Was macht eigentlich? ... Der ehemalige CBG-Lehrer und MdB Winfried Nachtwei? Interview mit der Dülmener Zeitung

Von: Nachtwei amMo, 31 Oktober 2016 18:41:53 +01:00

1977-1994 unterrichtete ich am Clemens-Brentano-Gymnasium in Dülmen - mit viel Freude im und am Beruf. Meine heimatlichen Gefühle ggb. dem CBG spüre ich weiterhin. Für die DZ-Serie "Was macht eigentlich?" interviewte mich Falko Bastos. Der Artikel auf www.facebook.com/winfried.nachtwei   



Was macht eigentlich …

Der ehemalige CBG-Lehrer und MdB Winfried Nachtwei?

Interview mit Falko Bastos von der Dülmener Zeitung

(Der Artikel erschien in der DZ am 26. Oktober 2016,

mit Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )

Vorbemerkung: Am Clemens-Brentano-Gymnasium in Dülmen/Kreis Coesfeld bei Münster unterrichtete ich von 1977-1994 Geschichte und Politik/Sozialwissenschaften mit Freude.

DZ: Herr Nachtwei, seit Ihrem freiwilligen Rückzug aus dem Bundestag sind inzwischen sieben Jahre vergangen. Was machen Sie heute?

Gerade bereite ich mich auf zwei Vorträge in Münster und Düsseldorf sowie eine Afghanistanreise vor.

Sie sind in diesem Jahr siebzig geworden und sind in vielen Funktionen aktiv. Sind sie ein Workaholic? Gibt es Pläne, irgendwann beruflich kürzer zu treten? Welche privaten Ziele und Hobbies verfolgen Sie?

In der Tat, ich kann nicht ohne. Aber meine Arbeit macht Spaß und Sinn, ist sehr gefragt und brachte bisher keine auffälligen Begleitschäden. Intensiv ohne Hektik arbeiten zu können, dabei auch Hobbies integrieren zu können, ist schon toll. Meine Ehrenämterhäufung will ich abspecken, um endlich ein schon 2001 geplantes Buch über meine friedenspolitischen Erfahrungen zu schaffen. Damals kam der 11. September dazwischen. Heute habe ich Stoff für zwei weitere Bücher. Mehr Zeit zu haben zum Münster-Genießen und Reisen ist unser privates Ziel.

Haben Sie noch Kontakte nach Dülmen, vielleicht zu ehemaligen Schülern und Kollegen? Kommen Sie ab und zu an Ihre alte Wirkungsstätte? Wie haben Sie Ihre Tätigkeit als Lehrer am CBG empfunden? Gibt es Anekdoten, die Sie mit Dülmen verbinden?

Nach Dülmen komme ich alle paar Jahre. Bei einem Kollegenabschied am CBG und bei einem „Zeitzeugen“-Vortrag in einem 12er Kurs im letzten Jahr spürte ich trotz 21 Jahren Abstand und vieler Veränderungen im CBG richtig heimatliche Gefühle. Die 17 Jahre am CBG waren eine erfüllte und spannende Arbeits- und Lebenszeit. Eine besondere Freude ist immer wieder, in der Ferne ehemaligen Schülern zu begegnen – z.B. in einer Lufthansa-Maschine überm Ural, bei der EU in Brüssel, beim German Police Project Team in Mazar-i Sharif. Von vielen Anekdoten hier eine: Im Januar 1991 demonstrierten etwa 500 Schülerinnen und Schüler Dülmener Schulen gegen die Besetzung Kuweits und den drohenden großen Krieg am Golf. Ich war einer der Redner. Später erfuhr ich, dass ein Kollege meine Rede in seinem Deutschunterricht hatte analysieren lassen. Man identifizierte dabei wichtige rhetorische Mittel. Mir waren sie so gar nicht bewusst gewesen.

Können Sie ihre Erinnerung an den Ostermarsch 1983 (Protest gegen PershingII-Pläne und Atomwaffen im Munitionslager Dülmen-Visbeck) schildern? Wie hat man in Dülmen damals die Bedrohung durch Atomwaffen mit Reichweite bis Münster empfunden? Hat Sie dieser Hintergrund politisch geprägt?

Gründonnerstag bis Samstag protestierten Friedensgruppen mit einer Sitzblockade am Tor des Atomwaffenlagers Visbeck. An der Ostermarsch-Kundgebung am Samstag auf dem Marktplatz beteiligten sich etwa 2000 Menschen. Anschließend wurde bei einer „Umarmungsaktion“ am Zaun des Lagers Visbeck Bilder, Fotos, Kleidungsstücke befestigt. Ausdrücklich richteten sich unsere Aktionen nicht gegen die Soldaten, sondern gegen die Politik ihrer Auftraggeber. Der Ostermarsch  war ein uns stärkendes politisches Gemeinschaftserlebnis. 1967 war ich Leutnant eines Atomwaffenverbandes. Jahrelang hatte ich die Frage verdrängt, was bei Versagen der Abschreckung passieren würde. Das wurde mir erschütternd deutlich, als ich auf die Vorbereitungen zur „atomaren Heimatverteidigung“ in Visbeck und anderswo stieß: Im Verteidigungsfall würde das zerstört und verstrahlt, was doch bewahrt werden sollte. Diese ganz realistische Einsicht machte mich zu einem Gegner des atomaren Wettrüstens – und zu einem, der nach Alternativen der Friedenssicherung und Kriegsverhütung sucht, seit Jahren auch gemeinsam mit etlichen früheren Kontrahenten in und außerhalb der Bundeswehr.

Sie waren in den 80er Jahren in der Friedensbewegung aktiv, haben dann (nach einer emotionalen Debatte in Ihrer Partei) 1999 für den Kosovo-Einsatz gestimmt. Sind sie im Laufe Ihrer Zeit im Bundestag vom "Fundi" zum "Realo" geworden? Mussten sie dabei bei solchen Abstimmungen mit sich ringen?

Gegenüber solchem „Lagerdenken“ versuchte ich möglichst Selbständigkeit zu wahren und ein prinzipienorientierter Realist zu sein. Als Welten-Unterschied erlebte ich aber, ob man in der Opposition kritisiert und fordert – oder in Regierungsmitverantwortung unter bestehenden Bedingungen und in Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns oder Unterlassens entscheiden muss. Ich war an 70 Beschlüssen zu Kriseneinsätzen beteiligt, mehrere davon gerade bei uns hoch umstritten. Einmal war ich kurz davor, mein Mandat zurückzugeben. Politisch überleben könnte ich nur mit besonderer Gewissenhaftigkeit und Transparenz und danach mit selbstkritischer Wirkungskontrolle, mit Lernen und nochmals Lernen. Die Mitverantwortung für den Afghanistaneinsatz trage ich bis heute. Deshalb leite ich auch im Beirat Innere Führung der Verteidigungsministerin eine Arbeitsgruppe „Einsatzrückkehrer“ und den Beirat Zivile Krisenprävention beim Auswärtigen Amt.