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Antrag "NATO-Gipfel für Kurswechsel in Afghanistan nutzen"

Veröffentlicht von: Webmaster am 12. März 2008 09:19:29 +01:00 (95115 Aufrufe)
Folgender von Winfried Nachtwei mit initierte Antrag "NATO-Gipfel für Kurswechsel in Afghanistan nutzen" wurde am 12. März 2008 in den Bundestag eingebracht. Die grüne Bundestagsfraktion fordert in ihrem Antrag die Bundesregierung auf, den NATO-Gipfel in Bukarest am 27. April für einen erkennbaren politischen und militärischen Kurswechsel in Afghanistan zu nutzen.

Deutscher Bundestag Drucksache 16/

16. Wahlperiode 12.03.2008

Antrag

der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

NATO-Gipfel für Kurswechsel in Afghanistan nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

  1. den NATO Gipfel in Bukarest für einen erkennbaren politischen und militärischen Kurswechsel in Afghanistan zu nutzen und insbesondere dafür zu sorgen, dass der angekündigte „Umfassende Strategische Politisch-Militärische Plan" substanzielle Korrekturen für eine zivile und politische Offensive in Afghanistan enthält.
  2. Innerhalb der NATO, EU und der internationalen Staatengemeinschaft darauf hinzuwirken, dass
  • bei der Sicherheitsunterstützung der afghanischen Regierung auf allen Ebenen die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung und die Verantwortbarkeit gegenüber den eingesetzten Sicherheitskräften im Mittelpunkt stehen muss,
  • das Nebeneinander von ISAF und OEF beendet wird und dass als ersten Schritt die NATO von OEF die Ausbildung der Armee übernimmt,
  • gemeinsam mit der afghanischen Regierung eine politische Strategie für den Umgang mit oppositionellen und militanten Kräften entwickelt und umgesetzt wird,
  • die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen in Afghanistan gestärkt wird,
  • die zivilen und polizeilichen Anstrengungen für die Stabilisierung Afghanistans substantiell erhöht und gebündelt werden,
  • die Regionalpolitik einen höheren Stellenwert erhält und die Nachbarländer, insbesondere Pakistan und Iran, verbindlich in die Stabilisierungsbemühungen einbezogen werden.

Berlin, den 12. März 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung:

Die internationale Staatengemeinschaft verfolgt in Afghanistan noch immer keine einheitliche und keine kohärente Strategie. Im militärischen, polizeilichen und im entwicklungspolitischen Bereich agieren die Akteure mit unterschiedlichen Strategien. Der von der Bundesregierung propagierte Ansatz der „vernetzten Sicherheit" wird auf der Bekenntnisebene von allen geteilt. Von den Beteiligten wird er jedoch unterschiedlich verstanden und vor Ort sehr verschiedenartig und militärlastig ausgestaltet. Angesichts einer geschwächten VN-Präsenz tritt neben den USA die NATO als zentraler Akteur und Ansprechpartner in den Vordergrund. Dass der gegenwärtige politische und militärische Kurs mittelfristig zum Erfolg führt, wird von vielen bezweifelt. Mehr Soldaten oder Appelle an die Bündnissolidarität sind keine Antwort. Eine Verständigung über die vorrangigen Ziele, Wege, Mittel und Verantwortlichkeiten muss der Diskussion über eine faire Lasten- und Risikoteilung vorausgehen. Dabei gilt es das weltweite zivile und militärische Engagement zur internationalen Friedenssicherung zu würdigen. Hier kann sich das deutsche Engagement, nicht zuletzt auf Grund seines langjährigen und herausragenden Engagements auf dem Balkan und in Afghanistan, sehen lassen.

Ein einheitliches Vorgehen unter dem Dach und der Verantwortung der Vereinten Nationen fehlt. Dies hat sich nicht zuletzt im Bereich der Sicherheitssektorreform negativ ausgewirkt. Hier agieren die Schlüsselpartner USA, Japan,, Deutschland, Italien und Großbritannien weitgehend unkoordiniert nebeneinander her. Dies gilt auch für die Internationale Sicherheitsunterstützung der NATO im Auftrag der Vereinten Nationen und den Anti-Terrorkampf der USA im Rahmen der Operation Enduring Freedom. Es gibt noch keinen Konsens darüber, mit welchen politischen Maßnahmen afghanische Regierung und internationale Staatengemeinschaft oppositionelle militante Kräfte zu einer Einstellung der Kampfhandlungen bewegen wollen und wie innergesellschaftliche Konfliktpotentiale verringert werden können. Dies ist eine der Ursachen, warum sich der Aufbau in Afghanistan so schwierig gestaltet.

Die USA leisten finanziell, politisch und militärisch mit Abstand den größten Beitrag in Afghanistan. Ohne US-Hilfe wird der Aufbau Afghanistans nicht gelingen. Nicht alle Maßnahmen tragen zur Stabilsierung bei. Der Irak-Krieg hat die Stabilisierungsbemühungen in Afghanistan fundamental geschwächt und terroristischen Gruppen neuen Auftrieb gegeben. Das Nebeneinander von Anti-Terrorkampf im Rahmen von OEF und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte im Rahmen von ISAF schadet einer erfolgreichen Stabilisierung Afghanistans ebenso wie ein rücksichtsloses militärisches Vorgehen unter Inkaufnahme von Opfern unter der Zivilbevölkerung und afghanischen Sicherheitskräften. Im Polizeibereich haben die USA durch den Einsatz erheblicher finanzieller und personeller Ressourcen dazu beigetragen, dass afghanische Polizeieinheiten zu paramilitärischen Hilfstruppen aufgebaut werden, die bei der Aufstandsbekämpfung auch unter dem Dach von OEF eingesetzt werden und z.T. hohe Verluste erleiden. Die deutschen und europäischen Bemühungen um den Aufbau einer Zivilpolizei werden dadurch erschwert.

Deshalb bedarf es eines echten Strategiewechsels. Als ersten Schritt um das Nebeneinander von OEF und ISAF in Afghanistan zu beenden sollte die NATO die Bereitschaft erklären, die Ausbildung der afghanischen Armee, die über weite Strecken unilateral von den USA im Rahmen von OEF gestaltet wurde, gänzlich zu übernehmen. Der Aufbau der afghanischen Armee hat für den Erfolg, Perspektive und Dauer des ISAF-Einsatzes eine Schlüsselbedeutung. Deshalb muss die NATO dafür die Verantwortung übernehmen. Ohne diese Bereitschaft dürfte es schwer werden, die USA von der Notwendigkeit eines einheitlichen ISAF-Kommandos für ganz Afghanistan zu überzeugen.

Der NATO-Gipfel in Bukarest und die Überprüfungskonferenz zum Afghanistan Compact in Paris müssen für einen politischen und militärischen Kurswechsel genutzt werden. Dazu gehört nicht zuletzt, eine engere Verzahnung und Koordinierung beim Polizei- und Justizaufbau, der Drogenbekämpfung und der Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration von ehemaligen Milizen. Hier müssen die Vereinten Nationen und die afghanische Regierung die Federführung übernehmen. Die Mitgliedsstaaten der NATO und EU müssen unter dem Dach der Vereinten Nationen ihre entwicklungspolitischen, zivilen und polizeilichen Beiträge zur Stabilisierung Afghanistans weiter erhöhen und aufeinander abstimmen.

Der Einbeziehung der Nachbarregionen kommt dabei ebenfalls eine hohe Bedeutung zu. Mit Pakistan müssen nach den jüngsten Wahlen gemeinsame Strategien entwickelt werden, wie extremistische Kräfte in den Stammesgebieten isoliert werden und die Grenzen gesichert werden können. Der Dialog mit Iran, den die Bundesregierung in ihrem Afghanistan-Konzept aufnimmt, muss im Sinne einer Stabilisierung der westlichen Provinzen intensiviert werden.

Die NATO steht als ISAF-Führungsmacht in Afghanistan bei ihrer mit Abstand größten Militäroperation vor einer schwierigen Herausforderung. Die Erwartungshaltung einiger Staaten nach einer Aufstockung der militärischen Beiträge und einem robusteren militärischen Vorgehen gegen aufständische und terroristische Gruppen sind in vielen Mitgliedsstaaten innenpolitisch nicht durchsetzbar. Mit der verengten Diskussion über militärische Beiträge wird sich keine erfolgreiche Befriedung des Landes erreichen lassen. Nur mit einem gemeinsamen Ansatz, bei dem der zivile entwicklungspolitische Aufbau und die politische Konfliktlösung auch auf lokaler Ebene erkennbar im Vordergrund stehen, wird eine Stabilisierung möglich sein. Dies ist auch Voraussetzung für die erforderliche Akzeptanz seitens der Menschen in Afghanistan und in den Mitgliedsstaaten der NATO, insbesondere im Hinblick auf die bestehenden Beschlüsse in Kanada und den Niederlanden.