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Zur Mandatsverlängerung der deutschen Beteiligung an Operation „Enduring Freedom“: Umfassende Terrorismusbekämpfung statt „Krieg gegen den Terror“

Veröffentlicht von: Webmaster am 6. November 2005 19:08:06 +01:00 (33516 Aufrufe)
Vor 6 Wochen beschloss der Bundestag der 15. Legislaturperiode die Verlängerung und Ausweitung der deutschen Beteiligung an der International Security Assistance Force/ISAF in Afghanistan um weitere 12 Monate. Am 8. November soll der neu gewählte Bundestag als ersten inhaltlichen Tagesordnungspunkt der neuen Legislaturperiode über die Verlängerung der deutschen Beteiligung an der Operation „Enduring Freedom“/OEF beschließen.

Vor 4 Jahren ging die Bundestagsentscheidung zur deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom (OEF) mit einer extremen Belastung für die rot-grüne Koalition und die Grünen einher. Die damaligen Befürchtungen, die Bundesrepublik gerate dadurch in ein Kriegsabenteuer und einen „Krieg gegen Afghanistan“, bewahrheiteten sich nicht. Die inzwischen 4. Verlängerung des OEF-Mandats kann deshalb aber keine Routine sein. Den dabei eingesetzten Soldaten, der Öffentlichkeit und den SteuerzahlerInnen ist Rechenschaft darüber abzulegen,

  • warum die Beteiligung an OEF auch im fünften Jahr notwendig und unverzichtbar ist, - was das für die Bekämpfung von transnationalem Terrorismus leistet,
  • wieweit die damit einhergehenden Risiken verantwortbar sind und
  • wie lange der Einsatz noch laufen soll.

 

Zusammenfassung

Die fortgesetzte Beteiligung der Bundeswehr an OEF ist notwendig, weil

  • angesichts fortdauernder Bedrohung durch transnationalen Terrorismus im Rahmen der primär politischen Gesamtstrategie auf militärische (Zwangs-) Maßnahmen noch nicht verzichtet werden kann,
  • OEF unverzichtbar ist als militärische Rückendeckung von Friedenskonsolidierung und Wiederaufbau in Afghanistan, das nicht wieder zu dem sicheren Hafen des transnationalen Terrorismus werden darf – kein ISAF ohne OEF, die militärische Seeraumüberwachung ist notwendig, um die Bewegungsfreiheit terroristischer Kräfte zu behindern und das Entstehen neuer terroristischer Rückzugsräume zu verhindern.

    Die weitere Beteiligung der Bundeswehr an OEF ist in dem bisherigen, quantitativ und qualitativ zurückhaltenden Maße verantwortbar. Die Bundesrepublik leistet somit ein notwendiges Minimum zur militärischen Bekämpfung des Terrorismus, ohne sich die US-Vorstellung des „Krieges gegen den Terrorismus“ zu Eigen zu machen. Die deutsche Unterstützung der multinationalen Terrorismusbekämpfung entspricht vielmehr dem umfassenden Ansatz, wie er in höchstrangigen Berichten der Vereinten Nationen gefordert wird. Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass Bundeswehrsoldaten nicht in Einsätze geschickt werden, wo sie Menschenrechtsverletzungen durch Verbündete Vorschub leisten würden.

     


     

    Der Antrag der Bundesregierung

    Bewaffnete deutsche Streitkräfte (bis zu 2.800 Soldaten) sollen weitere 12 Monate „bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA“ eingesetzt werden. Für OEF werden gemäß früheren Beschlüssen des Bundestages bereitgestellt bis zu 1.500 Marinekräfte (Seeraumüberwachung), bis zu 100 Spezialkräfte (Kommando Spezialkräfte/KSK), 500 Lufttransportkräfte, 250 Sanitätskräfte, 450 Unterstützungskräfte (Logistik etc.).
    Als rechtliche Grundlagen werden genannt Artikel 51 der VN-Charta (Recht auf nationale und kollektive Selbstverteidigung), Artikel 5 des NATO-Vertrages (Bündnisfall) sowie die jährlichen vom Bundestag gebilligten Beschlüsse der Bundesregierung seit dem 14. November 2001. Hauptbegründungen sind (a) die wiederholten Aufrufe des VN-Sicherheitsrates zur umfassenden Bekämpfung des internationalen Terrorismus und (b) die, wie mit den jüngsten Anschlägen von London und Bali deutlich geworden, „unverändert gegebenen terroristischen Bedrohung“. Die Bundesregierung betont den Gesamtansatz einer Terrorismusbekämpfung, die in erster Linie mit politischen, entwicklungspolitischen und polizeilichen Mitteln geführt werden müsse und zu dem OEF und die NATO-Seeraumüberwachung „ACTIVE ENDEAVOUR“ im Mittelmeer ein angemessener militärischer Beitrag seien. In Afghanistan verfolge die internationale Gemeinschaft einen integrierten und krisenpräventiven Ansatz mit zivilen und militärischen Mitteln. Angesichts im Süden und Osten operierender terroristischer Gruppen sei aktive Terrorismusbekämpfung durch OEF weiterhin notwendig. OEF und ISAF sollen weiter getrennte Missionen bleiben. Die Seeraumüberwachung am Horn von Afrika verwehre Terroristen den Zugang zu Rückzugsgebieten und schneide potenzielle Transportwege ab.

    Bedrohungen durch transnationalen Terrorismus

    Seit den Terrorangriffen vom 11. September 2001 waren die Grünen in Regierungsverantwortung erstmalig mit einer umfassenden und akuten Gewaltbedrohung konfrontiert, die auch die eigene Gesellschaft betrifft. Die staatliche Grundverantwortung für den Schutz der eigenen Bevölkerung, der internationalen Sicherheit und der offenen Gesellschaft war und ist seitdem gefordert wie seit Jahrzehnten nicht. Aus dieser Grundverantwortung sind Grüne mit Eintritt in die Opposition nicht entlassen.
    Der Bericht „Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung“ der vom VN-Generalsekretär eingesetzten „Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel“ zur VN-Reform vom Dezember 2004 definiert Terrorismus als „jede Haltung (…), die den Tod oder eine schwere Körperverletzung von Zivilpersonen oder Nichtkombattanten herbeiführen soll, wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände darauf anzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“. (S.55) In seinem Bericht „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“ vom 21. März 2005 konstatiert der VN-Generalsekretär: „Der Terrorismus bedroht alles, wofür die VN stehen: die Achtung er Menschenrechte, die Herrschaft des Rechts, den Schutz der Zivilpersonen, die Toleranz zwischen Völkern und Nationen und die friedliche Beilegung von Konflikten. Er hat sich in den letzten fünf Jahren zu einer immer akuteren Gefahr entwickelt. Grenzüberschreitende Netzwerke terroristischer Gruppen verfügen mittlerweile über globale Reichweite, machen gemeinsame Sache und stellen so eine universale Bedrohung dar. Diese Gruppen machen aus ihrem Wunsch kein Hehl, nukleare, biologische und chemische Waffen zu erwerben und hohe Opferzahlen zu verursachen. Selbst ein einziger derartiger Anschlag und die dadurch möglicherweise ausgelöste Kettenreaktion könnte unsere Welt für immer verändern.“ (S.29) Laut Hochrangiger Gruppe gedeiht Terrorismus „in einem Umfeld von Verzweiflung, Demütigung, Armut, politischer Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen; er gedeiht außerdem im Kontext regionaler Konflikten, ausländischer Besetzung und er profitiert von der Schwäche der staatlichen Kapazität zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. (…) Die Angriffe in den vergangenen fünf Jahren gegen mehr als 10 Mitgliedsstatten auf vier Kontinenten haben gezeigt, dass Al Qaida und die mit ihr verbundenen Gruppierungen eine weltweite Bedrohung für alle Mitglieder der VN und für die VN selbst darstellen. In öffentlichen Erklärungen hat die Al-Qaida die VN speziell als ein wesentliches Hindernis für ihre Ziele erwähnt und sie als einen ihrer Feinde definiert.“ (S.50)
    Seit dem 11. September haben sich der transnationale islamistische Terrorismus und die Rolle von Al-Qaida dabei erheblich verändert. In Afghanistan ging eine über viele Jahre aufgebaute, beispiellose Terrorismus-Infrastruktur verloren, wo völlig abgeschottet geplant und organisiert, wo Zehntausende ausgebildet werden konnten. Ein großer Teil der erfahrenen Kader und Kämpfer kamen um bzw. wurden gefasst. In der Dreifachbedeutung von Al-Qaida (Vorhut, Basis, Lehre/Maxime/Weltsicht) verschoben sich die Gewichte: Nach der Zerstreuung der Vorhut und Zerstörung der Basis breitete sich Al-Qaida als Weltsicht aus, Inspiration für eine wachsende Bewegung autonom agierender Dschihadisten. (vgl. Jason Burke: Al-Qaida. Wurzeln, Geschichte, Organisation, Düsseldorf/Zürich 2004; Berndt Georg Thamm: Al-Qaida. Das Netzwerk des Terrors, München 2005) Mit dem Irak-Krieg und den Demütigungsbotschaften von Abu Ghraib, Guantanamo etc. stürzte die Glaubwürdigkeit der US-Politik und des Westens überhaupt auf einen historischen Tiefpunkt. Der Irak-Krieg wirkte auf den transnationalen islamistischen Terrors als regelrechter Brandbeschleuniger. Der Terrorkrieg im Irak ist längst zu einem Hauptanziehungspunkt, Erfahrungs- und Trainingsfeld für Terroristen geworden. Die globale Bilanz der Bekämpfung des transnationalen Terrorismus ist ernüchternd, teilweise deprimierend: Wo an der einen Stelle Terrorismus eingedämmt werden konnte, wurde er an anderen Stellen angeheizt.
    Bisher blieb das Territorium der Bundesrepublik von einem Terroranschlag verschont. Nicht zuletzt wegen ihrer Nichtbeteiligung am Irak-Krieg steht die Bundesrepublik wohl nicht in der ersten Reihe islamistischer Terrorziele. Daraus den Schluss zu ziehen, man könne durch „Raushalten“ aus der Terrorbekämpfung das Anschlagsrisiko für die eigene Bevölkerung minimieren, ist so illusionär wie verantwortungslos. Immerhin fungierte auch die Bundesrepublik als wichtiger Ruhe- und Vorbereitungsraum für transnationale Terroristen. In der globalisierten und interdependenten Welt hängen nationale und kollektive Sicherheit mehr denn je zusammen.

    Gesamtstrategie

    Der Bericht des VN-Generalsekretärs fordert eine Strategie zur Verhütung von „katastrophalem Terrorismus“, die umfassend angelegt sein muss und sich auf fünf Säulen stützen soll: „Sie muss darauf gerichtet sein, Menschen davon abzubringen, dass sie sich dem Terrorismus zuwenden oder ihn unterstützen, sie muss Terroristen den Zugang zu Geldern und Sachmitteln verwehren, sie muss Staaten von der Förderung des Terrorismus abschrecken, sie muss die Kapazitäten der Staaten zur Terrorismusbekämpfung erhöhen und sie muss die Menschenrechte verteidigen.“ (S.29) Mit anderen Worten: Die Bekämpfung des transnationalen Terrorismus ist primär eine politische Aufgabe. Direkte Täterverfolgung, Gefahrenabwehr, politische Isolierung und längerfristige Ursachenbekämpfung gehören untrennbar zusammen. Eine Schlüsselrolle hat dabei die Eindämmung und Lösung von Regionalkonflikten, die oft Resonanz- und Nährböden für Terrorismus sind, sowie das State-Building in schwachen/zerfallenen Staaten, die oft Rückzugsräume für Terrorismus sind. Erforderlich ist das ganze Spektrum an diplomatischen, polizeilichen, geheimdienstlichen, finanz-, rüstungskontroll-, entwicklungs- und kulturpolitischen etc. Maßnahmen. Diese können nur wirken, wenn sie von einer globalen Koalition der Staatengemeinschaft gegen den Terrorismus mit getragen werden.
    Die Erfahrung zeigt: Die Bekämpfung von Terrorismus braucht langen Atem und hat strategisch nur Aussicht auf Erfolg als Kampf um Herzen und Hirne. Das Hydra-Problem des transnationalen Terrorismus lässt sich nicht militärisch lösen, im Gegenteil. Angesichts des Militarisierungsgrades, der Operationsfähigkeit und Mobilität eines Teils der Terroristen kann er aber auch nicht ohne Militär eingedämmt werden. Afghanistan ist dafür ein besonders eindringliches Beispiel.
    Die Hochrangige Gruppe äußert besondere Besorgnis, „dass der gegenwärtige Krieg gegen den Terrorismus in manchen Fällen genau die Werte untergraben habe, die von den Terroristen ins Visier genommen werden: die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit.“ (S.51) In der Tat: Der Grundsatz „Do-No-Harm“ müsste nach allen Erfahrungen mit „Terrorismusförderung durch verfehlte Terrorismusbekämpfung“ das erste Gebot wirksamer Terrorismusbekämpfung sein.

    Völkerrechtliche Grundlagen

    Seit dem 11. September hat der VN-Sicherheitsrat in insgesamt 22 Resolutionen betont: Jede terroristische Handlung stelle eine Bedrohung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens dar. Alle Mitgliedsstaaten seien dazu verpflichtet, „alle Arten und Erscheinungsformen des Terrorismus mit allen Mitteln zu bekämpfen“. (zuletzt SR-Res.1624 vom 14.9.2005) Angefangen mit der Resolution 1368 vom 12.9. 2001 bestätigte der Sicherheitsrat den Grundsatz der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung. Hierauf bezieht sich auch die Feststellung des NATO-Bündnisfalles. Seit der Sicherheitsratssitzung vom 20.1. 2003 wird dabei ausdrücklich die Bindung der Terrorismusbekämpfung an die Charta der VN betont. Die Staaten müssen sicherstellen, „dass alle Maßnahmen, die sie zur Bekämpfung des Terrorismus ergreifen, mit allen ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht in Einklang stehen, (…) insbesondere den internationalen Menschenrechtsnormen, dem Flüchtlingsvölkerrecht und dem humanitären Völkerrecht.“ (Res. 1624)
    Zusätzlich beschloss der Sicherheitsrat 15 Resolutionen zu Afghanistan. Seit 1998 hatte er schon mehrfach verurteilt, dass Afghanistan unter den Taliban eine Zuflucht- und Trainingsstätte für internationale Terroristen geworden war.

    Deutsche Beiträge zur Bekämpfung des Terrorismus allgemein

    In ihrem jüngsten „bilanzierenden Gesamtbericht“ (7. Fortschreibung) vom 3.11.2005 gibt die Bundesregierung einen Überblick über die Maßnahmen, die sie im nationalen und internationalen Rahmen von VN, EU, NATO, OSZE und G8 durchgeführt hat. Der EU-Aktionsplan wurde zuletzt am 17.12.2004 aktualisiert. Er umfasst polizeiliche, justiz- und innenpolitische, außen-, verkehrs- und finanzpolitischen Vorhaben und Maßnahmen z.B. zur Verbesserung der Flugsicherheit und zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Der Schwerpunkt der OSZE liegt bei der Prävention, der Förderung rechtsstaatlicher und demokratischer Institutionen und politischer, ethnischer und religiöser Toleranz
    Die Bundesregierung ergriff politische, wirtschaftliche, polizeiliche, nachrichtendienstliche, humanitäre, entwicklungspolitische, kulturpolitische und militärische Maßnahmen. Sie reichten von Kontensperrungen, dem verstärkten Schutz amerikanischer, britischer, israelischer und jüdischer Einrichtungen bis zu einem Sonderprogramm „Europäisch-Islamischer Kulturdialog“ im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.
    Im Rahmen der multilateralen Export- und Rüstungskontrolle sowie Abrüstungszusammenarbeit engagiert sich die Bundesrepublik gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und den Zugang nicht-staatlicher Akteuren auf sie. Hierzu gehört das wenig bekannte, aber besonders bedeutsame G-8-Programm zur Entsorgung und Vernichtung nuklearer und chemischer Altlasten (Atom-U-Boote, Chemiewaffen) des Kalten Krieges in Russland. Die Bundesrepublik leistet hierzu vorbildliche Beiträge.
    Strategisch herausragende Schwerpunkte deutscher Beiträge zur internationalen Terrorismusbekämpfung sind die Unterstützung von Stabilisierung und State-Building in Afghanistan (Initiativrolle beim politischen Prozess, größtes ISAF-Kontingent, Leadrolle beim Polizeiaufbau, Förderung von Zivilgesellschaft und Frauen etc.) und die Nichtbeteiligung am Irak-Krieg der USA. (vgl. Information zur 4. ISAF-Verlängerung vom 26.9.2005, www.nachtwei.de)

    Deutsche Beiträge zur Operation Enduring Freedom

    An der US-geführten Operation Enduring Freedom/OEF sind z.Zt. 82 Nationen beteiligt. Von ihnen sind 53 im OEF-Hauptquartier vertreten. Bundeswehrkräfte sollen mit verschiedenen Fähigkeiten zur militärischen Eindämmung und Bekämpfung des transnationalen Terrorismus, von Al-Qaida und Unterstützern durch OEF beitragen. Einsatzraum ist die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete. Auch wenn deutsche Soldaten einem US-Kommando zugeordnet sind, bleibt die nationale Kontrolle und Einflussmöglichkeit auf ihren Einsatz durchgängig und uneingeschränkt gewährleistet. Sie werden vom Verteidigungsministerium jeweils – ggf. mit Auflagen - „freigegeben“.
    Laut Bundestagsbeschluss konnten anfänglich bis zu 3.900 Soldaten für OEF bereit gestellt werden, davon bis 800 ABC-Soldaten, 1.800 Marine, 100 Spezialkräfte, 250 Sanitätskräfte, 500 Lufttransportkräfte und 450 Unterstützungskräfte (Logistik etc.). Wider manche Befürchtungen machte die Bundesregierung ausgesprochen zurückhaltend Gebrauch von dem Mandat und passte die eingesetzten Kräfte der jeweiligen Lage an. Von 1.700-1.100 Soldaten im Jahr 2002 gingen die eingesetzten Kräfte auf 250-350 in den Jahren 2004 und 2005 (ohne KSK) zurück. 2003 wurde das Bereitstellungskontingent um die ABC-Komponente auf 3.100 reduziert. Im Vorfeld der anstehenden OEF-Entscheidung drängten wir und die Fachpolitiker von FDP und SPD auf eine weitere Absenkung der Obergrenzen: Auch wenn die Unwägbarkeiten von Terrorismusbekämpfung größere Spielräume bei der Bereitstellung von Kräften erfordern, so müssen Obergrenzen doch noch in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Einsatzbedarf stehen. Nach anfänglichem Sträuben kam das Verteidigungsministerium dieser Forderung durch Reduzierung des Marinekontingents um 300 Soldaten zumindest etwas entgegen.
    Ein Marinekontingent ist im Rahmen der multinationalen Task Force 150 am Horn von Afrika eingesetzt, um Absetzbewegungen von Terroristen z.B. Richtung Somalia zu erschweren, um den Seeraum zu überwachen und Terroranschläge gegen zivile Schiffe mit gefährlicher Ladung zu verhindern. Dass die terroristische Bedrohung auf See real ist, zeigte das Jahr 2000, wo innerhalb eines Monats Kamikaze-Schnellboote von Al-Qaida, der tamilischen „Befreiungstiger“ (LTTE) und der palästinensischen Hamas Angriffe gegen ein amerikanisches und israelisches Kriegsschiff sowie auf Personenfähren fuhren. Die Seeraumüberwachung erfolgt durch Abfrage bei Schiffen, Registrierung der regelmäßig verkehrenden Schiffe sowie Geleitschutz und Beschattungen in wenigen Fällen. Im letzten Halbjahr wurden 200 Schiffe von deutschen Einheiten kontrolliert und zwei verdächtige Schiffe eingehend untersucht.
    Bis zu hundert Spezialsoldaten (KSK) der Bundeswehr wurden zeitweilig in Afghanistan im Rahmen von OEF eingesetzt. Während ISAF als Stabilisierungstruppe die Friedenskonsolidierung unterstützen soll, ist OEF für die direkte Terrorismusbekämpfung zuständig. Sie richtet sich gegen die so genannten „Oppositionellen militanten Kräfte“ aus Taliban in drei Südprovinzen und von den paschtunischen Warlords Hekmatyar und Haqqani angeführten Kämpfern im Osten und Südosten. Ihr Rückzugsgebiet in den tribal areas im pakistanischen Grenzgebiet ist nicht beherrschbar und ihr strategischer Vorteil. Ohne die Kampfeinsätze von OEF könnte die – militärisch schwache – ISAF sich nicht lange behaupten und hätte der Stabilisierungsprozess keine Chance. Nur mit Hilfe von OEF könnte ISAF im schlimmsten Fall evakuiert werden. Kurzum: Ohne OEF kein ISAF. Auf einem anderen Blatt steht die militärische Einsatztaktik der amerikanischen OEF-Kräfte, der des Öfteren nachgesagt wird, sie agiere rücksichtslos und kontraproduktiv. Mangels Informationen lässt sich das nicht verifizieren.
    KSK-Soldaten haben besondere Einsatzerfahrung mit der Festnahme mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Ex-Jugoslawien. Sie sind die präziseste Waffengattung der Bundeswehr und auch für Geiselbefreiungen in feindlichem Umfeld ausgebildet. Laut Spiegel sollen die KSK-Soldaten überwiegend zur „Spezialaufklärung“ (Überwachung verdächtiger Personen und Objekte in feindlichem Umfeld) eingesetzt worden sein. Da sie ausdrücklich an Recht und Gesetz, d.h. auch an das humanitäre Völkerrecht gebunden sind, kommen Auslieferungen an die US-Streitkräfte nicht infrage. Diese behandeln bekanntlich gefangene mutmaßliche Terroristen nicht nach den Regeln der Genfer Konvention (Vgl. auch Bericht von Human Rights Watch von März 2004). In Medien und Internet kursierende Vorwürfe, die KSK-Soldaten würden im Rahmen der Drogenbekämpfung gegen Drogenbarone eingesetzt und würden dabei zu „Todesschwadronen“ (Freitag), entsprechen nicht der Wahrheit und sind eine Unterstellung. Bisher werden nur die Obleute des Verteidigungsausschusses regelmäßig über KSK-Einsätze unterrichtet. Ansonsten praktiziert das Ministerium eine Rundum-Geheimhaltung. Diese erschwert nicht nur die parlamentarische Kontrolle, sondern begünstigt auch Gerüchte und Desinformation. Die Geheimhaltung von Spezialeinsätzen auf das zum Schutz von Operationen und Personen notwendige Maß zu beschränken, wäre im Interesse einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle der Parlamentsarmee Bundeswehr, der Öffentlichkeit und nicht zuletzt der eingesetzten Soldaten und ihrer Angehörigen.
    Die Sanitätskräfte (drei Lazarettflugzeuge) standen in 24- und 12-Stundenbereitschaft, wurden aber im letzten Halbjahr nicht für OEF angefordert. 14 Lufttransporte wurden im Wesentlichen für das Marinekontingent in Djibouti geflogen.
    Insgesamt beteiligte sich die Bundesrepublik an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus von Anfang an nicht mit „uneingeschränkter“ (Kanzler Schröder nach dem 11. September), sondern mit eigenständiger Solidarität: primär politisch, unbedingt multilateral, begrenzt auch militärisch, dabei überwiegend stabilisierend (ISAF). Ohne den OEF-Beitrag verharmlosen zu wollen: In der Masse hat der deutsche Beitrag vorbeugend-überwachenden und unterstützenden Charakter. Hinsichtlich Auftrag und Einsatzregeln ist er „polizeinah“ mit militärischen Mitteln. Für die beteiligten Soldaten sind die Einsätze dennoch hoch riskant (KSK) und äußerst strapaziös (Schiffsbesatzungen in extremer Klimazone). Die Bundesrepublik hat immer wieder betont, dass beim Kampf gegen den Terrorismus die „Wahrung der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Standards gewährleistet“ sein muss. (Rot-grüne Koalitionsvereinbarung von 2002, vgl. auch Beschlüsse des Bundestages vom 16.11.2001 und 15.11.2002; Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Für die Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte und Grundfreiheiten in Guantanamo Bay, 24.3.2004, BT-Drs. 15/2756)
    Die deutschen politischen, polizeilichen und militärischen Beiträge zur Bekämpfung des Terrorismus entsprechen der Linie, wie sie durch die Resolutionen des Sicherheitsrates und die Berichte der Hochrangigen Gruppe und des VN-Generalsekretärs gefordert wird. Die Wirksamkeit nationaler Beiträge zur multinationalen Terrorismusbekämpfung zu identifizieren und zu bewerten, ist ausnehmend schwierig. Nichtsdestoweniger wage ich die Feststellung, dass die deutschen Beiträge zu den relativ erfolgreicheren gehören. Dabei blieb deutschen Soldaten bisher die direkte und opferreiche Konfrontation mit terroristischen Kämpfern weitgehend erspart. (In 2005 sollen in Afghanistan 64 US-Soldaten umgekommen sein, im Vorjahr 52; vgl. Kurzbericht der Konrad Adenauer Stiftung zu den Wahlen 4.9.2005) Die Bekämpfung des transnationalen Terrorismus erfordert hohe Kraftanstrengung. Ausdrücklich sieht sich die Bundesrepublik aber nicht in einem „Krieg gegen den Terrorismus“ und beweist das in ihrer politischen Praxis. Dabei ist ein Dilemma nicht zu leugnen: Einerseits besteht die unabdingbare Verpflichtung zur multinationalen und kooperativer Bekämpfung des transnationalen Terrorismus. Auf der anderen Seite ist die Allianz gegen den Terror äußerst heterogen bis widersprüchlich, agieren etliche Allianz“partner“ ohne Rücksicht auf Menschenrechte und zivile „Begleitschäden“, sind solche „Partner“ nur begrenzt beeinflussbar. Die Allianz gegen den Terror ist noch weit entfernt von der „Allianz für Menschenrechte“ (Rau), die sie zugleich sein müsste.

    Zusammenfassung und Konsequenzen

    (a) Die fortgesetzte Beteiligung der Bundeswehr an OEF ist notwendig, weil

    • angesichts fortdauernder Bedrohung durch transnationalen Terrorismus im Rahmen der Gesamtstrategie auf militärische (Zwangs-)Maßnahmen noch nicht verzichtet werden kann,
    • OEF unverzichtbar ist als militärische Rückendeckung von Friedenskonsolidierung und Wiederaufbau in Afghanistan, das nicht wieder zu dem sicheren Hafen des transnationalen Terrorismus werden darf,
    • die militärische Seeraumüberwachung notwendig ist, um die Bewegungsfreiheit terroristischer Kräfte zu behindern und das Entstehen neuer terroristischer Rückzugsräume zu verhindern.

    Die weitere Beteiligung der Bundeswehr an OEF ist in dem bisherigen zurückhaltenden Maße verantwortbar. Die Bundesrepublik leistet somit ein notwendiges Minimum zur militärischen Bekämpfung des Terrorismus, ohne sich die US-Vorstellung des „Krieges gegen den Terrorismus“ zu Eigen zu machen. Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass Bundeswehrsoldaten nicht in Einsätze geschickt werden, wo sie Menschenrechtsverletzungen durch Verbündete Vorschub leisten würden.
    (b) Die Bundesregierung ist aufgerufen,

    • sich weiterhin mit Nachdruck für die Wahrung der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung einzusetzen, insbesondere bei den Verbündeten,
    • zusammen mit dem Bundestag die 10 Empfehlungen des Deutschen Instituts für Menschenrechte an Bundesregierung und Bundestag (Bericht „Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte“, Berlin 2004) positiv aufzunehmen,
    • die bisherige totale Geheimhaltung bei Spezialeinsätzen auf das notwendige Maß zu begrenzen,
    • künftige Bereitstellungsobergrenzen deutlicher am Einsatzbedarf zu orientieren.

    Im fünften Jahr nach dem 11. September ist eine umfassende Bilanzierung und Bewertung der internationalen Terrorismusbekämpfung dringend notwendig. Überfällig ist eine ressortübergreifende Bundestagsdebatte zur sich ständig wandelnden, immer unübersichtlicheren terroristischen Bedrohung und den Möglichkeiten – und Grenzen - einer wirksamen Bekämpfung.
    (c) Wie lange noch? Die Bekämpfung des transnationalen Terrorismus wie auch das externe State- und Nation-Building sind Herausforderungen für die internationale Staatengemeinschaft, die hochkomplex sind, nach aller Erfahrung nicht kurzfristig zu bewältigen sind und eines langen Atems und kohärenter Politik bedürfen. Staatengemeinschaft und internationale Organisationen sind hier in einem Erfahrungs- und Lernprozess, der längst nicht abgeschlossen ist.
    Wenig verantwortlich und nachhaltig ist das Verhalten mancher Verbündeter, die sich an der Startphase eines Stabilisierungseinsatzes beteiligen, dann aber zügig wieder zurückziehen. Die deutschen Beiträge zu multinationalen Kriseneinsätzen zeichnen sich bisher durch besondere Verlässlichkeit aus. Das soll so bleiben, darf aber auch nicht auf potenziell endlose Einsätze hinauslaufen. Dafür sind sie in jeder Hinsicht zu teuer. Deshalb sollten zumindest klare Exit-Kriterien definiert werden.
    (d) Den Ausstieg aus OEF zu fordern, ist grundsätzlich legitim. Allerdings kann das nicht allein aus einzelnen Kritikpunkten abgeleitet werden. Geprüft werden müssen dann auch die Konsequenzen eines solchen Ausstiegs (Insbesondere auf das deutsche und multinationale Afghanistan-Engagement) und mögliche Alternativen einer sinnvollen Terrorismusbekämpfung. Alles andere wäre eine Flucht aus der Verantwortung, zum Schutz der offenen Gesellschaft vor der Bedrohung durch transnationalen Terrorismus nach besten Kräften beizutragen.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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