Feierstunde "20 Jahre Lachen Helfen": Meine Festrede
Von: Nachtwei amFr, 09 September 2016 23:45:53 +02:00Die Initiative deutscher Soldaten für Kinder in Krisen- und Kriegsgebieten entstand in den Anfängen des deutschen Balkaneinsatzes. Mehrfach bin ich Lachen Helfen in Krisenregionen begegnet. Der Einladung, bei der Feierstunde die Festrede zu halten, kam ich gern nach. Wenige Tage später fand in Potsdam ein großes Benefizkonzert für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge + traumatisierte Bundeswehrsoldaten mit der Bigband der Bundeswehr statt.
Feierstunde „20 Jahre Lachen Helfen“: Festrede von Winfried Nachtwei
am 2. September 2016 in der Waldkaserne Hilden
„Lachen Helfen“, die Initiative von deutschen Soldaten (ab 2009 auch mit Polizisten) für Kinder in Krisen- und Kriegsgebiete entstand 1996 unter Soldaten des deutschen IFOR-Kontingents in Bosnien & Herzegowina und Kroatien. Seitdem förderte „Lachen Helfen“ über 580 Einzelprojekte mit rund 3 Mio. Euro Spenden. ( www.lachen-helfen.de )Im März 2007 sprach mich der Vorsitzende Roderich Thien in Düsseldorf am Rande einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung an, schilderte mir die Arbeit des Vereins. Ich wurde Mitglied – und gehöre seit etlichen Jahren dem Vorstand von „Lachen Helfen“ an.
Die vielen Gäste der Feierstunde, unter ihnen auch Männer und Frauen der Gründungszeit, begrüßte der Vorsitzende Roderich Thien. Grußworte sprachen die Präsidentin des Landtages NRW, Carina Gödecke, MdL, der Parlamentarische Staatssekretär im BMI, Dr. Günter Krings, MdB, und Generalmajor Jürgen Knappe, Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr. Untermalt wurde die Feierstunde durch das Kammerensemble des Heeresmusikkorps Koblenz. (Ausführlicher Bericht von der Feier mit Fotos und Reden unter http://lachen-helfen.de/2016/09/2016_nachlese_20jahre/ )
Guten Tag, liebe Mitglieder, Unterstützer und Freunde von „Lachen helfen“.
Herzlich danke ich Ihnen, meinen Vorrednern, für Ihre Grußworte. Sie waren Rückenwind „von oben“. Die Begrüßung durch Roderich Thien machte deutlich, wie breit die Unterstützung für „Lachen Helfen“ ist.
Ich freue mich, hier viele Soldaten und Polizisten zu sehen, die ich in Auslandseinsätzen kennen- und hoch schätzen gelernt habe.
Zu Ihnen spreche ich als jemand, der an 70 Mandatsentscheidungen beteiligt war und damit Mitverantwortung für die deutschen Auslandseinsätze trug – und bis heute trägt.
Erste Begegnung
1996, vor 20 Jahren, entstand die Initiative, ja die Bewegung „Lachen Helfen“. Damals, Ende Oktober, besuchten wir mit einer Delegation meiner Fraktion und Partei das kriegszerstörte Bosnien. Mit dabei Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Marieluise Beck. Viele von uns, auch ich, waren sehr skeptisch gegenüber den aufkommenden Auslandseinsätzen. Dann sahen wir die maßlosen Zerstörungen in Mostar, Sarajevo und auf dem Land. Am Hang über Sarajevo kam uns die dreijährige Belagerung der Stadt, von der wir die ganze Zeit über die Medien gewusst hatten, so nah wie nie zuvor: das Abschießen der Einwohner durch die serbischen Belagerer, insgesamt 10.000 Tote. Unausweichlich wurde jetzt die Erkenntnis: Es gibt Situationen, wo zum Schutz vor Massengewalt der Einsatz militärischer Gewalt notwendig, legitim und legal sei kann. Wie bei vielen Abgeordneten des Bundestages wuchs auch bei uns der Wille, dass es ein zweites Bosnien im Einflussbereich europäischer Politik nicht mehr geben darf.
In Trogir begegneten wir den Soldaten des deutschen IFOR-Kontingents unter General Riechmann. Wie überzeugend sie für Kriegsverhütung im UNO-Auftrag eintraten, war für manche unserer KDV`er überraschend. Beim Briefing kam auch eine enorme Hilfsaktion der Soldaten zur Sprache. Beteiligte berichteten mir in den letzten Tagen Genaueres:
Ende 1995 war ein Erkundungskommando des deutschen Kontingents der UN Protection Force (hier stellte die Bundeswehr Teile des Feldlazaretts in Trogir) in der kroatischen Krajina unterwegs. Sie sahen Erschütterndes. Besonders prägte sich ein das Bild eines an einem Fensterkreuz „erhängten“ Teddybär. Die Berichte der Soldaten löste ein Welle der Hilfe aus: In Trogir sammelten die Soldaten ihre Weihnachtspäckchen von Zuhause in einem Container und verteilten die Inhalte an Bedürftige. Angehörige und Kameraden an den Heimatstandorten wurden mobilisiert. Eine tolle Idee fand ein tolles Echo.
Das war die Vorgeschichte von „Lachen Helfen“.
Wiederbegegnungen
Im Dezember 2002 besuchten wir Obleute im Verteidigungsausschuss zusammen mit Minister Peter Struck das deutsche KFOR-Kontingent in Prizren. Berichtet wurde dabei auch über die zivil-militärische Zusammenarbeit der CIMIC-Kompanie und anderer Einheiten: zum Beispiel die Patenschaft einer Kompanie mit einem multiethnischen Kindergarten, die Organisation eines Fußballturniers für Jugendliche. CIMIC sei zum Aushängschild der Bundeswehr geworden, die dadurch auch einen besseren Draht zur Bevölkerung bekommen hätte. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an die Begeisterung der berichtenden Soldaten, für die diese Projekte zugleich ein Feuer der Hoffnung waren.
Mein Eindruck war: Die Soldatinnen und Soldaten nahmen ihren Auftrag von Kriegsverhütung, Stabilisierung, Aufbauabsicherung ernst, begnügten sich aber nicht mit der professionellen Auftragserfüllung. Sondern engagierten sich freiwillig darüber hinaus:
- für die Schwächsten, die Kinder,
- für ihre Zukunft, also vor allem Bildung.
Viele Jahre lag in Afghanistan – neben dem Balkan – der Schwerpunkt des Engagements von „Lachen Helfen“. Bei bisher 18 Besuchen der deutschen Soldaten, Polizisten und Entwicklungshelfer erlebte ich plastisch den enormen Bedarf an Aufbauunterstützung – und nach einer zündenden Begegnung mit Roderich Thien in Düsseldorf („wurde gern Mitglied“ steht in meiner Notizkladde), was „Lachen helfen“ dort alles leistete: zum Beispiel die Ali Chapan High School in Mazar-e Sharif, ein Kindergarten im Police Training Center, Projekte in Badakhshan. Es waren begeisternde Besuche.
Unter den Machern von „Lachen helfen“ begegneten mir auch Polizisten, die mit einer Handvoll deutscher Kollegen in UNO-Missionen in Darfur, Südsudan und anderswo arbeiteten und sogar Hilfe organisierten ohne ein Kontingent im Rücken – zum Beispiel Polizeiobermeister der Bundespolizei Mario Schulz aus Stuttgart, der 2013/14 in Darfur eingesetzt war (vorher in Afghanistan und Kosovo).
Einwände
Zeitweilig gab es aus den Reihen einzelner ziviler Hilfsorganisationen Kritik, Bundeswehrsoldaten würden mit ihrer humanitären Hilfe in fremden Gefilden wildern. Sie sollten sich lieber um ihren Kernauftrag kümmern.
Richtig ist, dass militärische und polizeiliche Kräfte im Auslandseinsatz keine humanitäre Organisationen sind. Aber nichts sprich dagegen und vieles dafür, dass sich Soldaten und Polizisten im Auslandseinsatz über ihren Auftrag hinaus auch humanitär engagieren.
Die Satzung von „Lachen Helfen“ stellt ausdrücklich das Ziel klar, die humanitäre Hilfe bestehender Hilfsorganisationen vor Ort in den Bereichen zu ergänzen, die von ihnen nicht abgedeckt werden. Vorschläge für Hilfsprojekte kommen zum allergrößten Teil von den Soldaten und Polizisten vor Ort. Sie werden vom J9-Projektoffizier im Einsatzführungskommando bzw. zwei sehr erfahren Polizisten auf Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit geprüft. Man will Hilfe zur Selbsthilfe leisten und nicht Projektruinen produzieren. Dazu gehört auch die Abstimmung mit anderen zivilen Hilfsorganisationen, soweit solche vor Ort sind. Die Projektplanung und –durchführung läuft dann – so die durchgängige Beobachtung – unbürokratisch, schnell, sauber. Hauptmann Miller, seit vier Jahren hierfür beim Einsatzführungskommando zuständig: „Es macht Spaß!“
In Afghanistan wurden allein in den Jahren 2010/2011 24 größere Projekte realisiert. Das waren Jahre besonders intensiver Kämpfe auch im Norden, als hierzulande ganz Afghanistan unterschiedslos als Kriegsgebiet wahrgenommen wurde. Die vielen Projekte sind ein Hinweis darauf, dass Krisengebiete meistens „porös“ sind, Flickenteppiche von tatsächlichen Kriegsgebieten und Zonen relativer Sicherheit, wo viel mehr möglich ist, als gemeinhin gedacht wird.
Die Soldaten und Polizisten organisieren ihre Hilfsprojekte,
weil sie gebrauch werden,
weil sie helfen wollen,
weil sie direkte Wirkung erleben.
Für sie ist das keine Alibiveranstaltung, wo das schön „geschminkt“ werden soll, was politisch vielleicht zweifelhaft ist.
Wer an solchen Hilfsprojekten beteiligt war, erfährt aber umso mehr, wie notwendig – und schwierig - eine zivile Aufbauhilfe mit Breiten- und bleibender Wirkung ist.
Voraussetzungen
Dass Abertausende Kinder in Krisen- und Kriegsgebieten handfeste Gründe zum Lachen bekamen, ist vielen Menschen und ihrer hervorragenden Zusammenarbeit zu verdanken:
Den Anpackern in den Einsatzgebieten und Zuhause – unter ihnen besonders viele Reservisten;
den Vorgesetzten, Kommandeuren und Dienststellenleitern, die vieles ermöglichten und erleichterten;
den politischen Schirmherrschaften;
den Spendern;
dem phantastischen Vorsitzenden Roderich Thien, der – ich hab es selbst „zu spüren“ gekriegt – in hervorragender Weise Menschen anspricht, motiviert, organisiert - die Seele des Vereins „Lachen Helfen“.
„Lachen Helfen“ hat mit den vielfältigen Aktivitäten des Spendensammelns hierzulande etwas ganz Seltenes geschafft:
- Es hat den üblichen und dominierenden Bad-news-Mechanismus durchbrochen;
- Gute Arbeiten und Leistungen so bekannt gemacht wie kaum jemand sonst.
Ein Vergleich: Im Rahmen deutscher Entwicklungszusammenarbeit wurden in Nordafghanistan vier Teacher Training Colleges und aktuell ein großes Berufsausbildungszentrum in Takhta Pul bei Mazar aufgebaut – alles Lichter unterm Scheffel.
Perspektiven
Die großen Einsatzgebiete Balkan und Afghanistan treten in der Arbeit von „Lachen Helfen“ zurück. Afghanistan vor allem wegen der verschlechterten Sicherheitslage. Nach vorne treten die vielen kleineren Einsätze, wie Nordirak, Sudan, Mali - vielleicht auch mal Syrien.
Zugleich sind die Anforderungen an humanitäre Hilfe weltweit doppelt gewachsen:
- Laut UN-Angaben ist der Bedarf an humanitärer Hilfe seit 2004 um fast 600% gestiegen;
- Humanitäre Helfer sind in zunehmend mehr Ländern gefährdet.
Gegenüber diesem Gebirge an Herausforderungen könnte man mutlos werden. Umso wichtiger ist der Blick auf die einzelne Schritte und Aktionen, die Lachen helfen, die zugleich auch Mut machen und Zuversicht geben.
Zum Zwanzigjährigen: Allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern von „Lachen Helfen“ meine ganz herzlichen Glückwünsche! „Lachen Helfen“ hat sich um Abertausende Kinder in Krisen- und Kriegsgebieten, aber auch um das Ansehen Deutschlands dort verdient gemacht.
Ich wünsche unserem Verein, dass er unter Bundeswehr- und Polizeiangehörigen noch bekannter wird und dass politisch Verantwortliche die Möglichkeit nutzen, bei Besuchen in Einsatzländer deutscher Soldaten und Polizisten auch Projekte von „Lachen Helfen“ aufzusuchen.
Sehr deutlich habe ich ein Bild vor Augen: Lachende Jungs in Ali Abad südlich Kunduz vor zehn Jahren. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist, ob welche bei den Aufständischen gelandet sind, ob sie noch leben ...
Unsere Politik, wir Politiker tragen MITverantwortung dafür, dass den lachenden Kindern nicht später wieder das Lachen vergeht.
Nachbemerkung:
Nach der Feierstunde sprach ich mit einem Offizier, der ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe arbeitet. In den letzten Wochen hatte ich mehrere solche Begegnungen – darunter der Generalleutnant a.D. und ehemalige Befehlshaber des Einsatzführungskommandos Rainer L. Glatz: Er initiierte in Potsdam ein großes Benefizkonzert mit der Bigband der Bundeswehr für traumatisierte Kriegsflüchtige, insbesondere für unbegleitete Minderjährige, die im Ernst-von-Bergmann-Klinikum behandelt werden, und traumatisierte Bundeswehrsoldaten. Das Konzert am 6. September vor dem Brandenburger Tor fand beste Resonanz. (Bericht folgt)
Die Märkische Allgemeine Zeitung brachte ein Interview mit dem Chefarzt des Klinikums