Aufmerksamkeit und Dank für erfolgreiche Friedenssicherung vor unserer Haustür! Brief an den Generalinspekteur - und die vielen Tausenden, die dazu beitrugen
Von: Nachtwei amMi, 10 Oktober 2012 20:14:42 +01:00Am 27. September 2012 endete der Bundeswehreinsatz in Bosnien-Herzegowina. Es war der erste große und längste deutsche Einsatz im Auftrag der UNO. Dass der Auftrag "Absicherung des Friedensvertrages von Dayton und Kriegsverhütung" erfolgreich erfüllt wurde, dass dieser Einsatz viele wichtige Lehren beinhaltet, wird praktisch nicht wahrgenommen. Das ist friedens- und sicherheitspolitisch kurzsichtig. Ich habe deshalb zur Beendigung des deutschen Bosnieneinsatzes am 3. Oktober Generalinspekteur Volker Wieker den folgenden Brief geschrieben.
Ende des Bosnien-Einsatzes der Bundeswehr
Sehr geehrter Herr Generalinspekteur,                                         Münster, 3. Oktober 2012
am 27. September 2012 beendeten Oberstleutnant Markus Demann und Stabsfeldwebel Jörg Häck als letzte Bundeswehrsoldaten ihren Dienst bei der EU-Operation ALTHEA in Bosnien & Herzegowina. Damit endete nach 17 Jahren der erste große und längste Auslandseinsatz der Bundeswehr, der im Juli 1995 mit einem deutschen Kontingent bei UNPROFOR und im Dezember mit 2.600 Soldaten bei IFOR begann. Insgesamt kamen 63.500 Bundeswehrsoldaten zum Einsatz. 18 Soldaten verloren bei diesem Einsatz ihr Leben, keiner durch feindliche Einwirkung.
Die Beendigung des deutschen Bosnieneinsatzes bietet Gelegenheit zur Rückerinnerung, zu Dankbarkeit und zu Lehren. Er sollte nicht in der alltäglichen Nachrichtenflut untergehen und zu einer Fußnote der Geschichte verkommen.
Herzlicher Dank: Zuerst will ich über Sie den vielen Tausenden Bundeswehrsoldaten danken, die im Rahmen von IFOR, SFOR und ALTHEA zum Einsatz kamen: Ihr Auftrag war, nach einem physisch und psychisch verheerenden Bürgerkrieg unter Nachbarn mit über 100.000 Todesopfern den Friedensvertrag von Dayton abzusichern, Rückfälle in den Krieg zu verhüten. Das haben sie zusammen mit Kameraden vieler anderer Nationen geschafft, mit hohem Einsatz und viel Klugheit. Sie haben damit der weiteren Ausbreitung der Kriegsseuche einen Riegel vorgeschoben, viele Menschenleben gerettet und menschliches Leid verhütet. Sie haben sich um die Menschen in Bosnien & Herzegowina, um Frieden und Sicherheit in Europa in hohem Maße verdient gemacht. Unter anderen Vorzeichen als zur Zeit des Ost-West-Konflikts haben sie sich im Einsatz im „Ernstfall Frieden" bewährt. Der Bosnieneinsatz war 180 Grad verschieden vom Krieg der Wehrmacht auf dem Balkan. Er war erfolgreiche und gewaltarme Friedenssicherung im Auftrag der UNO. Die Bundeswehrsoldaten können stolz auf ihren Einsatz sein!
In Bosnien & Herzegowina blieben ihnen Kampfeinsätze erspart. Den Bosnieneinsatz deshalb im Vergleich zum Afghanistaneinsatz weniger wert, gar gering zu schätzen, ist falsch und abwegig. Erfolgreiche Friedenssicherung in Europa und vor unserer Haustür - das ist eine Spitzenleistung.
Der Bosnieneinsatz war seit Jahren unspektakulär, war ein weitgehend „vergessener" Einsatz. Umso mehr verdienen seine Frauen und Männer Aufmerksamkeit, Anerkennung und Dank - von Seiten der Politik wie der Gesellschaft insgesamt.
Rückblick: Das alles sage ich als jemand, der über viele Jahre zu den parlamentarischen Auftraggebern und Unterstützern des Einsatzes gehörte, nachdem ich anfänglich gegen diesen Einsatz war und dies im Bundestag mehrfach erläutert hatte. (Auch aus heutiger Sicht sind die damaligen Vorbehalte keineswegs abwegig.). Sehr deutlich erinnere ich mich an den Oktober 1996, als wir mit einer Delegation von grüner Fraktions- und Parteispitze Bosnien & Herzegowina besuchten und am Hang über Sarajevo standen: Hier realisierten wir, was wir eigentlich schon jahrelang über die Medien wussten - die gnadenlose Belagerung der multiethnischen Großstadt über drei Jahre, die Beschießung seiner Bewohner. Jetzt waren wir vor Ort: „Sarajevo auf dem Präsentierteller, wehrlos in der Mausefalle" (aus meinem Reisebericht von 1996). Hier gab es kein Ausweichen mehr vor der Einsicht, dass es Situationen gibt, wo Militär zum Schutz wehrloser Menschen vor massiver Gewalt notwendig ist. Zugleich begegnete uns mit IFOR eine andere Art von Militär: UNO-mandatiert mit dem Auftrag, Gewalt zu verhüten und einzudämmen - ein quasi polizeilicher Auftrag mit militärischen Mitteln. Wie erfolgreich IFOR/SFOR, dann ab 2004 ALTHEA, ihren Auftrag erfüllten, konnte ich bei Besuchen in den Folgejahren immer wieder beobachten. (Reden + Berichte zum Bosnieneinsatz 1995-1998 unter www.nachtwei.de/index.php/articles/1161 ,
1162, 1163.
Lehren: Zugleich bekräftigte der Bosnieneinsatz die gerade Militärs vertraute Erfahrung, dass Streitkräfte entgegen einer verbreiteten Erwartung, sie könnten Konfliktknoten durchhauen, keineswegs politische Konflikte lösen und Frieden schaffen können. Hierfür sind andere, diplomatische, zivile, polizeiliche Akteure und Maßnahmen erforderlich - und vor allem die Bereitschaft der Konfliktparteien selbst.
Die Erfahrungen von Bosnien und 1998/1999 Kosovo waren der konkrete Hintergrund dafür, dass die rot-grüne Koalition das Zentrum Internationale Friedenseinsätze/ZIF, den Zivilen Friedensdienst und den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" auf den Weg brachte.
Die äußerst ernüchternde Erfahrung bis heute mit dem „eingefrorenen" Bosnienkonflikt und dem Wahnwitz eines im Entitätenproporz strukturierten „Staats"gebildes zeigen eindringlich, wie schwer innerstaatliche Konflikte zu lösen sind, wenn sie erst einmal im Krieg explodiert sind. Wo so tiefe Wunden geschlagen und Verfeindungen zementiert sind, kann die Internationale Gemeinschaft von außen keine schnelle Heilung bringen.
Mit anderen Worten: Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen eines bewaffneten Konflikts gefallen ist, dann ist die Bergung ein mühsames Langzeitunternehmen ohne Erfolgsgarantie. Auch deshalb ist wirksamere Prävention so wichtig.
Chancen: Meiner Erfahrung nach bestehen in der deutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit im Hinblick auf die Beteiligung an internationalen Krisenengagements erhebliche Unsicherheiten, viel Unkenntnis und Dissens. Der Abschluss des ersten großen Auslandseinsatzes der Bundeswehr wäre d i e Gelegenheit, erstmalig die Wirksamkeit eines solchen Einsatzes systematisch und unter Beteiligung unabhängiger Expertise zu analysieren. Es wäre auch eine Chance, dem verbreiteten kurzen Gedächtnis entgegenzuwirken und den dominierenden Bad-News-Mechanismus zu durchbrechen.
Wo seit Jahren über das freundliche Desinteresse gegenüber den Bundeswehrsoldaten und ihren Einsatzleistungen geklagt wird (wo Polizisten wie Entwicklungshelfer dieses Desinteresse oft noch mehr erleben), wäre jetzt die Gelegenheit, denjenigen Soldaten, aber auch Polizisten und Zivilexperten öffentlichkeitswirksam zu danken, die in Bosnien im öffentlichen Auftrag eingesetzt waren. Ihr Engagement ist ein Licht, das nicht unter den Scheffel gehört!
Sehr geehrter Herr Generalinspekteur,
ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn der Inhalt dieses Schreibens auch an die Soldaten des letzten Kontingents sowie andere am deutschen ALTHEA-Einsatz Beteiligte übermittelt werden könnte.
Mit besten Grüßen aus Münster
Ihr
Winfried Nachtwei, MdB a.D.