Nach 15 Jahren Bundestag - MdB a.D.-Empfang von Winni Nachtwei in Berlin

Von: Webmaster amSa, 31 Oktober 2009 00:50:09 +02:00

Am 30. Oktober 2009 kamen mehr als 100 Gäste in den Räumen des Bundestages Unter den Linden 50 zusammen, um Abschied zu feiern.

Der langjährige sicherheits- und abrüstungspolitische Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen verabschiedete sich von Mitstreitern und Weggefährten nach seiner erprobten Art „auf den letzten Drücker" - drei Tage nach Konstituierung des neuen Bundestages und Ablauf des Bundestagsmandats.



Gekommen waren

Grußworte sprachen Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender, Bernhard Gertz, langjähriger Vorsitzender des Dt. Bundeswehrverbandes, und Cornelia Brinkmann, Mitstreiterin für Zivilen Friedensdienst von Anfang an und friedenspolitische Beraterin.

Abschiedsrede von Winni Nachtwei:

Vielen, vielen Dank für die großen Lobesworte. Die kann ich natürlich gern ertragen.

Aber was ich zustande gebracht habe, ist nicht einfach eine Einzelleistung, es ist auch viel Gemeinschaftsleistung.

Zuallererst mit Angela, meiner Frau: Du hast seit Jahrzehnten mein Engagement mitgetragen und auch ertragen, es gestützt. Dein Verständnis für Reisen in Krisenregionen, womit Du mit Deinen Hilfseinsätzen in Thailand/Kambodscha, Somalia und Uganda in den frühen 80er Jahren angefangen hattest. Oder unsere gemeinsame Kreativität bei der Entwicklung von Gruß- und Wunschkarten zu besonderen Anlässen. Herr Riechmann, Sie erinnern sich.

Dann meine vorzüglichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: fast die ganzen 15 Jahre Andreas Körner, jetzt Fraktionsreferent für Sicherheitspolitik. DER Tip!

Iris Gause, Michael Schlickwei, Tobias Münchmeyer, Gabi Gehle, Daphné Lucas, Angelika Farwick-Hajek, Tom Marczinkowski, Christoph Kattentidt, Sabine Peter, Anja Seiffert.

ONE MISSION - ONE TEAM!

Mein Geburtsjahr 1946 war der erste Friedensjahrgang. Seit den 70er Jahren wurden für mich die „Kriegserfahrungen" eines Nachkriegsgeborenen immer mehr zu meiner Triebkraft, die Forschungen zu deutschem Kolonialkrieg in Südwestafrika, zu Deportationen und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, die Begegnungen mit Minenopfern in Somalia. Das ging einher mit einem „Urvertrauen", das ich meinen Eltern verdanke, und das sich in meiner „Hoffnung wider alle Vernunft" niederschlägt. Ohne die könnte ich die maßlos vielen Negativerfahrungen von Krisenregionen gar nicht verkraften.

Wenn ein Merkmal meine Sachbezogenheit ist, die ständige Suche nach der Wahrheit in den Tatsachen, dann war das auch immer sehr arbeitsaufwändig, dann schaffe ich das nur auf Kosten von Freizeit, Kontakten, politischer Breite. Wo ich mich so sehr auf Friedens- und Sicherheitspolitik konzentrierte, kam darüber z.B. die Wirtschafts- und Sozialpolitik zu kurz. Das ist ein Mangel, den man dann vor allem als Wahlkreisabgeordneter spürt.

Ein anderes Merkmal ist meine Geduld, mein langer Atem. So sehr man diesen weiter braucht, so sehr wächst in mir inzwischen so was wie konstruktive Ungeduld:

Seit jeher verteile ich bei Veranstaltungen meine jüngsten Artikelsammlungen. Heute soll da keine Ausnahme sein. Auf die Schnelle habe ich da einiges zusammengestellt: den Artikel „Melde mich ab aus Bundestag und Verteidigungsausschuss", die Erinnerung an den Bundestagsstart vor 15 Jahren, ein hier erstmalig veröffentlichter Warnbrief aus dem Jahr 2000 zu Scharpings Reformverweigerung, exemplarische Zeitungsartikel aus einem begeisterten Parlamentarierleben.

Von zahllosen Ereignissen und Begegnungen erinnere ich mich an besonders schwierige, auch Tiefpunkte:

Aber auch die vielen Höhepunkte:

Ich bin dankbar für das Privileg, in dieser Umbruchsphase der Sicherheits-, Friedens- und Abrüstungspolitik im Bundestag , in Berlin arbeiten zu dürfen. Ich bin dankbar, nie als Mitglied des Notparlaments gebraucht worden zu sein.

Ich bin erleichtert angesichts der Aussicht auf weniger Termindruck, etwas mehr Freiheit und Leben außerhalb der Tagespolitik.

Wehmütig bin ich, weil mit den MitarbeiterInnen, dem Flur des AK IV, der Fraktion, den Ausschusskolleginnen, den Bediensten des Bundestages, den JournalistInnen viel Heimat verloren geht.

Verpflichtet fühle ich mich weiter meinen politischen Hauptaufgaben:

„Gemeinsam die Chancen nutzen" (Foto der Einladungskarte): Die Möglichkeit und Notwendigkeit wird an keinem Ort so deutlich wie hier. Weltweit gibt es kaum einen Ort, der so sehr historisch kontaminiert ist wie der Quadratkilometer um uns herum: Wo 1918 die deutsche Demokratie ausgerufen wurde, wo nach 1933 die Zentralen von NS-Herrschaft, Angriffskrieg und Vernichtungspolitik standen, wo die Spaltung Europas betoniert - und ab 1989 wieder überwunden wurde.

Was sind das seitdem für Chancen! Die sind keine Selbstverständlichkeit, die müssen genutzt werden!

Ich übergebe

Ich übergebe an Euch!