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Sicherheitspolitik und Bundeswehr + Internationale Politik und Regionen + Rede von Winfried Nachtwei
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Beratung zum neuen Grünen Grundsatzprogramm: Meine Anmerkungen + Vorschläge zu friedens- und sicherheitspolitischen Passagen

Veröffentlicht von: Nachtwei am 21. August 2020 13:36:21 +01:00 (87572 Aufrufe)

Am 26. Juni stellten Annalena Baerbock und Robert Habeck den Entwurf des neuen Grundsatzprogramms 2020 vor. Bis Ende Juli konnten Mitglieder Anmerkungen, Vorschläge, Kritiken an den Bundesvorstand schicken. 1.145 Vorschlagspapiere kamen dort an, eines von mir. Hier meine Anmerkungen zu den friedens- und sicherheitspolitischen Passagen, insbesondere zum Unterkapitel "Globale Sicherheit". Am 28. August will der Bundesvorstand seine Schlussfassung des Grundsatzprogramms als Antrag für die Bundesdelegiertenversammlung Ende November der Öffentlichkeit vorstellen.  

Anmerkungen zu den friedens- und sicherheitspolitischen Passagen im Entwurf des Grundsatzprogramms 2020 von Bündnis 90/Die Grünen

Winni Nachtwei[1], 28.07.2020

I. Entwurf  des Grünen Grundsatzprogramms:

„…zu achten und zu schützen …“ – Veränderung schafft Halt,

vorgestellt am 26.06.2020

https://cms.gruene.de/uploads/documents/202006_B90Gruene_Grundsatzprogramm_Entwurf.pdf

II. Meine Anmerkungen(v.a. zum 9. Kapitel „International zusammenarbeiten“, Unterkapitel „Globale Sicherheit“)

ALLGEMEIN

Der Anspruch eines Grundsatzprogramms scheint mir jetzt erstmalig ernst genommen zu sein:

Der Zeithorizont ist mittelfristig und reicht deutlich über die sonstige Legislaturperioden-Orientierung hinaus.

Das Programm bietet grundsätzliche Orientierung und Leitlinien nach vorne, einen „Kompass mit Übersichtskarten“, keine Wegbeschreibung. Die muss ein Wahlprogramm liefern.

Das Programm richtet sich als Bündnisangebot erkennbar an die Breite der demokratisch-, sozial-, ökologisch- und friedensorientierten Gesellschaft, nicht nur an die engere eigene Klientel. (2002 ging es im außenpolitischen Teil vorrangig um Selbstverständigung nach Umbrüchen). Die Sprache ist offen, nicht besserwisserisch oder im  üblicher Polit-Sprech. Umfang (57 statt 181 Seiten) und Textform  verbessern die Lesbarkeit und Zugänglichkeit.

Die relativ hohe „Flughöhe“ von Werteorientierung und Leitlinien geht nach dem Vorwort einher mit maximal punktuellen Aussagen zu Problemlagen und  Herausforderungen. Auf die Einordnung wichtiger Staaten (Partner, Konkurrenten, Kontrahenten) und die Benennung grundlegender außen- und sicherheitspolitischer Erfahrungen der letzten 20 Jahre wird ganz verzichtet.

Es ist einerseits wohltuend zukunftsgewandt, nicht überwiegend – wie oft bei Oppositionellen - mit sich auftürmenden Problemgebirgen konfrontiert zu werden.

Andererseits beinhaltet aber die erhebliche Flughöhe des GSP-Entwurfs zugleich das Risiko, über die Wolken zu geraten, Bodenkontakt/Realitätsbezug zu verlieren, mit vagen Aussagen weniger Farbe zu bekennen  und ggfs. in Wunschdenken zu geraten.

Umso positiver empfinde ich, dass die friedens- und sicherheitspolitische Passagen über weite Strecken klar und präzise formuliert sind.

Dass der Programmentwurf am 26. Juni der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war –wenn vielleicht auch nicht bewusst – sehr passend: Es war der 75. Jahrestag der Unterzeichnung der UN-Charta durch die Gründungsmitglieder. ( „Lichtblick in der Menschheitsgeschichte“, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1643 )

INHALTLICH

Die Werte, die uns einen (S. 9-13

(2) Anmerkung: Frieden als einer der fünf Grundwerte: Das ist völlig richtig! Das entspricht auch der VN-Charta, die ein umfassendes Verständnis von Frieden entwickelt: Internationales Gewaltverbot und Kriegsverhütung, friedlicher Interessenausgleich, internationale Zusam-menarbeit, Achtung der Menschenrechte, positiver Frieden. Für das Grundgesetz sind Frieden und Menschenwürde die höchsten Werte. Frieden schließt das Ziel Gewaltfreiheit ein. Das langläufige Verständnis von Gewaltfreiheit als Verhaltensnorm schließt Frieden keineswegs ein.

   Frieden

(45) Anmerkung: „Wo Gewalt friedliche Politik verneint, können Menschenrechte und Gewaltfreiheit in Konflikt geraten. (+ Folgesatz)“. Das klingt mir reichlich verschwiemelt formuliert, geeignet als Vorlage für Grün-Bashing in „extra 3“, und ist obendrein falsch. Das Ziel Gewaltfreiheit schließt für Auftraggeber und Träger des staatlichen Gewaltmonopols  den Schutz vor illegaler Gewalt ein! Prinzipielle Gewaltfreiheit können Individuen und Gruppen vertreten, nicht aber Menschen und Parteien in staatlicher Verantwortung. Auf dieser Ebene heißt Gewaltfreiheit Gewalt- und Krisenverhütung, Deeskalation, Schutz vor illegaler Gewalt, Rechtsdurchsetzung  und Anwendung rechtsstaatlich eingehegter Gewalt nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

(47) Gut, wie Gewaltfreiheit und Frieden mit den wichtigsten Feldern der konstruktiven Friedensförderung  durchbuchstabiert werden.

Anmerkung: Dass in diesem Unterkapitel wie in (313) bis ´(317) außer in der Formulierung „Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg“ keine Rede ist von der Herausforderung Krieg und Kriegsverhütung, ist angesichts von 128 Gewaltkonflikten weltweit (2018, Verdreifachung seit den 2010er Jahren), ihrer Ausweitung und Radikalisierung in der europäischen Nachbarschaft, angesichts wuchernder komplexer und grenzüberschreitender Krisenlandschaften äußerst unverständlich. Vorsicht vor einer semantischen Abschaffung der Realität Krieg! (Unter anderen Vorzeichen geschah das hierzulande zurzeit des Kalten Krieges, als nur noch von V-Fall die Rede war.)

 9. Kapitel  International Zusammenarbeiten

   Frieden und internationale Ordnung

Fundamental wichtig sind die Betonung von Kooperation, Stärke des Rechts und Multilateralismus und die vorrangige Rolle von VN und EU.

(313) Anmerkung: Die „großen politischen Herausforderungen“ werden im gesamten Kapitel nur punktuell angesprochen.

   Europäische Union und Bündnispolitik

Anmerkung: Ausgeblendet bleibt der rapide politische Klimaabsturz in den internationalen Beziehungen: Strategische Rivalitäten, Konfrontationen, wo regelbasierte Ordnung, Völkerecht, Multilateralismus massiv unter Druck stehen, wo mehr große Mächte auf Dialog, friedlichen Interessenausgleich pfeifen, ihre egozentrischen Interessen rücksichtslos durchsetzen und ggfs. auch auf militärische Konfliktlösungen setzen. Eine zunehmende Verwilderung der internationalen Beziehungen.

(331) Anmerkung: Richtig ist, dass bei Blockaden Vorreiter „im Sinne der Stärkung des internationalen Rechts und der internationalen Ordnung“ gebraucht werden. Es liegt auf der Hand, dass damit keine Kavallerie gemeint ist.

…Globale Sicherheit

(336) Anmerkung: Auch grüne MinisterInnen werden Sicherheit nicht nur „von jedem einzelnen Menschen her“, sondern auch ein wenig „von nationalen Grenzen“ her denken. Laut Art. 56 GG schwören Bundesminister in ihrem Amtseid, ihre „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden (…) werden.“

Änderungsvorschlag: Zu den Grundlagen nachhaltiger Sicherheitspolitik (warum nicht Friedens- und Sicherheitspolitik?) gehört zwingend auch die europäische Integration und Beteiligung an Systemen kollektive Sicherheit (Präambel und Art. 24 GG).

(338) Zentrale Teilfähigkeiten der zivilen Krisenprävention sind gut und kompakt benannt.

Änderungsvorschlag: „Wo sich multiple Krisen häufen, kommt es besonders darauf an, bei der Krisenprävention schneller besser zu werden.“

Begründung: Die Betonung von Prävention ist seit Jahren auch in der Regierungsrhetorik angekommen. Dahinter bleibt aber der Ausbau entsprechender Fähigkeiten weit zurück, vor allem angesichts der Schere zwischen schnellen destruktiven Krisenentwicklungen und sehr langsamen konstruktiven Prozessen der Stabilisierung und Friedensförderung.

 

(339) Gut!

(340) Die zivilen „Sonder“fähigkeiten der EU sind gut herausgearbeitet. Offen bleibt aber ihr WOFÜR, dass sie der Krisenverhütung, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung im Kontext fragiler Staatlichkeit dienen sollen. Von dieser strukturellen friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderung ist nirgendwo im Entwurf die Rede.

Ergänzungsvorschlag am Ende: „Die deutschen zivilen Präventionskräfte (oder –fähigkeiten) sind bedarfsorientiert und planmäßig auf der Zeitachse auszubauen.“

Begründung: Seit dem rot-grünen Aktionsplan Zivile Krisenprävention von 2004 versäumten es Bundesregierungen und Koalitionsmehrheiten, die neuen, aber noch „unterernährten“  Fähigkeiten der ZKP orientiert am Bedarf von VN, EU, OSZE  planmäßig auf der Zeitachse auszubauen. Der Beirat ZKP der Bundesregierung forderte bei den letzten Koalitionsverhand-lungen eine Konzeption „Fähigkeiten Krisenverhütung/Friedensförderung (zivil)“.

(347) Anmerkungen: Die Formulierung „militärische Kriegsgewalt“ ist richtig, weil präziser. Zu militärischer Kriegsgewalt kommt es bei Peaceenforcement-Einsätzen wie Beendigung der Sarajevo-Belagerung 1995 oder Kosovo-Luftkrieg 1999, normalerweise nicht bei Stabilisie-rungs- und Peacekeeping-Einsätzen.

Wichtig ist die RtoP-Bekräftigung.

Hinweis: Im Kontext der Schutzverantwortung sind Änderungsanträge zu erwarten. Vor dem Hintergrund der Studie „Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicher-heitspolitik – Ein Szenario bis zum Jahr 2040“ (initiiert von der Evangelischen Landeskirche in Baden) wird als äußerstes Mittel zur Bewältigung von Gewaltkonflikten und zum Schutz vor Gewaltakteuren der Aufbau einer VN- und OSZE-Polizei gefordert („just policing“). Diese sollen Militär – auch in VN-Missionen – generell überflüssig machen und ersetzen.

Eine solche Forderung ignoriert die Realitäten und Erfahrungen aus Konfliktländern, von VN-mandatierten und VN-geführten Kriseneinsätzen, die inzwischen fast alle über eine wachsende Polizeikomponente verfügen.

Eine auf sich gestellte internationale Polizeitruppe wäre schon gegenüber Milizen, die  mit Mörsern, Maschinengewehren, Raketen und Eigenbau-Drohnen bewaffnet sind, völlig ungeschützt, nicht überlebensfähig und erst recht nicht durchsetzungsfähig. Erst recht nicht gegenüber wenigen Panzern, etlichen Artilleriegeschützen und Raketenwerfern, wie sie vor 25 Jahren von serbischen Kräften bei der Besetzung der VN-Schutzzone Srebrenica und der Massakrierung von über 8.000 Männern „erfolgreich“ eingesetzt wurden.

Will man hingegen eine überlebens- und durchsetzungsfähige internationale Polizei für heutige Konfliktregionen, dann würde das zwangsläufig zu einer Militarisierung von Polizei führen, weit über bisherige Gendarmerie-Truppen hinausgehend. Gebrochen werden müsste dafür mit der jüngeren bundesdeutschen Tradition von ausdrücklicher Zivilpolizei.

Ein solcher deutscher Sonderweg (im Szenario 2040 zusammen mit Österreich, Schweden und den Niederlanden) würde von den allermeisten europäischen Nachbarn mit ihrer kollektiven Erinnerung an 1939 ff. mit Sicherheit nicht mitgegangen. Er würde vielmehr als Aufkündigung von Grundsolidarität verstanden und die europäische Integration und die transatlantische Partnerschaft in einem Kernbereich zerstören sowie die VN-Friedens-sicherung schwächen.

(348) Änderungsvorschlag: „Die Bundeswehr ist eine im Grundgesetz und in internationalen Bündnissen verankerte Parlamentsarmee. Daraus erwächst eine Fürsorgepflicht des Parlaments gegenüber aktiven und ehemaligen Soldat*innen und Zivilbeschäftigten sowie die Verpflichtung (…). Der Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr orientieren sich an den realen und strategisch bedeutsamen Herausforderungen für kollektive Sicherheit und Friedenssicherung. (…) Bei internationalen Krisenengagements haben direkte Einsätze im Rahmen der VN Vorrang vor Einsätzen der EU oder der NATO.“

Begründung: Die verfassungsrechtliche Verankerung der Bundeswehr, die Orientierung auf kollektive Sicherheit und strategische Herausforderungen jenseits des Horizonts sind dringend notwendig. Bisher fallen die ehemaligen Soldat*innen bei der Fürsorgepflicht oft unter den Tisch. Das knappe Drittel der zivilen Bundeswehrangehörigen sollte nicht ignoriert werden.

Anmerkung: Die Betonung der „realen Herausforderungen für Sicherheit“ ist richtig als Forderung nach einer nüchternen Risiko- und Bedrohungsanalyse ohne Feindbilder und Dämonisierungen, aber auch ohne Realitätsverweigerung und Wunschdenken. Verkürzt wäre, unter realen Herausforderungen nur die aktuellen zu verstehen. Ein Hauptmerkmal der Risiko- und Bedrohungsentwicklung der letzten Jahre ist ihre Komplexität und ihre dynamische Entwicklung mit viel Unberechenbarkeit dabei. Zu berücksichtigen ist, dass z.B. die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung (Art. 87a GG) als komplexeste Fähigkeitsstufe sich nicht kurzfristig runter- oder hochfahren lässt, sondern in Ausbildung, Übung, Ausrüstung viele Jahre braucht. Einmal abgeschafft wäre Verteidigungsfähigkeit in überschaubarer Zeit nicht rückholbar.

Nachdem Deutschland sich bei VN-geführten Missionen lange sehr zurückgehalten hat, ist jetzt umfassenderes personelles Engagement gefordert. Wer die VN stärken will, muss gerade auch auf dieser Ebene mehr beitragen. Insofern begrüße ich den geforderten Vorrang bei Krisenengagements. Fälle von Bündnisverteidigung müssten aber ggfs. vorgehen.

(349) Änderungsvorschlag (a) nach Satz 1: „Sie sind mit Extremismus jeder Art unvereinbar.“

(b) Letzter Satz: „Die Bundeswehr ist die am stärksten bewaffnete Säule des rechtsstaatlichen Gewaltmonopols. In ihr darf kein Platz für Rechtsextremismus gelassen werden.“

Begründung: Praktizierte Innere Führung ist die beste Abwehrkraft gegen jeden Extremismus.

Beim Schlusssatz ist das historische Argument sekundär. Primär ist die Zukunft des demokratischen Rechtsstaates und die Verlässlichkeit wesentlicher Staatsorgane.

Anmerkung zum 2. Satz, die Bundeswehr müsse die Diversität der Gesellschaft abbilden. Richtig, aus grünem Mund allerdings nur begrenzt glaubwürdig: Denn zur politischen Diversität/Pluralität der Bundeswehr tragen das linksliberale und grüne Spektrum ausgesprochen wenig bei. Vorherrschende Tradition ist – die wenigen FachpolitikerInnen ausgenommen -, die Bundeswehr den Konservativeren bis Rechten zu überlassen und – in nicht wenigen Fällen – althergebrachte Stereotypen zu pflegen..

(350) Anmerkung: Das internationale Gewaltverbot der VN-Charta und ihre Vorgabe, „dass Waffengewalt nur noch in gemeinsamem Interesse angewendet wird“ (Präambel), ist ein historischer Friedensfortschritt, der nicht auf`s Spiel gesetzt werden darf.  Als Grüne 1998/99 NATO-Luftoperationen „zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe“ im Kosovo ohne VN-Mandat zustimmten (hier ist immer die Rede von Sicherheitsrats-Mandaten), war der Zielkonflikt zwischen „Verhinderung eines zweiten Bosnien“ und der Mandatspflichtigkeit dieses Einsatzes, die nicht erfüllt werden konnte, sehr bewusst, und dass dies keinesfalls ein Präzedenzfall werden sollte. Danach war es wesentlich ein Verdienst des grünen Außenministers Joschka Fischer, über den sog. „Fischer-Plan“ Russland wieder ins Boot des Kosovo-Krisenmanagements zu holen und den VN-mandatierten KFOR-Großeinsatz mit NATO und Russland zu ermöglichen. Zwei Jahre später drängte die Bundesregierung im Fall Mazedonien auf ein VN-Mandat, kam damit angesichts der Haltung der mazedonischen Regierung nicht durch, die keine Souveränitätseinschränkung durch ein VN-Mandat und lieber Truppensteller selbst einladen wollte.

Vor diesem Hintergrund halte ich die Formulierung für angemessen differenziert und in der Benennung des möglichen Dilemmas für ehrlich. Solche Dilemmata in der praktischen Politik können nicht alle im Vorhinein und bis zuletzt geregelt werden. Hier sind in der Politik gewissensstarke Entscheidungsträger*innen gefragt.

Änderungsvorschlag anschließend an (350) oder (351 neu):

„Die Erfahrungen mit der Wirksamkeit auch VN-legitimierter Krisen- und Friedensmissionen sind ernüchternd. Im besten Fall können sie Ausbruch von Kriegsgewalt verhindern, Zivilbevölkerung schützen und Voraussetzungen für politische Konfliktlösung schaffen. Dafür bedarf es klarer und erfüllbarer Aufträge, angemessener personeller Ausstattung und Ausrüstung, ausgewogener ziviler und militärischer Fähigkeiten und einer unabhängigen Wirksamkeitskontrolle. Der Schutz von Zivilisten muss gewährleistet werden können.“

Begründung: Ein notorischer Mangel der Debatten um Auslandseinsätze ist (a) ihre Fokussierung nur auf die militärische Dimension und Ausblendung ihres multidimensionalen Charakters, (b) die Dominanz des Rechtfertigungsdiskurses und die Vernachlässigung des Wirksamkeitsdiskurses (so auch im Fall des innergrünen Mandats-Streits) . Dass es in Deutschland nach 25 Jahren Teilnahme an bewaffneten und multidimensionalen Auslandseinsätzen keine unabhängige, systematische und ressortübergreifende Evaluierung gibt, bedeutet eine Verweigerung von Verantwortung sondergleichen – gegenüber dem Auftrag und der Bevölkerung des Einsatzlandes, gegenüber den in Risiken entsandten Einsatzkräften und den Steuerzahlern.

Der Ergänzungsvorschlag stimmt mit dem Tenor der Empfehlungen des Friedensgutachtens 2020 zu Friedensmissionen (S. 46 ff.) überein.

(351) Anmerkung: Mit der Forderung, Europa müsse „seiner Verantwortung für die eigene Sicherheit und Verteidigung gerecht werden“, wird eine sicherheitspolitische Grundtatsache konstatiert, die  mit dem Paradigmenwechsel einer schrittweisen Rückkehr der Bündnisverteidigung offensichtlich wird, unter Grünen und unseren Wähler*innen aber keineswegs Konsens ist. Aus Sicht der Friedensbewegung ist schon jeder Schritt zur Wiederherstellung begrenzter Verteidigungsfähigkeit, auch wenn grundsätzlich in Art. 87a GG verankert,  Aufrüstung und Kalter Krieg, Kriegsvorbereitung.

(353) Änderungsvorschlag: „Die NATO ist auf absehbare Zeit ein unverzichtbarer und  sicherheitspolitischer Renationalisierung entgegenwirkender Bestandteil (…)“

Begründung: Bei der BAG wurde die Anti-Renationalisierungswirkung als allgemeine missverstanden, die NATO sozusagen als Mittel gegen Nationalismus generell. Das ist natürlich Unsinn.

Zur Vertiefung

- Schlüsselfragen und Bausteine zur Friedens- und Sicherheitspolitik (03/2020)

Stellenwert von Friedens- und Sicherheitspolitik, bündnisgrüne Erfahrungsprozesse und Umbrüche,

Ziele grüner Friedens- und Sicherheitspolitik,  Risiken, Bedrohungen, Chancen (Lage),

Krisenprävention und Friedensförderung,  Friedensbewegung/Bewegungen für den Frieden,

VN-Friedenssicherung und Peacekeeping, RtoP/Schutzverantwortung,

Welche Bundeswehr und wofür?

ANHANG: Blick zurück nach vorn:  Bilanz und Lehren bisheriger Auslandseinsätze, Wirkungen, Leistungen und Defizite;  Wunde Punkte Kosovo und Afghanistan



[1] Gründungsmitglied der BAG Frieden & Internationales, Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention der Bundesregierung, Beirat Innere Führung/BMVg, Vorstand Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, „Gegen – Vergessen – Für Demokratie“, AG Gerechter Frieden der Katholischen Kommission Justitia et Pax, MdB 1994-2009


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch