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Wem nutzen Internationale Polizeimissionen? Nachtwei-Vortrag im Polizeipräsidium Münster

Veröffentlicht von: Nachtwei am 22. Mai 2012 20:16:19 +01:00 (22871 Aufrufe)

Auf Einladung von Polizeipräsident Hubert Wimber referierte ich vor den leitenden Beamten und dem Personalrat des Polizeipräsidiums Münster über ein Thema, dem ich seit 1996 immer wieder in Krisenregionen begegnet bin und dessen Vernachlässigung in Berlin ich jahrelang schmerzhaft erfahren habe. Mit dem Vortrag kehrte ich an den Ort zurück, wo ich Ende der 80er Jahre als Mitglied des Polizeibeirats meine ersten parlamentarischen Erfahrungen sammelte.

Wem nutzen Internationale Polizeimissionen?

Vortrag im Polizeipräsidium Münster

Pressemittelung des Polizeipräsidiums Münster www.presseportal.de/polizeipresse/pm/11187/2256683/pol-ms-internationale-polizeimassnahmen-helfen-den-frieden-zu-sichern-winfried-nachtwei-referiert

Seit 1996 in Mostar begegnete ich bei meinen Besuchen auf dem Balkan und in Afghanistan immer wieder deutschen Polizisten im Auslandseinsatz, unter ihnen viele aus Nordrhein-Westfalen. 2004 erlebte ich im Kosovo den Ausbruch der „Märzunruhen". Das deutsche Polizeikontingent in Afghanistan besuchte ich fast jährlich, zuletzt Anfang Mai.

Wenig bekannt ist, wie sehr seit 1988 die Polizeikomponente bei UN-Friedensmissionen angewachsen ist: damals 35 Polizisten, heute 14.400 bei 15 Missionen. In den letzten fünf Jahren nahm die Zahl der Soldaten in UN-Missionen um 13% zu, die der Polizisten um 80%. Der Grund für die Schlüsselrolle Internationaler Polizeimissionen bei UN-Friedenssicherung liegt eigentlich auf der Hand: Wo Militär im besten Fall kriegerische Gewalt eindämmen kann, tragen internationale Polizisten, Rule-of-Law- und Verwaltungsexperten bei zu Sicherheitssektorreform, Förderung legitimer Staatlichkeit, nachhaltige staatliche und Bürgersicherheit. (vgl. Bericht des UN-Generalsekretärs „United Nations Police" an die Generalversammlung, A/66/615 vom 15.12.2011, sehr informativ und verglichen mit nationalen Dokumenten sehr offen und selbstkritisch, www.un.org/en/peacekeeping/sites/police )

Deutschland entsandte seit 1989 (Namibia) 8.120 Beamte. Heute sind insgesamt 326 deutsche Polizistinnen und Polizisten bei 7 Missionen der EU, vier der UN und dem bilateralen German Police Project Team in Afghanistan eingesetzt. So hervorragend der Ruf deutscher Polizisten international ist, so bedauerlich ist zugleich, dass die Bundesrepublik wie die anderen EU-Länder sich nur minimal an der UN-Police beteiligen. Im Dezember 2000 kamen von 7.565 UN-Polizisten 2.258 aus der EU (29,8%), Ende 2009 kamen von 12.794 UN-Polizisten nur noch 539 (4,2%) aus der EU.

Im Vortrag beschreibe ich aus meiner persönlichen Erfahrung mit Bildern den Werdegang der Polizeimission in Bosnien-Herzegowina und Kosovo und insbesondere in Afghanistan: Von den politischen Illusionen der ersten Jahre und der sträflichen Unterausstattung der deutschen „Lead-Rolle" beim Polizeiaufbau über den Fehlstart der EUPOL-Mission 2007 zum Zweitstart mit umfassenderen Kräften und Kapazitäten ab 2008. Hoffnungsvoll aufgewachsen sind inzwischen die Ausbildungskapazitäten für die afg. Polizei. Hervorragend ist das breite Alphabetisierungsprogramm der GIZ für den ganzen Norden. Seit dem letzten Herbst arbeiten die deutschen Polizeiberater nur noch in den Trainingscamps. Das ist aus Sicherheitsgründen verständlich, von den Wirkungen her zugleich problematisch. Mit dem Verzicht auf die nachfolgende Begleitung und Beratung am Arbeitsplatz in den Distrikten wächst für die gerade ausgebildeten Polizisten das Rückfallrisiko in traditionelle Mentalitäten und Strukturen.

Der Weltentwicklungsbericht der Weltbank von 2011 hat es überzeugend dargestellt: Fragile Staatlichkeit ist ein wesentlicher Nährboden für Gewaltkonflikte und Rückfälle, Förderung legitimer Staatlichkeit deshalb eine Schlüsselaufgabe für eine Politik internationaler und gemeinsamer Friedenssicherung. Aber diese Aufgabe braucht Zeit, lässt sich nicht in wenigen Jahren erreichen.

Dass die Unterstützung internationaler Polizeimissionen seit mehr als 15 Jahren eine Zusatzaufgabe der deutschen Polizeien ist, die in Zukunft noch wachsen wird, scheint vielerorts noch nicht angekommen zu sein. Die Politik muss sich klar werden, wie Deutschland künftig wirksam zu Internationalen Polizeimissionen beitragen will. Es braucht eine andere Gewichtung zwischen militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten. Dabei ist der Bund in der Pflicht, Ausgleich für die Lücken zu schaffen, die entsandte Polizisten hier auf ihren Dienststellen hinterlassen.

(Den ganzen Vortrag werde ich in Kürze hier veröffentlichen.)

Nachdem Bundes- und Landesparlamente das Thema lange vernachlässigt hatten, haben SPD und Grüne in jüngster Zeit begrüßenswerte Initiativen gestartet:

-         Antrag der SPD „Deutsches Engagement beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in internationalen Friedensmissionen stärken und ausbauen", Bundestagsdrucksache 17/8603 vom 8.2.2012

-         Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen  „Deutscher Beitrag zu internationalen Polizeieinsätzen", Bundestagsdrucksache 17/9360 vom 18.4.2012 und Antwort der Bundesregierung, Drs. 17/9535 (die Landtagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen haben in den Bundesländern ebenfalls Kleine Anfragen gestellt)

Am 9. Juni 2011 führte der Innenausschuss des Landtags NRW eine Anhörung zur Polizeiaufbauhilfe in Afghanistan durch. Meine Stellungnahme unter www.nachtwei.de/index.php/articles/1049

Informationsblätter der Geschäftsstelle der AG Internationale Polizeimissionen auf

www.bundespolizei.de/DE/06Die-Bundespolizei/Aufgaben-Verwendungen/International/IPM/IPM_node.html

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