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Sicherheitspolitik und Bundeswehr + Internationale Politik und Regionen + Rede von Winfried Nachtwei
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Die deutsche Afghanistan-Politik braucht Ehrlichkeit und Konsequenz statt Beschönigungen und Halbherzigkeit

Veröffentlicht von: Webmaster am 18. August 2009 02:20:21 +02:00 (121852 Aufrufe)

Winfried Nachtwei kritisiert in seiner Stellungnahme die Afghanistanpolitik der Bundesregierung wie folgt:

Vor den Wahlen in Afghanistan und Deutschland:

Die deutsche Afghanistan-Politik braucht Ehrlichkeit und Konsequenz statt Beschönigungen und Halbherzigkeit

Winni Nachtwei, MdB (August 2009)

Wenige Tage vor den Wahlen in Afghanistan haben Feuergefechte und Sprengstoffanschläge, die Opfer unter der Zivilbevölkerung, Polizisten, Soldaten und Aufständischen ein Ausmaß wie nie seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 erreicht. Über 90% der Sicherheitsvorfälle geschehen im Süden und Osten. Fast ein Drittel des Landes ist lt. UNAMA von Aufständischenaktivitäten betroffen. Im Norden ist inzwischen die Provinz Kunduz ein Brennpunkt, wo es fast täglich zu Überfällen und Schusswechseln kommt.

Was tut die Bundesregierung in einer Situation, wo die Gewalt in Afghanistan eskaliert, das Land auf der Kippe ist, wo sich auch hierzulande eine Stimmung der Aussichtslosigkeit verbreitet und die Mehrheit der deutschen Bevölkerung einen Abzug befürwortet? Sie duckt sich weg.

Die Wahlen für das Präsidentenamt und die 34 Provinzräte am 20. August sind seit 30 Jahren die ersten unter afghanischer Führung. Schon Ende letzten Jahres hatte die Konferenz der afghanischen Geistlichen eine Erklärung zu den Wahlen aus islamischer Perspektive beschlossen. Darin riefen sie alle politischen Parteien und Gruppen, Entitäten, gesellschaftliche Organisationen und Geistliche im ganzen Land dazu auf, den Registrierungs- und Wahlprozess zu unterstützen. Ausdrücklich forderten sie auch die Frauen zur Teilnahme auf - und die Männer, sie nicht dabei zu behindern, sondern zu ermutigen.

Die Wahlen sind ein Große Kraftanstrengung, Konflikte nicht mit der Waffe, sondern demokratischer, mit mehr Dialog und Mehrheitsentscheidungen auszutragen. Sie sind Test und Bewährungsprobe sondergleichen in einem langwierigen und von der großen Bevölkerungsmehrheit gewünschten Demokratisierungsprozess: für die ca. 17 Mio. registrierten Wahlberechtigten und ihren Willen, auf die Machtverteilung im Land Einfluss zu nehmen; für die 41 Präsidentschaftskandidaten, darunter zwei Frauen, und die über 3.000 BewerberInnen (10% Frauen, 8% in 2005) um die 420 Sitze in den Provinzräten; für die Unabhängige Wahlkommission und die 140.000 Wahlhelfer in 7.000 Wahlzentren; für die afghanischen Sicherheitskräfte und UNAMA und ISAF als Unterstützer.

Die Durchführung der Wahlen wird bedroht und eingeschränkt durch eine Einschüchterungskampagne und Anschläge der Taliban. (In einzelnen Distrikten sollen aber auch zur Wahl Waffenstillstände mit den Taliban geschlossen worden sein.) Der demokratische Verlauf der Wahlen wird beeinträchtigt und in Frage gestellt durch Korruption, zu befürchtende Wahlfälschungen und schon geschehene Deals und Manipulationen.

Verlauf und Ergebnis der Wahlen sind ausschlaggebend für die künftige Legitimität und Glaubwürdigkeit der Zentralregierung und Provinzräte. Ein für afghanische Verhältnisse ruhiger und glaubwürdiger Verlauf könnte konfliktmindernd wirken. Eine offenkundig erschwindelte Präsidentschaft könnte hingegen eine Eskalation der Gewalt fördern und dem internationalen Engagement und Truppeneinsatz die Legitimationsgrundlage entziehen.

(Das Endergebnis soll bis zum 17. September verkündet sein. Zwei Wochen danach würden ggfs. die Stichwahlen zum Präsidenten stattfinden.)

Die neue US-Regierung beurteilt die Lage in Afghanistan ungeschminkt als hochkritisch, die nächsten 12-18 Monate als entscheidend. Um die Abwärtsspirale umzukehren, haben die USA zentrale Schritte eines Strategiewechsels eingeleitet, ihre diplomatischen, militärischen und zivilen Anstrengungen massiv verstärkt: regionale Konfliktlösung, differenzierte Sicht der regierungsfeindlichen Kräfte und Suche nach Verhandlungslösungen, forcierte Aufbauanstrengungen, das zweischneidige Schwert eines massiven Truppenaufwuchses. Einiges deutet darauf hin, dass die USA ernst machen mit dem Anspruch ihrer neueren Militärdoktrin, wonach der Schutz und die Zustimmung der Bevölkerung und nicht die Gegnerbekämpfung der Dreh- und Angelpunkt sein soll. (vgl. die in diesem Sinne sehr eindeutige Tactical Directive des neuen ISAF-Kommandeurs McChrystal vom 6.7.2009) Wieweit das am Boden umgesetzt wird oder doch nur in mehr Gewalt, Krieg und Opfern mündet, lässt sich bisher noch nicht verlässlich beurteilen.

Was tut die Bundesregierung?

Auch wenn Fernsehbilder von Marder-Schützenpanzern und anschwellendes Kriegsgerede es in den letzten Wochen suggerierten - ISAF und Bundeswehr sind im Norden nicht umgeschwenkt zu  einer aggressiven Gegnerbekämpfung, sind in Reaktion auf militärisch organisierte Angriffe nicht in die Eskalationsfalle getappt. (vgl. meine Übersicht) Würde die Bundesregierung tatsächlich einen Kurs der Kriegs-Eskalation fahren, dann müssten und würden wir ihr in Berlin im Bundestag in die Parade fahren.

Die „Großoffensive" im Distrikt Chahar Darrah war im Wesentlichen eine große Durchsuchungsaktion der afghanischen Armee, unterstützt in der zweiten Reihe von ISAF. Dabei kam es zu einzelnen Gefechten. Dass die afghanischen Behörden versuchen, gerade im Umfeld der Wahlen die Kontrolle über einen  Distrikt zurückzugewinnen, in dem sich 200 bis 300 Aufständische festgesetzt und die Bevölkerung wie die Polizei eingeschüchtert hatten, halte ich für nachvollziehbar. Man denke an die krasse jüngste Vergangenheit des Swat-Tals in Nordwestpakistan, wo die Regierung ein solches Festsetzen gegen den Protest der pakistanischen Zivilgesellschaft geduldet hatte.

Deutsche Diplomaten, Soldaten, Entwicklungsexperten und Polizeiberater vor Ort tun insgesamt ihre Arbeit unter hohen Belastungen und z.T. höchsten Risiken mit großem Einsatz, Mut und Besonnenheit. Dafür haben sie Aufmerksamkeit und persönliche Unterstützung verdient, unabhängig davon, wie man sonst zum Afghanistaneinsatz steht. Ich weiß auch um die großen Anstrengungen der MitarbeiterInnen in den zuständigen Referaten der Ministerien und der Durchführungsorganisationen.

Massive politische Fehler verantworten aber die Spitzen der Bundesregierung:

-          Die Bundesregierung informiert die Öffentlichkeit äußerst bruchstückhaft und beschönigend über die Lage in Afghanistan: Wenn Minister Jung bei seiner Bilanzpressekonferenz am 22. Juli allen Ernstes behauptete, in Afghanistan seien 10% der Distrikte instabil, 360 stabil, dann ist das eine Irreführung der Öffentlichkeit. Wenn er leugnet, dass Bundeswehrsoldaten im Raum Kunduz mit einem Guerillakrieg konfrontiert sind und auf taktischer Ebene im Krieg stehen, dann hat er inzwischen auch bei den eigenen Soldaten jede Glaubwürdigkeit verloren. Die verdruckste und beschwichtigende „Informations"politik der Bundesregierung leistet indirekt Afghanistan-Zerrbildern Vorschub, wo unterschiedslos alles nur noch Krieg, Korruption und Niedergang ist und reale Fortschritte und Chancen ignoriert werden. (Da die Bundesregierung eine kontinuierliche und systematische Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Sicherheitslage in Afghanistan verweigert, produziere ich seit zwei Jahren laufend aktualisierte „Materialien zur aktuellen Sicherheitslage Afghanistans + Pakistans".)

-          Die Bundesregierung bleibt im Unterschied zur neuen US-Regierung jede Antwort auf die Schlüsselfragen schuldig, wie die  Abwärtsspirale gestoppt und gewendet werden kann und wie es überhaupt zu dieser Negativentwicklung kommen konnte. Eine unabhängige selbstkritische Zwischenbilanz und Fehleranalyse, wie von uns seit Jahren gefordert und von Kanada, USA, Niederlanden u.a. längst praktiziert, hat die Bundesregierung bis heute nicht vorgelegt.

-          Exemplarisch ist ihre Politik auf dem strategisch Schlüsselsektor Polizeiaufbau: Bei aller qualitativ guter Arbeit der entsandte Beamten wurde diese Aufgabe von Anfang an gnadenlos unterschätzt und unterfinanziert. Auch wenn seit 2008 die Polizeiausbildung an der Basis einen Schub bekam, liegen die Anstrengungen noch weit hinter en Erfordernissen zurück.

-          Im deutschen Hauptverantwortungsbereich im Norden gibt es viele gute und erfolgreiche Aufbau- und Entwicklungsprojekte. Der Provincial Development Funds (PDF) hat mit seinem afghanisch-deutschen Ansatz Vorbildcharakter. Über Sektorziele hinaus fehlen aber mit der afghanischen Seite vereinbarte überprüfbare Zwischenziele für die Gesamtentwicklung der Region, um in absehbarer Zeit greifbare Aufbauerfolge erzielen zu können. (vgl. als Positivbeispiel die Quartalsberichte der kanadischen Regierung) Trotz der Steigerung der deutschen Aufbaugelder in den letzten Jahren ist das Missverhältnis zu den Militärausgaben längst nicht überwunden. Die Mühen mit den wenigen PDF-Millionen sind da exemplarisch. Nachjustieren reicht nicht!

-          Hinsichtlich einer Abzugsperspektive begnügt sich die Bundesregierung mit dem so richtigen wie unverbindlichen Allgemeinplatz, dass Bundeswehr/ISAF abziehen könnten, wenn die Afghanen selbst ihre Sicherheit gewährleisten können. Aber es macht einen himmelweiten Unterschied, ob der Zeithorizont dabei 2-4 Jahre, 10 Jahre oder gar Jahrzehnte ist. Wer das offen lässt, ist auf der Rutschbahn in einen Endloseinsatz, den sowohl die afghanische wie die deutsche, amerikanische, britische Bevölkerung nicht mitmachen werden und wo das Desaster vorprogrammiert ist. Notwendig ist eine militärische Abzugsperspektive (bei ISAF selbst ist die Rede von 2012/13), die auf überprüfbaren, ehrgeizigen und realistischen Zwischenzielen aufbaut und mit einer Mobilisierung der notwendigen  personellen und finanziellen Ressourcen, mit konsequenter Förderung von Staatlichkeit auf allen Ebenen einhergeht.

-          Die großen und vielleicht letzten Chancen, die sich mit der veränderten US-Politik zu Afghanistan, Pakistan und Iran ergeben, werden von der Bundesregierung - und vielen anderen NATO- und EU-Ländern - nur unzureichend wahrgenommen. Die Berufung eines Sonderbeauftragten des Auswärtigen Amtes für Afghanistan + Pakistan war überfällig, reicht aber ganz und gar nicht aus. Um bestmögliches Zusammenwirken und Kohärenz zu erreichen, sind ressortgemeinsame Strukturen in der Bundesregierung (AFG Task Force) unabdingbar.

-          Die Überzeugungskraft der Bundesregierung in Sachen Afghanistan pendelt zwischen schwach bis kontraproduktiv: Auch wenn Afghanistan die bisher größte Herausforderung für bundesdeutsche Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik ist, äußert sich die Kanzlerin so wenig wie möglich dazu, der Außenminister nur bisweilen.      Afghanistan ist erkennbar  n i c h t  Chefsache! Der Verteidigungsminister, seines Zeichens Meister der Worthülsen, ist faktisch der Regierungssprecher zu Afghanistan: Statt das deutsche Afghanistan-Engagement in den Kontext internationaler kollektiver UNO-Sicherheit zu stellen, verkürzt er es notorisch auf eine Frage der nationalen Sicherheit und leistet damit der verbreiteten deutschen Nabelschau auf Afghanistan - und damit einer unterschwelligen Renationalisierung von Sicherheitspolitik - Vorschub. Er preist den Ansatz „vernetzter Sicherheit" (comprehensive approach) regelrecht als Allheilmittel und ignoriert die massiven Umsetzungsdefizite und -probleme. Der Verdacht drängt sich auf, dass die jetzige Bundesregierung zum deutschen Afghanistaneinsatz nur ein wahltaktisches, aber kein ehrliches sicherheits- und friedenspolitisches Verhältnis hat.

-          Wo der Bundesregierung die Zustimmung der Bevölkerung für den Afghanistaneinsatz immer mehr wegrutscht, versucht Minister Jung sich umso mehr mit Symbolpolitik zu profilieren und vor allem konservativere Teile der Gesellschaft für sich zu gewinnen: dauerhaft Öffentliche Gelöbnisse vor dem Reichstag, Tapferkeitsauszeichnungen, Ehrenmal für im Dienst umgekommene Soldaten. Solche Symbolhandlungen sind nicht einfach besondere Anerkennungen für besondere Leistungen. Im Kontext des sicherheitspolitischen Versagens der Bundesregierung dienen sie als Placebos für Soldaten, die verunsichert sind wie kaum jemals zuvor. Zugleich führen diese demonstrativen Hervorhebungen des Militärischen dazu, dass alle anderen Akteure einer umfassenden Sicherheits- und Friedenspolitik, die sowie kaum Beachtung finden, noch mehr in den Schatten gestellt werden.

Eine solche Afghanistanpolitik der Beschönigungen und Selbstzufriedenheit, Halbherzigkeit und des Durchlavierens, des „Weder ganz noch gar nicht" ist ein Führungsversagen, grob fahrlässig, brandgefährlich und politisch feige: Es ist unverantwortlich gegenüber dem Auftrag der Vereinten Nationen der Internationalen Gemeinschaft und den Partnern; gegenüber der übergroßen Mehrheit von afghanischen Frauen und Männern, die endlich Frieden wollen und eine Zukunft für ihre Kinder; gegenüber den vielen Afghanen, die immer noch besonders auf Deutschland setzen, gegenüber den Tausenden Soldaten und Hunderten Aufbauhelfern, Polizisten und Diplomaten aus Deutschland, die in Afghanistan Bewundernswertes leisten.

Die deutsche Afghanistanpolitik braucht eine Wende zu Ehrlichkeit, Konsequenz und Perspektive: (a) Was schon lange notwendig war, muss sofort nach der Bundestagswahl an erster Stelle stehen - eine unabhängige strategische Überprüfung der deutschen Afghanistan-Pakistan-Politik und die Einsetzung einer ressortgemeinsamen Afghanistan-Pakistan-Einheit zur Planung, Leitung und Auswertung unter einem Afghanistan-(Pakistan-)Beauftragten der Bundesregierung mit politischem Gewicht und Gesicht. Der Austausch und die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren der Afghanistanhilfe und der Regional-Wissenschaft sind zu institutionalisieren. Die offizielle „Zivil-Militärische Zusammenarbeit" muss auf den Prüfstand, insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit von Hilfsorganisationen.

(b) In der internationalen „Unterstützergruppe Afghanistan Pakistan", in NATO, ISAF und EU muss sich die Bundesregierung glaubwürdig für die Umsetzung des allseits proklamierten Strategiewandels am Boden einsetzen, wo Respekt vor den Menschen, die Förderung von menschlicher Sicherheit und verlässlicher Staatlichkeit  der Dreh- und Angelpunkt des internationalen Engagements sein sollen. Damit unvereinbar sind die Antiterror-Operationen von OEF und die „black operations" der CIA, die außerhalb des Unterstützungsansatzes von ISAF stehen.

(c) Mit der afghanischen Seite und anderen Partnern sind für alle wesentlichen Aufbaufelder überprüfbare Zwischenziele zu vereinbaren mit der Absicht, zügig und in der Breite zu greifbaren Aufbauerfolgen zu kommen. Hierfür müssen die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Verstärkt werden müssen insbesondere die Ausbildungs- und Beratungshilfen für die afghanische Armee, Polizei und Justiz. Nicht Kleckern, sondern - intelligentes - Klotzen ist angesagt, wenn die Zeit davon läuft.

(d) Korruption und Drogenökonomie sind Erzübel der afghanischen Gesellschaft. Auch wenn der Norden zzt. nur 0,6% zur landesweiten Opiumproduktion beiträgt, kann die Bundesrepublik hier nicht weiter die Verantwortung auf andere abschieben, müssen vor allem die Chancen des momentanen Mohnrückgangs genutzt werden. Die Bundesrepublik muss systematisch und nachdrücklich zur Eindämmung der Drogenökonomie beitragen.

(e) Wo vermehrt Anstrengungen zu Waffenstillständen, politischen Verhandlungslösungen und zur Einbindung von militanten Oppositionellen laufen müssen, sind die entsprechenden Kapazitäten zu schaffen.

(f) Wie in den USA und Kanada hat die Bundesregierung das Parlament und die Öffentlichkeit mindestens in einem Halbjahresturnus an Hand von Benchmarks und Fortschrittsindikatoren über die Sicherheits- und Aufbaulage zu unterrichten.

(g) Auf dieser Grundlage einer wirkungs- und erfolgsorientierten Politik hat die Bundesregierung in Abstimmung mit der afghanischen Seite und den Partnern eine mittelfristige (militärische) Abzugsperspektive für den Zeitraum von wenigen Jahren zu entwickeln. Sie ist die verantwortliche Alternative zu einem Sofortabzug mit seinen vorhersehbar destabilisierenden (Pakistan!) und kriegstreiberischen Konsequenzen.

(h) Im Dezember hat der neue Bundestag erneut über den deutschen ISAF-Einsatz zu entscheiden. Auch nach der mehrheitlichen Nichtzustimmung der Fraktion zu dem ISAF-Mandat 2008 und der mehrheitlichen Zustimmung zu der AWACS-Beteiligung am 2. Juli sind Vorfestlegungen verfrüht. Die Entscheidung der Fraktion wird vor dem Hintergrund der Lage im Herbst, dem Stand des Strategiewandels, der Politik der neuen Bundesregierung und der Diskussion der Partei fallen. Seit längerem fordern wir Grünen, dass künftig Mandate auch die zentralen zivilen und polizeilichen Beiträge festlegen müssen.

Solidarität für menschliche Sicherheit: Unser Grüner Anspruch ist, Solidarität mit den Menschen, mit ihrem Kampf um Menschenrechte und menschliche Sicherheit zu üben. Dabei ist unsere politische Grundpflicht, vor allem der Politik der eigenen Regierung und des Westens auf die Finger zu schauen und zu klopfen - ohne dabei die Angriffe von Taliban und anderer zu beschweigen und damit ungewollt zu relativieren. Wer zu Recht Zivilopfer durch Luftangriffe brandmarkt, darf zu dem exzessiven Terror gegen Zivilpersonen, Polizisten und Schulen nicht schweigen.

Wir Grüne können ohne Selbstüberschätzung beanspruchen, das deutsche und internationale Afghanistan-Engagement über die Jahre so konstruktiv-kritisch begleitet und so offen diskutiert zu haben wie keine andere Partei: Das zeigen die vielfältigen Initiativen der Fraktion, dass zeigen mehrere Grüne Parteitage, zuletzt Göttingen.

Verbessern können wir uns aber noch bei der Unterstützung der afghanischen Zivilgesellschaft und Friedenskräfte. Hier hat wohl die Heinrich Böll Stiftung in Kabul seit Jahren Hervorragendes geleistet. Und im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes entsandte Friedensfachkräfte wirken bei spannenden Projekten des lokalen Peacebuilding mit. Insgesamt aber finden diese zivilgesellschaftlichen Anstrengungen auch in unseren Reihen noch viel zu wenig Beachtung - neben dem Primärinteresse an Krieg, Militär und Bundeswehreinsatz.

Es gibt viele Möglichkeiten, sichtbare und praktische Solidarität mit afghanischen Menschen und Friedenskräften zu üben:

-          über NGO`s und private Hilfsprojekte, die es fast in jeder Region gibt z.B. Freundeskreis Afghanistan, Kinderhilfe Afghanistan (Erös), Krankenhausprojekt von Karla Schefter/Dortmund, Medica Mondiale, Medico International, Welthungerhilfe, Caritas, Projekt Skateistan, Grünhelme (Neudeck) und viele andere.

-          Anlässlich des von der UNO 2001 ausgerufenen Internationalen Friedenstages am 21. September Brücken der Solidarität zu Gruppen der afghanischen Zivilgesellschaft (zusammengeschlossen im Afghan Civil Society Forum und Afghan Civil Society Network of Peace); der Tag wird seit Jahren an vielen Orten Afghanistans von tausenden Menschen begangen; der Aufruf zu einem 24-stündigen weltweiten Waffenstillstand wurde 2008 sogar in Afghanistan weitgehend beachtet! Im Vorjahr schickten Claudia Roth und ich ein Solidaritätsschreiben nach Kabul, das dort auf große Sympathie stieß. Es wäre gut, wenn es dieses Jahr mehr solche Zeichen gäbe.

-          Kontakte und Unterstützung der „National Peace Jirga", die zusammen mit der deutschen „Kooperation für den Frieden" eine Erklärung für die Initiierung von Waffenstillständen in verschiedenen Provinzen, darunter Kunduz, herausgegeben hat.

Weitere Informationen:

Zur Wahl:

-          Afghanistan Independent Human Rights Commission/UNAMA: Joint Monitoring of Political Rights, Presidental and Provincial Council Elections, First Report 25 April - 12 June 2009; Second Report 16 June - 1 August, August 2009 (www.aihrc.org.af)

-          Martine van Bijlert: How to Win an Afghan Election, Afghanistan Anlyst Network Thematic Report 2/2009 (30 S.)

-          Ulrich Ladurner: Wo auch Geister wählen, ZEIT 13.8.2009

-          Britta Petersen: Schuld sind die anderen, Rheinischer Merkur 13.8.2009

-          Christoph Reuter: Wahlen in Absurdistan, STERN 34/2009

-          Thomas Ruttig: Der Sack und der Esel, taz 13.8.2009; Präsident Karzai vor zweiter Amtszeit? Sicherheitsprobleme und Legitimationsdefizite bei den Präsidentschaftswahlen in Afghanistan, swp-aktuell August 2009

-          Ulrike Winkelmann: Entscheidung am Hindukusch, taz 15.8.2009

Zur Sicherheitslage und Aufbau:

-          Winfried Nachtwei: Materialien zur aktuellen Sicherheitslage Afghanistans (+ Pakistans), Kurzfassung, August 2009 (Vollfassung 70 S.); Sicherheitslage Region Nord

-          Ders.: Krieg in Afghanistan - Bundeswehr im Krieg: Führt die Bundeswehr Krieg? August 2009

-          Ders.: Better News statt Bad News aus Afghanistan, Juni 2009

-          Ders.: (Klein-)Krieg bei Kunduz - Weizenrekordernte nebenan, Reisebericht Juni 2009

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch