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Sicherheitspolitik und Bundeswehr
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Auf der Zielgeraden: Besuch bei KFOR im Kosovo

Veröffentlicht von: Webmaster am 18. März 2011 08:01:52 +01:00 (114371 Aufrufe)

An der ehemaligen "Fuchsbrücke" in Prizren: Nichts erinnert mehr daran, dass hier vor Jahren ein militärischer Checkpoint war. W. Nachtwei mit dem albanischen Juristen und Sprachmittler Arben G. Es war der 10. Besuch von W. Nachtwei im Kosovo seit 1999. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage erheblich entspannt. KFOR umfasst in wenigen Wochen nur noch 5.000 Soldaten, ein Zehntel der Anfangsstärke. Ein Ende der militärischen Friedenssicherung ist in Sicht. Hierzu der Reisebericht:

KFOR-Einsatz im Kosovo auf der Zielgerade,

ABER NOCH NICHT AM ZIEL!

Besuch beim 28. deutschen Einsatzkontingent

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (März 2011)

Vom 21. bis 23. Februar 2011 besuchte der Beirat für Fragen der Inneren Führung (den) Kosovo mit den Stationen Pristina und Prizren. Im Mittelpunkt des Besuches stand die Erkundung der Inneren Lage und der Wirklichkeit der Inneren Führung bei einem Bundeswehrkontingent im Einsatz. Die diesbezüglichen Erkundungsergebnisse werden im Beirat ausgewertet und fließen in seine Beratungstätigkeit gegenüber dem Bundesminister der Verteidigung ein.

Für mich war es die zehnte Kosovo-Reise. Der erste Besuch fand im Oktober 1999 statt (2. Kontingent, COMKFOR General Klaus Reinhardt[1]), der heikelste zu Beginn der Märzunruhen 2004, die letzten um die Unabhängigkeit 2007 und 2008.

Mit diesem Bericht konzentriere ich mich auf die sicherheits- und militärpolitische Seite des Einsatzes, den ich zehn Jahre lang als Mitglied des Verteidigungsausschusses mitbeschlossen, mitverantwortet und begleitet hatte. Der Besuch vermittelte Einblicke in die Wirksamkeit des KFOR-Einsatzes über die Jahre sowie den komplexen Prozess von Verantwortungsübergabe und Reduzierung +Rückführung der eigenen Kräfte.

(Zusammenfassung + Bewertung S.5)

Schon auf dem Weg vom militärischen Teil des Flughafens Pristina in  die Hauptstadt sind die Veränderungen augenfällig: Die Straße ist vierspurig ausgebaut und dicht gesäumt von Handelshäusern und Gewerbebetrieben. Die Masse an neuesten Hotels und vor allem Tankstellen übertrifft jeden Bedarf um ein Vielfaches. Es sollen primär Geldwaschanlagen sein. Am Rand von Pristina befinden sich Hochstraßen im Rohbau. Der früher freie Hang unterhalb  von Film City (KFOR-Hauptquartier) ist inzwischen voll bebaut.

Auffällig viel Werbung auf den Hauptstrassen macht die ProCredit Bank. Sie ist die erste und erfolgreichste Bank im Nachkriegs-Kosovo und gehört zur ProCredit Group mit 21 Banken in Übergangs- und Entwicklungsgesellschaften. Ihr Schwerpunkt ist die Förderung von Kleinst-Gewerbetreibenden, von kleinen und mittleren Unternehmen. (Muttergesellschaft in Deutschland, Teilhaber u.a. KfW Entwicklungsbank)

Der Auftrag von KFOR ist unverändert gemäß UN-Sicherheitsratsresolution 1244 von 1999 ein Safe and Secure Enviroment (SASE). Die Rolle von KFOR als „3rd Responder" nach Kosovo Police und der EU Rule of Law Mission in Kosovo EULEX ändert nichts an der völkerrechtlichen Sicherheitsgesamtverantwortung von KFOR. KFOR soll eine Deterrent Presence gewährleisten und mit dem Aufwuchs der von EULEX unterstützten Kosovo Police (KP) die Sicherheitsverantwortung zunehmend an die kosovarische Seite übergeben.

Die inzwischen mehr als 11 Jahre der Peace Support Operation wird als eine „Erfolgsstory" gewertet, die in Deutschland praktisch nicht wahrgenommen werde.

Kosovarische Sicherheitskräfte: Fortgeschritten ist der Aufbau der Kosovo Police (8.500 Polizisten, davon 85% Albaner). Sie wird begleitet, beraten und in Ausnahmefällen aktiv unterstützt von der EULEX und ihren 1.400 internationalen Polizisten (s.u.). Die Kosovo Security Forces (KSF, früher KOS Protection Corps) mit 2.000 Mann (geplant 2.500) plus 800 Reserve ist zuständig für Search + Rescue, Gefahrgut, Brandbekämpfung, Minenräumung. Die KSF erhielt gerade über 900 G-36-Gewehre. Sie versteht sich als künftige Armee des Kosovo.

Die Sicherheitslage gilt insgesamt als ruhig und stabil: Schwere Gewaltkriminalität ist inzwischen auf westeuropäischem Niveau reduziert (Morde von 250 im Jahr 2000 auf ca. 30 in 2009, Entführungen von >100 auf ca. 40). Ethnische Hintergründe spielen nur noch eine geringe Rolle. Auch bei den serbischen Enklaven im Süden ist die Lage ruhig. Völlig ruhig verliefen die Feiern zum 3. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung und auch die Amtseinführung des neuen serbisch-orthodoxen Bischofs Theodosje in Prizren am 26.11.2010, an der mehrere Hundert serbische Gläubige, zwei serbische Minister aus Belgrad sowie Vertreter etlicher religiöser Gemeinschaften teilnahmen.

Im serbisch dominierten Gebiet im Norden werden Verwaltung und Polizei aus Belgrad gesteuert.

- Der militärische Schutz von serbischen Kulturgütern (v.a. Klöster und Kirchen)  konnte in den letzten Jahren erheblich reduziert werden. (Für den Schutz z.B. eines Klosters brauchte es eine Kompanie.) Seit März 2010 konnte die Schutzverantwortung für fünf von neun Objekten an die Kosovo Police übergeben werden. Das Erzengelkloster bei Prizren soll in einigen Monaten übergeben werden.

- Im April 2010 wurde die die Kontrolle der ganzen Grenze zu Albanien komplett an die kosovarischen Behören übergeben. Am 22.1.2011 erfolgte die Übergabe eines ersten Grenzabschnitts zu Mazedonien.

- Allerdings: Es gibt noch ein erhebliches latentes Gewaltpotenzial, das bei bestimmten Anlässen schnell explodieren kann. Am 11.9.2010 kam es in Mitrovica zu gewaltsamen Zusammenstößen nach einem verlorenen Basketball-Weltmeisterschaftsspiel der Serben. Das starke Gewehrfeuer dabei sei eine neue Qualität gewesen. Ein anderes Beispiel: Im November 2010 wurden erhebliche Mengen an Waffen und Munition beschlagnahmt. Die Lage im Norden ist der Dreh- und Angelpunkt für die weitere Entwicklung der Sicherheitslage im Kosovo.

- Allerdings: Wo die Arbeitslosigkeit bei 50% (in Mitrovica bis 80%) liegt, 16% mit weniger als einem Euro pro Tag, 36% mit weniger als zwei Euro auskommen müssen (Armutsgrenze), wo die Hälfte der Bevölkerung jünger als 25 Jahre ist (jüngste Bevölkerung in Europa), da ist die Perspektivlosigkeit das drängendste Problem und der soziale Sprengstoff erheblich.

- Eine solche Gewaltexplosion, wie sie im März 2004 geschah, dürfe es nicht mehr geben. Sie sei auch unwahrscheinlich.

KFOR Lines of Operations sind zzt.:

-          Beitrag zu sicherem Umfeld und Bewegungsfreiheit

-          verstärkte Zusammenarbeit mit den Institutionen im Kosovo

-          proaktive und umfassende Kommunikation

-          Unterstützung bei der Stärkung der KSF-Fähigkeiten.

Mit der Operation Joint Commitment North seit 4. Oktober 2010 sollte die Sicherheitslage im Norden verbessert werden. Mit Checkpoints und gemeinsamen Patrouillen  von KFOR, KP und EULEX sollte die Bewegungsfreiheit von Organisierter Kriminalität behindert werden. Über diese Operation sei EULEX im Norden so sichtbar wie nie zuvor gewesen.

Reduzierung und Umstrukturierung von KFOR: Im Februar 2011 hatte KFOR eine Personalstärke von 7.550 Soldatinnen und Soldaten, davon  ca. 1.300 aus Deutschland (dt. Mandatsobergrenze 2.500), 1.130 Italien, 790 USA, 730 Frankreich. Ein ORF-Bataillon (Operational Readiness Force) wird von Deutschland (470) und Österreich (170) bis Ende 2011 gestellt.

Die Stufe (Gate) 1 des Einsatzprofils „Deterrent Presence" begann am 31.1.2010. Die KFOR-Stärke wurde von 13.000 auf 8.600 abgesenkt, die Zahl der Manöverkompanien um 50% redeuziert. Am 29.10.2010 billigte der NATO-Rat die Stufe 2 der Deterrent Presence: In ihr soll  ab 1.3.2011 der KFOR-Umfang auf 5.500 Soldaten reduziert werden. Mit der Stufe 3 (Einsatzprofil „Minimum Presence") soll sich der KFOR-Auftrag auf Beratung, Ausbildung und Kooperation mit kosovarischen Sicherheitskräften ohne jede exekutive Funktion beschränken. Dem „Senior Military Representative" sollen noch 2.500 Soldaten zugeordnet sein.

Zum Vergleich: 1999 waren es ca. 50.000 Soldaten aus 40 Ländern (auch Neutrale wie Finnland, Schweden, Österreich, Schweiz, auch  russische Fallschirmjäger bis Mai 2002), davon DEU mit bis zu 6.440 Soldaten (Mandatsobergrenze 8.500). 2005 umfasste KFOR 16.180 Soldaten aus 24-NATO- und 11 Nicht-NATO-Staaten, davon 2.530 DEU, 2.380 IT, 2.240 FR, 1.780 USA.

Aufgelöst wurden die Multinational Battlegroups (MNBG, Größenordnung Bataillon) South am 20. Januar (DEU, Österreich, Schweiz, Türkei) und North am 28. Februar 2011, in Stufe 3 auch die letzten MNBG West + East.

An ihre Stelle traten ab 1. März 2011 die Joint Regional Detachments (JRD) South + North sowie West, Central und East mit ihren sechs (South), sieben (West, Central, North) und acht Liaison and Monitoring Teams (LMT). Aufgabe der in Fieldhouses untergebrachten LMT (in Bosnien& Herzegowina seit 2004 als Liaison Observation Teams) ist die eines offen agierenden „Pulsfühlers" in der örtlichen Gesellschaft und zugleich des Verbindungshaltens zu wichtigen Akteuren. Das JRD South soll insgesamt 124 Soldaten umfassen, davon 65 in sechs LMT`s. Lead-Nation der JRD`s sind Italien (W), Türkei (S), USA (E) und Schweden (C). Nord ist noch offen. Diese Kräfte haben keine operativen Fähigkeiten mehr. KFOR verfügt  mit nur noch vier Hubschraubern über eine minimale Luftbeweglichkeit.

Im Krisenfall müssten Reservekräfte herangeführt und vom Headquarter aus geführt werden. (In Stufe 2 16 Einsatzkompanien, davon 4 bei der MNBG West und 12 bei der MNBG East, in Stufe 3 nur noch vier)

Künftige deutsche Rolle bei KFOR: Von den bisher 16 COMKFOR kamen fünf aus Deutschland: 1999 General Reinhardt, 2004 General Kammhuber, 2007 General Kather, 2009 General Bentler, seit 1.10.2010 Generalmajor Erhard Bühler. (Parallel waren immer wieder Spitzenpositionen bei UNMIK bzw. EULEX von Deutschland besetzt, z.B. wiederholt der Chef der Polizeimission.) Deutschland stellt weiter das größte Kontingent und soll in Kosovo weiterhin einen besten Ruf haben. Aus der verbleibenden Basisstruktur der „Ohren und Augen" hat sich Deutschland aber völlig zurückgezogen, ist weder in den LMT`s noch in der JRD-Führung vertreten.

Der deutsche Beitrag reduziert sich auf die Stellung des Feldlazaretts, Anteile am KFOR-Headquarter, eine Einsatzkompanie der dt.-frz. Brigade mit 150 Mann temporär in das französische Camp  NOVO SELO bei Vushtrri im Norden.

Offiziere vor Ort können diesen, offenbar in Berlin so entschiedenen deutschen Teilrückzug nicht nachvollziehen, ja halten ihn für falsch.

Rückbau des Dt. KFOR-Kontingents: Der Flugbetrieb der Bundeswehr wurde am 1.2.2011 eingestellt und alle Hubschrauber (früher bis zu vier CH-53 und acht UH-1D) zurückverlegt. Aufgelöst werden bis August die Feldlager Topliane und Airfield (Logistik). (Hier konnte man in der Vergangenheit erleben, welchen enormen logistischen Aufwand ein großer Auslandseinsatz erfordert.)

Insgesamt 25.000 Artikel, 700 Container und 330 Kraftfahrzeuge (von 596 auf 266) werden zwischen März und Mai „abgesteuert". In der Zeit sollen 276 Dienstposten abgebaut werden. Der Umfang des dt. KFOR-Kontingents sinkt damit von 2.100 im November 2009 (24. Ktgt) über 1.360 im Juni 2010 (26. Ktgt) und 1.200 im Februar 2011 (28. Ktgt) auf 900 im Juni 2011 (29. Ktgt). Das Führungsgrundgebiet 9 (CIMIC) umfasst nur noch einen Major und einen Feldwebel. Man verfügt über keine Kräfte mehr im Raum und konzentriert sich auf die Stadt Prizren.

Parallel zum Truppenabbau sinkt auch die Zahl der lokalen zivilen Arbeitskräfte. Mit 400 überdurchschnittlich verdienenden Arbeitskräften war Bundeswehr in Prizren ein bedeutender Arbeitgeber.

Das EULEX- Hauptquartier ist in einem neuen, großen, geradezu komfortabel erscheinenden Gebäude untergebracht. Ein großer Unterschied zum engen und provisorischen Altbau von UNMIK in der Vergangenheit. EULEX ist mit 1.700 internationalen und 1.200 lokalen Mitarbeitern die bisher größte zivile Mission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Zum Briefing kommt der stv. Missionsleiter Andrew Spark, vormals brit. Botschafter in Kosovo. Der Auftrag von EULEX ist, im Rahmen der UN-Resolution 1244 die kosovarischen Autoritäten auf dem Feld der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere Polizei, Justiz und Zölle, zu unterstützen. Das Missionsbudget beträgt 165 Mio. Euro von Oktober 2010 bis Oktober 2011.

Die Police Component umfasst insgesamt 1.400 Polizisten, davon 81 aus Deutschland. Ihre Aufgabe ist primär Monitoring, Mentoring und Advising, also Unterstützung von local ownership. Aktiv eingreifen kann EULEX Police in Fällen, wo die Autoritäten Gewalt gegen Minderheiten nicht verhindern und wenn Politik Rechtsstaatlichkeit unterminiert. EULEX-Polizisten sind in allen 34 KP-Stationen des Landes sowie den sechs regionalen Hauptquartieren. Head of EULEX-Police ist Polizeidirektor Udo Möller, vormals Leiter der Polizei im Landkreis Höxter/NRW, der über reiche internationale Erfahrung verfügt (u.a. UNMIK Regional Commander, Dep. Head of Mission EU AMIS in Sudan und Adis Abeba).

Die Justice Component umfasst 420 Mitarbeiter, davon 70 im Gefängniswesen, mehr als 50 Richter und ca. 30 Staatsanwälte.

Die Customs Component umfasst 76 internationaler und 39 lokale Mitarbeiter.

Die Rekrutierung von internationalen Mitarbeitern mache Probleme.

Die Zusammenarbeit zwischen EULEX und KFOR am Boden sei gut.

Mit dem Abbau von KFOR wachse die Rolle von EULEX.

(Außerhalb des EULEX-Gebäudes ist mehrfach zu hören, dass KFOR bei der kosovarischen Bevölkerung hoch angesehen sei, EULEX deutlich weniger, erst recht im serbisch dominierten Norden, wo sich EULEX allein bisher nicht sehen lassen konnte.)

Unterschiede zu den Vorjahren sind bei Rundgängen durch das Feldlager Prizren und bei der Führung durch Prizren augenfällig.

Das Feldlager auf dem Gelände einer in Osmanischer Zeit ab 1906 errichteten Kaserne ist von einem typischen Friedensmissionszaun umgeben: dünner Doppelzaun zum Abhalten von unbefugten Eindringlingen, zur Straße Sichtblenden, nichts gegen Angriffe. Das Feldlager  zeigt erste Lücken. Hier standen früher Container oder Gebäude, z.B. die Villa Kunterbunt. Unterwegs begegnen einem viel weniger Soldaten. Betreuungseinrichtungen sind spärlich besucht.

Unterhalb des Stabsgebäudes steht die großzügige neue Versorgungseinrichtung mit Küche und großem Speisesaal. Der ist prädestiniert als künftige Mensa der Uni Prizren, der zweiten staatlichen Universität in Kosovo. In den neun Studiengängen sind inzwischen 3.000 Studierenden eingeschrieben. In den erziehungswissenschaftlichen Studiengängen wird auf albanisch, türkisch und serbokroatisch gelehrt. Gründungsrektor ist Prof. Ronald Mönch, der 1982 bis 2002 Gründungsrektor der Hochschule Bremen war. Am 11. Februar 2011 schlossen die Uni Prizren und die Hochschule Bremen eine Kooperationsvereinbarung. (Als der andere „Leuchtturm" in der Region Prizren wird das „Loyola-Gymnasium" genannt. Das 2005 gegründete private Gymnasium mit Internaten für Mädchen und Jungen wird von dem deutschen Jesuitenpater Walter Happel geleitet und der Asociation Loyola-Gymnasium getragen. Eine Schulpartnerschaft besteht mit dem Thomas-Morus-Gymnasium in Oelde/NRW. www.alg-prizren.com)

Durch das Zentrum und die Altstadt von Prizren führt der vorzügliche und langjährige Sprachmittler A.G..

Am ersten Kreisverkehr nach Prizren steht seit 12.6.2009 (Tag des KFOR-Einmarschs vor zehn Jahren) ein Denkmal für KFOR.

Auf der Südseite des Flüsschen Lumebardhi liegt die Altstadt mit dem früheren Serbenviertel am Hang. Bei jedem früheren Besuch ging es hierher. In den ersten Jahren standen auf der Brücke drei Fuchs-Transportpanzer und ein Kontrollhäuschen. Es war die „Fuchsbrücke". Nachdem die NATO im Frühsommer 1999 die Großvertreibung der Kosovoalbaner gestoppt und rückgängig gemacht hatte, wurde das Serbenviertel im Juni 1999 zum großen Teil von Kosovoalbanern zerstört und niedergebrannt. Einer zweiten Zerstörungswelle fielen im März 2004 u.a. das Erzengelkloster, die serbische „Hohe theologische Klosterschule" am Eingang zum Serbenviertel und die serbisch-orthodoxe St. Georg-Kathedrale (Bischofssitz) zum Opfer. Die zunächst militärisch gesicherten Ruinen von Klosterschule und Kirche wurden inzwischen wieder aufgebaut. Gesichert werden sie seit 2009 von einem KP-Posten in einem Bürocontainer.

Der Observation Point „Auge" oberhalb des Serbenviertels wurde inzwischen eingestellt.

Seit Jahren leben keine Serben mehr in Podkalaja. Es heißt, in den nächsten Monaten wollten zehn Familien zurückkehren. Die Grundstücke sind auch noch alle serbisches Eigentum.

Die Sinan-Pascha-Moschee, der serbisch-orthodoxe Bischofssitz und die katholische  Kirche (ebenfalls Bischofssitz) stehen  jeweils nur wenige Hundert Meter entfernt. Unser Stadtführer betont, dass es in der albanischen Geschichte nie Krieg aus religiösen Gründen gegeben habe. Albaner hätten nie andere beherrscht, sondern seien von anderen beherrscht worden.

In den zwei Stunden unseres Rundgangs fährt einmal ein Bundeswehr-Lkw vorbei. Das ist die einzige sichtbare Militärpräsenz.

Zur selben Zeit

Nach seiner Konstituierung am 21. Februar wählte das neue kosovarische Parlament unter „merkwürdigen Umständen" (Bestechung von und Druck auf Abgeordnete, Einflussnahme des US-Botschafters) einen „zwielichtigen Präsidenten". (SZ 24.2.2011) Dies steht exemplarisch für die magere und sehr ernüchternde Bilanz von 12 Jahren extern gestütztem Statebuilding.[2] Le Monde Diplomatique bringt in ihrer dt. Märzausgabe eine zweiseitige Reportage über die schwerkriminellen Hintergründe u.a. der der Demokratischen Partei des Kosovo (PDK) von Ministerpräsident Thaci.[3]

Das Erinnerungsbuch einer ehemaligen, an PTBS erkrankten Bundeswehrsoldatin  erfährt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und in der FAZ (20., 25.2. und 3.3.) eine massive Kritik: Viele ihrer Kosovo-Einsatzerfahrungen von 1999  seien erfunden. („Mit der Hölle hätte ich leben können", Heyne Verlag)

Zusammenfassung

(a) Kosovo ist von der Fläche her so groß wie eine Provinz im Norden Afghanistans, dabei verkehrsmäßig viel zugänglicher und kulturell näher.

(b) Das Ende des 12-jährigen KFOR-Einsatzes kommt in Sicht. Der Auftrag, nach dem Krieg im Kosovo 1998/1999 für ein sicheres Umfeld zu sorgen, wurde trotz erheblicher, kriegerischer Eskalationsrisiken (Presevotal im Jahr 2000, Nordmazedonien 2001, Unabhängigkeitserklärung 2008) und des massiven Rückschlages vom März 2004 zunehmend erreicht. Die Brücke zu nachhaltiger Sicherheit wird zumindest von Seiten der Sicherheitsstrukturen immer fester.

Die Frauen und Männer, die Soldaten und Offiziere der inzwischen 28 Kontingente können stolz auf den insgesamt erfolgreichen KFOR-Einsatz sein.

(c) Der serbisch dominierte Norden und Mitrovica bleiben eine Risikozone. Die massenhafte Perspektivlosigkeit für junge Menschen in der jüngsten Gesellschaft Europas ist ein enormer sozialer Sprengstoff.

(d) Dass der KFOR-Erfolg in der deutschen Öffentlichkeit praktisch nicht mehr wahrgenommen wird, ist angesichts des medialen bad-news-are-good-news-Mechanismus nicht verwunderlich. Umso dümmer ist allerdings, wenn der KFOR-Einsatz als „Einsatz zweiter Klasse" gilt, wenn es sogar in Bundeswehrkreisen heißt, es  gehe „nur zu KFOR". Als würde sich der „Wert" eines Einsatzes einzig an seiner Intensität, an Belastungen und Opfern festmachen, und nicht vor allem auch an seiner Wirksamkeit beim Auftrag Kriegseindämmung und -verhütung.

(Die Geringschätzung von KFOR geschieht im Umfeld eines Diskurstrends, der total von Afghanistan dominiert wird: Wo pauschal von „Kriegseinsatz" zu reden, als realistisch und ehrlich gilt, wo der Begriff „Stabilisierungseinsatz" pauschal als beschönigend und realitätsverleugnend gilt, wo damit Friedenssicherung im Rahmen des VN-Systems abgewertet und unterhöhlt wird.)

(e) Wo Erfolge und Leistungen bei Stabilisierung und Friedensicherung durch das normale Wahrnehmungsraster von Medien fallen, ist es umso wichtiger, diese „unsichtbaren" Erfolge zu kommunizieren. Das ist die Aufgabe der politischen Auftraggeber, also Regierung und Parlament. In der Vergangenheit wurden solche Chancen regelmäßig nicht wahrgenommen.

(f) Die Fortschritte gerade der letzten Jahre dürfen aber kein Grund sein, leichtsinnig zu werden und einen frozen conflict zurückzulassen. Die Explosionsrisiken sind bekannt. Und Kosovo liegt nicht am Hindukusch, sondern in Europa und tangiert europäische Sicherheit ganz direkt.

Der sich anbahnende Rückzug der langjährigen und hoch angesehenen KFOR-Führungsnation Deutschland aus der ersten Reihe von KFOR erscheint mir voreilig und kurzsichtig und ist - gelinde gesagt - sehr diskussionswürdig. Es stellt sich die Frage, wieweit dieser Teilrückzug in Berlin überhaupt von der Bundesregierung offen gelegt und vom Parlament bzw. Verteidigungsausschuss thematisiert wurde.

(g) Die Fortschritte im Sicherheitsbereich ändern nichts daran, dass die Abschiebung Tausender Roma, Ashkali und Ägypter aus Deutschland in den Kosovo unverantwortlich und zynisch ist. Laut Rücknahmeübereinkommen zwischen den deutschen Innenministern und  der kosovarischen Regierung vom April 2010 sollen in den nächsten Jahren ca. 13.000 Angehörige dieser Minderheiten in den Kosovo abgeschoben werden. Dazu eine UNICEF-Studie: „Kinder aus Familien der Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter (...) haben dort kaum eine Perspektive auf Schulbildung, medizinische Hilfe und gesellschaftliche Integration. Das Wohl der Kinder spielt in den politischen und gesetzlichen Vorgaben auf deutscher und kosovarischer Seite praktisch keine Rolle, obwohl fast die Hälfte der Betroffenen Kinder sind." (Reportage „Gestrandet in einer schrecklichen Heimat" von Enver Robelli, SZ 23.10.2010)

Exemplarische Fotos aus Prizren:

„Fuchsbrücke" 2002 - 2011; Ruine der serbisch-orthodoxen St. Georg-Kathedrale 2005 - voll renoviert 2011

Anhang: Zum Vergleich

Auszüge aus meinen früheren KOS-Reiseberichten

April 2008

(...) Die „Co-ordinated Declaration of Independence" am 17. Februar 2008 verlief in fröhlicher und gelöster Stimmung. Die kosovo-albanische Führung inszenierte das lang ersehnte Ereignis betont zurückhaltend. In Prizren waren bis zu  5.000 Menschen auf der Straße. KFOR hatte bewusst aus den März-Unruhen 2004 gelernt: enge Kooperation mit UNMIK und KPS (Kosovo Police Service); Vorausverlegung in „Foward Assembly Areas", um Einschließungen vorzubeugen, Informationskampagnen und Ankündigung der eigenen Reaktionsweise bei Gewalt (adressiert ausdrücklich an Nichtgewaltbereite); schrittweise Absenkung der Bereitschaftsgrade bis auf 30 Minuten; Reservekräfte. Zusätzlich beruhigend wirkte wohl auch die Temperatur von -15° C.

Anders war die Lageentwicklung im Norden. Dort wurden am 19. Februar die Grenzstation Gate 1 und DOG 31 niedergebrannt, am 21.2. gab es Ausschreitungen (Steinwürfe, brennende Reifen) am Gate 3. Sie hörten auf, als KFOR anrückte.

Am 14. März wurde das Gericht von ehemaligen Justizangestellten in Nord-Mitrovica besetzt. Bei einem Vermittlungsgespräch zwischen UNMIK und dem für Kosovo zuständigen serbischen Minister verweigerte dieser ein Einwirken auf die Besetzer.  UNMIK erfuhr, dass für den 17. März auch die Besetzung der Polizeistation und des Gefängnisses beabsichtigt war. Damit wäre das UN-Mandat für Nord-Kosovo erledigt gewesen. Um dem zuvor zu kommen, wurde das Gericht am Morgen des 17. März geräumt. Nachdem das ohne Widerstand geschafft war, entwickelten sich Ausschreitungen, wie sie das UN-Protektorat Kosovo noch nicht erlebt hatte. Erstmalig wurden tödliche Waffen (Handfeuerwaffen, Splitterhandgranaten) auch gegen KFOR eingesetzt. 47 Personen wurden leicht verletzt (22 KFOR, 25 UNMIK Polizei), 4 schwer (2 UNMIK Polizei, 2 KFOR) schwer verletzt. Ein  ukrainischer UNMIK-Polizist verblutete an 50 Splittern. Obwohl KFOR inzwischen breit auf Crowd + Riot Control (CRC) eingestellt ist - mit solcher Art Gewalt hatte man nicht gerechnet.

Wir sehen ein internes Video der Ausschreitungen, die offenkundig vorbereitet und organisiert waren. Etliche Gewalttäter werden identifiziert: Es sind Angehörige des serbischen Innenministeriums (MUP)!!!

Der 17. März war übrigens der Jahrestag des Beginns der Märzunruhen von 2004, eine Woche vor dem Jahrestag des Beginns des  NATO-Luftkrieges am 24. März 1999.

Ein taktisches Versäumnis war, dass KFOR nicht über die geplante Räumung informiert worden war und unmittelbar nicht genug Fahrzeuge zum Abtransport der 53 serbischen Besetzer bereitstanden.

Im Unterschied zu früheren Gewalteskalationen im Kosovo, wo Einzelereignisse schnell zu einem Flächenbrand führen konnten, kam es dieses Mal nicht zu einem „spill over". Die kosovo-albanische Bevölkerung blieb ruhig. Dazu wird wesentlich die albanische Führung beigetragen haben.

Gewaltfreier Protest gegen die Unabhängigkeit: Von ca. 800 serbischen KPS-Angehörigen sei ca. die Hälfte dem Dienst ferngeblieben. Sie seien vom Belgrad unter Druck gesetzt, ihre Gehaltskonten seien geschlossen  worden. Die albanische Seite sei damit sensibel umgegangen und bemühe sich um die Rückkehr ihrer serbischen Kollegen: Das Fernbleiben werde als Krankheit bewertet und eine Barauszahlung des Solds ermöglicht. Zivilen Ungehorsam gab es auch bei der Justiz, der Eisenbahn und der Regionalverwaltung.

Täglich um 12.44 Uhr kommen Studierende an der Ibar-Brücke in Mitrovica zusammen, um friedlich gegen die Unabhängigkeit zu demonstrieren.

Warnung!

Für den Fall der Festnahme von Gewalttätern, der Wiederherstellung der Zollhoheit an den Grenzübergängen im Norden oder die Ankunft von EULEX-Personal kündigte die serbische Seite erneut Gewalt an. Das gilt als glaubwürdig. Deutsche KFOR-Offiziere betonen überaus deutlich, dass KFOR - schon aus Gründen der Selbstverteidigung - dann Waffen gegen Gewalttäter einsetzen würde. Verkompliziert werde es dadurch, dass bei Ausschreitungen gezielt Frauen und Kinder „nach vorne" geschickt und die internationale Presse dazu eingeladen würde. Man stellt sich ganz offensichtlich auf eine neue „Qualität" von Auseinandersetzungen ein - eingeschlossen das Risiko „hässlicher Bilder".

KFOR steht nach KPS und UNMIK-Police eigentlich in der „3. Reihe". Angesichts der Reduzierung der UNMIK Special-Police-Units komme KFOR künftig schneller in die 1. Reihe.

Juni 2007

25.-28. Juni 2007 Besuch der Obleute des Verteidigungsausschusses in Kosovo und Bosnien-Herzegowina, an dem aber nur je ein Vertreter von SPD, Linksfraktion und Grünen teilnahm.

In Pristina Gespräche mit dem Leiter des Dt. Verbindungsbüros Eugen Wollfahrt, Vertretern des dt. Kontingents bei der UNMIK-Police, dem Kommandeur KFOR Generalleutnant Kather, dem Präsidenten des Kosovo, Dr. Sejduk, dem Parlamentspräsidium, dem Sonderbeauftragten des VN-General-sekretärs Rücker, dem OSZE-Vertreter; in Prizren Gespräche mit dem Kommandeur des 17. Dt. Einsatzkontingents KFOR, Brigadegeneral Bund, und seinem Stab, mit dem Kommandeur der Multinationalen Brigade Süd, dem türkischen Brigadegeneral Tarcin, sowie Einweisung in das Schutzkonzept Novake und Besuch der Heeresflieger (Hubschrauber) in Toplicane.

Angesichts der immer wieder enttäuschten Hoffnungen auf eine politische Lösung/Unabhängigkeit sei das Glaubwürdigkeitskapital der Internationalen Gemeinschaft wie auch der politischen Klasse bei den Kosovoalbanern fast aufgebraucht. Eine Stimmung wachse, dass es „Zeit wird, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen." Die Lage sei ruhig, aber nicht stabil und nicht vorhersehbar. Wenn es nicht bald eine Perspektive gebe, dann sei eine ganz neue Lage zu befürchten. KFOR sei ganz anders als 2004 auf Unruhen vorbereitet: von der Kommunikations- und Dialogstrategie („walk + talk") und interethnische Verständigungs-PR über gemeinsame Patrouillen von KFOR mit serbischen, mazedonischen, albanischen und montenegrinischen Sicherheitskräften bis zur gemeinsamen Führung, Ausstattung, Ausbildung, Luftbeweglichkeit und der Befreiung von nationalen Vorbehalten. In der serbischen Enklave Novake führt uns KFOR einen Schutzeinsatz gegen „anrückende gewaltbereite Demonstranten" vor. Trotzdem: Nicht jede Lage sei beherrschbar. Und eine kosovarische Unabhängigkeitserklärung, die unilateral von einem KFOR-Mitglied unterstützt würde, sei ein Super-GAU. Damit verlören UNMIK und KFOR ihre völkerrechtliche Grundlage und Handlungsmöglichkeit.

Erschwerend kommt hinzu, dass UNMIK personell schwächer wird. In Erwartung des absehbaren Endes von UNMIK bewerben sich erfahrene MitarbeiterInnen auf andere VN-Posten. Die „3. Reihe" rückt nach vorne. Der Kosovo Police Service (KPS) gehört zu den wenigen Erfolgsgeschichten des Statebuilding im Kosovo. Ihre Grenzen sind bei der Organisierten Kriminalität.

Ãœber UNMIK erhalten wir eine beeindruckende 12-seitige Liste mit Minderheitenprojekten der kosovarischen Regierung.

Die nächsten Monate werden besonders heikel und explosiv. Mit Deutschen an der Spitze von UNMIK, KFOR und OSZE sowie der Spezialisierten UNMIK-Einheiten, der Abteilung Organisierte Kriminalität, der Grenzpolizei und des UNMIK-Police-Stabes ist die Bundesrepublik ganz unmittelbar in besonderer Verantwortung.

„Wie verhält sich die Bundesregierung bei einseitiger Unabhängigkeit? Das bewegt hier jeden!"

März 2005 (2004)

Am Flughafen Pristina werden wir von zwei Fahrern des deutschen Verbindungsbüros aufgenommen, mit denen ich zuletzt am 17. März 2004 gefahren war. Anlässlich eines Besuches bei deutschen UN-Polizisten im Kosovo waren wir am Vormittag durch den „Vorzeige"-Polizeidistrikt Lipjan bei Pristina gefahren, sahen skandinavische KFOR-Soldaten frühlingssonnend und entspannt auf ihren gepanzerten Fahrzeugen, hörten über Polizeifunk von der Eskalation der Gewalt in Mitrovica. Während wir aus dem Kosovo ausflogen, explodierte in Lipjan und landesweit die Gewalt gegen die UN-Verwaltung im Kosovo (UNMIK) und die serbische Minderheit. In den Folgetagen erfuhr ich von deutschen Polizisten von der krassen Gewalt im Raum Pristina und Prizren, vom Zusammenbruch des international gestützten Gewaltmonopols und dem Versagen vor allem vieler KFOR-Verbände. (vgl. Bericht „Polizeimissionen auf dem Balkan - Gewaltexplosion im Kosovo", www.nachtwei.de).

Vor diesem Hintergrund war auffällig, wie selektiv und beschönigend in den ersten Wochen in Berlin die Auswertung der März-Unruhen auf dem normalen Bundeswehr- „Dienstweg" war. Es bedurfte des Einsatzes des Generalinspekteurs, des neuen Kommandeurs des Bundeswehrkontingents sowie skandalisierender Medienberichte (Spiegel: „Die Hasen vom Amselfeld"), dass eine rückhaltlose bundeswehrinterne Aufarbeitung zustande kam und dann zügig Konsequenzen gezogen wurden. Für professionelle Besucher der Einsatzkontingente war das ein Sturz aus dem heiteren Himmel der Briefings, wonach die Lage immer herausfordernd, aber unter Kontrolle war.

Vertieft wurde die Aufarbeitung der März-Unruhen inzwischen vom Verteidigungsausschuss. Eine integrierte ressortübergreifende Auswertung, in die die Erfahrungen von Bundeswehr, Polizisten, Diplomaten und Zivilexperten eingegangen wären, war für uns Parlamentarier in Berlin lange Zeit nicht erkennbar. Ansätze dazu gab es beim „Rückkehrertreffen" des ZIF und bei einer Podiumsdiskussion in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

Grundsätzlich stellt sich damit das Problem des internen Berichtswesens in hierarchischen, ressortgeteilten und dann noch multinationalen Organisationen: Hier gibt es offenkundig Beschönigungsmechanismen, die sich aus individuellen und Organisationsinteressen ableiten und strukturell realitätsnahe Lagebilder behindern. Eine öffentliche und politische Diskussion, die personalisierend und gnadenlos immer nur nach „Schuldigen"  sucht (z.B. die „nichtgemeldete Leiche von Prizren"), verstärkt solche Mechanismen und erschwert einen offenen und konstruktiven Umgang mit Defiziten und Fehlern.

Besuch beim Deutschen Kontingent KFOR

Nach dem Briefing im botschaftsähnlichen Deutschen Verbindungsbüro durch den stellvertretenden Leiter Stefan Kruschke übernimmt uns im KFOR-Hauptquartier, dem ehemaligen „Film-City", die Bundeswehr. Mit einem schweizerischen KFOR-Hubschrauber fliegen wir über verschneite Hügel und die Schraffur des kahlen Winterwaldes nach Prizren zum Sektor der Multinationalen Brigade Südwest (MNB SW). Zurzeit wird sie vom deutschen Brigadegeneral Richard Rosmanith geführt. Die deutsch-italienische MNB SW umfasst 7.000 Soldaten aus 11 Nationen. (Die anderen Brigaden sind viel weniger multinational: die MNB NE ist zu 80% französisch, die MNB E zu 100% amerikanisch.)  Zur Brigade gehören fünf Task Forces (DEU Prizren, IT Pec, TÜR Dragas, SPA und ÖST), der deutsche Anteil liegt bei 2.700 Soldaten. Die dt. Task Force ist das einzige Einsatzbataillon der Bundeswehr auf dem Balkan. Der Einsatzraum für ihre vier deutschen und eine türkische Kompanie umfasst 600 qkm.

In Prizren besuchen wir Hot Spots vom März: das Erzengel-Kloster im Tal der Bistrica und das Serbenviertel oberhalb der Altstadt. Der TF-Kommandeur aus Celle, Oberstleutnant Frank Peter Schmitz, und der junge Kompaniechef tragen vorbildlich klar und konzentriert vor. Das Erzengel-Kloster wurde ab 1348 zur Zeit der Schlacht auf dem Amselfeld erbaut und 1455 durch die Türken zerstört. Steine vom Erzengelkloster wurden in der Sinan-Paha-Moschee in Prizren verbaut. Wo zeitweilig bis zu 250 Mönche lebten, waren es bis zum März 2004 noch sieben. Das Kloster wurde damals von einem Zug mit zehn Soldaten gesichert. Technische Sperren gab es nicht. Man bereitete sich darauf vor, das Kloster an UNMIK-Police zu übergeben. Am 17. März gegen 20.00 Uhr wurde der Anmarsch einer gewalttätigen Menge gemeldet und die Mönche daraufhin zum Gefechtsstand evakuiert. Gegen 22.00 Uhr näherten sich ca. 250 Personen. Eine Hauptgruppe band die zehn Soldaten an der Brücke, zwei andere Gruppen kamen von West und Süd. Ihr Hass richtete sich gegen die Mönche. Das Kloster wurde auf den Kopf gestellt und in Brand gesetzt. Vor den schwarzen Fensterhöhlen des Klosters zeigt man uns Fotos von der früheren sakralen Pracht.

Vom Beobachtungspunkt „Auge" am Hang oberhalb des Serbenviertels und der Altstadt blicken wir auf die verschiedenen Orte der März-Unruhen: Der Marktplatz mit Brunnen, wo sich die Demonstranten sammelten; die Ruine des serbisch-orthodoxen Bischofssitzes, wo ca. 1.000 Gewaltbereite auf Warnschüsse mit Beifall reagierten (man wusste, dass die Einsatzregeln Schusswaffengebrauch zum Objektschutz untersagten); das Priesterseminar, wo eine Leiche gefunden, aber nicht nach Berlin gemeldet wurde; die „Fuchsbrücke" als Zufahrt zur Altstadt; das verspiegelte ehemalige UNMIK-Gebäude, einem Brennpunkt der Attacken im März. Bis zum März lebten im zerstörten Serbenviertel noch wenige alte Leute. Seit den Unruhen niemand mehr.

Die Gewaltdemonstrationen am 17. und 18. März überraschten in ihrem Ausmaß, ihrer Intensität und Organisiertheit auch sehr landeserfahrene Sicherheitsexperten vor Ort. Es war, als fänden Kreuzberger Mai-Krawalle bundesweit und zusätzlich mit Handgranaten, Schusswaffen etc. statt.  Die vielen Brennpunkte ließen bei KFOR und UNMIK-Police keine Schwerpunktbildungen mehr zu. Die regionalen Sicherheitskräfte mussten im Wesentlichen selbst mit ihrer regionalen Situation fertig werden. Das aber wurde zusätzlich be- und oftmals verhindert durch  eklatante Führungsmängel (VN-Sonderbeauf-tragter, einzelne KFOR-Kommandeure, unzureichende Abstimmung zwischen KFOR und UNMIK-Police), eine in der Extremsituation überforderte  Multinationalität bei KFOR (Sprachprobleme, nationale Vorbehalte), hemmende und uneinheitliche Einsatzregeln, fehlende Kräfte und Demo-Einsatz-mittel,  insbesondere eine auf Truppenreduzierung und Rückzug orientierte Mentalität bei KFOR. Einzelbeispiele: marschbereite Einsatzkompanien rücken trotz Hilferufen der Polizei nicht aus; Soldaten werden ohne jede Meldung von einem Polizei-Hauptquartier abgezogen und hinterlassen eine offene Flanke.

Die Bilanz der Unruhen ist mit 19 Toten, 800-900 verletzten Zivilisten, 4.500 Vertriebenen, jeweils mehr als 50 Verletzten bei UNMIK-Police, KPS und KFOR schlimm. Zugleich ist angesichts der quantitativen Überlegenheit, Gewalttätigkeit und Bewaffnung der Demonstranten und des großen Anteils junger Leute die Feststellung von militärischer wie polizeilicher Seite nicht abwegig, dass Polizisten und Soldaten vor Ort mit Durchhaltefähigkeit und Besonnenheit das Schlimmste verhindert hätten. (Das vor allem an die Adresse derjenigen, die meinen, mit einem breiten Schusswaffeneinsatz wäre die Lage schneller wieder unter Kontrolle gekommen.)

KFOR und das deutsche Kontingent haben aus dieser realen Niederlage - unabhängig von der öffentlichen und parlamentarischen Debatte - zügig und umfassend Konsequenzen gezogen. Das Bewusstsein bei KFOR habe sich gewandelt: Man habe gelernt, das Undenkbare zu denken.

Kosovoweit sind Schlüsselgebiete/-objekte definiert, die als „red boxes" gegebenenfalls mit der Schusswaffe verteidigt würden. Sie sind umgeben von einer „blauen" Verzögerungszone, in der vor allem UNMIK-Police und Kosovo Police Service (KPS) agieren. Die Reduzierung von KFOR ist gestoppt. Viel mehr Soldaten stehen inzwischen als „Manöverkräfte" zur Verfügung, ggfs. auch Fernmelder, Pioniere und Logistiker (insgesamt mehr als die Hälfte der Brigade). Frühe Vorwarnung, Verzögerung und potentielle Gewalttäter auf Distanz halten, hohe Luftmobilität und Einsatzflexibilität stehen jetzt im Vordergrund. Nationale Vorbehalte (caviats) wurden weitgehend abgebaut. Verstärkungskräften können binnen ein bis zwei Stunden herangeführt werden. Die Soldaten sind jetzt auf „Crowd & Riot Control" (CRC) vorbereitet, die Fähigkeit zur abgestuften - immer verhältnismäßigen - Eskalation wurde auf der Ebene der „nichtletalen" Mittel erheblich verbessert. Den Soldaten steht neben ausreichenden Demo-Schutzausstattungen ein umfassendes Arsenal von Distanz- und Wirkmitteln zur Verfügung: Abdrängstock, Pfefferspray, Reizstoffpatronen und Hartgummigeschosse, CS-Wurfkörper. Hier seien „keine Wünsche offen". Das CRC-Konzept wurde wohl in Abstimmung mit den deutschen Polizeien entwickelt. Die Einsatztaktik bleibt aber von der polizeilichen verschieden. Zum Schutz von Personen und Objekten sollen primär Angreifer auf Distanz gehalten und nicht etwa ergriffen werden.

Ein Knackpunkt für das richtige Verhalten im Einsatz - und damit für die Ausbildung der militärischen Führer - ist die Fähigkeit, bei plötzlichen Lageveränderungen schnell eigenständig „umschalten" zu können und dabei weder zurückzuweichen noch überzureagieren.

Da auf dem Balkan Glaubwürdigkeit oft nur mit Gewalt(drohung) zu schaffen sei, wird die KFOR-Stärke demonstrativ gezeigt und die Gegenseite zu Übungen eingeladen - verbunden mit der klaren Botschaft, dass alle weiteren Unruhen die Unabhängigkeit auf den St. Nimmerleinstag verschieben würde.

KFOR ist damit viel besser in der Lage, gewalttätige Angreifer abzuwehren und Menschen und wichtige Objekte wirksam zu schützen. Dabei will man auf keinen Fall von den „Hasen" zu den „Killern vom Amselfeld" werden. An die Politik wird appelliert, darauf zu achten, dass Militär nicht zu sehr in die Polizeiarbeit gezogen wird.

Kontakte und Zusammenarbeit mit UNMIK-Police wurden intensiviert. Inzwischen gibt es auch gemeinsame Übungen. Man demonstriere den öffentlichen Schulterschluss.

Allerdings sind UNMIK-Police und KPS längst nicht so gut ausgestattet wie KFOR.

Es bleibt die politische Frage: Was sind das für Verhältnisse, wo ein Kloster mit zzt. 6-8 Mönchen mit einem solchem internationalen Personal- und Materialaufwand geschützt werden muss!

 

 


[1] Klaus Reinhardt: KFOR - Streitkräfte für den Frieden. Tagebuchaufzeichnungen als deutscher Kommandeur im Kosovo, Frankfurt/Main 2001

[2] Vgl. Andreas Ernst: Kosovos glücklose Baumeister - Das Wechselspiel internationaler und lokaler Akteure als Schlüssel zur Staatsbildung, in Neue Zürcher Zeitung 17.2.2011; Berit Bliesemann de Guevara, Florian Kühn: Illusion Statebuilding - Warum sich der westliche Staat so schwer exportieren lässt, edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010

[3] Jean-Arnault Derens: Die UCK vor Gericht - Aufarbeitung des schmutzigen Kriegs im Kosovo, u.a. über die „Drenica-Gruppe" in der UCK und ihre Gefangenlager in Albanien, über das Verschwinden serbischer Zivilisten und politische Morde an Anhängern der Rugova-Partei LDK.

 

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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