Interview mit Mitteldeutschem Rundfunk zu der Meldung, der MAD habe seit 2008 in der Bundeswehr rund 200 Rechtsextreme identifiziert
Von: Nachtwei amSa, 28 Oktober 2017 17:44:03 +01:00So die Meldung, die am 23. Oktober schnell ihre medialen Kreise zog. Hier meine Einordnung.
Interview mit Mitteldeutschem Rundfunk (28.10.2017)
zu Rechtsextremisten in der Bundeswehr:
Winfried Nachtwei, MdB a.D.
Am 23. Oktober ging die Meldung durch die Medien – von der Mitteldeutschen Zeitung über WELT und ZEIT bis zur Tagesschau -, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) seit 2008 bis heute rund 200 Rechtsextreme in der Bundeswehr identifiziert habe. (https://www.mz-web.de/politik/vom-mad-enttarnt-zahl-der-neonazis-in-der-bundeswehr-viel-hoeher-als-bisher-bekannt-28632452 )
Hintergrund war die Antwort des Verteidigungsministeriums auf die Schriftliche Frage (nicht „Kleine Anfrage“) der Grünen Bundestagsabgeordneten und innenpolitischen Sprecherin Irene Mihalic, „wie viele Fälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr der Militärische Abschirmdienst in den letzten zehn Jahren aufgeklärt“ habe.
Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Markus Grübel:
„Seit 2008 hat der MAD in rund 200 Fällen die jeweilige Person nach Abschluss der Ermittlungen als Rechtsextremist bewertet.“
Dazu das Interview von Christopher Gaube mit mir, gesendet am 28. Oktober, 08.04 Uhr, im Mitteldeutschen Rundfunk: http://www.mdr.de/nachrichten/vermischtes/audio-interview-nachtwei-rechtsextremismus-bundeswehr-100.html
Ergänzende Informationen
Die erste Antwort des BMVg war korrekt genau auf die Frage geantwortet – und begünstigte zugleich eine irreführend-pauschale Botschaft: „Zahl der Neonazis in der Bundeswehr viel höher als bisher bekannt“. (Mitteldeutsche Zeitung) Am 23.10. lieferten BMVg und MAD ergänzend präzisierende Zahlen, die dann aber nur noch von wenigen Medien berichtet wurden (die TAZ brachte noch am 23.10. unter http://www.taz.de/!5456635/ die präzise und journalistisch vorbildliche Einordnung „Das Spiel mit den Zahlen“):
- In den zehn Jahren seit 2008 hat sich die Zahl der identifizierten Rechtsextremen sehr unterschiedlich entwickelt. 2008 bis 2011 waren es jährlich im Schnitt 40 bestätigte Verdachtsfälle, ab 2012 (Aussetzung der Wehrpflicht, damit Personalreduzierung und geringere Fluktuation) jährlich im Schnitt vier. 18 Soldaten seien deshalb seit 2012 entlassen worden. Der Reservistenverband schloss seit 2010 34 Mitglieder wegen Rechtsextremismus aus seinem Verband aus.
- Zzt. prüft der MAD 391 Verdachtsfälle. Die „Verdachtsfälle“ des MAD sind deutlich weiter gefasst als die sogenannten „Meldepflichtigen Ereignisse“ in der Truppe mit Verdacht auf Extremismus und Verstoß gegen Grundsätze der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung. Der Wehrbeauftragte nannte in seinen Jahresberichten 63 solcher Ereignisse für 2016, 57 für 2015, 63 für 2014, 58 für 2013, 63 für 2011, 82 für 2010, 122 für 2009.
- In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Rechtsextreme Vorkommnisse und Verdachtsfälle in der Bundeswehr im Jahr 2017“ der Fraktion DIE LINKE vom 26.09.2017 (BT-Drucksache 18/13644, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/136/1813644.pdf ) heißt es:
Durch in diesem Jahr eingegangene Hinweise wurde 2017 bis zum 8. September in 286 Verdachtsfällen die Bearbeitung neu aufgenommen.
2017 wurden bisher drei Verdachtspersonen als rechtsextremistisch bestätigt: ein SaZ 04, Mannschaften, NPD-Mitglied, vorzeitig entlassen; Oberleutnant A., Berufsoffizier, gewaltbereiter Rechtsextremist, U-Haft; Mannschaften/Reserveoffizieranwärter, Wehrübender, Aktivist der Identitären Bewegung, Beendigung Wehrübung.
Von 2017 bis zum 8. September abgeschlossenen 176 Verdachtsfällen hätten sich 153 nicht bestätigt.
Die „Meldepflichtigen Ereignisse“ und die MAD-Verdachtsfälle (und davon die bestätigten) sind die einzigen Indikatoren für die Anzahl von Rechtsextremen in der Bundeswehr. Wieweit sich die Teilradikalisierung der deutschen Gesellschaft in den letzten Jahren auch in der Bundeswehr auswirkt, kann bisher nicht verlässlich beantwortet werden. Hierfür wären sozialwissenschaftliche Untersuchungen unabdingbar.
Relationen
Am selben 23. Oktober fand in Berlin zum fünften Mal eine Feierstunde zum „Tag des Peacekeepers“ statt. Auf Einladung der Ministerin der Verteidigung und der Minister des Äußeren und des Innern kamen mehrere Hundert Polizisten, Soldaten und Zivilexperten zusammen, die im zurückliegenden Jahr an internationalen Friedenseinsätzen teilgenommen hatten. Stellvertretend wurden je drei Zivilexperten, Polizisten und Soldaten geehrt. Es war wieder eine stimmungsvolle, würdige Veranstaltung, eine einmalige Versammlung von Einsatz- und Friedenspraktikern. (www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1504 ) Mit ihrem hartnäckigen und mutigen Einsatz für friedliches Zusammenleben, mit ihrer Menschenrechtsorientierung und Internationalität stehen diese Frauen und Männer diametral zu Rechtsextremismus.
In den Medien kein Satz und keine Sendesekunde zu dem Hoffnung machenden Ausnahmeereignis des Peacekeeper-Tages. (In Vorjahren gab es wenigstens einzelne Presseberichte, allerdings nie bei den überregionalen Blättern.)
Mühelos verbreitet sich hingegen in den Medien die vermeintlich skandalträchtige Nachricht von den rund 200 identifizierten Rechtsextremen.
Ich weiß um den Bad-News-Mechanismus in den Medien.
Trotzdem finde ich den strukturellen Primat von Skandalnachrichten und die faktische Nachrichtensperre gegenüber positiven Nachrichten, die ich inzwischen dutzendfach erlebt habe, unsäglich.
Weitere Beiträge zum Thema:
- Interview NDR STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, „Herausforderung Rechtsextremismus“, 20.5.2017, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1473
- „Eine Diskussion so alt wie die Bundeswehr? Rechtsextreme Einstellungen und Vorfälle in und im Umfeld der Bundeswehr“, Dresden (Militärhistorisches Museum der Bundeswehr) 2013, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1465