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Nachtwei im Deutschen Bundestag zur Mandatsverlängerung OEF

Veröffentlicht von: Webmaster am 4. November 2008 20:27:48 +01:00 (81222 Aufrufe)

In der Debatte um die Ver­längerung der deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom (OEF) hielt Winfried Nachtwei fogenden Redebeitrag:

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Winfried Nachtwei, Frak­tion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum siebten Mal haben wir im Bundestag über die  zu diskutieren und zu entscheiden. Ich erinnere mich noch sehr genau: Im November 2001 war diese Entscheidung in den beiden Koalitionsfraktio­nen der SPD und der Grünen äußerst umstritten. Man kann sagen, dass sich in den Jahren danach die Befürch­tungen, die wir damals im November hatten, nicht bestä­tigt haben. Im Gegenteil: Die Dinge sind in Afghanistan zunächst viel besser gelaufen. Bis 2005 - da waren wir wieder in der Opposition - waren wir nach Abwägung verschiedener Aspekte der Meinung, dass Enduring Freedom weiterhin notwendig sei, um die zu diesem Zeitpunkt schwache ISAF in Afghanistan stärken zu können. Das war damals die Haltung.

Damit wir nicht aneinander vorbeireden: Der inter­nationale Terrorismus stellt weiterhin eine Bedrohung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens dar und muss weiterhin bekämpft werden.

(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/ CSU])

Überwiegender Konsens ist sicher auch, dass er auf der einen Seite nicht primär militärisch bekämpft werden kann, dass dabei auf der anderen Seite aber auch der Ein­satz militärischer Mittel notwendig sein kann.

Allerdings reicht es bei Mandatsentscheidungen ganz und gar nicht, nur zu diesen Grundsätzen etwas zu sagen. Entscheidungen über solche Mandate und solche Ein­sätze sind ja schließlich keine Bekenntnisfragen. Viel­mehr muss konkret beantwortet werden, ob dieser Einsatz weiterhin zur Gewalt- und Terroreindämmung sicherheitspolitisch dringlich ist, ob er weiterhin legitim und legal ist und ob er überhaupt geeignet, wirksam und verantwortbar ist.

Dass die Bundesregierung nun für Afghanistan die Landkomponente im Rahmen des Kommandos Spezial­kräfte abgemeldet hat, ist ein richtiger Schritt. Aller­dings muss man nüchternerweise hinzufügen: Dies ist seit einigen Jahren überfällig. Im Untersuchungsaus­schuss, der aus dem Verteidigungsausschuss hervorging, haben wir herausfinden müssen, dass das KSK im Rah­men von Enduring Freedom in Afghanistan seit 2002 militärisch gar nicht mehr gebraucht wurde. Danach ist es dort nur aus symbolpolitischen Gründen gehalten worden, im Grunde als Solidaritätsbeweis gegenüber den USA. Gerade als Verteidigungspolitiker möchte ich feststellen: Es ist vor allem gegenüber den Soldaten falsch und verantwortungslos, sie aus symbolpolitischen Gründen einzusetzen und zu missbrauchen.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das heißt im Klartext, Herr Minister Jung und Herr Minister Steinmeier: Da dieser Teileinsatz jetzt zu Ende ist, muss auch endlich ein Abschlussbericht vorgelegt werden. Das ist bisher nicht geschehen. Bisher hat dazu der Verteidigungsausschuss den bei weitem besten Be­richt vorgelegt.

Zur anderen Komponente, zum Horn von Afrika. Seit Jahren stellen wir fest, dass der reale Einsatz mit dem Auftrag, terroristische Kräfte an ihren Bewegungs­möglichkeiten zu hindern, nichts mehr zu tun hat. Wenn man die Admirale fragt, was sie erkunden, dann erhält man die Antwort, dass sie alles mögliche andere erkun­den, aber nicht terroristische Bewegungen. Deshalb ist das Mandat in diesem Bereich schlichtweg nicht ehrlich.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Es gibt andere Sicherheitsrisiken, die man klar mit ei­nem UN-Mandat angehen muss.

Die Mandatsentscheidung, die ansteht, ist nicht nur eine Entscheidung darüber, was die Bundesrepublik da­bei macht, sondern sie ist schlichtweg auch eine politi­sche Stellungnahme zu Enduring Freedom überhaupt. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die UN-Sicher­heitsratsresolution vom 12. September 2001 der völker­rechtliche Ausgangspunkt ist, in der das Recht auf Selbstverteidigung betont wurde. Das wurde damals vom größten Teil des Parlaments mitgetragen. Aller­dings beziehen Sie sich sieben Jahre danach weiterhin ganz allgemein auf das Selbstverteidigungsrecht. Dün­ner könnte die rechtliche Grundlage nicht sein; sie ist nach unserer Auffassung eindeutig fragwürdig und nicht mehr zu halten.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Dr. Norman Paech [DIE LINKE]: Sie ist sogar falsch!)

Man muss dabei immer die Konsequenzen bedenken: Es läuft auf eine völlige Entgrenzung des Verteidigungsbe­griffs und de facto auf eine Enthemmung hinaus. Im Klartext: Operation Enduring Freedom setzt sich in der Realität immer wieder über den völkerrechtlichen Grundsatz territorialer Integrität hinweg. Das, was Endu­ring-Freedom-Kräfte in Pakistan inzwischen fast jeden Tag machen, nämlich Verdächtige abschießen, liegt in der Logik von Enduring Freedom; da soll man gar nicht so überrascht sein. Das aber ist eindeutig verwerflich und völkerrechtswidrig.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Wie sieht heute die Realität von Enduring Freedom aus? Was sind die Wirkungen? Kollege Stinner, ich möchte einen Punkt schnell beiseiteräumen: Sie haben wieder das Bild vom vorigen Jahr gebracht, das Bild von der angeblich bösen OEF und der guten ISAF. Heutzu­tage kann man feststellen, dass die Ausbildungskompo­nente bei Enduring Freedom in Afghanistan nicht mehr enthalten ist. Das heißt, in Afghanistan ist Enduring Freedom wieder auf den ursprünglichen Auftrag der mi­litärischen Terrorbekämpfung reduziert worden. Seit Jahren frage ich die Bundesregierung, wie wirksam diese Operation insgesamt ist. Ich erhalte dazu notorisch null Aussagen.

Die Bundesregierung ist aber nicht die einzige Aus­kunftsquelle; wir bemühen uns selber um entsprechende Hinweise. Was besagen die hierbei gewonnenen Er­kenntnisse?

Erstens. Zur Zielgruppe von Enduring Freedom in Afghanistan gehören nicht nur al-Qaida als Drahtzieher und Unterstützer, sondern ziemlich unterschiedslos alle Aufständischen. Der Effekt davon ist eine Solidarisie­rung: Es werden diejenigen zusammengebracht, die man bei einer vernünftigen Antiterrorpolitik eigentlich aus­einanderbringen müsste.

Zweitens. Entsprechende Personen werden auf Ver­dacht liquidiert. Noch vor kurzem habe ich im ISAF-Headquarter gehört, dass der Unterschied zwischen ISAF und OEF wesentlich ist; OEF tötet auf groben Ver­dacht.

Drittens. Bei OEF-Einsätzen sind überproportional oft Zivilopfer zu beklagen. Zudem kommen OEF-Opera­tionen immer wieder ISAF-Operationen in die Quere; das habe ich kürzlich von Kommandeuren in Uruzgan, Südafghanistan, gehört.

Was die Wirksamkeit angeht, fasse ich zusammen: OEF soll zur Eindämmung von Terrorismus beitragen. Alle Hinweise, die wir haben, deuten auf das Gegenteil hin, nämlich darauf, dass islamistische Militanz, Gewalt und Terror dadurch angefacht werden.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie des Abg. Dr. Norman Paech [DIE LINKE])

OEF steht - das sollte man nicht außer Acht lassen - für den Global War on Terrorism, für den Irrglauben, nicht nur mit Militär, sondern ausdrücklich mit Krieg Terrorismus besiegen zu können. Aufschlussreich sind jüngste Veröffentlichungen aus den USA, insbesondere eine RAND-Studie mit dem Titel „How terrorist groups end - lessons for countering Al Qa'ida". Das Ergebnis ist äußerst interessant. Es wurden zwischen 1968 und 2006 über 600 Terrorgruppen untersucht. Die allermeis­ten davon wurden aufgelöst, weil sie in den politischen Prozess einbezogen wurden. Das zweitbeste Mittel zur Auflösung waren polizeiliche und geheimdienstliche Maßnahmen. Am allerwenigsten haben militärische Maßnahmen gewirkt. Die Schlussfolgerung dieser Stu­die ist - gerichtet an die alte und an die neue Regierung -: Hört auf mit dem War on Terrorism! - Die Alternativen liegen eindeutig auf der Hand.

Ich komme zum Schluss. Ich habe alle Mandatsent­scheidungen, die im Bundestag seit 1994 getroffen wur­den, mitbekommen. Als alter Oppositioneller war ich immer wieder überrascht, wie sorgfältig diese Diskussio­nen geführt wurden. Allerdings muss ich sagen: Die Diskussionen der letzten Jahre über Enduring Freedom waren Tiefpunkte der parlamentarischen Beratungen und in Sachen Parlamentsbeteiligung. Herr Minister Steinmeier, ich habe heute von Staatsminister Erler Ant­worten auf von mir gestellte Fragen zur Wirksamkeit von Enduring Freedom usw. erhalten. Ich kann sie Ihnen gleich einmal geben. Diese Antworten sind eine Frech­heit. Ich glaube, Sie werden sich für diese Antworten schämen. So geht das nicht weiter.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Heute findet die Wahl eines neuen US-Präsidenten statt, die wir wohl alle mit großen Hoffnungen begleiten. Der Deutsche Bundestag steht gegenüber der US-Admi­nistration meiner Meinung nach in der Pflicht, ein klares und aktives Zeichen gegen den „Krieg gegen den Ter­ror", für einen kooperativen Multilateralismus, für die Rückkehr zum Völkerrecht und zur Achtung der Men­schenrechte zu setzen, und zwar auch bei der Bekämp­fung des Terrorismus.

Danke schön.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch