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Bericht von Winfried Nachtwei
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Nach München, Würzburg, Türkei, Nizza wieder KABUL: IS-Massaker gegen Massendemonstration der Hazara-Minderheit. UNAMA-Bericht Zivilopfer

Veröffentlicht von: Nachtwei am 24. Juli 2016 00:45:48 +02:00 (68299 Aufrufe)

Auch wenn München, Würzburg, Nizza näher sind - dass jetzt in Kabul erstmalig demonstrierende Frauen und Männer von IS-Terroristen massakriert werden, darf uns nicht egal sein. Wenigstens hinsehen!

IS-Massaker gegen friedliche Massendemonstration

der Hazara-Minderheit in Kabul, UNAMA zu Zivilopfern

Winfried Nachtwei, 23./25. Juli 2016

München, Würzburg, Türkei, Nizza erschüttern uns, ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Darüber sollte aber keineswegs aus dem Blick geraten, was die Menschen jetzt in Kabul durchmachen, welche neue Stufe der Terror dort erreicht hat.

Zum wiederholten Mal waren dort Abertausende auf die Straße gegangen, hatten ihr Demonstrationsrecht friedlich wahrgenommen und eine bemerkenswerte demokratische Stärke gezeigt. (Fotos auf http://edition.cnn.com/2016/07/23/asia/afghanistan-explosion/ , www.facebook.com/winfried.nachtwei )

(1) Über 10.000 Menschen – überwiegend Angehörige der schiitischen Hazara-Minderheit - demonstrierten am Samstag, 23. Juli, in Kabul gegen die von der Regierung in Aussicht genommene Streckenführung der Stromtrasse von Turkmenistan nach Kabul.

Am Delmazang Circle griffen zwei Selbstmordattentäter die friedlichen Demonstranten an einem Lkw mit Rednertribüne kurz vor einer Gebetspause an (ein dritter wurde vor Zündung des Sprengstoffgürtels von Sicherheitskräften erschossen). 80 Menschen starben bisher, über 230 wurden verletzt. Hunderte Demonstranten kehrten zum Anschlagsort zurück und sperrten ihn mit einer riesigen Nationalfahne ab, die sie vorher im Zug getragen hatten. Nur Ambulanzwagen wurden durchgelassen. TOLOnews zeigt ein fünfminütiges Video zu der lebhaften und gut organisierten Demonstration: http://www.tolonews.com/en/afghanistan/26388-watch-protestors-march-through-kabul-over-power-line-plans

Daesh/IS bekannte sich inzwischen auf Amaq News Agency zu dem Anschlag und rühmte ihn als „Märtyrerattacke auf Schiiten“. Die Taliban bestritten jede Beteiligung und verurteilten den Anschlag als Verschwörung zum Entfachen eines Bürgerkrieges. (https://news.siteintelgroup.com/Jihadist-News/is-amaq-news-agency-claims-dual-suicide-bombing-in-kabul.html )

Ein dreiminütiges Video auf Youtube zum Horror am Anschlagsort kurz nach der Explosion : https://www.youtube.com/watch?v=llRPDfJ0LhU

Laut Thomas Ruttig berichteten lokale Medien von Freudenkundgebungen in der IS-Hochburg im ostafghanischen Distrikt Atschin.

Das Massaker vom 23. Juli  ist der

- erste Angriff dieser Art auf eine friedliche Demonstration in Afghanistan und der 

- opferreichste Angriff auf die Hazara in den letzten 15 Jahren. Im Dezember 2011 hatte ein Angriff auf den Shia Schrein in Kabul 63 Todesopfer gefordert.

Politische Reaktion: Scharf verurteilt wurde der Anschlag u.a. vom afghanischen Präsidenten Ghani, vom National Ulema Council (Rat der Höchsten Religionsgelehrten), von UNAMA („Kriegsverbrechen“), Resolute Support, dem UN-Sicherheitsrat und –Generalsekretär, von Amnesty International, dem indischen Premierminister Modi, vom russischen Präsidenten Putin, dem iranischen Außenminister Zarif, von Außenminister Steinmeier, von den Taliban …

(Ausführlicher Artikel von Thomas Ruttig zu Verlauf und Hintergründen des Anschlags unter https://thruttig.wordpress.com/2016/07/24/is-anschlag-auf-friedliche-demo-in-kabul/ )

(2) Der Stromstreit

Für die geplante Stromtrasse von Turkmenistan nach Kabul (TUTAP) gibt es zwei Optionen: durch die Provinz Bamyan (überwiegend von Hazara besiedelt) oder über den Salang-Pass (Tadschiken-Gebiet). Die Regierung schwankt. Die „Be-/Erleuchtungsbewegung“, die stark von Hazara, aber auch von anderen zivilgesellschaftlichen Aktivisten getragen wird, engagiert sich für die Bamyan-Option. Mitte Mai organisierte sie eine Großdemonstration in Kabul mit ca. 10.000 TeilnehmerInnen. Am 21. Mai berichtete Thomas Ruttig auf seiner Seite von der beeindruckend organisierten Demonstration und erläuterte die Hintergründe: https://thruttig.wordpress.com/2016/05/21/stromstreit-in-afghanistan-die-spannung-steigt-taz-20-5-16-al-jazeera/ (ausführliche Artikel zum Thema  https://www.afghanistan-analysts.org/power-to-the-people-3-perspectives-from-bamyan/ )

(3) Andere Massendemonstration

Am 11. und 12. November 2015, unmittelbar vor den Terroranschlägen von Paris am 13.11., erlebte Afghanistan die laut TOLOnews größte Welle an Demonstrationen seit mehr als 40 Jahren. Zehntausende demonstrierten in Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat, Zabul City, insgesamt in 26 Provinzen. In Kabul sollen es allein etwa 20.000 Menschen gewesen sein, darunter Tausenden Frauen, aus allen ethnischen Gruppen, jung und alt.

http://www.tolonews.com/en/afghanistan/22305-zabul-seven-tragedy-sparks-unity-across-country

Die Proteste richteten sich gegen die Ermordung von sieben Hazara – vier Männern, zwei Frauen und eines neunjährigen Mädchens –in der Provinz Zabul wenige Tage zuvor. Den im vorigen Monat (andere Quelle vor Monaten) in der Nachbarprovinz Ghazni Entführten wurde die Kehle durchgeschnitten. Afghanische Medien bezeichneten Taliban bzw. IS-Anhänger als Täter. Zu den Hintergründen und mutmaßlichen Tätern genauer Thomas Ruttig, https://thruttig.wordpress.com/2015/11/11/proteste-gegen-mord-an-zabul-sieben-in-kabul/

Demonstranten trugen die Särge der Ermordeten, Frauen den Sarg des Mädchens. „Die Protestierenden in Kabul trugen Banner und riefen Slogans gegen die Taleban, Pakistan und auch die Regierung Ghanis. Einiger der Banner sagten: „Heute töten sie uns, morgen töten sie euch“, „Beendet die Politik des Schweigens gegenüber der Gewalt!“, „Wir haben unsere Stimmen vereinigt, um uns zu befreien“, „Daulat, Daulat – Amniat, Amniat“ (svw. „Regierung, (wir wollen) Sicherheit“).“ (T. Ruttig) Auf youtube ein Video von der Demo und den Frauen dabei: https://www.youtube.com/watch?v=UjdCV6p_gQ8 .

Fotos von den Massenprotesten in Kabul gegen die  auf dem Blog Gandhahar

http://gandhara.rferl.org/media/photogallery/afghanistan-hazara-beheadings-security/27357954.html

(4) Other ISIS attacks in Afghanistan (PIXII, http://pix11.com/2016/07/23/blast-rips-through-demonstration-in-kabul-afghanistan-killing-at-least-31/

ISIS attacks or ISIS-inspired attacks in Afghanistan include:

• April 18, 2015 – A suicide bomber on a motorbike blew himself up in front of a bank in Jalalabad, Afghanistan, killing at least 33 people and injuring more than 100 others. “On April 18, local media received text messages allegedly from Shahidullah Shahid, a key figure in the establishment of Wilayat Khorasan, claiming responsibility on behalf of ISIS for the attack,” the Institute for the Study of War reported. Wilayat Khorasan is the ISIS affiliate in Afghanistan and Pakistan. The attack is believed to have been conducted by ISIS or one of its affiliates.

• January 13, 2016 – Three ISIS fighters launched an attack on the Pakistani consulate in Jalalabad. The first operative reportedly detonated his explosives while attacking the consulate’s guards and a second bomber detonated his device inside the building. A local official said six people were killed, as well as the three assailants. The attack is believed to have been carried out by ISIS or one of its affiliates.

• June 5, 2016 – The Khorasan Province of ISIS claimed it had carried out the assassination of Afghan member of parliament Sher Wali Wardak. Wardak was killed by an IED while in his car in Kabul. The attack is believed to have been carried out by an ISIS affiliate.

• June 20, 2016 – The Khorasan province of ISIS claimed responsibility for a suicide attack on a bus carrying Nepalese security guards in Kabul. At least 16 people were killed in the attack. ISIS identified the bomber as Irfanullah Ahmed and published a photo of him. But the Afghan Taliban also claimed responsibility for the attack. The origins of the attack are unknown.

Why Taliban special forces are fighting IS” von Dawood Azani,    http://www.bbc.com/news/world-asia-35123748

Daesh/IS im Norden

Zu “Jumdullah”, einer 2009 entstandenen Gruppe von Afghanen usbekischer Herkunft: Angesichts einer schwierigen Allianz mit den Taliban versuchte Jumdullah das Durcheinander um die Taliban-Einnahme von Kunduz im letzten September auszunutzen, um sich als unabhängiger Daesh-Verbündeter zu etablieren. Nach schnellen Gegenmaßnahmen der Taliban betreibt Jumdullah nochz Propaganda und Rekrutierung. (“The 2016 insurgency in the North: Raising the Daeshflag (although not for long)”, von Obaid Ali, 16. Juli 2016, https://www.afghanistan-analysts.org/the-2016-insurgency-in-the-north-raising-the-daesh-flag-although-not-for-long/

(5) Zivilopfer im Kontext des bewaffneten Konflikts in Afghanistan: UNAMA-Bericht 1. Quartal 2016

Im Vergleich zum Vorjahrszeitraum stieg im ersten Quartal 2016 die Zahl der Zivilopfer um 2% auf 1.943, davon 600 Tote (-13%) und 1.343 Verletzte (+11%). Besonders stark stiegen die Opferzahlen bei Frauen (+5%) und Kindern (+29%). Von Januar bis März wurden 161 Kinder getötet und 449 verletzt –

ein Drittel aller Zivilopfer!

Regierungsfeindliche Kräfte werden für 60% der Zivilopfer verantwortlich gemacht (-15%), Pro-Regierungskräfte 19% (+70% v.a. wg. Einsatz von Mörsern, Raketen, Granaten), zu 16% der Zivilopfer kam es bei Kämpfen zwischen den Konfliktparteien. 

38% der Zivilopfer geschahen bei Bodenkämpfen, 20% durch IED`s (-17%), 18% durch komplexe und Suizid-Angriffe (+26%). (Der UNAMA-Report 1. Quartal 2016: http://unama.unmissions.org/un-chief-afghanistan-do-more-now-protect-civilians-unama-releases-civilian-casualty-data-first

Zum UNAMA-Jahresbericht 2015, Zusammenfassung + Kommentar: http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1392

 

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch