Schlüsselfrage, wie Parlamentsbeteiligung zu besserer Sicherheitspolitik und wirksameren Einsätzen beitragen kann, blieb ausgeblendet. Bei aller Wichtigkeit von Parlamentsrechten sehe ich hier – wahrlich nicht zum ersten Mal – eine Art parlamentarische Selbstbezogenheit, ja Selbstzufriedenheit.

Unerwähnt blieben Empfehlungen zur

- Formulierung von Mandaten (z.B. Flexibilitätsanforderungen von UN-Missionen);

- Berücksichtigung der nichtmilitärischen Komponenten multidimensionaler Kriseneinsätze, die bei der Parlamentsbeteiligung traditionell vernachlässigt wurden, extrem die polizeiliche Komponente; dazu anschließend ein Vorschlag für einen neuen § 6,

- strategischen Debatte über verstärktes Engagement bei UN-Friedensmissionen;

- zur vertieften Erörterung verfassungsrechtlicher Fragen.[1]

Erst recht nicht zur Sprache kamen Probleme, die mir in 15 Jahren praktischer Parlamentsbeteiligung aufgefallen sind:

- Die dringende Empfehlung des Brahimi-Reports (2000), dass Mandate für Friedensmissionen klar, glaubwürdig und erfüllbar sein müssen, und die Einsatzerfahrung, dass Aufträge operationalisiert werden und überprüfbar sein müssen, kam in der praktizierten Parlamentsbeteiligung viel zu wenig zur Geltung;

- die starke Neigung insbesondere im Verteidigungsausschuss zur Mikrokontrolle und zur Vernachlässigung der strategischen „Hausaufgaben“;

- die oft unausgewogene und unehrliche öffentliche Kommunikation von Kriseneinsätzen zwischen Beschönigung und bad-news-Mechanismus;

- die schwer zu erreichende politische Durchhaltefähigkeit bei der Unterstützung von Stabilisierung und (Rechts-)Staatlichkeit, die Zeit braucht.

(6) Die Abqualifizierung der Kommission aus der Opposition als „Regierungskommission“ sprach gerade auch ihren externen Mitgliedern  geistige Unabhängigkeit ab. Dies war nicht gerechtfertigt und anmaßend.

(7) Perspektive: Mehr denn je kommt es bei der Eindämmung und Bewältigung von Krisen und Gewaltkonflikten, in der Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik auf schnelles Lernen, wirksamere Verfahren und Instrumente, auf effektiveren Multilateralismus an. Die galoppierenden Herausforderungen sind nur gemeinsam zu schaffen.

Fraktionen, die sich der internationalen kollektiven Sicherheit im Rahmen des Völkerrechts und dem Friedensauftrag des Grundgesetzes verpflichtet fühlen, sollten sich da einigen können.

Vorschläge

 (1) Ergänzung § 1 Grundsatz

Anschließend an (2) „Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundestages.“ Neu:

Er darf ausschließlich auf der Grundlage des Verfassungsrechts und des Völkerrechts stattfinden.“

Begründung: Diese Formulierung ist der Begründung des Entwurfes des ParlBetGes vom 23. März 2004, Besonderer Teil Zu § 1 (S. 5) entnommen. Sie in den Gesetzestext zu übernehmen, wäre eine wichtige (minimale) Klarstellung gegenüber unverändert verbreiteten Vorwürfen, wonach Auslandseinsätze nicht durch das Grundgesetz gedeckt seien und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker verstoßen würden.

(vgl. Fußnote 1 zu verfassungsrechtlichen Fragen)

(2) Zu § 2, Absatz (2) Katalog der Missionen, bei denen in der Regel eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu erwarten sei:

Ergänzende Präzisierung zur Einzelfallprüfung (vgl. Kommentar (3). Hier besteht noch Gesprächsbedarf. Bisher meinerseits noch kein Formulierungsvorschlag.

 (3) Neuer § 6: Nichtmilitärische Komponenten in multidimensionalen Kriseneinsätzen

Einsätze bewaffneter Streitkräfte im Ausland sind in der Regel Teil multinationaler und multidimensionaler Einsätze der Krisenbewältigung und Friedenssicherung. In Ergänzung ihres Antrags zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte unterrichtet die Bundesregierung den Bundestag schriftlich über die von deutscher Seite gestellten und finanzierten Beiträge zu nichtmilitärischen Komponenten des multidimensionalen Einsatzes, insbesondere zu ihren Zielen, vorgesehenen Fähigkeiten und ihrer Ausstattung.“

Begründung: Eine Schattenseite der insgesamt bewährten Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen ist die auf das Militärische verkürzte Wahrnehmung und Debatte von Einsätzen der Krisenbewältigung und Friedenssicherung, die in Wirklichkeit seit langem multidimensionale Einsätze mit zivilen, militärischen und polizeilichen Komponenten sind. Die geringe Aufmerksamkeit für die nichtmilitärischen Komponenten ist umso bedenklicher, als eine nachhaltige Krisenbewältigung ohne sie nicht möglich ist.

Die Kommission empfahl deshalb, „dass die zivilen Aufgaben und Komponenten einer umfangreicheren, multidimensionalen Krisenreaktionsmission in der parlamentarischen Beratung über einen bewaffneten Einsatz der Streitkräfte verstärkt Aufmerksamkeit erhalten.“

Die nichtmilitärischen Komponenten sollten in die parlamentarische Beratung, aber nicht in den konstitutiven Parlamentsvorhalt einbezogen werden. (Genau in diese Richtung ging meine Empfehlung bei der Öffentlichen Anhörung der Kommission und meinem ergänzenden Schreiben vom 16. September 2014)

Leider verzichtete die Kommission darauf, ihre wichtige Empfehlung in ihren Vorschlag eines Gesetzentwurfs aufzunehmen. Vielleicht meinte man, mit einem solchen Vorschlag den Auftrag der Kommission zu überschreiten. Das Problem besteht im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr.

Der Gesetzentwurf der Koalition sieht im (bisherigen) § 6 im neuen Absatz (4) einen „ressortübergreifenden Evaluierungsbericht vor, der die Wirksamkeit der militärischen und zivilen Komponenten der Mission bewertet.“ Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, die nichtmilitärischen Komponenten nicht nur nach Abschluss des Einsatzes, sondern auch im Kontext seiner Mandatierung in geeigneter Weise zur Sprache zu bringen.

 



[1] Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt nur das Verfahren der parlamentarischen Beteiligung und Kontrolle, nicht die Ziele und Normen von Einsätzen. Dass Einsätze „ausschließlich auf der Grundlage des Verfassungsrechts und des Völkerrechts“ zu erfolgen haben, steht nur in der Gesetzesbegründung zu § 1. Unverändert blieb bis heute, dass kaum ein Bereich staatlichen Handelns in Verfassung und Gesetz so allgemein  normiert ist wie das besonders teure, riskante, ggfs. tückische Mittel von Auslandseinsätzen. Der neuere Auftrag der Krisenbewältigung ist nicht aus dem Wortlaut des Grundgesetzes, sondern nur unter Zuhilfenahme des Urteils des Bundesverfassungsgerichts erkennbar. Dies hat mit zu dem gewachsenen Durcheinander im öffentlichen Diskurs um den Auftrag der Bundeswehr beigetragen, wo nicht wenige von Interessenverteidigung weltweit sprechen und Krieg wieder für ein Mittel der Politik halten – als gäbe es die UN-Charta nicht.

Mein Vorschlag ist deshalb seit längerem, das Grundgesetz in dem Sinne zu präzisieren, dass bewaffnete Streitkräfte außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung nur eingesetzt werden dürfen zur internationalen Friedenssicherung, Gewaltverhütung und internationalen Rechtsdurchsetzung im Dienste kollektiver Sicherheit und im Rahmen des Völkerrechts.


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Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

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Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

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