Mehr internationale Verantwortung? Ja, nur wie? Empfehlung "Zivile Krisenprävention in globaler Verantwortung - Deutsche Friedensförderung vor neuen Aufgaben"

Von: Nachtwei amDo, 10 Juli 2014 21:39:15 +01:00

Endlich gibt es Debatte um die künftige deutsche Außenpolitik, Streit um mehr internationale Verantwortung Deutschlands. Der Beirat Zivile Krisenprävention macht Vorschläge, wie die Gunst der Stunde genutzt werden könnte, wo deutsche Außenpolitik besser werden sollte und auch könnte - diesseits des Militärischen. Adressaten des Impulspapiers sind die Bundesregierung und der Bundestag.  



Zivile Krisenprävention in globaler Verantwortung –

Deutsche Friedensförderung vor neuen Aufgaben

Impulspapier des Beirats Zivile Krisenprävention
zur Weiterentwicklung der Strukturen ziviler Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung in Deutschland zu Beginn der 18. Legislaturperiode (23. Juni 2014)

Aktuelle Krisen wie in Nigeria, Syrien, Thailand, der Ukraine, Irak oder Venezuela zeigen: Die Förderung des Friedens in allen Teilen der Welt bleibt im 21. Jahrhundert ungebrochen von größter Relevanz. Es gibt gute Gründe, das Politikfeld Krisenprävention und Friedensförderung aufzuwerten, es konzeptionell weiterzuentwickeln und die vorhandenen Strukturen und Kapazitäten auszubauen – national wie im Rahmen der EU, OSZE, UN und anderer internationaler Institutionen. Hinter uns liegen die Erfahrungen aus zwanzig Jahren deutscher Beteiligung an EU-Missionen und anderen internationalen Kriseneinsätzen sowie aus zehn Jahren der Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“. Es wurde einiges erreicht, auf dem sich aufbauen lässt. Andere Punkte müssen kritisch überprüft werden.

Der politische Moment für eine Weiterentwicklung ist günstig: Die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD verweist auf „eine besondere Bedeutung“ der zivilen Krisenprävention, „deren Strukturen wir stärken und weiterentwickeln werden“. Der neu konstituierte Unterausschuss „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ kann auf umfassende Abschlussempfehlungen des Vorgängerausschusses zurückgreifen. Außenminister Steinmeier hat - anknüpfend an den Diskurs über „Neue Verantwortung“ - den Prozess „Review 2014 - Außenpolitik Weiter Denken“ angestoßen und Entwicklungsminister Müller den Prozess „Zukunftscharta EINEWELT – Unsere Verantwortung.

Der Beirat Zivile Krisenprävention möchte vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen die Debatte zu vier Prioritäten befördern, die im Anhang dieses Papiers näher erläutert werden. Dabei konzentrieren wir uns auf die nationale Ebene und verweisen nur gelegentlich auf die internationale.

(1) Konzeptionelle Weiterentwicklung

Notwendig ist die ressortübergreifende Erarbeitung eines friedenspolitischen Leitbildes deutscher außenorientierter Politik, bei dem – anders als im bisherigen Aktionsplan – politische Prioritäten und strategische Schwerpunkte mit Zielformulierungen im Vordergrund stehen. Dies muss einhergehen mit konkreten Umsetzungsschritten.

Insgesamt sollten die bisher vernachlässigte Primärprävention und die systematische Verankerung von Wirkungsbeobachtung in der Planung und allen weiteren Phasen friedensfördernder Vorhaben einen besonderen Stellenwert bekommen.

Nicht nur der Bundestag, sondern auch nichtstaatliche Organisationen müssen an der Erarbeitung des Leitbildes angemessen beteiligt werden. Sie sind wesentliche Akteure der Friedensförderung.

(2) Die vorhandenen Kapazitäten auf Steuerungs- und Durchführungsebene stärken

Die Bereitstellung von schnell und dauerhaft verfügbarem zivilem Fachpersonal in deutschen Schwerpunktqualifikationen (Verwaltungsaufbau, Rule of Law, Sicherheitssektorreform, Polizeiaufbau, Förderung Zivilgesellschaft, Mediation) muss ausgebaut werden. Internationale Einsätze für ziviles Personal müssen so gesetzlich abgesichert werden, dass sie auch für Nicht-Beamte leichter möglich werden. Deutschland verfügt mit dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze, mit staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und vielen anderen Institutionen über eine international anerkannte Kompetenz. Auf dieser Stärke kann aufgebaut werden. Dazu sollten unter Berücksichtigung der Civilian Headline Goals der EU Planziele  für das zivile Fachpersonal mit konkretem Zeithorizont formuliert werden.

Auch die Förderung einheimischer Fachkräfte und Kapazitäten zur Friedensförderung und Konfliktbearbeitung in Konfliktregionen sollte ausgebaut werden. Das gleiche gilt für die Ebene der EU und der Vereinten Nationen.

Konfliktsensibilität und die Stärkung der Teilhabe von Frauen in Friedensprozessen (UN-Resolution 1325, zuletzt 2122) müssen Querschnittsanforderungen sein. Standards für Krisenprävention und Friedensförderung sollten anknüpfend an die der EU-Missionen entwickelt und in die Aus- und Fortbildung der Ressorts integriert werden.

Wirksame Krisenprävention ist angewiesen auf eine leistungsfähige Regional-, Friedens- und Konfliktforschung. Bestehende Unterfinanzierungen sind zu überwinden, um Handlungsfähigkeit zu gewährleisten und zu verbessern. Deutschland sollte sich am European Institute of Peace beteiligen und nicht als eines der ganz wenigen Ländern in der EU hier abseits stehen.

(3) Neue ressort- und akteursübergreifende Strukturen

Es besteht nach wie vor ein großer Bedarf für ressort- und akteursübergreifende Plattformen. Dieser kann nicht allein über den bestehenden Ressortkreis gedeckt werden. Vernetztes und kohärentes Handeln sollte deshalb vor allem beim Aufbau eines integrierten Frühwarnmechanismus, der frühes Handeln ermöglicht, beim gemeinsamen Erfahrungsaustausch und der Auswertung internationalen Engagements sowie in der institutionen­übergreifenden Ausbildung verstärkt werden.

Im Sinne vernetzten Handelns muss der Ressortkreis aufgewertet werden. Dies sollte durch die Anbindung an die Staatssekretärs-Ebene, eine personelle Stärkung der beteiligten Fachreferate, ein technisches Sekretariat sowie eigene Verfügungsmittel geschehen.

 

Entsprechend sollten Mandat und Ausstattung des Beirats Zivile Krisenprävention gestärkt werden. Einige Mitglieder des Beirats befürworten seine Weiterentwicklung zu einem „Rat für internationale Friedensförderung“.

 

Es wird anerkannt, dass verschiedene Institutionen und unabhängige Forschungseinrichtungen bereits wertvolle Arbeit bei der akteursübergreifenden Auswertung von Erfahrungen leisten. Dennoch fehlt es an einem Ort, der zentrale Erkenntnisse zusammenführt und für alle Akteure verfügbar macht. Daher ist zu prüfen, inwieweit Mandate und Ausstattung der bestehenden Einrichtungen so erweitert oder ergänzt werden können, dass Lernerfahrungen ressortübergreifend und in der politischen Meinungsbildung stärker abgefragt und genutzt werden können.

(4) Friedensförderung sichtbar machen

Es bedarf besonderer professioneller Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, um zivile Krisenprävention aus dem Aufmerksamkeitsschatten zu holen und sie bekannt, interessanter und politisch relevanter zu machen. Eine erste Maßnahme wäre eine journalistische Aufarbeitung und ansprechende Veröffentlichung der Berichte der Bundesregierung zur Umsetzung des Aktionsplanes. Haushaltsmittel für Öffentlichkeitsarbeit sollten auch zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Verfügung gestellt werden.

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Aus Sicht des Beirats braucht die Umsetzung der oben genannten vier Prioritäten Zielvorgaben und Mittelaufwuchs. Wirksamere Krisenprävention kann erhebliche Krisenfolgekosten ersparen, ist aber ohne Verstetigung und einen Aufwuchs an Haushaltsmitteln sowie planmäßige Umsetzungsschritte nicht zu haben.

 

Erläuterungen und Begründungen

Zu den Vorbemerkungen:

Zu Priorität (1):

Befördert durch die vorrangige Befassung mit Post-Konflikt-Engagements ist die eigentliche Krisen- und Gewaltprävention in den Hintergrund getreten.

Zu Priorität (2):

Zu Priorität (3):

Zu Priorität (4):

 

 

Zur Schlussbemerkung:

Maßnahmen der zivilen Krisenprävention und Friedensförderung sind vergleichsweise viel billiger als der Einsatz militärischer Kontingente. Exemplarisch und eklatant war über Jahre die Diskrepanz zwischen militärischen und zivilen Ressourcen beim Afghanistaneinsatz. Ein Geburtsfehler des Aktionsplans 2004 war, dass die Politik die Schlüsselfragen planmäßiger Umsetzungsschritte (zivile Planziele) und benötigter Ressourcen ausklammerte. Diese Implementierungslücke muss jetzt angegangen werden.

 

Der Beirat für Zivile Krisenprävention

Der Beirat für Zivile Krisenprävention wurde 2005 im Rahmen des Aktionsplans der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ geschaffen, um die Einbeziehung relevanter nicht-staatlicher Akteure im Bereich der zivilen Krisenprävention sicherzustellen. Ihm gehören Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft und Zivilgesellschaft an. Er begleitet fachlich die Arbeit des Ressortkreises für Zivile Krisenprävention.

Dem vorliegenden Papier haben 18 von 19 Mitgliedern des Beirats für Zivile Krisenprävention zugestimmt. Ein Mitglied hat sich der Stimme enthalten. Das Votum der Beiratsmitglieder ist Ausdruck ihrer persönlichen Meinung, die nicht notwendigerweise mit jener der von ihnen vertretenen Organisationen übereinstimmt.

Ansprechpartner: Dr. Jörn Grävingholt und Winfried Nachtwei, Co-Vorsitzende des Beirats