Wegsehen bei Kriegsverbrechen durch den Verbündeten, auf den man sonst so sehr angewiesen ist? Der Militärhistoriker Sönke Neitzel bringt in seinem neuen Werk zu Kontinuitäten und (Um-)Brüchen bei deutschen Militärs zwischen 1871 und heute einige Enthüllungen zu völkerrechtswidrigen Einsatzen von US-Kräften in Afghanistan. Seit 2006 (!) haben meine Fraktion und ich das immer wieder deutlich kritisiert. Es war ein Reden gegen die Wand, angeschirmt durch entsprechende Koalitionsmehrheiten. Hier meine Stellungnahme und Materialien.
Bündnisloyalität, humanitäres Völkerrecht, Tabuzonen –
Beispiel Afghanistan
Stellungnahme und Belegtexte zu den Enthüllungen von Prof. Sönke Neitzel
gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Winfried Nachtwei (23./25.10.2020)
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 25. Oktober 2020 bespricht Julia Encke, Feuilleton-Leiterin der F.A.S., das neue Werk des Potsdamer Militärhistorikers Sönke Neitzel „Deutsche Krieger – Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte“ ( https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/themen/bundeswehr-enthuellungen-soenke-neitzels-buch-deutsche-krieger-17018262.html ).Unter dem Titel „Eine Welt für sich“ geht die Rezensentin vor allem auf die spektakulären Enthüllungen des Historikers ein: „mögliche Kriegsverbrechen der Amerikaner und illegale Einsätze von Bundeswehrsoldaten?“ Erste Reaktionen erhält die F.A.S. auf Anfrage nicht vom Verteidigungsministerium und der Wehrbeauftragten, sondern von Sarah Wagenknecht (Die Linke) und mir als ehemaligem MdB und Mitglied des Verteidigungsausschusses.
Im Folgenden meine vollständige Stellungnahme (übernommene Aussagen unterstrichen) und Auszüge aus Berichten, Bundestagsreden und –anträgen, in denen meine Fraktion und ich den Umgang des US-Verbündeten mit dem humanitären Völkerrecht in Afghanistan immer wieder benannt und kritisiert haben.
(Die Enthüllungen sollten auf keinen Fall davon ablenken, das sehr wichtige Buch von Sönke Neitzel insgesamt zu lesen. Eine solche kenntnisreiche Längsschnittstudie zu deutschen Militärs seit 1871, zu Kontinuitäten, Brüchen und Umbrüchen ist mir bisher nicht begegnet. Angesichts nicht wenig verbreiteter Pauschalbilder verschiedener Couleur brauchen deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wie Gesellschaft mehr Klarsicht auf und Einblick in ihre Streitkräfte. Dazu wird das neue Neitzel-Werk erheblich beitragen können. Der Titel „Deutsche Krieger“, an dem ich mich spontan stoße, sollte das nicht behindern, sondern anstoßen. Nach erstem Einlesen bin ich hoch gespannt auf die weitere Lektüre.)
Stellungnahme gegenüber der Frankfurter Allgemenen Sonntagszeitung, 23.10.2020
Die Enthüllungen von Sönke Neitzel zu US-Kriegsverbrechen in Afghanistan sind erschütternd, aber nicht völlig überraschend.
(Da die regierungsoffiziellen Unterrichtungen zur Sicherheitslage Afghanistan nur ereignisbezogen und damit unzureichend waren, verfasste ich seit 2007 aus allen mir zugänglichen Quellen Materialien zur Sicherheitslage im ganzen Land. Offiziere sagten mir mehrfach. dass sie sowas in der Bundeswehr nicht bekämen.)
Bei Truppenbesuchen in Afghanistan erfuhren wir von Bundeswehrsoldaten, aber auch Zivilexperten immer wieder, dass US-Kräfte vor allem im Rahmen der Operation Enduring Freedom jahrelang wenig bis keine Rücksicht auf Zivilbevölkerung nahmen. Meine Fraktion und ich als ihr sicherheitspolitischer Sprecher kritisierten das immer wieder deutlich in Bundestagsreden und -anträgen ab 2006, forderten Aufklärung und Kursänderung. Von Seiten der Bundesregierung gab es nur Wegducken und Schweigen.
Exekutionen von gefangenen Taliban sind eindeutig Kriegsverbrechen. Die politische Haltung des Wegsehens und hinnehmenden Schweigens habe ich selbst miterlebt im März 2009, als nach sehr verlässlichen deutschen Zeugenaussagen ein US-Kommando in Imam Shahib/Provinz Kunduz fünf unbescholtene Menschen regelrecht exekutierten.
An die Tabuzone, dass der größte Verbündete sein "Recht des Stärkeren" über das humanitäre Völkerrecht stelllte, wurde nicht gerührt, durfte nicht gerührt werden. Das erfuhren offenbar die vielen Bundeswehrsoldaten, die sich selbst rechtsreu verhielten, immer wieder.
Die Hauptverantwortung für diese "Duldsamkeit" gegenüber Kriegsverbrechen von Verbündeten liegt nicht bei den Letzten in der militärischen Hierarchie, sondern bei den Verantwortlichen der politischen Führung, die dieses Wegsehen betrieben.
Konsequenzen:
Selbstverständlich muss Deutschland aktiv die Ermittlungen der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag hinsichtlich Kriegsverbrechen in Afghanistan unterstützen, auch im Fall der USA.
Im kommenden Jahr wird der Afghanistaneinsatz 20 Jahre alt. Überfällig ist eine systematische, ressortübergreifende und unabhängige Bilanzierung und Evaluierung des Einsatzes. Diese muss auch die bisherigen Tabuzonen von falscher Bündnisloyalität zum Thema machen.
Eine Anmerkung außerhalb des Protokolls: Von KSK-Soldaten wird richtiger Weise verlangt, dass sie bei rechtsextremen Äußerungen von Kameraden melden und nicht in falscher Kameraderie verharren.
Wie will man das glaubwürdig fordern, wenn man Stillschweigen und Wegsehen bei Kriegsverbrechen eines Verbündeten erwartet?
Zu den "Privateinsätzen" von Bundeswehrsoldaten kann ich nur wenig sagen (MdB seit 1994): Ich weiß um die große Gemeinschaftsleistung der Bundeswehrsoldaten im Rahmen der SFOR- und ALTHEA-Einsätze in Bosnien und KFOR im Kosovo. Umso mehr irritiert mich diese Hinweise auf Privatisierung von militärischer Gewalt durch Bundeswehrsoldaten, die von Vorgesetzten sogar ermöglicht worden sein soll. Heute wäre sowas eine schwere Straftat. Hier besteht dringender Aufklärungsbedarf.
07.11.2006: Nach fünf Jahren Beteiligung an Enduring Freedom: Nicht mehr dringlich und nicht mehr verantwortbar! Stellungnahme von Winni Nachtwei,
http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=83&aid=431
(…) - Aussagen von zivilen und militärischen Afghanistan-Experten und afghanischen Parlamentarierinnen laufen übereinstimmend darauf hinaus, dass OEF/Afghanistan durch die Art und Weise des Auftretens gegenüber der Zivilbevölkerung (mangelnder Respekt vor Tradition und Werten) und durch die Art und Weise der Operationsführung (Hinweise auf vernichtende und oft unverhältnismäßige Luftangriffe mit wenig Interesse, Gefangene zu machen, und mit wenig Rücksicht auf zivile Opfer) mehr zur Eskalation von Hass und Gewalt beiträgt als zur Eindämmung von Terrorismus und seiner Nährböden. Dass sich die einzelnen Attacken der „Oppositionellen Kräfte" in den Südprovinzen von einer „Patt-Situation" im Vorjahr zu einem regelrechten Aufstand in diesem Jahr entwickelt haben, wird nicht nur, aber in erheblichem Maße auch der kontraproduktiven Operationsführung von OEF zugeschrieben.
- Eine selbstverständliche Voraussetzung einer deutschen Beteiligung an Maßnahmen der direkten Terrorismus-Bekämpfung muss die Einhaltung rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Standards sein. Der Umgang der US-Seite mit unter Terrorverdacht stehenden Gefangenen begründete schon in den zurückliegenden Jahren erhebliche Kooperationshindernisse zwischen deutschen und US-Streitkräften. Wegen des Risikos einer völker- und menschenrechtswidrigen Behandlung von Gefangenen in US-Gewahrsam („Beihilfe zu Guantanamo") durften Bundeswehrsoldaten nach Mitteilung der Bundesregierung Verhaftete nicht an die US-Streitkräfte übergeben. Dieses Kooperationshindernis wird verstärkt mit Inkrafttreten des Military Commissions Act im Oktober. Hiermit wird der US-Armee die uneingeschränkte willkürliche Verhaftung von Terrorverdächtigen sowie die Anwendung folterähnlicher Verhörmethoden erlaubt. Dem US-Präsidenten wird das Recht eingeräumt, „Inhalt und Anwendung der Genfer Konvention zu interpretieren". Die SZ titelte am 10. Oktober : „Das neue Terror-Recht in den USA verhöhnt alle demokratischen Errungenschaften des Landes." Hierzu dürfen deutsche Soldaten selbstverständlich weder direkt noch indirekt beitragen.
Zusammengefasst:
OEF schadet dem prekären Stabilisierungsprozess und darin ISAF inzwischen auf der politisch-psychologischen Ebene mehr als dass sie ISAF auf der operativen Ebene nutzt. Die Art und Weise von OEF ist für die Glaubwürdigkeit und Legitimation des Engagements der Internationalen Gemeinschaft in Afghanistan inzwischen eine erhebliche Belastung. Überdies steht die „Exterritorialität" von OEF in einem immer deutlicheren Widerspruch zum Anspruch der Afghan Ownership, wie sie von der Londoner Konferenz mit dem Afghanistan Compact Anfang des Jahres betont und bekräftigt wurde.“
08.11.2006: Auszug Entschließungsantrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Uschi Eid, Kai Gehring, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf der Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. BT-Drs. 16/3150 v. 25.10.2006, BT-Drs. 16/7161 vom 14.11.2007, http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/16/071/1607161.pdf (…)
„2. Militärische Mittel im Kampf gegen den Internationalen Terrorismus weiterhin notwendig
Die Bedrohung der internationalen Sicherheit durch Netzwerke und Akteure des internationalen Terrorismus ist noch nicht gebannt. Terroristische und radikalislamistische bewaffnete Gruppen und ihre Unterstützer wie Taliban, Al Qaida und Heckmatyar werden auch weiterhin mit militärischen Mitteln bekämpft werden müssen. Der Irak-Krieg gab dem internationalen Terrorismus erheblichen Auftrieb. Er hat dazu beigetragen, dass improvisierte Sprengfallen und Selbstmordattentate in Afghanistan – auch im vermeintlich ruhigeren Norden – zunehmen. Vor allem in den Südost- Provinzen, dem Haupteinsatzgebiet der Operation Enduring Freedom (OEF), ist es von Pakistan her zu einer Reorganisation und Stärkung bewaffneter Kräfte gekommen. Das Ziel, die Bevölkerung gegen das militärische und zivile Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan aufzubringen und einen Abzug zu erzwingen, gefährdet den fragilen Aufbauprozess in Afghanistan. Schlüssel für eine erfolgreiche Terrorbekämpfung ist die strategische Zusammenarbeit mit Pakistan. Ziel muss es sein, den Nachschub für die Terrorgruppierungen aus Pakistan einzudämmen. Die pakistanische Regierung muss mit politischen Konzepten international dabei unterstützt werden, das staatliche Gewaltmonopol auch in der Grenzregion durchzusetzen.
3. Völkerrecht und Military Commissions Act
Der zielgerichtete Einsatz militärischer Mittel ist sowohl zur Eindämmung terroristischer Gefahren (Stabilisierungs- und Überwachungseinsätze) wie auch zur direkten Bekämpfung terroristischer Gruppen und Infrastruktur weiterhin notwendig. Er darf aber nur eine unterstützende und nie eine primäre Rolle spielen. Terrorbekämpfung muss sich dabei strikt an die Normen der Menschenrechte und des Völkerrechts halten. Die Missachtung des Völkerrechts zerstört die Glaubwürdigkeit und Legitimation von Terrorbekämpfung und beeinträchtigt ihre politische Wirksamkeit. Mit dem Inkrafttreten des Military Commissions Act im Oktober 2006 wird der US-Armee die uneingeschränkte willkürliche Verhaftung von Terrorverdächtigen sowie die Anwendung folterähnlicher Verhörmethoden erlaubt. Dem US-Präsidenten wird das Recht eingeräumt, „Inhalt und Anwendung der Genfer Konvention“ zu interpretieren. Unter diesen Bedingungen ist ein erneuter Einsatz deutscher KSK-Soldaten zur Unterstützung von OEF-Kräften nicht vorstellbar.
4. Operationsführung OEF
Die OEF-Mission ist in der gegenwärtigen Form immer weniger zielführend und verantwortbar. Die Möglichkeiten Deutschlands, diese Art der Terrorismusbekämpfung zu beeinflussen sind begrenzt. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist nur dann aussichtsreich, wenn die direkte Verfolgung mutmaßlicher Täter und Unterstützer, Gefahrenabwehr und Maßnahmen zur Austrocknung des Nährbodens für internationalen Terrorismus Hand in Hand gehen und nicht einander zuwiderlaufen. Notwendig ist ein Gesamtansatz von militärischen und politischen, polizeilichen, nachrichtendienstlichen, entwicklungs- wie kulturpolitischen und anderen Mitteln.
Aussagen von zivilen und militärischen Afghanistan-Experten und afghanischen Parlamentarierinnen ergeben übereinstimmend die Bewertung, dass OEF/Afghanistan durch die Art und Weise des Auftretens gegenüber der Zivilbevölkerung und durch die Art und Weise einer Operationsführung, die immer wieder unverhältnismäßig agiert und wenig Rücksicht auf zivile Opfer nimmt, mehr zur Eskalation von Hass und Gewalt beiträgt als zur Eindämmung von Terrorismus und seines Nährbodens. Dass sich die einzelnen Attacken der „Oppositionellen Kräfte“ in den Südprovinzen von einer „Patt-Situation“ im Vorjahr zu einem regelrechten Aufstand in diesem Jahr entwickelt haben, wird in erheblichem Maße auch der Operationsführung von OEF zugeschrieben. (…)“
Stellungnahme Operation Enduring Freedom nach 6 Jahren: Selbstverteidigung ohne Grenzen – mehr Begleitschäden als Nutzen, von Winfried Nachtwei MdB, 14.11.2007 (ausführlich zu OEF Afghanistan), Auszug zu
„Streitpunkt Anti-Terror-Operationen
OEF war notwendig und erfolgreich, um Al Qaida/Taliban in Afghanistan keine ungestörte Operationsbasis mehr zu bieten, ihre Ausbildungsstruktur zu zerstören und ihre Rückkehr nach Afghanistan in Schranken zu halten. Während und nach dem Irak-Krieg wurden die Anti-Terror-Operationen in Afghanistan erheblich runter gefahren, war die Masse der US-Special-Forces in den Irak verlegt.
Heute führen US-OEF-Kräfte Kampfeinsätze auf zwei Ebenen durch: erstens im Rahmen der „Foreign Internal Defence“ (Counterinsurgency) als Embedded Training Teams und als eigenständige Einheiten Einsätze gegen Taliban und Aufständische zusammen mit Afghanischen Sicherheitskräften; zweitens als besonders geheime „Anti-Terror-Einsätze“ gegen besondere herausragende Zielpersonen. Die Gesamtstärke der US-Special Forces für diese Aufgaben beträgt – ohne die Embedded Training Teams - knapp 2.000 Mann.
(…) Seit der Gewaltexplosion in 2006 gerade in den alten OEF-Operationsgebieten des Südens und Ostens und der ISAF-Ausweitung auf ganz Afghanistan stellt sich verschärft die Frage nach der Wirksamkeit von OEF bei der Eindämmung von Terrorismus, Gewalt und Militanz.
Hierzu verweigert die Bundesregierung trotz wiederholter Nachfragen unsererseits seit Jahren jede konkrete Auskunft. Beim Besuch der Obleute des Verteidigungsausschusses in Washington Ende Oktober erhielt ich im Pentagon auf meine Frage nach der OEF-Wirksamkeit von einem Unterstaatssekretär nicht mehr als die Antwort, das sei eine exzellente Frage, die man sich auch des Öfteren stelle.
Alles, was ich sonst über die Realität der Anti-Terror-Operation Enduring Freedom in Afghanistan seit 2006 höre und erfahre (insbesondere von deutschen Offizieren wie von landeserfahrenen Zivilexperten), war so beunruhigend wie eindeutig.
Hinweise auf Operationsweisen von OEF
Hochrangige Insider in Berlin beschrieben die Operationsweise von OEF mit Worten, dass es nicht vorrangig um Gefangennahmen gehe, sondern um „Zerschlagung“ der Taliban; dass diese nach entsprechender Aufklärung von der Luftwaffe „gnadenlos niedergemacht“ würden.
Meldungen von der OEF-website www.cjtf82.com über „foreign-internal-defence“-Operationen, die gemeinsam von Afghan National Security Forces und Koalitionstruppen, sprich Special Forces von OEF, durchgeführt werden:
z.B. 10. Oktober 2007 Uruzgan: Für 60 Koalitionssoldaten flogen 13 US-Kampfflugzeuge mehr als 19 Stunden Luftnahunterstützung,
z.B. 19./20. Oktober im Distrikt Musa Qalah/Helmand ‚Tötung von drei Dutzend Militanten’ durch Afghanische Sicherheitskräfte und Koalitionstruppen,
z.B. 27. Oktober im Distrikt Musa Qalah ‚Tötung von sieben Dutzend Militanten’; am selben Tag erstmaliger Einsatz der Kampfdrohne MQ-9 Reaper mit Hellfire-Raketen in Afghanistan. (vgl. Anhang)
13./15./16./21./22./23./26./27./28. Oktober, 1./2./3./4./6./7./8. November jeweils Luft-nahunterstützungseinsätze im Raum Gereshk, Sangin, Musa Qalah, Kajaki-Damm (Hauptkonfliktzone im nördlichen Helmand seit Sommer 2006 und Hauptmohnanbaugebiet. (…) Von der Operation „Maiwand“ mit 1.800 ANA- und 1.200 US-Soldaten der 82. Airborne Division in der Provinz Ghazni berichtet die Reportage „Operation Folter“ in Focus 26/2007: von Scheinexekutionen, mit denen Verdächtige zu Aussagen gezwungen werden sollten, von ANA-Soldaten aus dem Norden im Paschtunengebiet, von einer nach drei Kriegseinsätzen zum großen Teil ausgebrannten US-Truppe.
Auf YouTube (Suchworte „Afghanistan“, „OEF 6“) sind zahlreiche private, offiziöse und offizielle Videos zu OEF und den Kämpfen in Sangin, Musa Qalah, Kajaki etc. zu sehen. In „Afghan War – Operation Herrick 4“, „Kajaki Vikings – Mountain Warriors”, „101st Operation Enduring Freedom“, „Fighting Taliban Stronghold“, “Three 1000lb Bombs dropped on Taliban Hiding in a Village”, “B-1-Bombers Attack Taliban Forces”, „Apache gunship killing Taliban“ etc. entsteht ein Eindruck von der Intensität der Kämpfe am Boden und mit Punkttreffern bis Flächenbombardements aus der Luft, eine zielgenaue und verheerende waffentechnische Überlegenheit, eine krasse Asymmetrie der Stärke. Filme wie „Killing Taliban“, „Mr. Taliban“, „Taliban Bodies“ richten sich direkt und aggressiv an den Taliban-Feind, entwürdigen ihn, spotten über seine unfähigen Waffen, drohen ihm mit überlegendster Gewalt und rufen ihn zur Kapitulation auf. Die Streifen mit ihrem Geballere sind mit Rockmusik unterlegt.
Die Filme sind ein von Arroganz, ja Hybris der Überlegenheit strotzender Angriff auf die Ehre einer traditionalistischen Stammes- und Kriegergesellschaft. Damit lassen sich die Köpfe und Herzen, die gewonnen werden sollen, in Brand setzten. (…)“
06.11.2008: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrageder Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Kerstin Müller, Ute Koczy, Volker Beck und der Fraktion der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Menschenrechtslage und zu den zivilen Opfern in Afghanistan, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/108/1610804.pdf ; http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&ptid=1&catid=39-90-109-120&aid=757
21./22.03.2009: US-Spezialoperation in Imam Shahib
24.3.2009 Pressemitteilung „OEF-Querschüsse gegen Zivilbevölkerung und Bundeswehr in Kunduz" von Jürgen Trittin, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Winfried Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher, zur Enduring-Freedom-Spezialoperation in der Provinz Kunduz am 21./22.3.2009 ( http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&ptid=1&catid=2-12&aid=830 , 58.077 Aufrufe bis 23.10.2020)
„(...) In der Nacht vom 21. auf den 22. März fand in Imam Sahib nördlich von Kunduz eine Spezialoperation von Kräften der Operation Enduring Freedom statt. Bei der Operation gegen angebliche "Hochwertziele" im Gästehaus des Bürgermeisters wurden fünf Personen erschossen, darunter nach unseren Informationen aus der Region ein Koch, ein Fahrer, ein privater Wachmann und ein Verwandter sowie eine männliche behinderte Haushaltshilfe. Vier bis fünf Personen seien (...) entführt worden. Der Bürgermeister, ein bewährter Kooperationspartner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, befand sich im Nachbarhaus und wurde nicht angerührt. Über 1.000 Menschen demonstrierten in Imam Sahib friedlich gegen die Operation.
ISAF und das Wiederaufbauteam PRT Kunduz hätten keine Möglichkeit gehabt, die Operation zu beeinflussen, weil nichts mit dem PRT abgestimmt war. Hinzu komme, dass es bei der Operation keine Schadensbegrenzung und hinterher keine Kompensationsangebote gegeben habe. Die Presseerklärung des US-Militärs zu der Operation sei voller Unwahrheiten.
Eine solche Spezialoperation schadet politisch massiv der wichtigen Arbeit von Entwicklungshelferinnen und -helfern sowie ISAF und Bundeswehr in Nord-Afghanistan. Es gießt Öl in das Feuer der Aufstandsbewegung. Der schwere Vorfall bestätigt die jahrelange Kritik gerade unter landeskundigen Soldaten und Zivilexperten, dass die eigenständige OEF durch aggressive Operationen und separates Kommando dem gesamten internationalen Engagement und der Zentralregierung viel mehr schadet als nutzt. Seitdem ISAF für ganz Afghanistan zuständig ist, ist eine zweite (OEF) und gar eine dritte (CIA black operations) Paralleloperation durch nichts zu rechtfertigen und kontraproduktiv.
In der Phoenix-Runde "Unter den Linden" am 23. März forderte Jürgen Trittin Verteidigungsminister Jung zweimal zu einer Stellungnahme zu dem Vorfall auf. Der Minister leugnete ein Fehlverhalten der US-Kräfte. Ein Wort gegen die OEF-Querschüsse gegen die Arbeit der eigenen Soldaten in Kunduz ist von ihm nicht zu hören. Das ist Feigheit vor dem Freund zulasten unserer Soldatinnen und Soldaten sowie Entwicklungshelferinnen und -helfern."
„Tod im Gästehaus – Grüne kritisieren US-Einsatz gegen afghanische Zivilisten“ von Peter Blechschmidt, SZ 25.03.2009
„Die Grünen haben scharfe Kritik an einem amerikanischen Militäreinsatz in Nordafghanistan geübt, bei dem vorige Woche fünf Zivilisten getötet worden waren. Der Einsatz fand im Zuständigkeitsbereich des deutschen Aufbauteams (PRT) in Kundus statt, war aber nach Darstellung der Grünen-Politiker Jürgen Trittin und Winfried Nachtwei nicht mit dem deutschen Kommandeur abgestimmt. Das Verteidigungsministerium in Berlin erklärte dazu lediglich, zu operativen Details mache man keine Angaben. (…) Der Einsatz in der Nacht vom 21. Auf den 22. März richtete sich gegen ein Anwesen in Imam Sahib nördlich von Kundus. (…) Nach Angabe von Trittin und Nachtwei, die sich auf zuverlässige Quellen in der Region berufen, wurden dabei im Gästehaus des Bürgermeisters von Imam Sahib fünf Menschen erschossen: der Koch, ein Fahrer, ein privater Wachmann, ein Verwandter des Bürgermeisters und eine „männliche behinderte Haushaltshilfe“. Der Bürgermeister selbst befand sich im Nachbarhaus und blieb unverletzt. Trittin und Nachtwei bezeichneten ihn als „bewährten Kooperationspartner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“. (…) Trittin und Nachtwei erklärten, Spezialoperationen wie diese schadeten eder Arbeit von Entwicklungshelfern und Bundeswehr massiv. Der Vorfall bestätige die jahrelange Kritik unter landeskundigen Soldaten und Experten, dass die OEF durch ihr aggressives Vorgehen dem internationalen Engagement mehr schade als nutze. Die grünen-Politiker kritisierten auch Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU), der ein Fehlverhalten der US-Kräfte leugne. Ein Wort zu den OEF-Querschüssen gegen die Arbeit der eigenen Soldaten sei von ihm nicht zu hören. Das sei „Feigheit vorm Freund“. (…)
Redeauszug MdB Jürgen Trittin in der Bundestagsdebatte am 26.03.2009 zu Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum bevorstehenden NATO-Gipfel, zum Antrag der Grünen „Überprüfung und Korrektur der Strategie beim Afghanistanengagement vor dem NATO-Gipfel in Straßburg“ u.a. (nach Bundeskanzlerin Merkel, Außenminister Westerwelle u.a.), https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16214.pdf
„(…) Wenn Sie die vernetzte Sicherheit ernst nehmen, dann muss der Skandal ein Ende haben, dass derzeit mehr Feldjäger als Bundespolizisten in der Polizeiausbildung beschäftigt sind. Das ist ein Versagen der Bundesregierung bei der vernetzten Sicherheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie die lokalen Kräfte stärken wollen, dann stellt sich die Frage, wie sich das mit dem Vorfall am vergangenen Wochenende vereinbaren lässt, als in Imam Sahib in der Provinz Kunduz das Gästehaus eines mit uns verbündeten Bürgermeisters – möglicherweise hat ihn auch Herr Jung bei seinem letzten Treffen mit den Stammesältesten getroffen – von einer Geheimdienstoperation der Amerikaner betroffen war. Nach EUPOL-Angaben – nicht nach NGO-Angaben – hatte diese Operation zur Folge, dass vier Personen entführt worden sind. Der Leibwächter, der Koch, der Fahrer und ein weiterer Angestellter des Bürgermeisters sind erschossen worden. Das alles hat im Norden Afghanistans statt-gefunden, also dort, wo Deutschland Verantwortung trägt. Es ist ohne Zustimmung und Unterrichtung Deutschlands passiert. Wenn Sie von vernetzter Sicherheit reden, dann müssen Sie endlich dafür sorgen, dass mit solchen Kommandoaktionen, die den Erfolg der NATO-Operation massiv infrage stellen, in ganz Afghanistan und insbesondere dort, wo die Deutschen Verantwortung haben, endlich Schluss gemacht wird. Das ist die Herausforderung, wenn man über vernetzte Sicher-heit redet. (…)“
31.3.2009 Telefonat mit einem landeskundigen Deutschen über die US-Geheimoperation in Imam Shahib in der Nacht vom 21. Auf den 22. März 2009 (persönliche Aufzeichnungen)
„In dieser Form im Norden neu, erstmalig mit Tötungen. Ganz normale einfache Leute seien exekutiert worden. Ein Deutsch-Afghane machte eine halbe Stunde danach ein Video mit seinem Handy. Jede Leiche habe er gefilmt. Zwei im Bett erschossen, einer unter der Bettdecke; der Wachmann, der eine Kalaschnikow hatte, als letzter, auch der „Dorftrottel". Alle, die was bezeugen konnten, seien erschossen, ermordet, exekutiert worden! Nicht im Kampf! Es seien keine Kalaschnikow-Schüsse, nur gedämpfte Schüsse zu hören gewesen. Der Bürgermeister habe sich mit seiner Familie verschanzt. Das PRT gab dem Deutsch-Afghanen zu verstehen, er solle ja nicht das Video zeigen.
Lt. US-Seite seien zwei Tadschiken und zwei Araber verhaftet und weggeflogen worden. (...) Grotesker Fehler, fass fünf Dienstboten liquidiert wurden. Das sei nicht mal ein ziviler „Kollateralschaden". Dass sowas im deutschen Verantwortungsbereich geschehe, straffreies „Abknipsen". Das alles sei nachgewiesen. Er selbst sei am Morgen danach vor Ort gewesen, Christoph Reuter (STERN) auch. Es war Mord! BMVg-Interpretation treffe nicht zu! Keine afghanische Beteiligung vor Ort - außer Wagen des Po9lizeichefs, der 200 m entfernt stand. Im PRT deutlich: kein OEF! Im PRT sei man stark sauer, voll brüskiert. Die afghanische Regierung mache keinen Ärger, weil die Operation bez. Zielpersonen wahrscheinlich erfolgreich und die Opfer kleine Leute."
(Veröffentlicht am 03.09.2013 in „Dokudrama über den Luftschlag von Kunduz vor 4 Jahren - Hintergründe und politische Verantwortung“, D „Umgang mit der Zivilbevölkerung – Doppelstandards“ von W. Nachtwei, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1232 )
US-Kommandoaktion in Kunduz: Bundesregierung darf nicht länger schweigen,veröffentlicht von: Webmaster am 2. April 2009, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&ptid=1&catid=2-40&aid=840 (55866 Aufrufe bis 25.10.2020)
Auszug aus Sicherheitsvorfälle in der Region Afghanistan Nord 2006 bis April 2010“ von W. Nachtwei,
http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=968 (80.455 Aufrufe bis 25.10.2020)
„(…) 10.3.2009 Beschuss des Plateaus Kunduz mit drei Raketen, davon eine an der Außenmauer des PRT eingeschlagen.
13.3. Raketeneinschlag im PRT Kunduz beim Hubschrauberlandeplatz, keine Explosion und Personenschäden. Am 14.3. Raketeneinschlag 500 m außerhalb des PRT Kunduz, keine Personen- und Sachschäden. Wenige km vom PRT Feyzabad bei einem Unfall eines Wolf MSS ein Soldat getötet. (…)
In der Nacht vom 21. auf 22. März in Imam Sahib nördlich Kunduz vor der tadschikischen Grenze Geheimoperation von US-Kräften (OEF? CIA?) gegen einen vermuteten hochrangigen Terroristen im Gästehaus des Bürgermeisters. Dabei wurden fünf Personen erschossen (es soll sich um einen Koch, Fahrer, privaten Wachmann + Verwandten und männliche behinderte Haushilfe handeln). Vier Personen wurden gefangen genommen und abtransportiert. Das PRT und ISAF war nur kurzfristig über die Landung von Transportmaschinen informiert. Von der Operation erfuhr man aus der Presse. Am Folgetag demonstrierten mehr als 1.000 Menschen friedlich. (Am 2.4. erscheint im STERN eine Reportage des erfahrenen AFG (Irak) Reporters Christoph Reuter: Er beschreibt eine regelrechte Exekution! Mehrere Anfragen der Grünen an das Ministerium werden mit der Version der US-Presseverlautbarung beantwortet. Lt. Aussagen von verlässlichen Deutschen in Kunduz sei diese rundum erlogen. Vgl. „IWPR Probe Challenges US Account of Kunduz Killings“, 16.4., www.iwpr.net) )
24.3. bei Überfall auf einen von ANP geschützten Geldtransporter südlich Kunduz zwei Polizisten und ein Angreifer getötet. (…)
27.3. bei einem Hinterhalt in Kunduz zwei AFG Polizisten getötet. Zwei US-Soldaten im Camp Shaheen des 209. ANA Korps in Dihdadi/Balkh beim Sport durch einen afg. Wachsoldaten erschossen. Dieser nahm sich anschließend selbst das Leben.
28.3. IED-Angriff auf einen geschützten Versorgungstransport des PRT Kunduz nach Taloqan, kein Personenschaden und kaum Sachschaden.
3.4. Einschlag von 5 Raketen auf dem Plateau Kunduz außerhalb des PRT. Keine Personen- und Sachschäden.
Übergang vom 18. auf das 19. Deutsche Einsatzkontingent ISAF. Am 5. April doppelter Wechsel im PRT Kunduz: militärisches Kommando von Oberst Uwe Benecke auf Oberst Georg Klein, ziviler Leiter von Dr. Peter Ptassek auf Hermann Nicolai.
Am selben Tag nach feierlichem Spatenstich für die „Mischa-Meier-Brücke“ (Teilnahme von politisch Verantwortlichen der Provinz, Bevölkerung und PRT-Kommandeur) im Distrikt Chahar Darreh/Kunduz Beschuss der Foward Operation Base des PRT, Schusswechsel über mehrere Stunden, keine eigenen Personenschäden. Bei der Hinfahrt zur Feier war ein Dingo mit IED angegriffen und erheblich beschädigt worden. Am frühen Nachmittag auch Beschuss von Bundeswehrkräften südlich des PRT mit Raketen. Bei allen Vorfällen keine Personenschäden.
6.4. Kurz nach Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Kunduz gingen am 6.4. zwei Raketen außerhalb des PRT nieder. Die Taliban-Behauptung, die Raketen seien gegen die Kanzlerin gerichtet gewesen, sind nur begrenzt glaubwürdig. Die vielen Medien, die die Raketen in die Überschriften ihrer Berichte über den Merkelbesuch setzten, ließen sich mal wieder grob fahrlässig instrumentalisieren.
7.4. Rakete Richtung Plateau Kunduz nahe Flughafen, keine Schäden.
9.4. Beschuss einer dt. Patrouille durch mehrere Täter auf Motorrädern mit Panzerabwehrwaffen in Chahar Darreh/Kunduz, keine Personen- und Sachschäden.
12.4. 5 Raketen außerhalb des PRT Kunduz niedergegangen, keine Schäden. Beschuss einer ANP/ANA-Patrouille in Kunduz/Kunduz, je ein AFG Polizist und Soldat getötet.
13.4. IED-Anschlag auf eine Bundeswehrkolonne am Rand von Mazar, zwei geschützte Fahrzeuge beschädigt, kein Personenschaden.
14.4. nordwestlich von Kunduz schoss eine dt.-afg. Patrouille auf einen Motorradfahrer, der alle Warnhinweise und Warnschüsse missachtet hatte. Der Fahrer wurde verletzt und im PRT behandelt. Während des Rückmarsches der Patrouille um die Mittagszeit Beschuss mit Handfeuerwaffen durch mehrere Militante, Feuergefecht, keine eigenen Personen- und Sachschäden. (…)
21.4. (…) Am späten Vormittag ca. 20 km nordwestlich Kunduz dt. OMLT-Soldaten und ANA-Soldaten von Militanten beschossen, keine Personen- und Sachschäden.
23.4. Beschuss des Plateau Kunduz mit einer Rakete, keine Schäden.
26.4. nächtlicher Angriff auf das Distrikthauptquartier in Birka/Baghlan, wobei Feuer gelegt und ein Polizist getötet wurde.
25.4. IED-Attacke auf dt- Patrouille in Baharak/Badakhshan 40 km östlich des PRT Feyzabad, keine Personenschäden, leichte Sachschäden.
29.4. vormittags 15 km südlich Kunduz (PLUTO) Kfz-Selbstmordattacke auf dt. Patrouille, 5 Soldaten verwundet. Am selben Tag abends (16.25 Uhr dt. Zeit) Beschuss einer PRT-Patrouille mit Handfeuerwaffen und RPG 10 km nordwestlich Kunduz. Nach Durchstoßen des Hinterhalts zweiter Hinterhalt 5 km nordwestlich Kunduz. Beim Feuergefecht der 21-jährige Hauptgefreite Sergej Motz vom Jägerbataillon 292 aus Donaueschingen getötet, 4 Soldaten leicht verletzt. Bei diesem Hinterhalt begegnete Bundeswehr in Nord-AFG erstmalig einem militärisch operierenden Gegner. (Ein deutscher General: „Wie auf der Panzertruppenschule“) Es ist das erste Mal in der Geschichte des AFG Einsatzes und der Auslandseinsätze insgesamt, dass ein Bundeswehrsoldat im Feuergefecht fällt. Alle anderen in AFG durch gegnerische Einwirkung gefallenen Soldaten waren durch Sprengstoffattacken, also nicht im Kampf getötet worden. Das widerlegt das von der Linken seit Jahren gepflegte Zerrbild, die Bundeswehr habe sich von Anfang an in AFG in einem Kriegseinsatz befunden.
An diesem Tag befindet sich Außenminister Steinmeier in Kabul.
6.5. in Dehna Ghori/Baghlan der Distriktgouverneur, sein Sohn und zwei Angestellte bei einem Überfall auf ihr Fahrzeug getötet.
In der Nacht vom 6. auf 7.5. in Varduj 60 km südöstlich von Feyzabad Festnahme des Terrordrahtziehers Abdul Razeq durch AFG Kräfte mit Unterstützung des KSK. Er soll verantwortlich sein für mehrere Anschläge, darunter auf eine deutsche Patrouille am 26.6.2008. Überstellung an die Schwerpunktstaatsanwaltschaft des Inlandsgeheimdienstes NDS. Erstmalig lüftet jetzt die Bundesregierung die bisherige Totalgeheimhaltung zu KSK-Operationen.
7. bis 8.5. stundenlanges Feuergefecht 12 km westlich von Kunduz zwischen 29 Soldaten einer dt. Patrouille, 100 ANA-Soldaten, 60 Polizisten und Militanten auf Motorrädern, die vorher die Patrouille mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten beschossen hatten. (…) Die Bundeswehrsoldaten hatten daraufhin die Verfolgung der Angreifer aufgenommen. 7 Militante sollen dabei erschossen und 14 verwundet worden sein. Das BMVg gab bekannt, dass mindestens zwei Gegner von Bundeswehrsoldaten getötet worden seien. (Mit diesem Gefecht scheint auch ISAF/Bundeswehr ihre Taktik geändert zu haben: Bisher wurde bei Beschuss zurückgeschossen, um den Gegner niederzuhalten und sich selbst herauslösen zu können, wurde jetzt die Verfolgung aufgenommen.)
„Früh vertane Chancen“(Auszug aus „Die Politik und Afghanistan: persönliche Bilanz und Ausblick eines politischen (Mit-)Auftraggebers“, in Rainer L. Glatz/Rolf Tophoven, Am Hindukusch – und weiter? Die Bundeswehr im Auslandseinsatz: Erfahrungen, Bilanzen, Ausblicke, Bonn 2015, S. 317 f.)
„Wie konnte es zum Wegrutschen des internationalen Afghanistaneinsatzes kommen, der als Stabilisierungsunterstützung hoffnungsvoll begonnen hatte, ab 2006/2008 aber zu kriegerischer Aufstandsbekämpfung eskalierte?
Kaum bewusst war in New York, Brüssel, Washington, Berlin und anderen Hauptstädten, dass man sich in Afghanistan auf das größte und komplexeste Projekt internationaler Friedenskonsolidierung und Terrorbekämpfung eingelassen hatte – in einem Land, das von 23 Jahren Krieg verheert war. Viel zu wenig und zu spät wurde erkannt, dass schwere strategische Fehler von vorneherein viele richtig Absichten konterkarierten:
- Die Internationale Gemeinschaft agierte auf der Basis vage gehaltener UN-Mandate ohne gemeinsame Strategie, ja mit konträren strategischen Ansätzen. Der strategische Dissens zwischen Gegnerfokussierung, Statebuilding-Verachtung, Vorrang des Irak-Krieges auf Seiten der Bush-Administration und eher Bevölkerungsorientierung, Statebuilding-Unterstützung auf Seiten der UN, Bundesrepublik und anderer wurde über Jahre auf der politischen Ebene des Bündnisses nicht ausgetragen. (…)
- Die Gruppe der „Peacebuilder-Nationen“ vermied wohl die Großfehler des größten Verbündeten, der bei seinem entgrenzten Antiterrorkrieg millionenfach Köpfe und Herzen beleidigte und verlor. Die selbst verantworten Fehler waren aber schlimm genug. Es dominierte die naive Einstellung, mit „Billig-Peacekeeping“ Afghanistan von Kabul aus binnen weniger Jahre stabilisieren zu können. Überhöhten Erwartungen stand eine extreme Unterausstattung vor allem der Aufbauinvestitionen und –kapazitäten gegenüber. (…)“
14.10.2015: Auszug aus dem Bericht der Unabhängigen Kommission zur Untersuchung des Einsatzes des G36-Sturmgewehres in Gefechtssituationen (vgl.http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1374 )
„(…) 5. Abschließende Bemerkungen
(…) Die Auswertung der bundeswehrinternen Berichte zu Schusswechseln und Gefechten und die umfassende Befragung einsatz- und gefechtserfahrener Soldaten aus allen größeren Einsätzen und insbesondere des Afghanistaneinsatzes ergaben durchweg ein eindeutiges Ergebnis:
Deutsche Soldaten sind im Kontext von Präzisionsabweichungen des Sturmgewehrs G36 nicht gefallen und nicht körperlich verwundet worden. Es zeigten sich auch keine Anhaltspunkte für Zweifelsfälle.
Ebenfalls fanden sich keine Hinweise, dass deutsche Soldaten über eine nicht auszuschließende abstrakte Gefährdung hinaus auch konkret einer höheren Gefährdung aufgrund des Präzisionsverhaltens des G36 ausgesetzt waren.
Die Aussagen der befragten Soldaten zu ihren Erfahrungen mit dem G36, zu ihren Einsatz- und Gefechtserfahrungen zeugten durchweg von hoher Professionalität und Ernsthaftigkeit. Sie traten ausgesprochen verantwortungsbewusst und besonnen auf. Dass zur Erfüllung des militärischen Auftrages immer auch die besondere Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung gehört, ist für unsere Soldaten offenkundig eine Selbstverständlichkeit.
(…)
Deutlich widerlegt wurde im Rahmen der Untersuchungen die verzerrende Darstellung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr unterschiedslos als Kriegseinsätze. Viele Einsätze der Bundeswehr blieben – glücklicherweise – ohne jeglichen oder doch zumindest ohne einen nennenswerten Einsatz militärischer Gewalt.
Die Untersuchungen und vor allem die Gespräche der Kommission mit gefechtserfahrenen Soldaten führten hingegen durch die schärfsten Seiten des deutschen Einsatzes in Afghanistan – in die Welt des infanteristischen Kampfes Mann gegen Mann, „der oder ich“, Tod oder Leben. Die angesichts dieser Einsatzrealität erheblich intensivierte Ausbildung und insbesondere das Nahbereichsschießen verstärken die Dimension militärischer Gewaltausübung und konfrontieren den Soldaten viel direkter mit den Wirkungen seines Waffeneinsatzes.
Den Kommissionsmitgliedern wurde dabei erneut eindringlich deutlich, wie extrem die Anforderungen an Einsatzsoldaten in Bodenkämpfen sind.
Unsere persönlichen Begegnungen mit der kriegerischen Einsatzrealität der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan bekräftigt unsere Grundhaltung, dass die politische Leitung und das Parlament höchst verantwortlich mit dem Einsatz von Soldaten der Bundeswehr umgehen müssen: bei der Einsatzentscheidung, bei der Einsatzausstattung und -führung, bei der Wirkungskontrolle und insbesondere auch gegenüber den Einsatzrückkehrern und deren Familien. Von diesen tragen etliche oft noch lange an den Einsatzfolgen, während ihre Auftraggeber längst mit anderen Aufgaben befasst sind.“
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: