Folgende Rede hielt Winfried Nachtwei zum Antrag "Wehrpflicht überwinden - Freiwilligenarmee aufbauen:
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Ihre Rede war ein Beispiel dafür, wie man erfolgreich aneinander vorbeireden kann.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP)
Dass unsere Soldatinnen und Soldaten in den Auslands-einsätzen zur Eindämmung von Gewalt und zur Verhütung von Krieg im Namen der Vereinten Nationen Ausgezeichnetes leisten, ist zumindest hier bei diesen vier Fraktionen unstrittig. Darum geht es nicht.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP)
In meinen vier Minuten nur zu einzelnen Stichpunkten. Zunächst zur Wehrpflicht: Die heutige Restwehrpflicht, von der man ja sprechen muss, ist sicherheitspolitisch in der Tat nicht mehr notwendig und deshalb als Grundrechtseingriff auch nicht mehr legitimierbar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])
Die Bundesregierung antwortet auf die Große Anfrage der FDP zu diesem Punkt bezeichnenderweise, dass von einem Jahrgang, 430 000 junge Männer, im Jahre 2007 68 000 als Grundwehrdienstleistende eingezogen wurden. Dies zeigt sehr deutlich, wie „nötig" die Bundeswehr die Grundwehrdienstleistenden hat. Es zeigt auch etwas anderes: dass die Wehrgerechtigkeit wirklich am Boden liegt.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP)
Wir alle stellen fest - das erleben auch die Jugendoffiziere -, dass sie den jungen Leuten, die betroffen sind, die Wehrpflicht nicht mehr plausibel machen können.
(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das stimmt ja nicht!)
Ich glaube, dass es in Kürze auch dem Bundesverfassungsgericht nicht mehr plausibel zu machen ist. Es wäre eigentlich ein Gebot der Politik, nicht immer erst auf Karlsruhe zu warten, sondern selbst vernünftige Alternativen zu entwickeln. Vernünftige Alternativen liegen auf dem Tisch, nämlich die Einführung eines freiwilligen flexiblen Kurzdienstes, der jungen Männern und Frauen offensteht und 12 bis 24 Monate dauert. Wir haben dazu Vorschläge gemacht, die FDP ebenfalls.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP)
Mein nächster Punkt betrifft die Aufgaben der Bundeswehr. Hier haben wir es mit einem grundsätzlichen Problem zu tun. Ich glaube, es gibt keinen Bereich staatlichen Handelns, der in seiner Aufgabenbestimmung so wenig rechtlich normiert ist. Das Grundgesetz nennt die Verteidigung, die Wahrung der kollektiven Sicherheit und das Verbot der Vorbereitung von Angriffskriegen. Das ist es aber auch schon. Ich glaube, dass wir mehr Auftragsklarheit brauchen. Der BundeswehrVerband hat bereits die Einführung eines Bundeswehraufgabengesetzes vorgeschlagen. Ich glaube, das sollte vom Bundestag ernsthaft erwogen werden.
(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÃœND-NISÂ 90/DIE GRÃœNEN])
Nun zum Stand der Transformation. Die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage bestanden aus den üblichen Plattitüden, die auch heute wieder, wenn auch mit mehr Worten, vom Minister vorgetragen wurden: Es gibt zwar einige Probleme, aber wir sind auf dem richtigen Weg. - Wenn man allerdings die Realität betrachtet, dann stellt man fest, dass es etwas anders aussieht. Wie wäre es sonst zu erklären, dass es etliche Jahre nach Beginn der Transformation Soldatinnen und Soldaten mit Spezialfähigkeiten gibt, welche so oft in den Einsatz müssen, dass es weit über das erträgliche Maß hi-nausgeht?
Ein Zweites. Seit einiger Zeit bleibt meine Frage auch im Ausschuss unbeantwortet, wie weit die derzeitige Bundeswehr von der nationalen Zielvorgabe entfernt ist, bis zu 14 000 Soldaten in bis zu fünf parallele Stabilisierungseinsätze in verschiedenen Einsatzräumen zu schicken. Man kann sich das heutzutage nicht vorstellen, wo Größenordnungen von 7 000 bis 8 000 Soldaten die Grenze der Belastbarkeit darstellen.
Schließlich: Wie soll eine solche nationale Vorgabe Sinn machen, wenn es bei den für Stabilisierungseinsätze immer wichtigeren polizeilichen und zivilen Kräften keine Zielvorgaben gibt? Herr Minister, der viel beschworene Comprehensive Approach - was die Ausgewogenheit der Kräfte bzw. die Fähigkeiten angeht - hinkt in seiner Fundierung den Vorgaben hinterher, wie es stärker nicht geht.
Diese Punkte stellen eine Lücke im Transformationsprozess dar. Aber der Transformationsprozess betrifft nicht nur die Bundeswehr, sondern die gesamte Sicherheitspolitik.
Ich muss schließen, verweise aber auf die Fortsetzung dieser Debatte zu dem Thema „zivile Krisenprävention und Friedensförderung".
Bis gleich.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP)
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: