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ISAF-Debatte im Bundestag: Wie es wirklich um Afghanistan steht, interessiert immer weniger! Kommentar zu einer vertanen Chance

Veröffentlicht von: Nachtwei am 16. Februar 2013 12:06:31 +01:00 (41456 Aufrufe)

Zum 14. Mal gab der Bundestag mit sehr großer Mehrheit grünes Licht für die Bundeswehrbeteiligung am ISAF-Einsatz in Afghanistan. Schlüsselfragen der kritischen Übergangsphase in Afghanistan blieben ausgeklammert. Keine guten Zeichen. Hier mein Kommentar.

ISAF-Debatte am 31. Januar im Bundestag: Wie es wirklich steht um Afghanistan, interessiert immer weniger -

Kommentar von Winfried Nachtwei, MdB a.D.

Am 31. Januar 2013 stimmte der Bundestag zum inzwischen 14. Mal mit übergroßer Mehrheit der Bundeswehrbeteiligung an ISAF zu. Für Techniker der Regierungspolitik mag damit alles in Ordnung sein.  Aber ist damit die deutsche (und internationale) Afghanistanpolitik auf einem guten, einem besseren Weg?

Die Debatte verfolgte ich mal wieder von der Zuschauertribüne aus. Da bekommt man auch das Debattenklima mit.

Meine Erwartungen waren von vorneherein nüchtern-gedämpft: Nach zwölf Jahren AFG-Einsatz sind Ermüdungserscheinungen selbstverständlich. Neuere und näher liegende Großkrisen absorbieren politische Aufmerksamkeit und Kapazitäten und verdrängen Afghanistan, das vor zwei/drei Jahren noch die größte Herausforderung für bundesdeutsche Sicherheits- und Friedenspolitik war, aus der ersten Reihe.

Viel freundliches Wiedersehen mit KollegInnen und Bundestagsbediensteten änderten nichts daran, dass ich nach einer Stunde den Plenarsaal politisch ziemlich enttäuscht verließ.

„Sich ehrlich machen" - das wurde in vielen Jahren deutscher und internationaler Afghanistanpolitik versäumt. Das soll sich, so der regierungsoffizielle Anspruch, in den letzten Jahren gebessert haben. In der Debatte ist davon nicht viel zu spüren: KoalitionsrednerInnen spulen die übliche Formel der Selbstzufriedenheit ab, die Übergabe sei auf einem guten Weg. Kein Wort, dass die Sicherheitsvorfälle noch über dem Niveau von 2009 liegen und dass sich Bevölkerungssicherheit noch nicht gebessert hat. Oppositionsredner bemängeln das Fehlen eines Abzugsplans und stellen die Glaubwürdigkeit des Abzugsversprechens in Frage. Die andere Schlüsselfrage bleibt außer Acht, wie nämlich der heikle Übergang in den Jahren 2013/2014 glimpflich bewältigt werden kann.

Gewichtsverlagerung zum Zivilen: Offenkundig ist, dass mit dem Runterfahren des Militäreinsatzes die zivilen und polizeilichen Aufbauunterstützungen an Gewicht gewinnen. Dass eine so große und komplexe Einrichtung wie das deutsche PRT in Kunduz erstmalig von einem AA-Beamten geleitet wird, ist ein geradezu historischer Schritt in der operativen ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Wie funktioniert das? Die Bundeswehr hat sich aus Badakhshan und Takhar zurückgezogen, norwegische und US-Kräfte haben die Nordwestregion verlassen - wie sind die Erfahrungen damit? (In Badakhshan stiegen die von Regierungsgegnern initiierten Attacken von 35 in 2010 über 57 2011 auf 69 2012, in Faryab/NW von 296 über 329 auf 365, in Baghlan von 222 über 82 auf 154. Demgegenüber Rückgang in Takhar von 144 über 34 auf 19, in Kunduz von 355 über 205 auf 163.) Nichts dazu in der Debatte.

Im Auftrag der deutschen Entwicklungszusammenarbeit arbeiteten in 2012 ca. 1.800 Frauen und Männer in Afghanistan, davon 350 Deutsche und andere Internationale. Wie verändern sich ihre Arbeitsbedingungen? Was ist mit ihnen künftig bei Unfällen und in Notfällen? Wie können ihre Risiken im verantwortbaren Rahmen gehalten werden? Wieweit können künftig Freiwillige für einen EZ-Einsatz in Afghanistan gewonnen werden, wieweit tragen Angehörige das mit? Wie ist die Bereitschaft von Einheimischen, weiterhin mit Internationalen zusammenzuarbeiten? Nichts dazu in der Debatte.

Schlüsselfaktor Polizei: Die Weiterentwicklung der noch zurückgebliebenen Polizei ist der Schlüsselfaktor für die Bürgersicherheit in Afghanistan. Was ist mit den „ungesetzlichen Milizen", die in der Provinz Kunduz allein 4.500 Mann umfassen sollen? Die bisherige Aufbauhilfe für die afghanische Polizei wird sich schnell in Luft auflösen und „umsonst" gewesen sein, wenn nicht über 2014 hinaus eine wirksame Begleitung durch internationale und deutsche Polizeiberater gewährleistet wird. Welche Größenordnung müsste Deutschland bereitstellen, das bisher bei der Polizeihilfe vor allem in qualitativer Hinsicht eine zentrale Rolle spielte? Wie können hier die Risiken im verantwortbaren Rahmen gehalten werden? Hierzu müssten AA und BMI dringend Optionen vorlegen. Die sind aber nicht in Sicht.

In der Debatte findet diese strategische Lücke keinerlei Erwähnung. Das Wort „Polizisten" fällt zum ersten und einzigen Mal in der letzten Minute der Debatte - im Kontext des Dankes an entsandte Einsatzkräfte. Seit Jahren leidet die deutsche Entsendefähigkeit für internationale Polizeiaufbauhilfe an schrumpfenden Personalkapazitäten, innerdeutschen Aufgabenzuwachs, föderalen Uneinigkeiten und ungeklärtem politischen Willen. Hier könnte, hier müsste das Parlament initiativ werden und die Möglichkeiten der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen nutzen. Das wird - zum x-ten Mal - versäumt.

Vertane Chance: Einzelne Redner betonen, Deutschland werde sich nicht aus der Verantwortung zurückziehen, der Aufbau Afghanistans sei eine Generationenaufgabe. Alles richtig und persönlich wohl auch ehrlich gemeint. Aber wenn gleichzeitig zu drängenden Fragen so einmütig geschwiegen wird, dann sind die richtigen Worte leer, Rufe in der Wüste.

Die hoch gelobte deutsche Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen bleibt heute in der Routine stecken. Chancen werden nicht wahrgenommen.

Viele Menschen in Afghanistan sind verunsichert, haben Angst, dass sie über den Truppenrückzug hinaus insgesamt von der Internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen werden. Sie brauchen dringend glaubwürdige Signale einer verlässlichen Unterstützungspartnerschaft über 2014 hinaus. Eine solche Botschaft wurde an diesem Morgen im Bundestag nur formal zu Protokoll gegeben.

Auf der Besuchertribüne war niemand von der afghanischen Botschaft, waren keine Soldaten und Entwicklungshelfer, nur zwei Journalisten. Das war vielleicht auch besser so.

Nachbemerkungen:

(a)  Wichtige Empfehlungen zur weiteren Afghanistanpolitik bringt der Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen - http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/121/1712187.pdf . Der Antrag belegt, dass die Grünen sich trotz aller Nichtzustimmung zum Antrag der Bundesregierung keineswegs vom Afghanistanengagement absetzen, sondern für langen Atem werben und konkrete Schritte vorschlagen. Das Handicap eines solchen Antrages ist aber, dass seine differenzierten Vorschläge weit unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle bleiben. Wichtige Impulse kamen von der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden + Internationales der Grünen, die am 12. Januar ausführlich zu Afghanistan getagt und einen Beschluss gefasst hatte. Das Engagement, die Differenziertheit und Sachorientierung der über 50 jüngeren und älteren BAG-TeilnehmerInnen empfand ich als ausgesprochen ermutigend.

(b)  Sollten die o.g. Fragen in den Ausschüssen behandelt worden sein, so würde das meine Kritik relativieren. Ich wäre erleichtert.

(c)   Auf der Münchner Sicherheitskonferenz spielte Afghanistan auf dem Podium keine Rolle. Abgehakt. Kein Blick nach Kunar und Nangahar, den nordöstlichen Grenzprovinzen zu Pakistan mit den inzwischen meisten Aufständischen-Attacken (Kunar 1.303) bzw. höchsten Steigerungsraten (Nangahar +30%) und den dortigen Vorbereitungen auf Nach-2014.

 

 


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Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

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Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

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Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

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