www.nachtwei.de :: Pressemitteilung + Beiträge von Winfried Nachtwei :: Mein persönlich-politischer Jahresrückblick 2012: intensiv und ohne Hast http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=38-120&aid=1184 en-us Webmaster hourly 1 http://backend.userland.com/rss

Mein persönlich-politischer Jahresrückblick 2012: intensiv und ohne Hast

Veröffentlicht von: Nachtwei am 4. Januar 2013 19:07:04 +01:00 (88109 Aufrufe)

"Was machst Du denn jetzt eigentlich?" höre ich immer wieder. Auch im dritten Jahr nach meinem Abschied aus dem Bundestag bin ich so frei, in Schwerpunkten zur Friedens- und Sicherheitspolitik arbeiten zu dürfen: in Buchbeiträgen, in Vorträgen, in Beiräten und Vorständen ... als freier Mitarbeiter im friedens- und sicherheitspolitischen, im Grünen Außendienst. Der Bericht ...

Mein Jahresrückblick 2012: intensiv und ohne Hast

Persönliche Meldungen zur Friedens- und Sicherheitspolitik (52)

von Winfried Nachtwei, MdB a.D.

Persönlich blicke ich auf 2012 mit großer Erleichterung und Befriedigung zurück.

Das Jahr begann mit schweren Krankheiten in der Familie. Sie wurden zum großen Glück erfolgreich bewältigt. Nachdem ich mich in meiner ganzen Berufszeit mit „Alltagssport" begnügt hatte, schaffte ich jetzt den Schritt zu regelmäßigem Krafttraining.

Als „unabhängiger sicherheits- und friedenspolitischer Experte", wie ich häufig angekündigt werde, oder als „freier Mitarbeiter im GRÜNEN Außendienst", wie ich mich selbst genannt habe, bin ich weiterhin sehr aktiv - im Vergleich zur Abgeordnetenzeit aber enorm entschleunigt. Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit ist von ca. 16 Stunden auf geschätzte 10 Stunden runtergegangen. Die privat angeschaffte Bahncard 100 macht mich hoch mobil. Bundesweit bin ich jetzt mehr unterwegs als zu MdB-Zeiten. Angesichts der Kandidatenaufstellungen für die nächste Bundestagswahl ist mir wieder bewusst geworden, wie sehr belastend dieser demokratisch-selbstverständliche Vorgang ist. Umso mehr freue ich mich, dass Maria Klein-Schmeink (Münster) und Agneszka Brugger (Ravensburg) einen guten Listenplatz geschafft haben.

Auch im dritten Jahr nach meinem Ausscheiden aus dem Bundestag habe ich meinen freiwilligen Ausstiegsbeschluss keine Minute bereut. (Die Veränderungen nach dem Bundestagsabschied habe ich geschildert in der „Zwischenbilanz: Ein Jahr ohne Bundestag - kein Loch in Sicht" von Ende 2010, www.nachtwei.de/index.php/articles/1025) Vor allem Buchbeiträge sind hervorragende Gelegenheiten zum Innehalten und zu vertiefter Reflexion. Die Risiken von Pensionärs-Besserwisserei und Rückspiegelfixierung versuche ich unter Kontrolle zu halten.

 

Der plötzliche Tot von Peter Struck überschattete das Jahresende. Vor drei Wochen, vor drei Monaten sind wir uns noch begegnet. Eng hatte ich 2002-2005 unter Rot-Grün als sicherheitspolitischer Sprecher mit ihm zu tun. Er war damals „mein liebster Minister". Erfahren habe ich ihn als Minister mit Parlamentarierherz, direkt, klar, den Menschen zugewandt, mit gesundem Menschenverstand im besten Sinne, mit Führungsstärke, trockenem Humor und robuster Herzlichkeit. Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr war er ein verantwortungsbewusster, verlässlicher Minister, der ihre Köpfe und Herzen erreichte, der ihr erster Kamerad war -ohne jede Kameraderie. Ihm wurde vertraut. Ihm konnte man vertrauen. Um die Wehrpflicht, die Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs, den Luft-Boden-Schießplatz Wittstock und das Flugabwehrsystem MEADS stritten wir ohne Einigung. Seiner Kollegialität tat das keinerlei Abbruch. Sein besonderes Verdienst ist, dass gerade er, der Verteidigungsminister, Anfang 2003 unter den NATO-Verbündeten standhaft blieb, als die USA unter Präsident Bush enormen Druck machten zum Krieg gegen den Irak. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, der Bundeswehr und ihren Soldatinnen und Soldaten, der deutschen Bevölkerung insgesamt großes Unheil zu ersparen.

Bei unseren letzten Begegnungen begrüßte Peter Struck mich herzlich als „mein Freund Winni". Das empfand ich als Freude und Ehre. Uns hat ein großer Freund verlassen, ein Politikmensch, wie es sie ganz selten gibt. Das war zu spüren bei der Trauerfeier für ihn am 3. Januar 2013 in Uelzen - unter den Beteiligten, in den von Herzen persönlichen und wahrhaftigen Reden von Bischof i.R. Peter Krug, Minister Thomas de Maizière, Frank-Walter Steinmeier und General a.D. Wolfgang Schneiderhan.

(www.nachtwei.de/index.php/articles/1181 )

 

Thematische, sich ergänzende Schwerpunkte waren in 2012

(1) Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung

(2) Krisen- und Friedenseinsätze, insbesondere Afghanistan, auch Sahel, Bosnien

(3) Schutzverantwortung (Responsibility to Protect RtoP)

(4) Einsatzwirkungen und -folgen: Wirkungsbewertung/Evaluierung von Kriseneinsätzen; Rückkehrerproblematik; seelische Verwundungen/PTBS

(5) Umfassender Ansatz, Vernetztes Handeln/Vernetzte Sicherheit

(6) Rüstungsexporte

(7) Friedens- und sicherheitspolitische Kommunikation

(8) Erinnerungsarbeit und Demokratieförderung: Deportationen Ghetto Riga, Riga-Komitee, von-Tresckow-Gedenken und Kasernennamen, Hindenburgplatz-Kontroverse in Münster, Bundeswehr und Rechtsextremismus.

Arbeitszusammenhänge waren

- ehrenamtliche Mitarbeit in Beiräten, Vorständen, Kommissionen, Kuratorien, Arbeitskreisen

- ca. 60 Vorträge und einzelne Podiumsbeteiligungen: 28 zu Afghanistan, 23 zu Friedens- und Sicherheitspolitik allgemein, 12 zu Riga-Deportationen. 15 Vorträge in Schulen mit durchschnittlich 100 und mehr Schülerinnen und Schülern. Aus gegebenem Anlass ein Wort zu den Honoraren: Die gab es bei 23 Veranstaltungen, in der Regel zwischen 100 und 200 Euro, einmal 500 Euro. Keine Honorare in Schulen und beim Thema Riga (hier manchmal Spenden für Überlebende).

- Veröffentlichungen: sechs Buchbeiträge; Veröffentlichung von Vorträgen, Berichten und Kommentaren außer auf www.nachtwei.de auch auf etlichen anderen Seiten im Internet.

- Verbreitung meiner Beiträge über individuelle E-mail-Verschickungen, wo einige Adressaten diese über ihre Verteiler weiter verbreiten, und in Kopie bei Veranstaltungen. Hierüber erreiche ich meine Zielgruppen, darunter viele Multiplikatoren, am besten. Ich wundere mich immer wieder, wo ich vor allem auf meine Reiseberichte angesprochen werde. (Wirksamkeitsabschätzung: Meine Reichweite ist jetzt viel reduzierter, dafür gezielter und konzentrierter; Beiträge zu Fachdiskursen und -positionierungen, nicht direkt zu Entscheidungen.)

Gerüst meiner Aktivitäten

ist die ehrenamtliche Mitarbeit in einer Vielzahl von Beiräten und Vorständen. Es grenzt inzwischen an eine ehrenamtliche Ämterhäufung.

-          Beirat für Fragen der Inneren Führung beim BMVg, tagt viermal/Jahr, zusätzliche   AG`en: Ich leite weiterhin die AG zu PTBS, zusätzlich Mitarbeit in einer AG, die sich zzt. mit der Problematik von Kampfdrohnen befasst. Die Beiratsarbeit wird hervorragend vom Referat  FüSK II 4 unterstützt.

-          Beirat Zivile Krisenprävention beim AA, zweimal/Jahr: Seit 10. Oktober 2011 Ko-Vorsitzender zusammen mit Dr. Jörn Grävingholt vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik DIE in Bonn. Neue, inzwischen siebte Beauftragter des AA für Zivile Krisenprävention seit 2004 ist Frau Ina Lepel. Sie ist zugleich Beauftragte für Humanitäre Fragen und Internationale Terrorismusbekämpfung. In der Märzsitzung bildete der Beirat zwei AGèn: zu den neuen Ressortübergreifenden Leitlinien der Bundesregierung zum Umgang mit fragilen Staaten sowie zum Komplex „Primärprävention". In letzterer AG arbeite ich mit. (Seit einigen Jahren fokussierte sich das Interesse auf Stabilisierung/Peacebuilding nach bewaffneten Konflikten. Über diese Sekundärprävention geriet die Primärprävention im Vorfeld von Gewaltkonflikten aus dem Blick.) Im Herbst nahm der Beirat schriftlich Stellung zum Bericht der Bundesregierung „Transformationspartnerschaften in der MENA-Region" vom April 2012. Dieser Bericht sollte der erste Zwischenbericht neuen Formats zum Aktionsplan „Zivile Krisenprävention ..." sein. (Statt Umsetzungsbericht in voller thematischer Breite jetzt zu einem Schwerpunktthema)

-          Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen DGVN: tagt fünfmal/Jahr. Am 11. Mai 60-Jahrfeier der DGVN im Heidelberger Schloss. Die DGVN wurde 20 (!) Jahre vor dem UN-Beitritt der beiden deutschen Staaten gegründet. Hervorragende aktuelle Informationsquellen sind die DGVN-Internetportale www.frieden-sichern.de, www.klimawandel-bekaempfen.de, www.menschliche-entwicklung-staerken.de.

-          Vorstand „Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.": Mit der Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten verlor der Verein seinen langjährigen Vorsitzenden. Sein Nachfolger wurde der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, MdB. Auf der Mitgliederversammlung in Erfurt wurde ich erneut in den Vorstand gewählt. (www.gegen-vergessen.de; www.online-beratung-gegen-rechtsextremismus.de)

-          Vorstand von „Lachen Helfen e.V." (Initiative deutscher Soldaten und Polizisten für Kinder in Kriegs- und Krisengebieten) seit März (www.lachen-helfen.de)

-          AG „Gerechter Friede" der Bischöflichen Kommission „Justitia et Pax": tagt viermal/Jahr, Hauptthema die Auswertung von Auslands- und Kriseneinsätzen (Sudan, Bosnien, Afghanistan, UN-Friedensmissionen).

-          Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" beim Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (ISFH) an der Uni Hamburg

-          Fachbeirat Europa/Transatlantik der Heinrich-Böll-Stiftung

-          Afghanistan-Task Force der GRÜNEN Bundestagsfraktion, Mitarbeit in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Frieden und Internationales von Bündnis 90/Die Grünen

-          Facharbeitskreis „1648 - Dialoge zum Frieden" bei der Stadt Münster

-          Kuratorium von CARE Deutschland-Luxemburg

Herzstück meiner Aktivitäten

sind weiterhin Vorträge und Teilnahme an Podiumsdiskussionen bundesweit. In 2012 waren es über 60 öffentliche Auftritte zu friedens- und sicherheitspolitischen Themen. Die in der Regel illustrierten Vorträge finden durchweg beste Resonanz - bei allgemein Interessierten, bei Fachpublikum und Einsatzrückkehrern, bei Jüngeren. Schülerinnen und Schüler, die zunächst skeptisch sind ggb einem Politiker, werden voll erreicht. Highlights waren die Vorträge

-          „Wem nutzen Internationale Polizeimissionen?" am 21. Mai im Polizeipräsidium Münster vor leitenden Beamten: Im Herbst 1996 bin ich erstmalig dt. Polizisten im Auslandseinsatz begegnet - und seitdem immer wieder. Die Polizeikomponente in UN-Missionen hat enorm an Bedeutung gewonnen. 1988 waren es 35 Polizisten 2012 14.000.

-          „Illusion Statebuilding? Bilanz und Perspektiven des internationalen Afghanistaneinsatzes", Festvortrag beim Tag der Politikwissenschaften an der Uni Jena 7. Juni

-          „Gerechtigkeit in der internationalen Politik am Beispiel der Schutzverantwortung", Projektgruppe bei der 7. Sommerakademie des Stipendienprogramms „Talent im Land" für begabte Zuwanderer in Bayern und Baden-Württemberg am 5. August im Salem International College in Überlingen (in der Gruppe Jugendliche aus Afghanistan, Irak, Iran, Israel, Kroatien, Kasachstan, Russland, Sri Lanka und Türkei)

-          „die da so sicher wohnen - zur Legitimation und Wirksamkeit deutscher Sicherheitspolitik", Vortrag zum Auftakt des „Forum Frauenkirche" in der Dresdener Frauenkirche am 14. September. Jahrzehntelang galt die Ruine der im Februar niedergebrannten und eingestürzten Frauenkirche als Mahnmal gegen den Krieg, mit ihrem Wiederaufbau ab 1995 als Ort der Versöhnung. Hier sprechen zu dürfen, ist eine besondere Herausforderung und Ehre. Das wird nicht dadurch geschmälert, dass die Zahl der Zuhörer an diesem herrlichen Freitagabend überschaubar bleibt.

-          Vortrags-„Herbstoffensive" in der Westpfalz auf Einladung der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik: vier Afghanistan-Vorträge am 18./19. September binnen 26 Stunden in Kaiserslautern, Ramstein und Zweibrücken, davon zwei in Gymnasien. Der vierte Vortrag im Offz-Kasino des Fallschirmjägerbataillons 263, dem Verband mit den meisten Gefallenen in der Bundeswehr, zwei im Kosovo und fünf in Afghanistan.

-          „Evaluation deutscher Auslandseinsätze" am 24. September in der Französischen Friedrichstadtkirche im Rahmen der Veranstaltung „Wieweit sollen deutsche Soldaten gehen?" mit Minister de Maizière, Evang. Militärbischof Dutzmann, Prof. Fernando Enns, Prof. Thomas Hoppe, Prof. Martina Haedrich, Prof. Michael Brzoska und Oberst Ulrich Kirsch. Der sehr gut besuchte Abend ist der Auftakt des auf zwei Jahre angelegten Diskursprojekts „"...dem Frieden in der Welt dienen" der Evang. Akademien in Deutschland.

-          „Lehren für den vernetzten Ansatz aus Afghanistan" auf der Tagung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) „Aktuell 2011: Afghanistan - Lehren aus der Zusammenarbeit verschiedener Sicherheitsakteure" nach dem Festakt zum 20-jährigen der BAKS am 24. Okt.

-          Kurzrede zum Antrag A-01 zur Schutzverantwortung auf der 34. ordentlichen BDK von Bündnis 90/Die Grünen am 16. November in Hannover. Auch wenn ich mit meinen Vortragslängen von sonst 40/50 Minuten verwöhnt bin, kriege ich heute nicht nur meine zentralen Botschaften in drei Minuten unter - ich scheine auch viele Delegierte zu erreichen.

Häufig bin ich von Sektionen der „Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik" eingeladen. Hier begegne ich durchweg einer ganz besonderen Gastfreundschaft. Oft kommen Schülergruppen zu den Abendveranstaltungen und können  zusätzlich Vorträge in Schulen organisiert werden.

Zentrale Themen und besondere Ereignisse

(1) Zivile Friedensförderung

(a) Im Beirat Zivile Krisenprävention waren Themen neben den informativen Berichten aus dem Ressortkreis die „Ressortübergreifenden Leitlinien für eine kohärente Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten", vorgestellt von den Vertretern der Planungsstäbe von AA, BMVg und BMZ (BMI ist unverständlicherweise nicht an den Leitlinien beteiligt); der Zwischenbericht des Unterausschusses Zivile Krisenprävention; Bürgerkrieg in Syrien und internationale Politik; die Stellungnahme des Beirats zum ersten Zwischenbericht der Bundesregierung zum Aktionsplan Zivile Krisenprävention, jetzt zum Schwerpunktthema „Transformationspartnerschaften in der MENA-Region" (der informative Bericht nimmt leider keinerlei Bezug auf den Aktionsplan). Die Arbeitsgruppen (s.o.) wollen im ersten Halbjahr Empfehlungen vorlegen.

(b) Sondersitzung des Beirats zu Sahel am 21.März auf Initiative des Afrika-Beauftragten des AA, Walter Lindner, zusammen mit Sahelexperten von Misereor, Caritas, Welthungerhilfe, SWP, BICC, GIZ und Ministerien. Zur selben Zeit beginnt in Mali, das lange Zeit als Musterdemokratie galt, ein Militärputsch gegen die bisherige Regierung. Das Land ist dreimal so groß wie Deutschland, die Sahara bedeckt zwei Drittel der Fläche im Norden. Die Nordhälfte des Landes, wo nur zwei Prozent der Bevölkerung lebt, wird inzwischen von bewaffneten Tuareg-Rebellen und islamistischen Kämpfern der „Al Qaida im islamischen Maghreb" kontrolliert.

(c) „10 Jahre Zentrum Internationale Friedenseinsätze/ZIF - Einsatz für den Frieden" am 24. Mai im Berliner Wasserwerk mit über 600 Gästen. Es war ein herzliches Wiedersehen: von Hunderten, die nach ZIF-Trainings in Friedenseinsätzen und Wahlbeobachtermissionen rund um den Globus gearbeitet haben; von Kooperationspartnern aus Ministerien, Entwicklungszusammenarbeit, Bundeswehr, Friedensforschung, Polizei, aus UN, OSZE, EU; von Abgeordneten, von frühen Förderern, Unterstützern und vielen Sympathisanten. Die Jubiläumsfeier bringt eine historische Premiere: Erstmalig werden Zivilexperten für ihren mindestens einjährigen Einsatz in Friedensmissionen offiziell durch die Bundesregierung und das ZIF mit einer Urkunde geehrt.

Das ZIF praktiziert erfolgreich einen integrierten Ansatz von Training, Human Ressources und Analyse. Getragen wird die Arbeit von knapp 40 MitarbeiterInnen, die Hälfte davon befristet in Projekten. In der weltweiten Community der Ausbildungsstätten für Peacekeeping und Peacebuilding ist das ZIF als führend anerkannt. In Deutschland kooperiert das ZIF mit Ausbildungseinrichtungen der Polizei und der Bundeswehr.

Seit 1994 habe ich im Bundestag den zähen Kampf für die Stärkung ziviler Konfliktbearbeitung mitgemacht. Ich erinnere mich deutlich an einen regelrechten friedenspolitischen Analphabetismus damals, an viel Militärfixiertheit in Zivil - und an freundliches Desinteresse gegenüber einem Ansatz, gegen den man gar nicht sein kann. Vor diesem Hintergrund bin ich froh, was die ZIF-Gemeinde im Laufe der Jahre geschafft hat. Schön, dass etliche Mütter, Väter und Geburtshelfer des ZIF da sind: neben Winrich Kühne Ludger Volmer (Staatsminister a.D.), Ralf Horlemann (AA-Referat VN-02), MdB Uta Zapf, MdB Gernot Erler, Wilhelm Höynck (Ex-Botschafter. erster OSZE-Generalsekretär), Martina Fischer (Friedensforscherin). Schade nur, dass eine Tradition ungebrochen bleibt: Das äußerst magere Interesse der Tagespresse und auch der meisten außen- und sicherheitspolitischen Journalisten an den zivilen Säulen internationaler Friedenseinsätze. Einzig Sabine Matthay berichtet am Folgetag im RBB-Inforadio über die Jubiläumsfeier. Berichte, Reden + Bilder zum Jubiläum unter www.zif-berlin.org/de/ueber-zif/10-jahre-zif.html , www.nachtwei.de/index.php/articles/1143

(d) Unterausschuss Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit des Bundestages: Vor den Bundestagswahlen 2009 regten FriedensforscherInnen in einem Memorandum die Einsetzung eines Unterausschusses „Zivile Krisenprävention" durch den Auswärtigen Ausschuss an. Das geschah tatsächlich auch - mit der Ergänzung „und vernetzte Sicherheit". Erstmalig wird seitdem das Themenfeld im Bundestag kontinuierlich mit Tiefe und Engagement behandelt. Wie kein anderer Ausschuss auf dem Feld der internationalen Beziehungen öffnete der Ausschuss seine Türen für öffentliche Anhörungen und Expertengespräche und ermöglichte damit den Austausch mit der Fachöffentlichkeit. Der im Februar 2012 vorgelegte Zwischenbericht des Unterausschusses formuliert Empfehlungen, die einen nie dagewesenen interfraktionellen Konsens markieren. Die „Plattform Zivile Konfliktbearbeitung" nahm im März kritisch-konstruktiv dazu Stellung. Diese Art von kontinuierlichem Dialog zwischen Parlamentariern, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Fachöffentlichkeit ist ein Unikat und beispielhaft.

(e) TagungEvaluierung der zivilen Krisenprävention: Mit welchen Maßstäben bewerten wir ihren Erfolg?" am 7.-9. Dezember in der Evang. Akademie Loccum.

 

(f) Buchbeiträge: Geleitwort zu Christian Egbering: Tagesordnungspunkt „Zivile Konfliktbearbeitung" - Eine Diskursanalyse anhand von Reden im Deutschen Bundestag, von Bockel Verlag Neumünster 2012: „Bei über vierzig Besuchen in Krisenregionen habe ich den Wert friedlicher Verhältnisse und die Dringlichkeit Ziviler Konfliktbearbeitung erfahren. Regelrecht zum Verzweifeln waren oft die Konfliktknoten, die tief sitzenden Verfeindungen. Aber gerade dort begegneten mir immer auch Menschen mit Kraft, Mut, Humor, mit Friedensfähigkeit, menschliche Leuchttürme - unter ihnen übrigens zunehmend solche, die eine ZFD- oder ZIF-Ausbildung hinter sich hatten. Ich danke Christian Egbering für seine Anstrengung um den Parlamentsdiskurs der Zivilen Konfliktbearbeitung. Ich wünsche ihm nicht nur interessierte LeserInnen, sondern auch KollegInnen, die seinen Forscherball aufnehmen." (W.N., S. 17)

Zivile Konfliktbearbeitung: Vom Anspruch zur Wirklichkeit, in: Andreas Heinemann-Grüder, Isabella Bauer (Hrsg.): Zivile Konfliktbearbeitung - Vom Anspruch zur Wirklichkeit, Verlag Barbara Budrich Opladen 2012, S. 22 ff. 18 Beiträge zu Anspruch, konzeptionellen Begründungen, Ansätzen und Handlungsfeldern, Fallbeispielen, Lehren. Wo es im Hinblick auf die kommenden Bundestagswahlen und die folgenden Koalitionsverhandlungen um die Weiterentwicklung der Zivilen Konfliktbearbeitung geht, bietet dieser Sammelband zentrale Erfahrungen und Anregungen.

Standortklärung und Weiterentwicklung der ZKB sind umso dringender, als die Rahmenbedingungen und Herausforderungen für eine Politik der zivilen Konfliktbearbeitung in den letzten Jahren noch komplexer, unübersichtlicher, sprunghafter und kälter geworden sind. Vermehrt drängt sich die Frage nach Wirkungschancen auf, wo Großkrisen und -umbrüche (in Nordafrika und Nahost, auf den Finanzmärkten) galoppieren, jedes normale Auffassungsvermögen überfordern und bis in die Politik Ratlosigkeit und Ohnmacht verbreiten. Wirtschaftskrise, wachsende Ungleichheit und Unsicherheit zersetzen Gesellschaften und lassen Renationalisierung, Rechtspopulismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit anschwellen. Große Stabilisierungs- und Staatsaufbauprojekte der „Internationalen Gemeinschaft" sind von Afghanistan bis Kongo ernüchternd bis desaströs verlaufen. Die mediale Globalisierung ermöglicht Kettenreaktionen von Gruppenfeindschaften und Gewalt binnen Tagen und rund um den Globus. Angesichts solcher Mega-„Unwetter" sind Fluchten in Projekte naheliegend und vielleicht überlebenswichtig. Aber wenn die Flut steigt, ist das Pflanzen von Apfelbäumchen allein nicht sonderlich aussichtsreich." (W.N., S. 23)

Verstärkt wird meine Fundamentalverunsicherung, wenn ich auf das globale Bremsversagen gegenüber dem Klimawandel sehe, d e m  Präventionsprojekt der Menschheit!

(2) Kriseneinsätze, Afghanistan u.a.

(a) Genaueres Hinsehen und Formulieren sowie Offenheit für Chancen möchte ich unterstützen bei der Wahrnehmung von Konfliktrealitäten und bei der Bewertung von Kriseninterventionen und ihren Wirkungen - und damit Pauschalisierungen, Schönrednerei und Schwarzmalerei, Realitätsverlust und Entmutigungen entgegenwirken.

Dazu gehören zuerst die (Reise)Berichte, in diesem Jahr nur zu der Afghanistanreise Anfang Mai (Kurzbericht „Es gibt auch Chancen" und Vollbericht „Rückzug aus der Verantwortung?")

Dann (seit Sommer 2007) die Materialien zur Sicherheitslage Nord-Afghanistan und landesweit: vollständig bis Mai 2012, danach Zusammenfassungen der Quartalsberichte II und III des Afghanistan NGO Security Office (ANSO). Die Parallelpublikation „Better News statt Bad News aus Afghanistan" (zuletzt Nr. VII Mai 2010) habe ich bisher wegen fehlender Arbeitskapazitäten, nicht mangels Materialien leider nicht fortsetzen können. Den Grundgedanken - Wahrnehmung von Chancen - realisiere ich aber in den anderen Berichten und durchgängig in den Vorträgen.

In dem Diskussionsbeitrag „Wider die Kriegstrommeln aus verschiedenen Richtungen!" nahm ich im Januar Minister de Maizières Warnung vor einem leichtfertigen Umgang mit dem Begriff „Krieg" auf: Der Streit um die angemessene Begriffswahl ist weder überholt noch überflüssig, sondern notwendig. Denn in der „Kriegsdebatte" um den Afghanistaneinsatz zeigt sich zunehmende friedenspolitische Desorientierung - von einer schleichenden Rehabilitierung des Krieges „von unten" einerseits bis zu einer faktischen Missachtung und Abwendung von UN-Friedenssicherung andererseits. Der ganze Beitrag unter www.nachtwei.de/index.php/articles/1116

Basis von alledem ist die ständige Recherche und Informationsbeschaffung. Hier erfahre ich sehr viel Offenheit und Entgegenkommen.

(b) Afghanistan

bleibt weiterhin für mich der Schwerpunkt - politisch wie menschlich. Ich gehöre zu denjenigen, die den Afghanistaneinsatz mitbeschlossen und beauftragt haben. Insofern sehe ich mich auch nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag weiterhin in Mitverantwortung. Diese Mitverantwortung spüre ich seit einigen Jahren vor allem über die Menschen, die im demokratisch-legitimierten öffentlichen Auftrag dort - oder in anderen Krisenregionen - arbeiten, Belastungen, Entbehrungen und Risiken auf sich nehmen, zum Teil sogar kämpfen.

17. Afghanistanreise Anfang Mai in Begleitung mit den grünen MdB Tobias Lindner und Tabea Rößner nach Kunduz und Mazar. Der inzwischen 14. AFG-Reisebericht informiert über die Sicherheitslage, Übergabe (Transition), Rückverlegung, Aufbau und Entwicklung, Polizeiausbildung, Rule of Law und formuliert aktuelle Schlussfolgerungen. (www.nachtwei.de/index.php/aricles/1183

Zur Perspektive Afghanistan sage ich in einem im Januar 2013 erscheinenden Interview: „Die Staatengemeinschaft hat vertraglich versprochen, dass sie das kriegs- und terrorgebeutelte Afghanistan nicht im Stich lassen und durch zivile Aufbauhilfe und Förderung der Sicherheitskräfte über 2014 hinaus unterstützen will. Dafür soll es eine deutlich kleinere militärische und polizeiliche Folgemission geben. Ungewiss ist, ob der best case eines glimpflichen Übergangs eintritt oder ob die Ängste vieler Afghanen wahr werden - in Teilen des Landes Machtergreifung der Taliban, in anderen Absturz in den Bürgerkrieg, insgesamt Verlust der Teilfortschritte der letzten Jahre. Was nach 2014 kommt, hängt entscheidend davon ab, ob mit den Aufständischen ein tragfähiges Arrangement gelingt und ob die Nachbarn, insbesondere Pakistan zu einer konstruktiven Politik gegenüber Afghanistan finden. Wenn Deutschland und andere Verbündete Afghanistan nach 2014 bestmöglich unterstützen wollen, wäre jetzt dringend erforderlich, was bisher versäumt wurde: eine systematische und selbstkritisch-ehrliche Auswertung des militärisch-diplomatisch-zivilen Afghanistanengagements. Meine Befürchtung ist, dass vor dem Hintergrund der vorherrschenden Afghanistanmüdigkeit die früheren Aufbauillusionen inzwischen in Abzugsillusionen umkippen: „bloß weg vom Hindukusch!" So verständlich das wäre, so kurzsichtig und verantwortungslos wäre es vor allem. Hierzu sollten sich gerade im Wahljahr 2013 diejenigen Abertausenden Frauen und Männer zu Wort melden, die seit 2002 im demokratisch legitimierten Auftrag nach Afghanistan entsandt wurden, die das Land und seine Menschen nicht mehr loslässt und denen nicht egal ist, was aus diesen wird.". (Kompass 1/2013)

Am dritten Dezemberwochenende fand die inzwischen XXVI. (!) Afghanistan-Tagung in der Evang. Akademie Villigst statt. Die Tagung ist der Ort in Deutschland, wo die meiste Afghanistan-Erfahrung und -Verbundenheit zusammenkommt - Aktive aus Afghanistan-Hilfsprojekten, (ehemalige) EntwicklungshelferInnen, Alte und Jüngere afghanischer Herkunft, andere Freunde Afghanistans. Tagungsthema war „Nach 2014: Rückzug aus der Verantwortung?" Die Antwort des verabschiedeten „Villigster Plädoyers" war eindeutig: „Wir dürfen Afghanistan nicht aufgeben!" Ich sprach mehrere jüngere deutsch-afghanische TagungsteilnehmerInnen, die nach ihrem Examen in Afghanistan arbeiten wollen.

(c) Endes des Bosnieneinsatzes

Ich hatte es vorher auch nicht auf dem Schirm. Aber über eine Interviewanfrage von Deutschlandradio Kultur am 24. September fiel es mir auf: Am 27. September endete nach 17 Jahren der erste große und längste Auslandseinsatz der Bundeswehr, der im Juli 1995 mit einem deutschen Kontingent bei UNPROFOR und im Dezember mit 2.600 Soldaten bei IFOR begann. Insgesamt kamen 63.500 Bundeswehrsoldaten zum Einsatz. 18 Soldaten verloren bei diesem Einsatz ihr Leben, keiner durch feindliche Einwirkung. Aus diesem Anlass schrieb ich an den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker:

Die Beendigung des deutschen Bosnieneinsatzes bietet Gelegenheit zur Rückerinnerung, zu Dankbarkeit und zu Lehren. Er sollte nicht in der alltäglichen Nachrichtenflut untergehen und zu einer Fußnote der Geschichte verkommen.

Zuerst will ich über Sie den vielen Tausenden Bundeswehrsoldaten danken, die im Rahmen von IFOR, SFOR und ALTHEA zum Einsatz kamen: Ihr Auftrag war, nach einem physisch und psychisch verheerenden Bürgerkrieg unter Nachbarn mit über 100.000 Todesopfern den Friedensvertrag von Dayton abzusichern, Rückfälle in den Krieg zu verhüten. Das haben sie zusammen mit Kameraden vieler anderer Nationen geschafft, mit hohem Einsatz und viel Klugheit. Sie haben damit der weiteren Ausbreitung der Kriegsseuche einen Riegel vorgeschoben, viele Menschenleben gerettet und menschliches Leid verhütet. Sie haben sich um die Menschen in Bosnien & Herzegowina, um Frieden und Sicherheit in Europa in hohem Maße verdient gemacht. Unter anderen Vorzeichen als zur Zeit des Ost-West-Konflikts haben sie sich im Einsatz im „Ernstfall Frieden" bewährt. Der Bosnieneinsatz war 180 Grad verschieden vom Krieg der Wehrmacht auf dem Balkan. Er war erfolgreiche und gewaltarme Friedenssicherung im Auftrag der UNO. Die Bundeswehrsoldaten können stolz auf ihren Einsatz sein!

In Bosnien & Herzegowina blieben ihnen Kampfeinsätze erspart. Den Bosnieneinsatz deshalb im Vergleich zum Afghanistaneinsatz weniger wert, gar gering zu schätzen, ist falsch und abwegig. Erfolgreiche Friedenssicherung in Europa und vor unserer Haustür - das ist eine Spitzenleistung.

Der Bosnieneinsatz war seit Jahren unspektakulär, war ein weitgehend „vergessener" Einsatz. Umso mehr verdienen seine Frauen und Männer Aufmerksamkeit, Anerkennung und Dank - von Seiten der Politik wie der Gesellschaft insgesamt." (www.nachtwei.de/index.php/artictles/1164 ) Auf meiner Homepage veröffentliche ich aus diesem Anlass Berichte und Stellungnahme aus der Start- und Streitphase des Bosnienmeinsatzes von 1992, 1995-1998 und den Bericht vom ersten Besuch von Bundeskanzler Kohl in Sarajevo im Dezember 1997: www.nachtwei.de/index.php/articles/1161 ,1162,  1163

(d) Kriterien für Kriseneinsätze

Im Rahmen der BAG-Diskussion zur Schutzverantwortung steuere ich „Prinzipien und Kriterien für internationale Kriseneinsätze" bei. Sie gehen zum großen Teil in den erfolgreichen BDK-Antrag (s.u.) ein.

(e) Zu anderen Krisenherden wie Syrien, Kongo, Mali/Sahel, Somalia schaffe ich nicht mehr als die Sammlung von Informationen.

(3) Schutzverantwortung (Responsibility to Protect/RtoP)

Im Juni veröffentlichte ich die umfassende Stellungnahme „Schwerste Menschenrechtsverbrechen verhüten - Die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) zwischen Notwendigkeit, Tücken und Umsetzung - Herausforderung für deutsche Sicherheits- und Friedenspolitik":

(www.nachtwei.de/index.php/articles/1145 und www.schutzverantwortung.de )

In dem Beitrag thematisiere ich u.a. das Missbrauchsrisiko, Nichthandeln als Hauptproblem, Glaubwürdigkeitsmängel beteiligter Akteure, Verkürzung der RtoP auf React und Militärintervention, die Operationalisierungslücke, Mass Atrocity Response Operations, aktuelle Entwicklungen. Mir fällt auf, wie sehr in Deutschland die breite Erinnerungsarbeit zu Nazizeit und Holocaust getrennt ist von der Debatte um die Schutzverantwortung. Ganz anders in anderen Ländern. Zugleich bleibt der Einsatz für die Schutzverantwortung oft beim humanitären Motiv stehen und kümmert sich zuwenig um eine wirksame und verantwortliche Umsetzung. Winrich Kühne spricht in diesem Kontext von einer zusätzlichen „Verantwortung zur Wirksamkeit - und kein Chaos anzurichten".

In verschiedenen Gremien und Veranstaltungen war ich 2012 an Debatten um die RtoP beteiligt: Bei den Frankfurter UNO-Gesprächen der DGVN mit Prof. Tanja Brühl, bei der BAG Frieden und Internationale Politik der Bündnisgrünen und der Erarbeitung eines Antrages für die BDK, dem AK Gerechter Friede von Justitia et Pax (Darfur), der Sondersitzung des Beirats Zivile Krisenprävention im Auswärtigen Amt zur Sahelzone, einer Tagung in der Evang. Akademie Loccum, der Konferenz der grünen Bundestagsfraktion am 8. Juni, der 7 Sommerakademie mit Stipendiaten von „Talent im Land" in Überlingen, einer Diskussionsveranstaltung des AK Nord-Süd der Bonner Grünen.

Höhepunkt war die außenpolitische Debatte zu Beginn der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im November in Hannover, wo der umfassende Antrag von BAG und Bundesvorstand zur Schutzverantwortung ausführlich debattiert und einmütig beschlossen wurde. In Anbetracht früherer hitziger Debatte zur Friedens- und Sicherheitspolitik war die jetzige Positionierung geradezu spektakulär einmütig. Zu verdanken war das der ausgesprochen konstruktiven Debatte im Vorfeld in BAG und Fraktion. Den berichtenden Journalisten scheint das nicht weiter aufgefallen zu sein!

(4) Einsatzwirkungen und -folgen, Rückkehrer

(a) Der ImpulsvortragEvaluation deutscher Auslandseinsätze" bei der Tagung der Evangelischen Akademien in der Französischen Friedrichstadtkirche bot die Gelegenheit, was mich seit 1999 (Kosovo) umtreibt - die nüchtern-selbstkritische Bewertung von Kriseneinsätzen - zusammenzufassen. Seit Jahren war mir aufgefallen, dass zumindest im Parlament bei Auslandseinsätzen der Rechtfertigungsdiskurs überwog - und der Wirksamkeitsdiskurs nur nachrangig und oberflächlich geführt wurde. Dass nach zwanzig Jahren deutscher Beteiligungen an internationalen Kriseneinsätzen immer noch keine systematische und unabhängige Wirkungsbewertung durchgeführt wurde (über Einzelveröffentlichungen und den hilfreichen Sammelband des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hinaus), ist ein strategisches politisches Versagen. Unter den Bedingungen der in Deutschland vergleichsweise weitgehenden Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen hätte der Bundestag das eigentlich durchsetzen können.

(b) „Bunter" Veteranen/Rückkehrer-Tag am „International Day of UN-Peacekeepers" am 29. Mai?

Vor zehn Jahren rief die UN-Generalversammlung diesen Tag ins Leben zur Anerkennung für Soldaten, Polizisten und Zivilexperten in Friedenseinsätzen. (1988 erhielten die UN-Peacekeepers den Friedensnobelpreis.) ZIF-Direktorin Almut Wieland-Karimi griff bei der Jubiläumsfeier 10 Jahre ZIF den Vorschlag von Verteidigungsminister de Maizière für einen Veteranentag auf und regt an, diesen 29. Mai zu einem Tag der Anerkennung für alle Frauen und Männer zu machen, die in Uniform oder Zivil in Friedenseinsätzen waren. Der Vorschlag verdient breite Diskussion und grundsätzlich Unterstützung. In meinem Bericht von der ZIF-Feier nenne ich Gründe für und gegen den Vorschlag.

(c) Rückkehrer aus Kriseneinsätzen: Seit Jahren halte und knüpfe ich Kontakt zu Rückkehrern aus Kriseneinsätzen, vor allem aus AFG: zu Soldaten, Polizisten, Entwicklungshelfern, Diplomaten. Sie vermitteln die differenziertesten, bodennahen, nüchternen, ehrlichsten Einblicke in Realitäten, die regierungsoffiziell eher beschönigt, die in der allgemeinen Öffentlichkeit eher pauschal und aufs Negative verkürzt wahrgenommen werden. RückkehrerInnen machen überwiegend die Erfahrung, dass hierzulande ihr besonderes Engagement und ihre Intensiverfahrungen kaum bis gar nicht interessieren, oftmals sogar nicht bei ihren Herkunfts- und Entsendeinstitutionen. Ihre Erfahrungskompetenz und besondere Motivation bleiben meist ungenutzt.

In der Regel lassen Einsätze in Krisenregionen und insbesondere ein Land wie AFG nicht mehr los. Sie wirken faszinierend, irritierend, manchmal traumatisierend, machen nachdenklicher, relativieren die Probleme in Deutschland. Sie können soziale + interkulturelle Kompetenz, aber auch resignative und zynische Haltungen befördern. Inzwischen gibt es in Deutschland eine vierstellige Zahl überwiegend junger Männer, die leibhaftig Guerilla- und Terrorkrieg erlebt haben, die geschossen, getötet, verwundet haben, die körperlich und seelisch verwundet wurden und das bei Nächsten erlebten. Es wächst eine „Generation Einsatz", deren eingebrannte Einsatzwelten kaum noch mit der individualisierten Welt zuhause vermittelbar ist.

(d) Empfehlungen der AG PTBS des Beirats für Fragen der Inneren Führung zu einsatzbedingten PTBS und anderen seelischen Verwundungen: Ende März billigte der Gesamtbeirat die von unserer fünfköpfigen AG erarbeiteten Empfehlungen und leitete sie an Minister de Maizière weiter. Die zehnseitigen Empfehlungen äußern sich zu

- Dimension, Stellenwert und Einordnung seelischer Belastungen und Verwundungen,

- Prävention, Früherkennung, Diagnose und Therapie, Forschung,

- Betreuung und Versorgung,

- Politik und Gesellschaft, Schlussfolgerungen zur Weiterentwicklung der Inneren Führung.

Die Resonanz auf die Empfehlungen war durchweg sehr positiv. Das BMVg nahm umfassend und detailliert zu ihnen Stellung.

Die AG setzt ihre Arbeit fort und will im Sommer aktualisierte Empfehlungen vorlegen.

Kontakte bestehen auch zu Selbsthilfeorganisationen und zum Reservistenverband.

(5) Umfassender Ansatz, vernetztes Handeln

(a) Ausgehend von der Tagung „Ziviles + militärisches Engagement in Konflikten - Ministerien und Zivilgesellschaft im Gespräch" von Evang. Akademie Bad Boll und BAKS an selbiger am 7./8. Juni 2011 bildete sich eine AG mit anfänglich sieben, am Ende fünf erfahrenen Menschen aus Exekutive, Zivilgesellschaft und Politik. Die Absicht unserer in der BAKS tagenden Gruppe war, es nicht bei dem Einmal-Ereignis einer Tagung zu belassen, sondern am Ball zu bleiben und einen Klärungsprozess zu befördern. Unsere sehr unterschiedlichen, z.T. gegensätzlichen friedens- und sicherheitspolitischen Ansätze und Erfahrungen machten die Diskussion wahrlich nicht einfach, erwiesen sich letztendlich aber als produktive Herausforderung. Heraus kam das umfassende Abschlusspapier „Politisches Engagement in Konflikten - Optimierung der Interaktion zwischen zivilen und militärischen Akteuren". In ihm bringen wir zur politischen Ebene, zur strategischen/Ressortebene und zur operativen Ebene jeweils ein Sachstand, Bewertung und Empfehlungen.

Das Papier ging an alle im Bundessicherheitsrat vertretenen Minister, an die betreffenden Bundestagsausschüsse und Fraktionsvorsitzenden, an staatliche Organisationen, Hilfs- und Nichtregierungsorganisationen, an kirchliche Einrichtungen, Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrichtungen, schließlich die Teilnehmer der Tagung von 2011 - insgesamt 160 Adressaten. 40 Angeschriebene antworteten, darunter der Entwicklungs- und Verteidigungsminister, der außenpolitische Beraterin der Bundeskanzlerin, hohe Polizeibeamte und Generale wie Vertreter von NGO`s und staatlicher Entwicklungszusammenarbeit. Ein angesehener Wissenschaftler meinte, das Papier sei die wohl derzeit beste Übersicht über den Stand und die Desiderata des deutschen Konfliktengagements.

Das Abschlusspapier wird zusammen mit einer Zusammenfassung der Kommentare in Kürze im Internet veröffentlicht. Beabsichtigt ist eine Folgetagung an der BAKS im dritten Quartal 2013.

(b) „Akteur oder Zuschauer? Was Vernetzte Sicherheit für den Deutschen Bundestag bedeutet. Ein Erfahrungsbericht": Der erweiterte Vortrag vom Dezember 2011 erscheint im Sonderheft 4/2012 der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik „Vernetzte Sicherheit - Eine konstruktive Zwischenbilanz, hrsg. von Heiko Borchert und Ralph Thiele. Weitere Autoren des Sonderheftes sind Erich Vad/Oliver Linz (Bundeskanzleramt), Thomas Bagger/Wolfram von Heynitz (Panungsstab AA), Dirk Niebel (Bundesminister), Jörg Neureuther (Oberstleutnant i.G. Transformationskommando Norfolk), Ton van Loon (Kommandierender General des Deutsch-Niederländischen Korps Münster), Andreas Wittkowsky/Wanda Hummel/Tobias Pietz (ZIF).

(c) „Afghanistan - Lehren für den vernetzten Ansatz" Vortrag an der BAKS am 26. Oktober: Statt vom zu engen und bei Teilen der Akteure kontaminierten Begriff der „Vernetzten Sicherheit" spreche ich lieber vom vernetzten und umfassenden Ansatz bzw. Handeln. Grundsätzlich geht es um den selbstverständlichen Blick über den Tellerrand der eigenen Projekte, Ressorts, Akteure, den Blick auf`s Ganze. Als eine zentrale Schlussfolgerung nenne ich „umfassende Mandate", die neben den militärischen auch die wesentlichen politischen, zivilen und polizeilichen Ziele und die dafür bereitzustellenden Kapazitäten benennen sollen.

(6) Rüstungsexporte

Ich habe es nicht vergessen: Auch unter Rot-Grün war die Rüstungsexportpolitik kein Ruhmesblatt deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik, sie war Dauerstreitthema! Aber inzwischen nimmt die Enthemmung unübersehbar zu, abgeschirmt durch eine Totalgeheimhaltung wie auf keinem anderen Feld der Außenpolitik. Hier wird zunehmen konterkariert, was an anderen Stellen von Abertausenden Frauen und Männern im öffentlichen Auftrag für Friedenssicherung und Entwicklung geleistet wird. Eine solche Politik ist sicherheitspolitisch kurzsichtig und dumm, demokratiepolitisch eine Frechheit und moralisch eine Schande. Seit Mai stellt Pax Christi im Bistum Münster den Parteien Fragen zur aktuellen Rüstungsexportpolitik. Ich antwortete für die Münsteraner Bündnisgrünen:

Im Mai zur Steigerung der Exporte insgesamt; im Juni (Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien) Antwort versäumt; im Juli/August zur Geheimhaltung; im September zu Kleinwaffen und Lizenzproduktionen; im Oktober zu Heckler & Koch; im November zur Beteiligung von Vertretern der Rüstungsindustrie an Regierungsbesuchen im Ausland. (www.nachtwei.de/index.php/articles/1182

(7) Friedens- und sicherheitspolitische Kommunikation

(a) Die Rede von Minister de Maizière zur „Kommunikation der Bundeswehr" am 6. Juli 2012 höre ich mir vor Ort in Dresden am 6. Juli an - und berichte darüber auf meiner Hompepage. Diesen Minister kenne ich nicht aus dem politischen Alltag in Bundestag, im Ausschuss und bei der Truppe. Aber nach seinen Reden zu urteilen, scheint er mir so sehr wie kein Vorgänger seit 1994 dazu geeignet, die sicherheitspolitische Kommunikation und Debatte in Deutschland voranzubringen. Wo sonst in der Sicherheitspolitik Worthülsen-Artillerie vor allem für Nebel sorgt(e), scheint mir jetzt die Chance zu produktiverer sicherheits- und friedenspolitischer Kommunikation, zu Dialog, Klärung und - zumindest partieller - Verständigung zu bestehen. Die sollten ALLE, die daran interessiert sind, auch wahrnehmen! (vgl. „Viel beschworen, nicht erreicht: Die breite sicherheitspolitische Ebatte - Hemmnisse und Ansätze", meine Beiträge zur sicherheitspolitischen Kommunikation 2005-2012, www.nachtwei.de/index.php/articles/1146 )

(b) Zur Frankfurter Buchmesse erschien jetzt das Buch „GUTE NACHRICHTEN! WIE FRAUEN UND MÄNNER WELTWEIT KRIEGE BEENDEN UND DIE UMWELT RETTEN", herausgegeben von Ute Scheub und der Heinrich-Böll-Stiftung. Die 33 Reportagen aus aller Welt zeigen, dass Veränderungen auch zum Positiven möglich sind. Die meisten Geschichten handeln von Frauen. Das ist kein Zufall. Denn weltweit ist die große Mehrheit der für Frieden und Umwelt Engagierten weiblich. Frauen haben wegen ihrer anderen Rollen mehr Möglichkeiten, auf andere zuzugehen. Ihr enormes friedenspolitisches Potenzial wird nur viel zu wenig wahr- und ernstgenommen. Die ReporterInnen sind Mitarbeitende der Nachrichtenagentur Inter Press Service, fast alles Einheimische. www.ipsnews.de, www.ips.org Die taz-Mitbegründerin Ute Scheub ist seit 1997 freie Journalistin und Autorin. Zum 10. Jahrestag der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 gründete sie am 31.10.2010 zusammen mit Joanna Barelkowska (OWEN, heute HBS) und Karina Böckmann (IPS) die Website www.visionews.net/de . Vision-news veröffentlicht gute und hoffnungsvolle Nachrichten, Geschichten, Visionen aus den Bereichen Frieden und Umwelt aus inzwischen mehr als 40 Ländern.

(c) Meine Erfahrungen mit dem Bad-News-Mechanismus: Normalerweise beherrschen die bad news von Katastrophen + Unglücken, Gewalt, Krieg und schlechter Regierungsführung die Medienberichterstattung, beherrschen Pauschalbilder die Wahrnehmung insgesamt. Gute Nachrichten von erfolgreicher Friedensförderung haben es demgegenüber enorm schwer, verbreitet und wahrgenommen zu werden. Die Wirkung davon ist oft niederdrückend, demotivierend, entpolitisierend: „Man kann ja doch nichts machen!"

  • „Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst." (Tibetisches Sprichwort)
  • „Viele kleine Leute, die in vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können die Welt verändern." (Afrikanisches Sprichwort)

(8) Erinnerungsarbeit + Demokratieförderung

(a) Der 70. Jahrestag der Deportationen in das „Reichsjudenghetto" Riga war in den ersten Wochen von 2012 Anlass für sechs weitere Riga-Vorträge in Erkelenz, Recklinghausen, Ahaus, Vreden, Coesfeld, Karlsruhe. Das Anzeigenblatt „Streiflichter Coesfeld" bringt am 8. Februar die Titelgeschichte „Dem Schicksal Coesfelder Juden auf der Spur W. Nachtwei recherchiert seit 20 Jahren zu den Deportationen nach Riga". Ausführliches Interview für das Projekt Geschichtsort „Humberghaus" in Dingden/Hamminkeln, das am 8. Juni eröffnet wurde.  (www.humberghaus.de )

(b) Teilnahme an den Dreharbeiten für die FilmdokumentationVerschollen in Riga - Die Deportationen ins ´Reichsjudenghetto`", Buch und Regie Jürgen Hobrecht, Produktion Polis Film. Unterstützt wird das Projekt u.a. von etlichen Städten des Deutschen Riga-Komitees, dem Volksbund Deutzsche Kriegsgräberfürsorge und insbesondere dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe. (1991 hatte ich Jürgen bei einem ersten Dokumentarfilm über die Deportation der westfälischen Juden nach Riga unterstützt. Damals begleiteten wir Frau O. und Herrn A., die 1941 von Osnabrück aus nach Riga verschleppt worden waren und nach 50 Jahren erstmalig an die düsteren Orte ihrer Jugend zurückkehrten. Ausführliche Interviews führte der Filmautor mit Dr. Alexander Bergmann, 87 Jahre, langjähriger Vorsitzender des Vereins der ehemaligen jüdischen Ghetto- und KZ-Häftlinge Lettlands, und Margers Vestermanis, 87 Jahre, Begründer und langjähriger Direktor des Museums „Juden in Lettland". (www.jewishmuseum.lv)

Wir treffen 20 deutsche und lettische Jugendliche, die in einem 14-tägigen Workcamp des Volksbundes/Landesverband Bremen Gräber von Naziopfern und Soldaten pflegen. (Der Bremer Landesverband führt in Lettland Workcamps seit inzwischen 20 Jahren durch. Die Bundeswehr unterstützt das durch Stellung von Bus und Fahrer sowie Sonderurlaub für einen Teamer,)

Wir begleiteten die Jugendlichen zu den verschiedenen Orten des Naziterrors in Riga.. Im Wald von Bikernieki erinnern 55 Massengräber und eine eindringliche, vom Volksbund 2001 errichtete Gedenkstätte an die weit über 30.000 hier ermordeten Menschen, darunter Tausende aus Deutschland. Hier interviewe ich acht der Jugendlichen, die sehr offen, lebhaft und überzeugend über ihre Beweggründe und Eindrücke sprechen.

(c) Symposium des Dt. Riga-Komitees in Magdeburg: Seit 12 Jahren besteht das Dt. Riga-Komitee der Städte, aus denen 1941/42 jüdische Menschen in das „Reichsjudenghetto" Riga deportiert worden waren. Auf Einladung der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt Magdeburg und des Landesverbandes des Volksbundes DT. Kriegsgräberfürsorge fand am 2.-4. November im Magdeburger Rathaus erstmalig ein Symposium des Komitees statt. Teilnehmer kamen aus Bayreuth, Bocholt, Bünde, Hamburg, Hannover, Kassel, Leipzig, Magdeburg, Marburg, Moers, Münster, Osnabrück, Recklinghausen, Stuttgart. Den Einladenden ist für ihre große Gastfreundschaft und vorzügliche Organisation sehr zu danken.

(Berichte unter www.nachtwei.de/index.php/articles/1176 , www.volksbund-sachsen-anhalt.de )

(d) Tagung der Dt.-Baltischen Gesellschaft über „Rumbula 1941 - Eine Erinnerung an Lettland unter dem Hakenkreuz „ am 17. November in Darmstadt. (Im Wäldchen von Rumbula bei Riga wurden am 30. November und 8. Dezember 1941 ca. 27.000 Rigaer Juden ermordet.) Mehr als hundert ältere Menschen haben sich in der alten Villa der früheren Landsmannschaft versammelt. Viele haben ihre familiären Wurzeln im Baltikum. Gemeinsam wagen sie die Konfrontation mit einer Geschichte, die Paradiesbilder von einer Kindheit im Baltikum überschatten, zerbrechen. Seit vier Jahren befassen die Baltendeutschen sich mit der Aufarbeitung dieses Teils ihrer Heimatgeschichte, die in viele Familiengeschichten reicht. Unterstützung erfahren sie von Anita Kugler, der ehemaligen taz-Journalistin dt.-baltischer Herkunft. Heute liest sie aus ihrer Studie über den jüdischen SS-Offizier Scherwitz die minutiösen Schilderungen des Rigaer Blutsonntags vor. Es ist extrem, so das Unerträgliche zu hören, sich vorzustellen. Mitchell Lieber (USA) zeigt Ausschnitte aus dem Rohschnitt seines Rumbula-Films. Per Skype werden Margers Vestermanis und Alexander Bergmann zugeschaltet. Unter „Tätige Erinnerung" berichten das Ehepaar Hanna und Wolf Middelmann aus Göttingen über ihre Unterstützung für die Holocaust-Überlebenden im Baltikum seit inzwischen 19 Jahren und ich über meine Spurensuche zu den Deportationen und Rigaer Ghetto.

(e) Teilnahme an der Gedenkfeier für Henning von Tresckow am 21. Juli im Einsatzführungskommando in Geltow bei Potsdam: Weil von Tresckow, obwohl „Kopf und Herz des militärischen Widerstands gegen Hitler", relativ wenig bekannt ist, berichte ich im Internet von der bewegenden Veranstaltung für einen höchst vorbildlichen Soldaten.

Am 28. November Interview in RBB-Kontraste zu belasteten Kasernennamen: Seit den 90er Jahren habe ich mit dem Thema zu tun. Der Traditionserlass muss endlich vollständig umgesetzt werden!

(f) Streit um Hindenburgplatz in Münster

Der Hindenburgplatz als größter Platz Münsters gilt als zweitgrößter innerstädtischer Platz Europas. Nachdem er 168 Jahre lang schlicht Neuplatz hieß, erhielt er am 3. September 1927 den Namen des damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Seit den 70er Jahren gab es mehrere Initiativen zur Umbenennung des Hindenburgplatzes. Nach einem SPD Antrag von Anfang 2008 wurde eine Expertenkommission berufen, die mehrere Münsteraner Straßennamen im Hinblick auf Verwicklungen in das NS-System überprüfte und (Nicht-)Umbenennungen empfahl. Bezüglich Hindenburgplatz wurde die Umbenennung empfohlen. Mit der Ausstellung „Ehre, wem Ehre gebührt" und auf mehreren öffentlichen Veranstaltungen wurden die Empfehlungen präsentiert und zur Diskussion gestellt. Nachdem der Stadtrat mit großer Mehrheit die Umbenennung in Schlossplatz beschlossen hatte, formierte sich eine Bürgerinitiative „Pro Hindenburgplatz". Über ein überraschend erfolgreiches Bürgerbegehren erzwang sie einen Bürgerentscheid am 16. September. Dabei stand die Junge Union pro Hindenburgplatz gegen den CDU-Oberbürgermeister Lewe.

Ich als traditioneller „Einmischer" hielt mich beim Namensstreit lange zurück. Höchst unverhältnismäßig schien mir das alles: Leserbrieffluten wie nie zu einer Symbolfrage einerseits, Mini-Aufmerksamkeit für wirklich wichtige Themen und friedens- und sicherheitspolitische Konflikte (Syrien!) andererseits. Als die Wellen immer höher schlugen - und Zweifel weckten am Selbstbild Münsters als der Stadt von Dialog und Wissenschaft -, meldete ich mich doch zu Wort: mit einem Offenen Brief an die Mitglieder und Unterstützer der BI Pro Hindenburg, die ich für grundsätzlich ansprechbar hielt. (www.nachtwei.de/index.php/articles/1154 ) Neben Hindenburgs Rolle in der Startphase der Nazis war für mich seine Rolle im 1. Weltkrieg zentral: als einer der Cheforganisatoren dieses „Menschenschlachthauses", Gegentyp zu einem Erich Maria Remarque oder Edlef Köppen („Heeresbericht"). Der Offene Brief fand beste Resonanz. Beim Info-Stand auf der Ludgeristraße machten MdB-Kollege Ruprecht Polenz (CDU) und ich erstmals gemeinsame Sache. Der Bürgerentscheid scheiterte mit 40%.

(g) Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden plant für Anfang 2013 eine Fotoausstellung mit Arbeiten des amerikanischen Fotografen Sean Gallup zu rechtsextremer Gewalt in Deutschland. Für den Katalog zur Ausstellung wurde ich von der Leitung des Museums gebeten, einen Beitrag über Bundeswehr und Rechtsextremismus zu schreiben. Zur Thematik gibt es etliche Medienberichte zu Einzelereignissen und Personen, aber kaum tiefer gehende Darstellungen. Ich versuche mit Hilfe der Berichte des Wehrbeauftragten, der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses von 1998, von einzelnen wissenschaftlichen Untersuchungen und anderen Quellen zu einer Annäherung zu kommen. Der Katalog erscheint im Januar.

(9) Unterstützungen + wissenschaftliche Interviews

Häufig sind weiterhin wissenschaftliche Interviews im Rahmen von Doktor-, Magister- und Bachelorarbeiten. Gelegentlich ergeben sich Hintergrundanfragen von Journalisten und zu Projekten (z.B. aktuell „Kalter Krieg im Münsterland").

(10) Publikationen

- Beitrag für eine Festschrift, die in 2013 erscheint

- „Einsatzaufträge der Politik müssen klar und erfüllbar sein. Andernfalls sind sie unverantwortlich." Interview in Kompass 1/2013

- „Eine Diskussion so alt wie die Bundeswehr? Rechtsextremistische Vorfälle und Einstellungen in und im Umfeld der Bundeswehr", Beitrag für den Ausstellungskatalog zur Sonderausstellung „Rechtsextreme Gewalt in Deutschland 1990 bis 2012" des Militärhistorischen Museums in Dresden Januar 2013

- Reisebericht „17. Afghanistanreise - Rückzug aus der Verantwortung?" Dezember 2012, 14 S. (www.nachtwei.de )

- Akteur oder Zuschauer? Was Vernetzte Sicherheit für den Deutschen Bundestag bedeutet - Ein Erfahrungsbericht, erweiterte Fassung eines Vortrags am 5.12.2011 in der BAKS, in: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, Sonderheft 4/2012

- Zivile Konfliktbearbeitung - vom Anspruch zur Wirklichkeit, in: Andreas Heinemann-Grüder & Isabella Bauer (Hrg.), Zivile Konfliktbearbeitung - Vom Anspruch zur Wirklichkeit, November 2012 im Budrich-Verlag

- Afghanistan: Sicherheitsentwicklung 3. Quartal 2012 - Deutlicher Rückgang an Operationen - kein Grund zur Beruhigung (www.nachtwei.de )

- Afghanistan - Lehren für den vernetzten Ansatz, Vortrag an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik/BAKS am 26.10.2012 in Berlin (www.nachtwei.de )

- Gute Nachrichten! Wie Frauen und Männer in aller Welt Gewalt beenden, (www.nachtwei.de )

- Internationale Soforthilfe - eine Gradwanderung, in: Humanitäre Hilfe und staatliche Souve- ränität, hrg. von Joachim Gardemann/Franz-Josef Jakobi/Bernadette Spinnen, Münster Okt. 2012

- Ein „Riesenproblem" mit ausgeschiedenen Soldaten, Interview zu seelischen Verwundungen/PTBS in: loyal 10/2012

- Brief an den Generalinspekteur der Bundeswehr anlässlich der Beendigung des Bosnieneinsatzes der Bundeswehr, 3. Oktober 2012 (www.morgenlage.de )

- Streit um den Bosnien-Einsatz 1995-1998, Reden und Berichte, unter www.nachtwei.de veröffentlicht anlässlich der Beendigung des Bundeswehreinsatzes bei ALTHEA in Bosnien-Herzegowina am 27.9.2012; Denkstösse, 1992, Reisebericht Sarajevo mit Kanzler Kohl, Dez. 1997

- Evaluation deutscher Auslandseinsätze, Impulsbeitrag bei der Tagung „Wie weit sollen deutsche Soldaten gehen?" der Evang. Akademien Berlin, Loccum, Villigst am 24.9.2012 in Berlin (www.nachtwei.de/index.php/articles/1158 ; auch in epd-Dokumentation 45/2012 und in „Denkwürdigkeiten", Journal der Politisch-Militärischen Gesellschaft, Nov. 2012, )

- Afghanistan: Rückgang der Sicherheitsvorfälle und Angriffe im 1. Halbjahr um 32%, der Zivilopfer um 15% - Grund zu „vorsichtigem Optimismus"? (www.soldatenglueck.de )

- Abschlusspapier der AG „Ziviles und militärisches Engagement in Konflikten" (Mitautor), 31. August 2012, 21 Seiten

- Offener Brief an die Mitglieder und Unterstützer der Bürgerinitiative „Pro Hindenburgplatz" in Münster, die zugleich Mitglieder der CDU/Jungen Union und des Reservistenverbandes sind, 25. August 2012 (www.nachtwei.de/index.php/articles/1154)

- Lernfähigkeit im Nebel? Zum sicherheitspolitischen Kurswechsel der Kanzlerin, zwei Kommentare (www.nachtwei.de/index.php/articles/1151

- Geleitwort zu Christian Egbering: Tagesordnungspunkt „Zivile Konfliktbearbeitung" - Eine Diskursanalyse anhand von Reden im Deutschen