Die Verantwortung zum Schutz vor schweren Massenverbrechen - von der UN-Generalversammlung 2005 beschlossen - wird weiter kontrovers diskutiert. Im Magazin des forum Ziviler Friedensdienst schrieb Thomas Mickan (IMI) den Kontra-Beitrag und ich den Pro-Beitrag. Hier zu den Texten und einige Anmerkungen.
Schutzverantwortung: Überfällig oder nur verdächtig?
Pro Internationale Schutzverantwortung
Winfried Nachtwei (Juni 2014)
Pro & Kontra zur Internationalen Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) in der aktuellen Ausgabe des Magazin forumZFD II/2014 (Ziviler Friedensdienst): Den Kontra-Beitrag „Missbrauch für ein (neues) Kriegsbefähigungsparadigma“ hat Thomas Mickan von der Informationsstelle Militarisierung (IMI)/Tübingen verfasst. Der Pro-Beitrag „Überfällig oder nur verdächtig?“ stammt von mir: www.forumzfd.de/ueberfaellig_oder_nur_verdaechtig
Schwerpunktthema des Magazins ist „Friedenspolitik konkret – Jubiläum: 500 Fachleute für den Frieden“ mit der Weltkarte „Einsatzländer im Überblick“ und mit fünf Friedensfachkräften im Portrait. (www.forumzfd.de/MAGAZIN_2_14 )
Einige Anmerkungen zum Pro & Kontra Schutzverantwortung:
(1) Gegensätzliche Problemwahrnehmung: Leider gehen schon unsere Problemwahrnehmungen völlig auseinander. Ich sehe und befürworte die humanitäre und völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten und der Staatengemeinschaft, die Bevölkerung ihrer Länder vor schwersten Menschenrechtsverbrechen zu schützen. (Mein Hintergrund ist dabei, dass ich mich seit Ende der 60er Jahre intensiv mit verschiedenen Fällen von Massengewalt und Krieg befasst habe: Protest gegen den Vietnamkrieg, deutscher Kolonialkrieg + Völkermord in Dt. Südwestafrika, antikoloniale Befreiungsbewegungen, Kleinkrieg in Somalia, NS-Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion/Riga-Deportationen/Widerstand/“Entschädigung“ für Nazi-Opfer, Balkankriege, Afghanistan, Ostkongo, Ruanda)
Für Thomas Mickan scheint es da gar keinen besonderen Bedarf zu geben. Lakonisch schreibt er: „Niemand hat etwas dagegen, andere Menschen vor Gewalt zu schützen.“ Dass in Wirklichkeit Staaten immer wieder die Verpflichtung zum Schutz ihrer Bevölkerung missachten, dass Massenverbrechen gegen Menschengruppen von der internationalen Öffentlichkeit und Staatengemeinschaft oft ignoriert und hingenommen wird (exemplarisch Jan Karski!), das Opfer von Massengewalt eher allein gelassen als unterstützt werden - für Thomas Mickan scheint das demnach kein Problem zu sein.
(2) Verkürzung der RtoP: Der zweite fundamentale Dissens besteht darin, dass der IMI-Autor die Schutzverantwortung strikt auf die „dritte Säule“ der Militärintervention ´verkürzt, sie damit geradezu gleichsetzt. Auch wenn das bei RtoP-Diskussionen zum überwiegenden Teil so üblich ist, ist das eine Verkürzung und Verfälschung des tatsächlichen Konzepts (insbesondere der entsprechenden VN-Dokumente) und der Intention der allermeisten Befürworter. Frühwarnung, zivile Konfliktbearbeitung, Vorbeugung werden als „Feigenblatt“ für globale Aufrüstung beiseite gewischt.
Ausgeblendet bleibt, dass die Schutzverantwortung
im sicherheitspolitischen Mainstream und bei den „Interessenverteidigern“ bemerkenswert wenig Zustimmung findet.
Wo die unbestreitbaren Missbrauchsrisiken der Schutzverantwortung zur einzigen Intentention + Zweck der RtoP verabsolutiert werden, werden ihre Befürworter zu Kriegstreibern abgestempelt. Zu Zeiten dynamischer Unübersichtlichkeiten trifft ein solches Schwarz-Weiß-Angebot allerdings auf ziemliche Nachfrage.
(3) Wie Menschen vor Massengewalt schützen? Dazu kein einziges Wort! Was ist das anderes als Menschenrechts-Ignoranz?
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: