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"Der letzte jüdische Partisan" - das große Portrait von Margers Vestermanis, Überlebender des Rigaer Ghettos und Gründer des Museums "Juden in Lettland", in der FAZ

Veröffentlicht von: Nachtwei am 28. November 2017 08:46:40 +01:00 (27160 Aufrufe)

1989 begegnete ich Margers Vestermanis erstmalig im noch sowjetischen Riga. Sicher weit über tausend Deutsche begegneten ihm in den letzten drei Jahrzehnten. Es waren unvergessliche Begegnungen. Jetzt erschien in der FAZ das erste große Portrait von Margers Vestermanis, verfasst von Lorenz Hemicker. Hier zu dem Artikel.   

„Der letzte jüdische Partisan

Margers Vestermanis ist der letzte Überlebende des Rigaer Ghettos. Sein Leben hat er der Erforschung des jüdischen Schicksals in Lettland gewidmet.“

Von Lorenz Hemicker (FAZ 27.11.2017)

„(…) Dass Vestermanis 92 Jahre alt geworden ist, grenzt an ein Wunder. Als Mitglied einer gebildeten jüdisch-deutschen Unternehmerfamilie überlebte er vier Jahre des Nazi-Terrors im Rigaer Ghetto, in lettischen Konzentrationslagern und schließlich als Widerstandskämpfer in den Wäldern Kurlands. Das Deutsche habe seiner Familie immer als Zugang zur Weltkultur verstanden, sagt Verstermanis. Doch als die Wehrmacht im Sommer 1941 die Sowjetunion angreift und Riga einnimmt, kommen statt Dichtern Henker.(…)“

Das große Portrait von Margers Vestermanis erschien am 27. November 2017 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), im Internet mit Video und weiteren Bildern: http://faz.net/riga . Autor ist der FAZ-Redakteur Lorenz Hemicker. Er hatte 2015 auch einen großen Artikel über den 90-jährigen Alexander Bergmann verfasst, den langjährigen Vorsitzenden des Vereins der ehemaligen Ghetto- und KZ-Häftlinge Lettlands. 70 Jahre nach seiner Befreiung erschien „Das Ende einer Höllenfahrt“ am 11. April in der FAZ, http://www.faz.net/aktuell/politik/70-jahre-kriegsende/kz-haeftling-alexander-bergmann-das-ende-einer-hoellenfahrt-13527570.html

Nach den vielen Besuchen von Margers Vestermanis in Deutschland und unvergesslichen Begegnungen Aberhunderter Deutscher mit ihm in seiner Heimat- und Leidenssstadt Riga ist dies meines Wissens das erste große Portrait, der über ihn in einer überregionalen deutschen Zeitung erschien. Dafür sei Lorenz Hemicker – und seiner Redaktion - von Herzen gedankt!

Wie wir uns im Sommer 1989 (noch zur Sowjetzeit) erstmalig begegneten …

(aus meinem Glückwunschbrief an Margers Vestermanis zu seinem 90. Geburtstag im September  2015; Fotos unter www.facebook.com/winfried.nachtwei )

„Im Sommer 1989 kamen Angela und ich erstmalig nach Riga. Die wachsende Unabhängigkeitsbewegung hatte in unserer Heimatstadt Münster, der Hauptstadt der Exilletten im Westen, unser Interesse und Sympathie geweckt. Aber auch die Frage nach dem Schicksal der Münsteraner Juden, die Ende 1941 von den Nazis in das Ghetto Riga deportiert worden waren. Darauf war ich durch das gerade erschienene Buch von Bernhard Press gestoßen.

Am 11. Juli 1989 traf  ich am Uhrturm des Hauptbahnhofs einen weißhaarigen, ca. 65-jährigen Herrn mit einer Zeitung als Erkennungszeichen unterm Arm. Mit dem Bus 385 ging es raus nach Upeslejas. Meinem Reisetagebuch entnehme ich, dass Du recht schnell auf den 25-jährigen Gefreiten Egon Klinke zu sprechen kamst, Kraftfahrer bei der Luftwaffe, Deserteur… Du zeigtest mir Karteikästen, eine Abteilung zu „Judenmördern“, berichtetest vom 16-jährigen Margers am 30. November 1941. Die wenigen Stunden in Upeslejas direkt vor unserer Rückreise nach Deutschland war der menschlich-politische Zündfunke, der mich auf die Riga-Spur und uns zueinander brachte. Zu einer Zeit, als in Deutschland wie Lettland weitestgehend verdrängt und vergessen war, wie die deutsche Besatzung von 1941 bis 1944 gegen die jüdischen Menschen, gegen Deine Familie gewütet hatte.

Im Juli 1990 begegneten wir uns erstmalig zu viert mit Eva und Angela, besuchten Rezekne. Und im November 1990 saßen unsere beiden Frauen prustend vor Lachen auf dem Sofa in der Münsteraner Nordhornstraße. Im Januar 1991 fieberten wir mit Euch, als die Unabhängigkeitsbewegung bedrohlich unter Druck geriet – und sich mit ungeahnter Kraft behaupten konnte. 1991 warst Du der einzige Rigaer Ghetto-Überlebende bei den Dreharbeiten zum ersten Film über die Deportationen aus Westfalen nach Riga. Am 30. März 1993 trafen wir nach der ersten Kranzniederlegung von deutscher Seite am Holocaust-Mahnmal an der Gogolstraße mit Vertretern des Vereins der ehemaligen jüdischen Ghetto- und KZ-Häftlinge Lettlands zusammen.

 

Dich, Margers, erlebte ich als Türöffner und Wegbereiter der mit der Unabhängigkeitsbewegung aufbrechenden Erinnerung: Als großen Brückenbauer der Erinnerung an die vitale und reiche jüdische Kultur, einer Erinnerung an die zahllosen jüdischen Opfer, die Gequälten, Erschossenen, Verhungerten, an die Täter und Helfershelfer der deutschen Besatzer, aber auch an die Judenretter und wenigen Wehrmachtsdeserteure. Das von Dir aufgebaute Museum „Juden in Lettland“ wurde zu einem lebenden Denkmal!

DU machtest es durch Deine Forschungen und Deinen enzyklopädischen Wissensreichtum möglich, dass endlich auch in Deutschland die Erinnerung an die jüdischen Nachbarn von nebenan auflebte. Von denen war über 50 Jahre nur ein „verschollen in Riga“ geblieben.

Die Geschichtsstunden und Zeitzeugengespräche mit Dir werden Tausenden deutscher Bürgerinnen und Bürgern für immer im Gedächtnis bleiben.

Die Nazi-Staatsverbrecher wollten die totale Vernichtung ihrer Opfer, indem sie auch die Erinnerung an sie auslöschen wollten.

Du hast ihnen mit Deiner unermüdlichen Arbeit einen Strich durch die teuflische Rechnung gemacht. Du hast sie auf diesem Feld besiegt.

Du, Margers Vestermanis, hast Dich in höchstem Maße um die Opfer des Holocaust in Lettland, um die Jüdische Gemeinde, um das demokratische Lettland, um Brücken der Erinnerung mit Deutschland und mit jungen Menschen verdient gemacht! Damit wir alle daraus für ein friedliches Europa lernen! Die Jüdische Gemeinde, die lettische Gesellschaft und Politik können wahrlich stolz auf einen Bürger wie Dich sein.

Als menschlichen Glücksfall sondergleichen erlebte ich, wie zwischen uns über intensive Gespräche und häufig auch lachendes Zusammensein geradezu familiäre Nähe und Freundschaft wuchs. Wir sind von ganzem Herzen dankbar, dass wir Dich und Eva kennen lernen durften.“