Aus aktuellem Anlass: Rückblick: EUFOR 2006

Von: Webmaster amSa, 24 Mai 2008 14:13:45 +01:00
Einige Rückblicke auf die EU-Mission EUFOR im Jahre 2006 und die deutsche Politik dazu:

Rückblick: EUFOR 2006

(Auszüge aus meinen Kurzmeldungen)

22.12.2006

Interview mit WDR 2 zum Kongo-Erfolg: Die EUFOR-Mission - vor einem halben Jahr hierzulande hoch umstritten - bekommt nun im WDR von interviewten Kongolesen wie dem deutschen Reporter vor Ort Bestnoten. Dieser wichtige Schritt weg vom Kriegs-Kongo in Richtung von mehr Friedenschancen ist eine Gemeinschaftsleistung, zu der die bewundernswert engagierte Wahlbevölkerung und vitale Zivilgesellschaft im Kongo gemeinsam mit der Internationalen Gemeinschaft, mit MONUC, EU und EUFOR beigetragen haben. Manche sprechen von einem irdischen „Wunder". Jetzt muss die Internationale Gemeinschaft mit anderen Unterstützungen am Ball bleiben - z.B. Unterstützung der Sicherheitssektorreform durch die EU und nun auch mit deutscher Beteiligung. Sonst bliebe der bisherige Erfolg eine teure Eintagsfliege und kann der Kongo wieder zurückrutschen.

Der große politische Erfolg entbindet nicht von der Notwendigkeit einer genauen Auswertung des Einsatzes. Seine Schattenseite war die dank einer unprofessionellen Privatfirma teilweise unzumutbare Unterbringung der Soldaten. Von der Bundesregierung ist ein Evaluationsbericht zugesagt.

Nach der ersten EU-Mission Artemis 2003 im Nordostkongo, wo eine völkermörderische Entwicklung gestoppt wurde, ist EUFOR DRC die zweite erfolgreiche Friedenssicherungsmission der EU. Leichtsinnig wäre es allerdings, die knappen Zeiten und Kontingentgrößen dieser Mission als Vorbild zu nehmen. Denn bei aller Leistung hat man schlichtweg auch ein gerüttelt Maß Glück gehabt.

18.12.

Brief an die Minister Steinmeier und Jung und die Vorsitzenden der zuständigen Ausschüsse.

„der Wahlprozess in der Demokratischen Republik Kongo ist in einer Weise gelungen, wie es von vielen für kaum möglich gehalten wurde. Manche Kongo-Kenner sprechen von einem regelrechten „Wunder".

Dieser wichtige Schritt weg vom Kriegs-Kongo in Richtung von mehr Friedenschancen ist eine Gemeinschaftsleistung, zu der die bewundernswert engagierte Wahlbevölkerung und vitale Zivilgesellschaft im Kongo gemeinsam mit der Internationalen Gemeinschaft, mit MONUC, EU und EUFOR ihre unverzichtbaren Teile beigetragen haben.

Am 5. Dezember durfte ich in Köln-Wahn die feierliche Begrüßung von 121 aus dem Kongo zurückkehrenden deutschen und niederländischen Soldaten durch den Verteidigungsminister und Generalinspekteur miterleben und mitmachen. Bisher hatte ich in dieser Flugzeug-Halle zweimal die Rückkehr toter und verletzter Soldaten erlebt. Am 12. Dezember berichteten im ZIF deutsche Wahlbeobachter anschaulich von ihren vielfältigen und insgesamt ermutigenden Erfahrungen im Kongo.

Was ich dort spontan anregte und im Verteidigungsausschuss sowie in der Bundestagsdebatte zum Wehrbeauftragten wiederholte, möchte ich Ihnen auf diesem Weg vorschlagen.

Die Bundesregierung sollte mit Unterstützung des Bundestages bzw. der zuständigen Ausschüsse eine öffentliche Veranstaltung in Berlin durchführen, zu der die deutschen Wahlbeobachter, eine repräsentative Delegation der Soldaten, deutsche MONUC-Mitarbeiter sowie andere Kongo-Engagierte (GTZ, katholische Kirche, Stiftungen, Hilfsorganisationen) und Vertreter der Internationalen Gemeinschaft eingeladen werden sollten.

Zweck der Veranstaltung:

Leistung, Erfolg und Perspektiven werden umso besser überkommen, je anschaulicher, persönlicher und ehrlicher mit der zivilen, diplomatischen und militärischen Wahlunterstützung umgegangen wird.

Durch Videosequenzen oder Kurzstatements könnten Geschichten + Bilder + Menschen präsentiert werden, die „hängen bleiben". Angesichts der teilweise erheblichen Probleme in EUFOR-Liegen-schaften und der Tatsache, dass bei aller Professionalität der internationalen Wahlabsicherung der Faktor „Glück gehabt" auch eine Rolle gespielt hat, wäre eine bloße Jubelveranstaltung eher kontraproduktiv. Eine solche Veranstaltung soll die notwendige und zugesagte Evaluation des Einsatzes ja keineswegs ersetzen.

Von Seiten des Parlaments sollten die primär zuständigen Ausschüsse (Auswärtiges, Verteidigung, Entwicklung) sowie die Parlamentariergruppe reinbezogen sein.

Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie den Vorschlag aufnehmen, wenn Bundesregierung und Abgeordnete gemeinsam diese gute Chance nutzen würden. Es wäre auch ein wichtiger Akzent

in der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Diskussion, in der Ernüchterung und Zweifel gegenüber deutschen Beteiligungen an internationalen Krisenengagements wachsen.

(Am 22.1.2007 antwortet Minister Jung: Die Anregung wird in Abstimmung mit dem AA begrüßt. Als Veranstalter wird aber das Parlament empfohlen. Da das Parlament nicht über die auseichenden Kapazitäten für ein solches Unternehmen verfügt, ist der Vorschlag damit gestorben. Inzwischen dominiert der Streit um die Entsendung von Tornado-Aufklärern die sicherheitspolitische Aufmerksamkeit und Diskussion.)

26.9.

2. Kongo-Besuch: Empfang durch den kongolesischen Verteidigungsminister Dr. Adolphe Onusumba. Dank UPI-Eskorte gelangt der Konvoi sehr zügig über den sonst berüchtigt vollen Bvd. Lumumba ins Zentrum zum Force Headquarter von EUFOR und Briefings durch Force Commander, den frz. Generalmajor Damay und seinen Stellvertreter, den dt. Flottillenadmiral Bess.

Gespräch mit Präsidentschaftskandidat Jean-Pierre Bemba. Im Unterschied zu unserem Treffen im April tritt er jetzt seriös und weniger bedrohlich auf. Das Gespräch mit Präsident Kabila fällt wg. des bekannten Organisationschaos im Präsidentenumfeld kurzfristig aus.

Gespräch in der dt. Botschaft mit Vertretern von GTZ, Konrad-Adenauer- und Hans-Seidel-Stiftung, dem Evang. Entwicklungsdienst und einem Steyler Missionar.

Deutlich wird: Die Bevölkerung hat beim Wahlprozess sehr engagiert und ernsthaft mitgemacht, die Wahlbeteiligung von 70% unter den Kongo-Bedingungen ist bewundernswert. (Hierzu hörte ich inzwischen auch etliche positive Berichte von Wahlbeobachtern). Die Auszählung klappte vor allem dank südafrikanischer technischer Hilfe bis auf einzelne Ausreißer insgesamt ordentlich. Dass Kabila nicht im ersten Wahlgang gewann, entkräftete den Parteilichkeitsvorwurf gegen EUFOR und führte zu einem großen Glaubwürdigkeitsgewinn für EUFOR.

Die Auseinandersetzungen vom 21. August bewiesen schließlich die Notwendigkeit des EUFOR-Einsatzes und die Richtigkeit, ihn auf Kinshasa zu konzentrieren.

Während Außenminister Steinmeier noch kein Mal den Kongo besuchte, tritt Minister Jung bei seinem 2. Kongo-Besuch deutlich als ein Ressortminister auf, der immer wieder betont, dass die Bundes-wehrsoldaten zu Weihnachten wieder zu Hause seien, dass also am 30. November Schluss sei. Dieser Wunsch ist so berechtigt wie verkürzt. Denn die Betonung dieses nationalen Interesses entbindet ganz und gar nicht von dem europäischen und internationalen Interesse an einem friedlichen Abschluss des Wahlprozesses bis zur Amtseinführung des Präsidenten. Wie das von VN + MONUC, von EU und Deutschland gewährleistet werden kann, bleibt außen vor. Damit werden peinliche Zwangslagen in November/Dezember begünstigt.

1.6.

Rede bei der zweiten Bundestagsdebatte zur deutschen Beteiligung an der EU-Kongo-Mission EUFOR als zweiter Fraktionsredner nach Fritz Kuhn (Redetext unter http://www.nachtwei.de/). Ich stelle klar: Selbstverständlich geht es nicht darum, die Konflikte im Kongo militärisch zu lösen. Aber wie es auf Dauer keine Sicherheit ohne Entwicklung gebe, so gebe es keinen Aufbau ohne ein Mindestmaß an Sicherheit. Hierzu solle EUFOR die große VN-Truppe MONUC in der kritischen Wahlphase vor allem in der Hauptstadt unterstützen. Die Kongo-Mission ist der umstrittenste Bundeswehreinsatz seit Afghanistan 2001. Ich setze mich mit den Haupteinwänden auseinander, EUFOR sei überflüssig, eine EU-Showveranstaltung, abenteuerlich. Zu den „niederen Beweggründen", die EUFOR von Kritikern unterstellt werden, komme ich angesichts der knappen 5 Minuten Redezeit nicht mehr. Mit einem bunten Hemd aus einem Demobilisierungscamp von CONADER (Kommission für Demilitarisierung, Demobilisierung und Reintegration) illustriere ich, worauf es nach den Wahlen entscheidend weiter ankommt: verstärkte Demobilisierung, Reform von Polizei und Streitkräften, Förderung von guter Regierungsführung und vor allem der bewundernswerten Zivilgesellschaft. Die „sollten wir nicht enttäuschen und nicht entmutigen, sondern nach besten Kräften jetzt, im nächsten Jahr und in den Folgejahren unterstützen." Der Antrag der Bundesregierung wird mit 440 Ja-Stimmen bei 135 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen angenommen. Aus der Grünen Fraktion stimmen 37 mit ja, 11 mit nein, zwei enthalten sich. Damit hat der Kongo-Einsatz wohl mehr als zwei Drittel der Abgeordneten hinter sich. Aber es gab doch so viele Gegenstimmen wie lange bei keinem Auslandseinsatz mehr. Die Begründungen dafür sind allerdings höchst unterschiedlich, erst Recht in der Bevölkerung: Sie reichen von prinzipieller Ablehnung aller VN-Einsätze nach Kapitel VII, von „was geht uns Kongo an" über - sehr berechtigte - Kritik an der Politik der Bundesregierung bis zur Kritik, EUFOR sei zu schwach und bloß Symbolpolitik. 21 Grüne MdB erläutern ihre Ja-Stimme, 10 ihre Nein-Stimme in Persönlichen Erklärungen zur Abstimmung. (http://www.bundestag.de/)

Unser Entschließungsantrag „Dauerhafter Frieden in der Demokratischen Republik Kongo" (Drs. 16/1660), initiiert von Kerstin Müller und mir, wird mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Seine Forderungen zur Kongo-Politik über die Wahlen hinaus sind damit aber keineswegs aus der Welt. In den Vortagen hatte es von Personen und Organisationen, die im Kongo engagiert sind, hohes Lob für den Antrag gegeben. (z.B. Ökumenisches Netzwerk Zentralafrika/Berlin) Angenommen wird immerhin der Koalitionsantrag, in dem eine Aufstockung der europäischen Wahlbeobachter und eine vermehrte Unterstützung der zivilen EU-Missionen zur Polizei- und Streitkräftereform sowie von MONUC gefordert werden.

In der Bevölkerung lehnen ca. 60% die Kongo-Mission ab, die Medien kommentieren überwiegend skeptisch bis ablehnend, in der Bundeswehr sieht es ähnlich aus. Das ist kein Wunder angesichts des Zickzack-Kurses der Bundesregierung und ihrer Mühe, den Auftrag der EU-Truppe überzeugend und plausibel rüberzubringen gegenüber der Fülle an berechtigten Zweifeln, an Unkenntnis und Vorurteilen gegenüber dem Kongo, angesichts mancher gezielter Stimmungsmache. Stimmen mit VN- und Kongo-Erfahrung hatten es gegenüber diesem Mainstream schwer, Gehör zu finden. Und aus den in der DRK engagierten Gruppen entwickelt sich keine hörbare „Pro-Kongo-Koalition". Statt das Fenster der Gelegenheit erhöhter Aufmerksamkeit für den Kongo konstruktiv zu nutzen, überwiegen kritische Anmerkungen nach der Devise „nicht genug". Zurück bleibt der Gesamteindruck: Am Kongo scheiden sich die Geister in verschiedene Richtungen. Und da dort auch lt. SZ-Kommentatoren das „Herz der Finsternis" dräut, wollen viele damit lieber nichts zu tun haben.

18.-23.4.

- Erkundungsreise nach Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, zusammen mit Hans-Christian Ströbele: Gespräche mit Außenminister, den Vizepräsidenten und Ex-Warlords Bemba und Ruberwa, dem stellv. politischen Chef von MONUC, Haile Menkerios, dem stellv. Leiter der politischen Abteilung A. Conze, VertreterInnen von UNHCR, UNICEF, von Menschenrechtsorganisationen, der zivilen EU-Missionen EUPOL und EUSEC (Polizei- und Militärreform), mit kongolesischen Abgeordneten, VertreterInnen von NGO`s und Zivilgesellschaft, deutschen Entwicklungsexperten und Deutsche mit langjähriger Kongo-Erfahrung. In den ersten beiden Tagen ist auch die FDP-Kollegin Elke Hoff dabei. Zeitgleich führen die beiden künftigen Kommandeure der EU-Truppe Gespräche in der Stadt.

Zusammengefasstes Ergebnis (vollständig vgl. der Reisebericht unter http://www.nachtwei.de/; Bericht von HC Ströbele unter http://www.stroebele-online.de/):

- Praktisch alle wollen Wahlen. Gerade bei der erstaunlich vitalen Zivilgesellschaft gibt es eine breite Mobilisierung zu den Wahlen.

- Praktisch alle befürworten eine EU-Truppe, besonders Vertreter der Zivilgesellschaft. Seit der ARTEMIS-Mission 2003 in Nordostkongo hat die EU einen besonders guten Ruf, Deutschland steht für Neutralität. Zugleich sind die Anforderungen an die Truppe klar: bloß nicht nur zur Evakuierung und strikt neutral.

- Risiken: Gesprächspartner mit Landes- und internationaler Erfahrung betonen einmütig, dass schon eine kleine professionelle Truppe große abschreckende Wirkung habe.

- Das sich herauskristallisierende Einsatzkonzept scheint plausibel. Die EU-Truppe wäre „4. Reihe" nach den verlässlicheren Teilen von kongolesischer Polizei und Streitkräften und nach MONUC. Für den Dreifachauftrag Stabilisierung Kinshasas, Notfallunterstützung für MONUC ggfs. außerhalb Kinshasa und Evakuierung sind die vorgesehenen Kräfte bisher zu knapp bemessen. Eine glaubwürdige und durchsetzungsfähige Truppe braucht mehr Kräfte, die zugleich flexibler einsetzbar sein müssen. (Das ist eine Kritik an den Vorfestlegungen von Minister Jung, der sich für den Bundeswehranteil ohne Definition des genauen Auftrages auf 500 Mann und nur Kinshasa festlegte. Damit wäre k e i n e glaubwürdige Truppe hinzubekommen, wo in der Regel auf einen Einsatzsoldaten bis zu drei Unterstützer kommen, wo Hauptquartierskräfte u.a. nicht auf Kinshasa beschränkt sein dürfen.)

- Die politische Aufmerksamkeit darf sich nicht auf die EU-Mission und die Wahlen beschränken. Soll die EU-Truppe keine teure Aktion Wasserschlag werden, muss sich die EU nach der Wahl vor allem in vier Bereichen engagieren: Sicherheitssektorreform, beschleunigter Aufbau der desolaten Verkehrsinfrastruktur, gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung, Rückgewinnung der reichen Bodenschätze für einen funktionierenden Staat.

- Die Begegnungen und Erfahrungen in Kinshasa haben meinen Standpunkt weiter geklärt und gestärkt: Die bewundernswerte Zivilgesellschaft im Kongo und die Vereinten Nationen brauchen jetzt, in dieser Phase besonderer Chancen und Risiken, die volle Unterstützung - wenigstens jetzt, nachdem der Krieg im Kongo hierzulande, von uns über Jahre ignoriert worden war. Umso deutlicher empfinde ich die Schräglage der Diskussion in Deutschland, wo nicht die besondere Situation in der DRK, sondern die Risiken für die eigenen Soldaten im Vordergrund stehen und meist ausgeblendet bleibt, welchen Risiken Deutsche ohne Uniform in der DRK und erst Recht die indischen, pakistanischen Blauhelmsoldaten von MONUC ausgesetzt sind. Kein Wunder, dass etliche Gesprächspartner in Kinshasa sehr von der Debatte in Deutschland und der vielen „German Angst" dabei enttäuscht sind.