Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Öffentlichkeit wird das Thema Afghanistan viel zu viel und oft fast nur unter Militärgesichtspunkten disÂkutiert. Ausschlaggebend ist doch Folgendes: Wenn es in Afghanistan vorangehen soll, dann muss es mit der poliÂtischen Konfliktlösung vorangehen. Ich merke auch jetzt wieder, dass die meisten völlig übereinstimmen. Das wird auch immer wieder hier im Haus betont. Allerdings sollten wir über diese richtige Feststellung nicht den heiklen Militärfragen ausweichen. Das ist meine ErfahÂrung, auch bei den Debatten zu „Enduring Freedom". Die Mehrheit spricht lieber über ISAF und über die HeÂrausforderungen des Aufbaus, aber nicht über „Enduring Freedom", welches eine ganz besonders problematische Operation ist.
Hier muss man näher hinschauen. Die BundesregieÂrung leistet dazu nichts. Seit Jahren leistet sie nichts hinÂsichtlich genauerer Information und praktisch nichts, was Stellungnahmen betrifft. Deshalb muss man selbst versuchen, an Informationen zu kommen. Ich male hier kein Schwarz-Weiß-Bild. Ich weiß sehr wohl, dass „Enduring Freedom" inzwischen auch große und nützliÂche Ausbildungsanteile hat. Was aber ist der Kern dabei? Der Kern ist etwas anderes. Bei genauerem Hinsehen stellt sich für uns tatsächlich heraus, dass diese OperaÂtion in keiner Weise mehr zu rechtfertigen ist. Sie ist inÂzwischen ausgesprochen schädlich für den ganzen AufÂbauprozess. Sie ist weiterhin eine ausdrücklich national geführte Operation der USA. Sie steht damit im WiderÂspruch zum Unterstützungsansatz der StaatengemeinÂschaft für die afghanische Regierung,
(Beifall bei Abgeordneten des BÃœNDNIS-SES 90/DIE GRÃœNEN)
und sie ist eigentlich auch ein Affront gegen die BündÂnisloyalität, die in den letzten Wochen so stark von der Bundesrepublik gefordert wurde. Eine solche SeparatÂoperation hat doch mit Bündnisloyalität absolut nichts zu tun.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)
Der harte Kern von „Enduring Freedom" sind mehr als tausend Spezialsoldaten, und diese sind Speerspitze einer offensiven Bekämpfung des Aufstands und Terrors der Taliban. Sie sind praktischer Ausdruck des „War against Terrorism". Sie sind damit Ausdruck der illusioÂnären Vorstellung, man könnte eine solche Art von AufÂstandsbewegung militärisch besiegen. Das ist eine IlluÂsion. Auch hierbei zeigt sich wieder: Die USA bringen eine beispiellose militärtechnologische Ãœberlegenheit zum Ausdruck.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber es geht doch nicht um einen Aufstand!)
Ständig werden taktische Siege gemeldet. In WirklichÂkeit müssen wir aber feststellen, dass der Einfluss der Taliban am Boden immer mehr zunimmt und dass dabei immer mehr Köpfe und Herzen der Menschen verloren gehen. Diese Art der Kriegsführung ist auch unter VerÂbündeten im Süden umstritten. Allerdings wird sie im Rahmen der NATO praktisch nicht thematisiert. Die Bundesregierung darf sich nicht länger damit begnügen, auf die eigenen unbestreitbaren Erfolge im Norden zu verweisen. Sie muss diese Strategiedebatte in der NATO offensiv führen, damit es zu einem Strategiewechsel kommt.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wir sind doch daran!)
Es reicht auch nicht, dass sich die Bundesrepublik nicht mehr an dieser Operation beteiligt - das ist ja das Mindeste -, sondern die Bundesregierung muss sich daÂfür einsetzen, dass diese Separatoperation insgesamt einÂgestellt wird - sie ist, wie sich beim näheren Hinsehen herausgestellt hat, ein Irrweg - und dass Ausbildungen und sicherheitspolitische Unterstützungen in AfghanisÂtan nur noch unter dem Dach von ISAF und eindeutig im Rahmen von Völkerrecht und Menschenrecht stattfinÂden. Wenn dieses nicht geschieht, dann ist absehbar, dass die Eskalation gerade im Süden weitergeht und auch den noch relativ sicheren Norden nicht unbeschadet lässt. Deshalb: Aufbauoffensive einerseits, Strategiewechsel andererseits. Beides gehört untrennbar zusammen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Kollege Nachtwei, kommen Sie bitte zum Schluss!
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Ich habe Sie gehört und höre sofort auf.
Danke.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
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