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Niederlande in AFG 2006-2008, Berichtsauszüge

Veröffentlicht von: Webmaster am 5. August 2010 21:59:22 +01:00 (146997 Aufrufe)

Niederlande in AFG 2006-2008, Berichtsauszüge (zusammengestellt von Winfried Nachtwei):

NIEDERLANDE in AFGHANISTAN

von Winfried Nachtwei, MdB

(1)  Rückblick: Kampfhandlungen + Zwischenfälle im Süden in 2006 (Auszug aus meinem AFG-Bericht vom November 2006; lt. ISAF und CENTAF, Auswahl)

Von Landeskundigen höre ich, dass es in den letzten fünf Jahren in weiten Teilen des Landes nur OEF-Einsätze, aber fast nichts an Aufbau + Entwicklung gegeben habe. ISAF kommt jetzt z.T. in Regionen, in die vorher auch OEF und ANA nie vorgedrungen waren.
Die Niederlande haben 10% ihres ganzen Heeres in AFG. Vor der Übernahme der ISAF-Führung durch die NATO im August 2003 stellte das Deutsch-Niederländische Korps aus Münster das ISAF-Kommando. Im Februar 2006 wurde in den NL über eine Peace-Support-Mission gestritten. Die heutige Dimension war damals nicht klar. Zur Auflage wurde damals die klare Trennung von OEF gemacht. Das erste NL-Kontingent (Deployment Task Force)  startete im März und hatte die Logistik, v.a. das Kamp Holland in Tarin Kowt/Uruzgan aufzubauen. Eine besondere Herausforderung war, Konvois mit bis zu 50 Fahrzeugen, darunter etliche Trucks, über 185 km von Kandahar durch Unruhegebiet nach Tarin Kowt durchzubringen. Das gelang mit eigener F 16 bzw. Apache-Absicherung ohne Verluste. Der NL-Einsatz war flankiert von einer großen politischen Initiative: Anfang Mai lud der NL-Außenminister zu einer Konferenz in Kabul ein, wo zusammen mit Gouverneuren, Stammesältesten über Sicherheit, Entwicklung und Gesundheit gesprochen wurde. Vor Ort wurde die Zusammenarbeit mit Shuren (Ratsversammlungen) aufgenommen. Über zwei Jahre stellen die NL 200 Mio. € für Aufbau und Entwicklung zur Verfügung. Die Hälfte davon geht über die Regierung, über 20 Mio. verfügt die Truppe.

Wenn es zu Zusammenstößen mit OMF kam, wurden Kampfflugzeuge nur eingesetzt, wenn keine Zivilisten gefährdet waren. Nachdem im Chora Valley Angriffsvorbereitungen gegen das Camp aufgeklärt worden waren, fand dort ein Kampfeinsatz von ISAF- und OEF-Spezialkräften parallel statt, der über eine Woche dauerte und angeblich die akute Bedrohung beseitigte.

Am 1. August übernahm die niederl. Task Force Uruzgan (TFU).die zwei Stützpunkte Tarin Kowt und Deh Rawod 60 km westlich. Die TFU ist u.a. ausgestattet mit drei Panzerhaubitzen 2000 (zwei kamen bei der Operation Medusa im September zum Einsatz). Sie wird von sechs AH-64D Apache Kampfhubschraubern und einer F-16-Staffel unterstützt.

(2)  Einsatzerfahrungen der NL Streitkräfte mit der Panzerhaubitze 2000, Briefing durch Oberst Peter Fröling, Kdr der NL Artillerieschule, 3.7.2007  in Berlin:

Eingeführt ist die PzH 2000 bei NL Heer seit Anfang 2006. Erfordert 9 Wochen Training; sehr komplexes Waffensystem, 50-60 verschiedene Verfahren. Die Entscheidung für ISAF Süd fiel im Februar 2006, zunächst keine PzH eingeplant, sondern 120 mm Mörser als Basisschutz. Ab April vorgesehen zwei PzH plus eine Reserve.

Problem Lufttransport: 8 Wochen notwendig, um Lizenz für USAF-Galaxy zu bekommen (PzH 2000 ursprünglich nicht für Lufttransport vorgesehen, nicht zertifiziert).

Soforteinsatz bei Operation „Medusa" in Kandahar ab August 2006, wo binnen 12 Stunden einsatzbereit. Bei diesem Ersteinsatz 306 „Brisanzgranaten" (155 mm von alter M 109)und 33 Nebel- und Leuchtgranaten verschossen; bisher keine Präzisionsmunition, die unbedingt erforderlich sei. Genauigkeit bisher bei 10 bis 50 m. Wegen psychologischer Wirkung („unglaublicher Knall") werde auch Übungsmunition eingesetzt: ein Schuss „300 m daneben wirke". „Wenn wior beschossen werden, schießen wir direkt zurück." Durchschnittlich werde über eine Distanz von 25 km geschossen. Binnen 5 Minuten feuerbereit, wenn Bedienung an der Waffe, 15-20 Minuten wenn draußen.

Close Air Support (CAS) und Ground Based Fire Support (GBFS) machen Feuerunterstützung genauer und ergänzen sich. CAS kommt innerhalb 15 Minuten, steht mit Hilfe von Tankern im Luftraum, ist aber sehr teuer. GBFS ist vergleichsweise viel billiger.

GBFS sei erfolgreich schon auf Zugebene, wo bei Konvoischutz, Patrouille gekämpft werde. Diese hätten immer die PzH im Rücken.

Sie sei efektiv. Probleme gebe es aber mit der Genauigkeit. Kollateralschäden sollten so gering wie möglich gehalten werden, wurden bisher auch nicht bekannt. Bei der Zielaufklärung sei human intelligence am wichtigsten.

PzH schieße nur, wenn eigene Soldaten in Gefahr. Dann werde auch mit dem Risiko von Zivilopfern abgewogen. Beispiel eines Dorfes: Beschuss von dort, Reaktion, ggfs. Abwarten, nicht sofort tödliche Gewalt, ggfs. vorrückende Schüsse.

Vorteil: einsatzfähig 7 Tage die Woche 24 Stunden, 85% Verfügbarkeit, die Luftwaffe dem gegenüber längst nicht. 5 Mann/Haubitze.

(3)  Niederländische Truppen (Uruzgan) (Auszug aus „Materialien zur aktuellen Sicherheitslage Afghanistan mit Pakistan", Juli 2009)

(vgl. www.mindef.nl/missies/afghanistan/...; www.oruzgan.web-log.nl/uruzgan_weblog/2007...)

Über Jahre war Uruzgan ein sicheres Versteck für die Taliban.

In Uruzgan sind im Sommer 2008 rund 1.600 niederländische und 700 australische Soldaten stationiert. Der Distrikt Deh Rawod wurde international bekannt, als in 2002 eine US AC-130 irrtümlich das Feuer auf eine Hochzeitsfeier eröffnete und 40 Menschen tötete.

Kämpfe im Chora Valley 2007:  Die NL Wochenschrift « Elsevier » berichtet in ihrer Ausgabe vom 5. Januar von den Kämpfen in dem strategisch bedeutsamen Tal nördlich von Tarin Kowt im Juni 2007, wo schon in der Startphase der NL-Präsenz in Uruzgan im Sommer 2006 heftige Kämpfe stattgefunden hatten. Nachdem Aufständische am 26. April 2007 den Posten in Kala Kala genommen und alle Polizisten getötet hatten, wurden in Chora - 30 km nördlich von Tarin Kowt - ca. 65 NL-Soldaten der luftbeweglichen Alphakompanie („Limburgse Jagers") und 40 ANA-Soldaten stationiert. (Der niederländische Kompaniechef war vor zwölf Jahren in Srebrenica dabei.) Nach einem schweren Sprengstoffanschlag auf ein PRT-Team, bei dem 11 Zivilisten starben, griffen am Morgen des 16. Juni ca. 800 (bis 1.100) Taliban und ausländische Kämpfer alle Posten außerhalb des Distriktortes Ali Shirzai an und kamen bis 200 m an das Distriktgebäude heran. Nach Mobilisierung aller Kräfte des Hauptstützpunktes in Tarin Kowt und mit vollem Einsatz der Panzerhaubitze aus Tatin Kowt und Luftnahunterstützung durch eigene Apache und F-16 schlagen die überwiegend NL Kräfte, unterstützt von afghanischer Miliz, den Angriff bis zum 20. Juni zurück. Dabei sollen zwischen 30 bis 88 Zivilisten umgekommen sein. Der Untersuchungsbericht von UNAMA und Unabhängiger AFG Menschenrechtskommission kommt zu dem Ergebnis, dass die Taliban im Unterschied zu ISAF Zivilisten gezielt und absichtlich töteten, dass aber den Artillerie- und Luftwaffeneinsätzen von ISAF ca. viermal so viele Zivilisten zum Opfer fielen.  (www.oruzgan.web-log.nl; auf YouTube u.a. die Videos „Chora Battle 1" und „Chora Battle 2" )

Tom Hyland berichtet am 18.10.2007 (www.theage.com.au), dass im Juni die in Uruzgan stationierte australische Spezialeinheit (SAS) an der Planung der NL geführten Gegenoffensive teilnahm, sich aber aus der 1. Reihe der Operation zurückzog, weil diese den eigen Rules of Engagement zuwider gelaufen wäre. Es wurde befürchtet, dass nicht zureichend zwischen Kämpfern und Zivilbevölkerung  unterschieden werden könnte. Schlussendlich seien die meisten der 60-70 toten Zivilisten durch Bomben und Artilleriefeuer (letzteres über 30 km Distanz aus Tarin Kowt) umgekommen.

(Anmerkung: Von den Kämpfen im Chora-Tal unterrichtete die Bundesregierung die zuständigen Abgeordneten des Bundestages mit keinem Wort. Auch beim Obleutebesuch in Mazar nach dem 20. Juni 2007 bei den dt. Tornados in Mazar wurden sie - obwohl  d e r  ISAF-Brennpunkt zu dem Zeitpunkt - mit keinem Wort erwähnt. Im Gegenteil wurde der Eindruck erweckt, als hätten die NL-Truppen im Unterschied zu anderen keine zivilen Opfer. Am 16.1.2008 habe ich zur Entwicklung in Uruzgan von der Bundesregierung einen Bericht angefordert.)

Ende September erlebte australische SAS im Chora Valley die heftigsten Kämpfe australischer Soldaten seit dem Vietnamkrieg - zusammen mit 500 Soldaten einer Streitmacht aus sechs Nationen und gerade 15 km vom eigenen Stützpunkt in Tarin Kowt entfernt.

(Die 200-köpfige australische Spezialeinheit war seit August 2005 in AFG. Nach einer Serie intensiver Gefechte im September 2006 aus AFG abgezogen. Damals behaupteten Offizielle, SAS hätte das Tal von Aufständischen gesäubert und Uruzgan sei lt. Verteidigungsminister Nelson „relativ stabil". Im April 2007 wurde der SAS wieder nach Uruzgan zurückverlegt. Von 13 Monaten in AFG war die Truppe 306 Tage im Einsatz und wurde dabei  in 139 Kampfsituationen verwickelt - von kleinen Geplänkeln bis zu Gefechten mit Hunderten gegnerischer Kämpfer über Stunden. (Patrick Walters am 28.9.2007: «Aussie commandos in firefight», PerthNow, www.news.com.au/perthnow)

Am 25.10.2007 begann in Uruzgan die Operation «Spin Ghar (Weißer Berg), mit 1.500 Soldaten von ANA, der Kampfgruppe der NL Task Force Uruzgan, australischen und NL Special Forces und der Reserve-Kompanie des ISAF Regional Command South die bisher größte Operation in dieser Provinz. Zusätzlich wurden 650 ANA-Soldaten der neuen 4th Brigade in Tarin Kowt stationiert. Ziel war es, den Baluchi-Pass zwischen Tarin Kowt und Chora freizumachen. Seit Juni gab es immer wieder heftige Kämpfe. Allein die OEF-Firebase Anaconda im Khas Distrikt wurde fünfmal zwischen August und September von größeren Taliban Gruppen angegriffen. Bei einem Gefecht Mitte September seien mehr als 65 Taliban getötet worden. Am 8. Oktober wurden zwei NL Apache Hubschrauber von Taliban Feuer getroffen - ohne Personenschäden. (Matt Dupeeam 16.11.2007: «Operation Spin Ghar: Uruzgan gets ugly», www.longwarjournal.org)

Prof. Marc Herold vom „Afghan Victim Memorial Project" berichtet auf Uruzgan Weblog über "another massacre of civilians by NATO forces in Afghanistan": Am 23.-26. Dezember 2007 seien im Distrikt Shahidi Hasas lt. Afghan Islamic Press und Taliban 50 Zivilisten umgekommen; die US-Streitkräfte hätten die Tötung von ca. 150 Rebellen gemeldet.

Pajhwak Afghan News Agency vom 2. Januar 2008 lt. Uruzgan-Weblog :  Rückeroberung des Dorfes Yakhdan im Shahidi Hasas Distrikt/Uruzgan durch ANA und Koalitionstruppen.

Im Westteil von Uruzgan höchste Zahl von Binnenvertriebenen in ganz AFG : Lt. UNHCR-Karte vom Oktober im Distrikt Deh Rawod, Nesh und Shahidi Hassa ca. 15.000. Das NL PRT betreibt hier nur die kleine Basis Camp Hadrian, OEF die Firebase Tycz und die Foward Operating Base Cobra. Deh Rawod ist einer von drei niederländischen «Tintenflecken» (Gebiete höherer Priorität) in Uruzgan.

Am 4. Januar wurden 2 Zivilisten bei Kämpfen zwischen NL-ISAF-Truppen und Taliban getötet und 5 verwundet.

Am 12. Januar kamen zwei NL und zwei AFG Soldaten im Distrikt Deh Rawod durch „friendly fire" von NL Seite ums Leben.

General Harm de Jonge, bisher stellv. Stabschef beim 1. Deutsch-Niederländischen Korps in Münster, wird für neun Monate Stellvertreter des Regional Commander ISAF South in Kandahar. (Westf. Nachrichten 16.1.2008)

Während meines Besuches Anfang August 2008 in Camp Holland/Tarin Kowt in Uruzgan erfuhren wir, dass es Anzeichen für eine positive Entwicklung der Sicherheitslage gebe: Die letzte Raketenattacke gegen das Camp gab es im März 2007. Die Zonen „unter Kontrolle" haben sich von zwei „Inseln" im Februar 2008 auf einen fast durchgängigen Streifen im Juli 2008 erweitert.

Am 10.8. wurden bei Gefechten zwischen ANSF/coalition forces + Militanten im Distrikt Khas Oruzgan 25 Militante und 8 Zivilisten  getötet. Die Militanten hatten sich nach einem Hinterhalt in ein Gebäude zurückgezogen und dort 11 Zivilisten, darunter einige Kinder, als Geiseln genommen. Bei dem angeforderten close air support sei die Anwesenheit von Zivilisten in dem Gebäude nicht bekannt gewesen. Acht seien durch den Bombenabwurf um`s Leben gekommen.

Lt. LWJ  v. 16.8. wurde am 12.8. der bekannte Taliban Führer Mullah Akhtat Mohammed und einige seiner Kämpfer durch einen Luftangriff getötet worden sein. Am 14.8. sollen lt. ANP 5 Taliban mit ihrem Gruppenkommandeur in der Char Chino Region/Uruzgan getötet woerden sein.  Dem soll eine Woche heftiger Kämpfe vorausgegangen sein. In der ersten Augustwoche gelang australischen Spezialkräften die Festnahme des Taliban Schatten-Gouverneurs von Uruzgan, Mullah Bari Ghul.

Lt. LWJ v. 23.10. versuchten am 21.10. mehr als 100 Taliban Kämpfer den Distriktort Deh Rawood zu überrennen. Bei dem Gegenangriff von Koalitions- und AFG-Kräften wurden mit Kampfhubschrauberunterstützung  55 Kämpfer getötet. Bei einem nachfolgenden gezielten Luftschlag  gegen einen höheren Taliban Führer in der Region wurde  der Kommandeur Sharif Agha und 14 seiner Kämpfer getötet. Einen Tag vorher wurde in der Nachbarprovinz Helmand der Kommandeur Mullah Ghafar, der mit 500 Kämpfern im Grenzgebiet von Kandahar + Helmand operieren soll, zusammen mit zwei Kämpfern getötet. Am 23.10. wurden in Khas UIruzgan 3 Taliban bei einem Gefecht getötet.

Gegenüber dem Vorjahr haben sich die Sicherheitsvorfälle in Uruzgan fast verdreifacht - von 49 auf 130 Attacken zwischen Januar und September.

Am 26.10. endete die zehntägige, von der TF Uruzgan geführte  ISAF-Operation „Bor Barakai" (Tornado) mit mehr als  1.000 afghanischen und internationalen Soldaten (500 GB Marines, 350 NL, 150 ANA). Ziel der Operation war, in der Mirabad Region östlich von Tarin Kowt  den Einfluss von Aufständischen zurückzudrängen.  Gefunden wurden mehr als 40 roadside bombs und eine große Menge von Kleinwaffen, Granaten + Munition, darunter ein Versteck mit 650 kg Explosivstoffen und Komponenten.  Es war die dritte Großoffensive seit Mitte 2006 in Uruzgan, bekannt als Herzland der Taliban.  (www.oruzgan.web-log.nl)

Im November übernimmt der NL Generalmajor Mart de Kruif das ISAF Regional Command South mit insgesamt 19.000 Soldaten für ein Jahr von dem CAN General Marc Lessard.

(...)

Am 1.2.2009 21 AFG Polizisten durch Selbstmordattentäter in einem Polizeitrainingscenter in Tarin Kot/Uruzgan getötet.

(4)  Auszug aus Reisebericht August 2008 (Kandahar, Uruzgan):

Die ISAF-Region Süd hat 850 km offene Grenze mit Pakistan und 300 km mit Iran. Kandahar ist die Hauptstadt des Südens, Helmand historisch der Brotkorb. In den Provinzen Kandahar und Helmand findet die Masse der Kämpfe statt. Die Ringroad (Highway 1) ist für beide Seiten von strategischer Bedeutung. ISAF will die sicheren Gebiete entlang der Ringroad ausweiten, wo die Hälfte der Bevölkerung lebt. Am Kajaki-Damm in Nord-Helmand arbeiten zwei Turbinen, die dritte muss noch hingeschafft werden. Bei aller symbolischen Wirkung von Kajaki: KAF verbrauche mehr Strom, als Kajaki produzieren könne. Außerdem zweigen Taliban Strom ab und verkaufen ihn.

Die über 22.000 Soldaten des RC South (GB 8.200, USA 6.500, CAN 3.000, NL 1.900, AUS 850, DÄN 500) werden zzt. von einem kanadischen General geführt, sein Stellvertreter ist ein Niederländer, Chef des Stabes ein Brite. Jetzt werde viel mehr der comprehensive approach praktiziert als unter dem britischen Kommandeur. Es gebe ein change of mind, eine größere Einbeziehung ziviler Aspekte in militärisches Denken. Sehr schwach sei bisher UNAMA mit 7 Mitarbeitern im ganzen Süden. UNAMA verfügt insgesamt über einen Etat von 86 Mio. $, der im nächsten Jahr verdoppelt werden soll.

In 2006/7 gab es Kämpfe in größerem Stil, in Uruzgan zuletzt im Juni 2007. Inzwischen operieren die Aufständischen in kleineren Gruppen nach der „hit and run" Taktik und mit mehr IEDs. Hierbei komme hochwertige wie einfache Technik zum Einsatz. Im Juli gab es 201 IED- und Minenzwischenfälle (Juli 2007 ca. 100) mit 243 Personenschäden. 40-60% der IEDs werden vorher gefunden. Ein Großteil der Führer sind nicht mehr vor Ort bzw. kommen von außerhalb. Sie zeigen weniger Rücksicht auf die Bevölkerung und agieren brutaler. Das führt zu einem Akzeptanzverlust in der Bevölkerung, aus der nun häufiger IEDs gemeldet werden.

Je eine ANA-Brigade steht in Kandahar, Helmand, Uruzgan und Zabul. In der Südwestprovinz Nimruz gibt es keine ANA-Brigade, kein PRT, nur ANP und Special Forces. Die insgesamt 22 Operational Monitoring + Liaison Teams (OMLT) seien in Kämpfen Schulter an Schulter in den ANA-Bataillonen dabei. Das sei manchmal sehr schwierig, aber die einzige Möglichkeit. Bei britischen + kanadischen OMLTs habe es schon Verluste gegeben, bei den Niederländern nicht. Die ANA-Soldaten seien besonders gut in „situation awareness", im Gefühl für Gefahren und der „Freund-Feind"-Unterscheidung.

Der „stille Feind" fordere von den Soldaten hohe Konzentration, da sei ein Wechsel nach vier Monaten notwendig. Zum Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS): beim Einsatz in Bosnien-Herzegowina waren ca. 2,5-4% der dort eingesetzten NL Soldaten betroffen. Zu AFG können keine Zahlen genannt werden. Zentral seien bestmögliche Vorbereitung und die schnelle Reaktion im Bedarfsfall. In den NL gäbe es für PTBS spezielle Zentren und lebenslang freie Unterstützung.

Die größte Herausforderung sei die Regierungsführung. Die Provinzgouverneure im Süden seien sehr unterschiedlich - von gut über undurchsichtig bis völlig inkompetent. Die meisten Gouverneure verfügen über keinen Stab. Abgesehen von Kandahar gibt es nirgendwo einen Districtleader. In den letzten 6 Monaten habe es diesbezüglich keinerlei Fortschritte gegeben. Regierung komme nicht voran. In Kabul gebe es dafür kaum Verständnis. Nie waren Präsident oder Minister vor Ort. Auch die meisten Parlamentsabgeordneten sind weg nach Kabul oder in anderen Hauptstädten. Im Süden leitende Funktionen zu übernehmen, setze schon gehörigen Enthusiasmus voraus.

Operation Enduring Freedom (OEF wird im Ndl „UF" gesprochen): Zwischen ISAF und OEF gebe es kein Linkage, keine Kooperation in Operationen, nur „Deconflicting". Ausnahme nur in extremen Notfällen, wo man sich gegenseitig helfen müsse. Verschieden seien die Rules of Engagement, manchmal auch die Vorgehensweisen.

In KAF sind insgesamt 440 NL SoldatInnen stationiert. Zur 1 Air Task Force gehören 6 F-16 Kampfflugzeuge mit lasergelenkten GBU-12 und -38 Bomben, 5 AH-64D Apache-Kampfhubschrauber mit Hellfire-Raketen, 3 CH-47 Chinook-Tansporthubschrauber, C-130 Hercules Transporter. Aufgaben sind taktischer Lufttransport, Aufklärung und Konvoischutz, Luftnahunterstützung für Bodenkräfte. Im Unterschied zum Kalten Krieg müsse man jetzt Ziele und ihr Umfeld sehr genau identifizieren und unterscheiden können.

Tarin Kowt/ Uruzgan

Mit einer viermotorigen DHC-7 (geeignet für kurze Pisten in schwieriger Geographie) der kanadischen Voyageur Airways in 25 Minuten nordwärts nach Tarin Kowt. Unter uns liegen die seit Sommer 2006 besonders heiß umkämpften Distrikte Panjwai (Operation Medusa) und Zhari. Die Landschaft unter uns ist graubraun, ab und zu von Bewässerungsgräben durchzogen. Tarin Kowt liegt jenseits der über 3.000 m hohen Shah Maqsud Range. Gut erkennbar dann das grüne Band der Flussoase am Tarin, der weiter westlich bei Deh Rawod in den Helmand mündet. Die Provinz hat ca. 320.000 Einwohner (45.000 Familien), sie besteht zu 50% aus Gebirge (3.-4.000 m) und nur zu 20% aus Ebene.

Uruzgan ist eine alte Taliban-Hochburg: Uruzgan fiel 1994 als erste Provinz an die Taliban. Von hier stammt der Taliban Führer Mullah Omar. Der jetzige Gouverneur Hamdam sprach im letzten Herbst von ca. 4.000 Taliban in Uruzgan. (In anderen Quellen ist die Rede von einigen Hundert.)

Ein Ortskundiger schätzt, dass 50% eindeutig gegen die Taliban seien, die anderen eher notgedrungen für sie. Hinzu kommen massive andere Konflikte zwischen alten Mujaheddin-Kommandeuren, lokalen Powerbrokers, Stämmen und Clans, politischen Bewegungen + Parteien. Uruzgan gilt eher als „vergessene Provinz", über viele Jahre ganz besonders vernachlässigt. Hoffnungen auf den von den hiesigen Popelzei stammenden Karzai wurden enttäuscht.

(Übersicht zur aktuellen Lage in Uruzgan „Mission: difficult" von Rory Callinam in Time 24.1.2008, www.oruzgan-weblog.nl. Über oruzgan-weblog ungewöhnlich umfassende und vielfältige Berichte, sehr empfehlenswert!)

Als wir in Tarin Kowt vor Camp Holland landen, ist der Kommandeur der Task Force Uruzgan (TFU) verhindert: Um 9.15 Uhr gab es bei einem IED-Anschlag bei Chora drei Verwundete, zwei davon schwer.

Statt der angekündigten 50° schafft die Sonne „nur" noch 40er Temperaturen, zum Glück trocken. Am vierten AFG-Tag beginnt mich die Hitze zu nerven.

Der Außenzaun wird auf 11 Türmen von Guards der afghanischen Sicherheitsfirma ASG (Asian Security Group) bewacht. Wir besuchen den ASG-Kommandeur und einen Turm, auf dem die Guards jeweils eine ganze Woche campieren. Das Gesamtcamp umfasst Camp Holland mit dem PRT-Huis am Haupttor, AUS-Camp Russel, US-Camp Ripley (OEF), ein ANA-Camp, ein ANP-Übungsgelände, ein Poppy Elimination Project. Die NL Soldaten sind außer in Camp Holland in Camp Hadrian/ Deh Rawod (400 Soldaten) und mehreren Patrol Bases (zusammen mit ANA) stationiert. Die US Special Forces von OEF betreiben eigene Stützpunkte im Norden.

Die TFU V (5. Kontingent) umfasst 1.400 NiederländerInnen: die Battlegroup zur force protection mit ca. 300-500 Soldaten, ggfs. bis knapp 200 Special Forces, das PRT mit 80 Soldaten (4 Mission Teams), 12 Zivilexperten des Außenministeriums (political, development + tribal advisors) ,10 Polizeitrainern (Militärpolizei), den OMLT mit 40 Soldaten, eine starke CIMIC-Komponente. Sie verfügen über 27 gepanzerte Bushmaster-Transporter aus Südafrika, deren V-förmiger Unterbau mehr Schutz gegen Sprengfallen bietet. Die Australische Reconstruction TF umfasst 400 Personen, die australische Special Operations TF 300. Zunehmend mehr Länder wollen ein Kontingent nach Uruzgan schicken. (Tschechische Republik, Ungarn, Slowakei, Singapur). Am 5. August traf ein französisches OMLT für Deh Rawod mit einem 7 km langen Konvoi aus 94 Fahrzeugen in Tarin Kowt ein. Damit wird die TFU zunehmend multinational. US Special Forces sollen mit einigen Hundert Mann in der Provinz weiter nördlich in den Bergen operieren.

Sicherheitslage: Vor 14 Monaten fanden im Chora Tal über mehrere Tage heftige Gefechte statt. Am 16. Juni 2007 starteten bis zu 1.000 Kämpfer einen konzertierten Angriff Richtung Chora 30 km nordöstlich Tarin Kowt, wo zu dem Zeitpunkt 65 niederländische und 40 ANA-Soldaten stationiert waren. Unter Einsatz aller verfügbaren Verstärkungskräfte konnte der Angriff bis zum 20. Juni zurückgeschlagen werden. Bei den Kämpfen kamen lt. UNAMA mehrere Dutzend Zivilpersonen ums Leben.

Im Spätsommer nahmen Aufständische einige Gebiete im Deh Rawod Distrikt. Sie wurden im Februar wieder herausgedrängt. Weitere „security operations" fanden im Baluchi Tal (Verbindung von Tarin Kowt zum Chora Tal) statt. Insgesamt kamen im NL AFG Einsatz 16 Soldaten ums Leben, davon 11 durch gegnerische Einwirkung zwischen April 2007 und April 2008.

Inzwischen soll sich die Sicherheitslage im Bereich der TFU erheblich verändert haben: In diesem Jahr gab es keine Kämpfe mehr. Während im Februar 2008 zwei Inseln als unter Kontrolle und relativ sicher galten (die Orte Tarin Kowt und Deh Rawod), umfasst die Zone relativer Sicherheit im Juli einen Streifen entlang der Flussoase, in dem 80% der Bevölkerung leben. Im berüchtigten Chora-Distrikt konnten im Juni erstmalig Wahlen durchgeführt werden. Allerdings ist auch in relativ sicheren Gegenden die Nacht eher Talibanzeit.

Die letzte Raketenattacke auf das Camp gab es im März 2007 (!), die letzte Entführung gab es hier vor einem drei Viertel Jahr. Vor einem Jahr standen erst 100 ANA Soldaten in Uruzgan, jetzt sind es 1.400 mit ausreichend Material. Die ANP hat 1.300 Mann in Uruzgan.

Grundansatz: Der 1. August 2008 markiert den Übergang von der 1. zweijährigen Phase des NL-Engagements zur 2. Phase. An deren Ende wollen die NL im Sommer 2010 die militärische Lead-Funktion abgeben. Die NL vertreten wie Kanada einen DDD-Ansatz: Defence (Gewährleistung von Bewegungs- und Handlungsfreiheit, Sicherheitssektorreform), Diplomacy und Development. Auch in Uruzgan konzentriere man sich auf die Bevölkerungszentren. („Tintenfleck-Strategie")  Der ISAF-Ansatz sei insgesamt bevölkerungs- und nicht gegnerfokussiert. Wenn Gegner das mit Gewalt stören, werde militärisch reagiert. Patrouillen hätten aber nicht die Aufgabe, Gegner zu suchen und offensiv zu bekämpfen, sondern ihre Aktivitäten zu stören. Konsens bei allen Gesprächspartnern ist, dass die Taliban militärisch nicht zu besiegen seien. Ihre Nährböden könnten nur ausgetrocknet werden.

Demgegenüber agiere OEF in anderen Gebieten/den Bergen mehr gegnerorientiert und „kinetisch". Das könne in Konflikt geraten mit dem ISAF-Ansatz und die eigene Arbeit schädigen. OEF wird mehr mit Begleitschäden verbunden. Der vorherige COMISAF McNeill soll einen mehr kinetischen Ansatz verfolgt haben.

Ein Offizier äußert mir gegenüber die Befürchtung, dass alles wieder den Bach runter gehen würde, wenn die USA ab 2010 hier übernehmen würden.

Die Regierungsführung ist auch hier ein Schlüsselproblem. Seit Gouverneur Hamdam zur ärztlichen Behandlung im Ausland ist, herrscht ein Vakuum. Z.B. werden Gehälter nicht bezahlt. Informeller politischer Führer ist Jan Mohammed Khan (JMK): Führer des paschtunischen Populzei-Stammes (wie Karzai), Befreier von Tarin Kowt von den Sowjets, Gouverneur Jan. 2002 bis März 2006, Analphabet, geringe Verwaltungskompetenz, abgesetzt wegen Korruption und Verwicklung im Drogengeschäft.

Umso mehr kommt es auf die Förderung von Leadership auf Distrikt- und Dorfebene an. An die Menschen komme man nur über religiöse und Stammesautoritäten. Bisher habe man noch kein vollständiges Bild der hiesigen Stammesstrukturen.

Entwicklung: Die NL Entwicklungskooperation hält sich an den Rahmen der Afghan National Development Strategy und ihre 8 Sektoren. Ziele sind:

(a)   Implementierung nationaler Programme + nachhaltiger Projekte,

(b)   Gewinnung der Köpfe + Herzen durch schnelle + sichtbare Projekte,

(c)   Priorität haben

o    Governance (11 Berater zur Stärkung von local governance),

o    Gesundheit (bisher 100 Gesundheitsstationen geschaffen mit je 2-3 ausgebildeten lokalen Kräften),

o    Bildung (bisher 120 Schulen errichtet, für 2008 90 weitere geplant, von den insgesamt 200 Schulen sind zzt. 70 wegen Unsicherheit geschlossen), und ländliche Entwicklung.

Hier geht es um Straßen- und Brückenbau, Instandsetzung von Bewässerungskanälen, Pflanzen von Obstbäumen für 15.000 Familien, Weizensaat für 20.000 Familien, Einführung von Safran, das zzt. für Bauern bessere Erlöse bringt als Mohn! Mit Spannung warten ca. 300 Familien auf die zweite Safranernte im September.

Die NL gaben 2006 73 Mio. Euro für EZ in Uruzgan, seit 2007 jährlich 130 Mio.! Davor gab es maximal 10 Mio. Euro im Jahr für Entwicklung in Uruzgan. Zivile Partner („civil army") sind UNICEF, UNAMA ab Oktober, lokale und internationale (N)GOs. Gezeigt wird uns eine Karte, in der alle Entwicklungsprojekte nach Kategorien eingetragen sind. Eine vorzügliche Übersicht. Vor zwei Jahren seien in Tarin Kowt viele Läden dicht gewesen. Jetzt gebe es in T.K. ein reges Geschäftsleben, die Wirtschaft blühe auf.

Da die NL Regierung nicht über eigene EZ-Durchführungsorganisationen verfügt, ist der Großauftrag für das „Uruzgan Provincial Development Project" (UPDP) mit einem Gesamtvolumen von 34 Mio. Euro an die GTZ International Services gegangen. Der Teamleader Gert Both stellt uns das UPDP vor. Er arbeitet seit 6 Jahren in AFG, erst als legal advisor der Bundeswehr im Rang eines Oberst, dann bei einem Kommunikationsunternehmen. Er ist ungewöhnlich nahe an der einheimischen Bevölkerung - mit umfassender lokaler und interkultureller Kompetenz, mit nüchternem Realismus und großer Sympathie für die herzlichen Menschen. Nicht zuletzt scheint ihm auch seine rheinische Art Zugänge zu erleichtern.

Das UPDP startete Januar 2008. Schwerpunkte sind

(a)   Infrastruktur
85% haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, seit 3-4 Jahren herrscht Trockenheit, nur 3% haben brauchbare sanitäre Einrichtungen. Erstes Projekt ist eine Straße von Tarin Kowt durch das kritische Baluchi Tal ins Chora Tal, um den Bauern Marktzugang für ihre hochwertigen Produkte, z.B. sehr leckeren Melonen zu verschaffen. Das viele Wasser im Winter + Frühjahr soll mit Dämmen zur Bewässerung und Stromgewinnung (micro hydro power) nutzbar gemacht werden.

(b)   Verbesserung der Einkommensmöglichkeiten
Alternativen sind vor allem Weizen, auch Mandeln, Aprikosen, Fischerei, Wolle, Eier, Honig, Kleingewerbe. Hier liegt auch die Priorität der Zurückdrängung des Mohnanbaus.

(c)   Capacity Building
Die Dörfer mit ihren Maleks funktionieren noch am ehesten, die Verwaltung mit ihren 2.846 Bediensteten (davon 9 Frauen) und 20 line ministries kaum. Bisher hat das Innenministerium keine Selbstverwaltung geschaffen. Für die Distrikte gibt es bisher keine Regelungen und Wahlen. Absicht ist, für die 20 Departements gezielt gute, junge Leute zu qualifizieren.

Die Sicherheitsektorreform hat hier vor vier Monaten angefangen. Da die Provinz Uruzgan weder bei der Regierung noch bei ISAF Priorität hat, fehle es überall an Geld, Ressourcen. Die 4. Brigade kam als letzte und schlecht ausgestattet in den Süden Ihr 4. Bataillon (Kandak) ist in Helmand. Die ANA-Kandaks seien kaum ausgebildet und kämen schon in den Einsatz („fighting"). Ausbildung laufe wesentlich durch Einsatz. ANA-Kommandeure seien ziemlich initiativlos und würden nur auf höheren Befehl handeln. Aber die Soldaten seien gut, sie wollen kämpfen und hätten einen enormen Kampfgeist. Da trügen die OMLTs (16 Mann für ein Kandak) große Verantwortung. Sie müssten die Soldaten eher zurückhalten als pushen.

Die ANP sei drei Jahre hinter der Armee zurück. Kernproblem sei, dass die Polizei nicht von der Bevölkerung getragen werde und unzuverlässig sei. Ihr Sold liegt bei 75 $/Monat. Ab Oktober soll in Uruzgan das Focused District Development Programm/FDD (S.30) anlaufen. Dafür stehen aber nur zwei Mentorenteams zur Verfügung! Auch die Polizisten wollen kämpfen. Wir aber wollen, dass sie der Gemeinschaft dienen. Das andere Problem sei, dass Verhaftete wegen der Dominanz von Stammesrecht und Machthabern schnell wieder freigelassen würden.

Erste Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Afghanen sei Vertrauen, höchste Werte Ehre, Stärke. Deshalb sei volles Mitgehen mit den Soldaten + Polizisten entscheidend.

Beim Besuch des ANP-Trainingscamps hat gerade der Polizeichef von Uruzgan einen „Streik" der Polizeischüler beendet. Ein NL Militärpolizist bringt den Rekruten bei, wie man den Schutzschild hält und den Gummiknüppel bedient. Auf der Schießbahn erfahren wir, dass Schießtraining mit der AK-47 (einzeln und in Gruppe) für die Polizisten Überlebenstraining ist. Ohne haben sie auf ihren oft einsamen Posten keine Chance gegenüber Angreifern.

Die zivil-militärische Zusammenarbeit scheint hier so gleichberechtigt und integriert zu funktionieren, wie ich es bisher nirgendwo sonst erlebt habe. Zivile und militärische Teile des Militärs haben dieselbe Stehzeit von 6 Monaten - für die Zivilen eigentlich zu kurz. Phasenweise lief bei diesem Kontingent die Vorbereitung von PRT-Militärs und Zivilen gemeinsam. Der zivile Leiter sitzt zusammen mit dem Kommandeur in einem Raum. Der Anteil der Zivilexperten wird schrittweise aufgestockt. Im ersten Halbjahr 2009 soll das PRT einen zivilen Direktor bekommen, dessen Stellvertreter der Kommandeur wäre. Dessen Zuständigkeit für rein militärische Fragen bleibt davon unberührt. Allerdings verfügen die Zivilexperten bisher über keinen Support-Staff.

Die zivil-militärische Ausgabenrelation ist mit 130 Mio. zu 270 Mio. Euro pro Jahr deutlich aufbaufreundlicher als bei vielen anderen ISAF-Nationen. Entwicklungsexperten betonen, dass sie ihre Arbeit ohne das NL PRT nicht machen könnten. Gegenüber den Koalitionstruppen (OEF) halte man aber lieber Distanz.

Leben in Camp Holland: Die Container-Unterkünfte hinter Hesko-Mauern und unter Zelten heißen tatsächlich Chalets. Vor dem ECHO-Lokal Windmill ist mit Tarnnetz ein schattiger gemütlicher Ort geschaffen, wo überwiegend junge Soldaten und ein paar Soldatinnen zusammen hocken, klönen, was trinken und rauchen. Wie in Kandahar gibt es auch hier keinen Alkohol. Es macht einen locker entspannten Eindruck. Im Unterschied zu Kandahar ist hier die Kleiderordnung liberaler und die Waffe nicht ständig am Mann/ an der Frau. Unsere Westen und Helme liegen die ganzen zwei Tage und Nächte ungebraucht in unserem Container. Sogar beim Besuch des Marktes vor dem Haupttor brauchen wir sie nicht.

Dass es in den letzten 24 Stunden in der Provinz eine Reihe von Zwischenfällen gab (z.B. Beschuss eines Konvois von Kandahar, nächtlicher IED-Anschlag gegen eine Patrouille mit drei Verletzten, Notlandung eines Medevac-Hubschraubers) bekommen wir eher nebenbei mit. Erst nachträglich erfahre ich davon, dass es in der Nacht vom 10. auf den 11.8 im Distrikt Khas Uruzgan Gefechte zwischen Afghanischen Sicherheitskräften (ANSF)/ coalition forces + Militanten gab, bei denen 25 Militante und 8 Zivilisten getötet wurden. Die Militanten hatten sich nach einem Hinterhalt in ein Gebäude zurückgezogen und dort 11 Zivilisten, darunter einige Kinder, als Geiseln genommen. Bei der angeforderten Luftunterstützung (close air support) sei die Anwesenheit von Zivilisten in dem Gebäude nicht bekannt gewesen. Acht seien durch den Bombenabwurf ums Leben gekommen. Am nächsten Tag wurde der Taliban Führer Mullah Akhtat Mohammed und einige seiner Kämpfer durch einen Luftangriff getötet. Am 14.8. sollen lt. ANP 5 Taliban mit ihrem Gruppenkommandeur in der Char Chino Region/ Uruzgan getötet worden sein. In der ersten Augustwoche gelang australischen Spezialkräften die Festnahme des Taliban Schatten-Gouverneurs von Uruzgan, Mullah Bari Ghul. (www.longwarjournal.com vom 16.8.08)

Zusammenfassung:

Die niederländischen Militärs und Zivilexperten begegnen uns locker, offen - soweit es nicht um NATO secret Themen geht - und geradezu herzlich. Wir spüren dieselbe politische Wellenlänge. Unter schwierigeren Bedingungen verfolgen die Niederländer hier einen Ansatz, der dicht bei dem von Deutschland im Norden verfolgten liegt. Allerdings scheint man hier mit dem umfassenden, integrierten Ansatz sowie dem lokalen Ansatz weiter zu sein. Auch wenn ihre Battlegroup keinen offensiven Auftrag hat, so ist sie doch mit einer viel höheren Intensität von Einsätzen konfrontiert. Die der ANA zugeordneten OMLTs sind an Kämpfen beteiligt.

Bemerkenswert, dass die Niederlande wie selbstverständlich nicht an OEF teilnehmen und deutlich auf Distanz achten.

Insgesamt scheint es in Uruzgan in jüngster Zeit nicht nur Fortschritte beim Aufbau, sondern auch in der Sicherheit zu geben. Eine solche Parallelentwicklung ist in den meisten Gebieten AFGs heute  eher die Ausnahme.

Im Vorfeld des Süd-Besuches ist mir mulmig zumute, vor Ort nicht mehr. Ich hatte erwartet, in Kriegsgebiet zu kommen. In Wirklichkeit kommen wir nur näher ran, sind in KAF und Camp Holland aber immer noch in einer geschützten Parallelwelt.

 

Hin weis: 

Bericht als PDF-Datei.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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