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Vereinte Nationen (UNO)
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Schwerpunkt Schutzverantwortung / Responsibility to prevent, assist, react - Libyen, Sahel, Darfur, Syrien

Veröffentlicht von: Nachtwei am 29. März 2012 15:06:09 +01:00 (34170 Aufrufe)

In mehreren Gremien und Veranstaltungen war W. Nachtwei in den letzten Wochen an Debatten um die Responsibility to Protect (R2P) beteiligt: Bei den Frankfurter UNO-Gesprächen zusammen mit Prof. Tanja Brühl, bei der BAG FRieden und Internationale Politik der Bündnisgrünen, dem AK Gerechter Friede von Justitia et Pax (Darfur), dem Beirat Zivile Krisenprävention (Sahel, AG Prävention, Umgang mit fragiler Staatlichkeit)

 

An der Frankfurter Podiumsdiskussion im „Haus am Dom" nahmen 130 Interessierte teil, an den drei parallelen Workshops der BAG in Berlin mehr als 40, darunter mehrere grüne MdB.

Die von der UNO-Generalversammlung 2005 beschlossene R2P trat in den letzten Jahren in der internationalen Politik zunehmend in den Hintergrund, erfuhr aber mit der Resolution 1973 des UNO-Sicherheitsrats vom 17. März 2011 zu Libyen eine überraschende Aktualisierung. Mit einer schnellen Intervention von Luftstreitkräften konnte das angekündigte Großmassaker in Bengasi verhindert werden. Die extensive Auslegung des UNO-Mandats durch die intervenierenden Staaten (von der Großgefahrenabwehr zum Regime- Change) wurde aber von Russland, China, der AU und vielen Staaten des Südens als Missbrauch der Schutzverantwortung bewertet. Insofern beschädigte die kurzfristig erfolgreiche Libyen-Intervention erheblich die internationale Akzeptanz der Schutzverantwortung. Ihre breite politische Akzeptanz ist aber die entscheidende Voraussetzung für ihre weitere Umsetzung und Wirksamkeit.

R2P in der Kontroverse

- In friedenspolitisch orientierten Kreisen ist die Missbrauchsgefahr (Türöffner für Militärinterventionen) der häufigste Einwand gegen die Schutzverantwortung. Angesichts der reichlichen Erfahrung mit humanitär und hehr gerechtfertigten Militärinterventionen ist der Verdacht historisch begründet. Bezogen auf die vier Haupttatbestände der R2P (Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, „ethnische Säuberungen") war über die Jahrzehnte aber nicht der Missbrauch das Problem, sondern das NICHTHANDELN. Und dieses NICHTHANDELN beschränkte sich nicht auf die bekanntesten Fälle Ruanda und Srebreniza, wo man wusste und hätte handeln können. NICHTHANDELN + WEGSEHEN gab es 1992-1995 gegenüber dem belagerten Sarajewo, gegenüber der Terrorherrschaft der Roten Khmer 1975-1978 (beendet durch eine vietnamesische Intervention). Oder tausendfach gegenüber dem Terrorsystem der Nazis. Erschütterndes Zeugnis davon ist der „Bericht an die Welt" von Jan Karski. Der Kurier der polnischen Untergrundbewegung besuchte im Oktober 1942 das Warschauer Ghetto und das Vernichtungslager Belzec. Er hat „den Großen dieser Welt enthüllt, was die Welt nicht wissen wollte" (Jorge Semprun).

Mir scheint, dass die Fälle umstrittener Militärinterventionen wie Kosovo und Afghanistan in der kollektiven Erinnerung hierzulande viel mehr an politisch-moralischen Wunden hinterlassen haben als die Fälle unterlassener internationaler Hilfeleistungen.

- Ein zweites Problem ist, dass die Schutzverantwortung in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion meist auf die dritte Stufe des react, der ggfs. militärischen Intervention reduziert und der Vorrang der Prävention übergangen wird.

- Ein drittes Problem ist schließlich die mangelnde Operationalisierung - angefangen bei einem internationalen und integrierten Frühwarnsystem zu schwersten Menschenrechtsverbrechen und Völkermord bis zu militärischen Doktrinen und Konzepten für Operationen zur Beendigung von Massenverbrechen. Oft bleibt Einsatz für Schutzverantwortung beim humanitären Motiv und guten Willen stehen und kümmert sich zuwenig um eine wirksame und verantwortliche Umsetzung. Der Gründungsdirektor des ZIF und Peacekeeping-Experte Winrich Kühne spricht in diesem Kontext von einer zusätzlichen „Verantwortung zur Wirksamkeit - und kein Chaos anzurichten".

Grüne Programmdiskussion zur R2P

Sehr hilfreich - nicht nur - für die innergrüne Verständigung im Hinblick auf die Bundesdelegiertenkonferenz im November sind der Antragsentwurf „Schutzverantwortung weiter entwickeln und wirksam umsetzen" von Tom Koenigs und Kerstin Müller für die Bundestagsfraktion sowie „Ergänzende Überlegungen zur Schutzverantwortung" der LAG Frieden & Internationales Berlin.

Neu ist die von engagierten Studierenden betriebene Seite www.schutzverantwortung.de (www.genocide-alert.de )

Beirat Zivile Krisenprävention beim Auswärtigen Amt

Auf einer Sondersitzung am 21. März erörterten Vertreter von im Sahel arbeitenden Hilfsorganisationen mit den Vertretern von AA und BMZ und dem Afrika-Beauftragten Walter Lindner die sich zuspitzende Lage in der Sahelzone.

Auf der Frühjahrssitzung am 5. März befasste sich der Beirat mit den ressortübergreifenden Leitlinien „Für eine kohärente Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten", die von den Planungsstäben AA, BMVg und BMZ (nicht BMI) erarbeitet wurden. Auf derselben Sitzung konstituierten sich zwei Arbeitsgruppen - zu Primärprävention und zur Förderung legitimer Staatlichkeit.