Nachtwei zu Streumunition

Von: Webmaster amFr, 30 Mai 2008 22:34:34 +01:00
Folgende Rede hielt Winfried Nachtwei im Deutschen Bundestag zum Thema Streumunition:

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Der letzte Redner des heutigen Tages ist Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor genau sechs Monaten haben Sie, Herr Präsident, hier in den Räumen des Bundestages die Ausstellung „Explosi­ves Erbe des Krieges - Erfolge und Herausforderungen - Zwischenbilanz der Kampagne gegen Landminen und Streumunition" eröffnet. Dies geschah anlässlich des zehnten Jahrestages des Ottawa-Abkommens gegen An­tipersonenminen. Bei dieser Ausstellung wurde wie­derum sehr deutlich, wie grausam diese Streumunition für die Zivilbevölkerung ist. Es wurde deutlich, wie breit inzwischen die gesellschaftliche Ablehnung dieser Waf­fengattung ist. Außerdem wurde deutlich hervorgeho­ben, welcher enorme historische Erfolg das Verbot der Antipersonenminen war. Zum ersten Mal in der Ge­schichte wurde wirklich durch zivilgesellschaftliche An­strengungen unter Beihilfe williger Staaten eine ganze Waffengattung geächtet. Das hat es vorher noch nie ge­geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])

Zum damaligen Zeitpunkt - das weiß ich noch sehr genau - war die Haltung der Bundesregierung wider­sprüchlich. Bei ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage ein paar Monate zuvor hieß es:

Ein umfassendes Verbot von Streumunition, ver­gleichbar der Ächtung von Antipersonenminen durch das Ottawa-Übereinkommen, hat derzeit keine Aussicht auf Zustimmung einer Mehrheit der Staatengemeinschaft, vor allem der Staaten, die über Streumunition verfügen.

Das war eine sehr skeptische Beurteilung.

Der Acht-Punkte-Beschluss der Großen Koalition hat bei dieser Problematik sehr große Schlupflöcher - eher Tore - offen gelassen. Jetzt haben wir in Dublin den Ver­trag zum Verbot von Streumunition abgeschlossen. Er ist - da sind wir uns alle einig - eindeutig ein großer huma­nitärer Abrüstungserfolg, weil eine große Masse der rea­len Bestände - einschränkend muss man sagen: bei den Vertragsstaaten - vernichtet werden muss. Die von der Bundesregierung bis kurz vor Vertragsschluss geforder­ten Übergangsfristen gibt es nun doch nicht; es muss so­fort mit der Vernichtung begonnen werden. Schließlich gibt es erstmalig - das war bei keinem bisherigen Rüs­tungsabkommen der Fall - Regelungen zu umfassender und präziser Hilfe für die Opfer. Das sind die äußerst positiven Aspekte.

Zugleich sind die Defizite unübersehbar. Kollege Schäfer hat bereits die vom Vertrag ausgenommenen Waffentypen angesprochen. Es steht weiterhin der Ver­dacht im Raum, den die beiden lobenswerten Kollegen Weigel und zu Guttenberg in ihrem Brief an die Bundes­regierung angesprochen haben. Es besteht der Verdacht, dass Rücksicht auf bestimmte rüstungsindustrielle Inte­ressen genommen wird. Behauptet wird, dass die ausge­nommenen Waffentypen punktgenau und ohne Schäden für die Zivilbevölkerung wirken. Solange aber nicht transparent ist, wie diese Waffen tatsächlich wirken, kann man diesen Verdacht nicht ausräumen. Es wurde auch schon die Vertragsklausel angesprochen, die Ope­rationen mit Nichtvertragsstaaten, die weiterhin Streu­munition verwenden, erlaubt.

Zuallererst ist dieser Vertrag aber wiederum ein Er­folg einer zivilgesellschaftlichen Bewegung. Vor knapp sechs Jahren hat die Antistreumunitionskoalition zu wir­ken begonnen. Hier in der Bundesrepublik sind beson­ders das Aktionsbündnis Landmine.de mit Thomas Küchenmeister und Handicap International mit François de Keersmaeker zu nennen. Ihnen ist ausdrücklich zu danken.

(Beifall im ganzen Hause)

Es gab viel Hör- und Sehbereitschaft hier im Parla­ment, und der damalige Bundestagspräsident Thierse ist 2003 mit gutem Beispiel vorangegangen, als Sie sich, Herr Präsident, zu diesem Thema deutlich erklärt haben. Dies war ein im Ergebnis gutes Zusammenwirken.

Befremdlich ist die jetzige Darstellung der Bundes­regierung. Es ist richtig, dass sie sich für das Verbot insgesamt stark gemacht hat. Aber de facto war sie zwi­schendurch immer wieder in einer gewissen Bremser­rolle. Die Süddeutsche Zeitung stellt angesichts der gest­rigen Äußerungen heute fest, dass da etwas Heuchelei im Spiel sei.

Es ist von verschiedenen Seiten schon gesagt worden, dass die Angelegenheit jetzt nicht erledigt ist. Jetzt geht es vor allem darum, Druck auf die bedeutenden Streu­munitionsbesitzer und -produzenten auszuüben. Es ist in der Tat die Frage, ob sich aus Art. 1 des Vertrages nicht ergibt, dass zum Beispiel die USA ihre großen Streumu­nitionsbestände in der Bundesrepublik nicht weiter un­terhalten dürfen, dass diese beseitigt werden müssen.

Es sind einige Experten aus dem Bereich Rüstungs­kontrolle und Abrüstung anwesend. Unsere Erfahrungen in den letzten Jahren waren fast durchweg deprimierend. Es gibt kaum einen anderen Politikbereich, der so depri­mierend ist, wo man jeden Mut und jede Motivation ver­lieren kann. Der Vertrag, der jetzt unterzeichnet wird, ist von enormer Bedeutung, weil er wirklich Mut macht, Mut in einem entscheidenden Bereich von Friedens- und Sicherheitspolitik und in der Tat Mut für die weiteren notwendigen Schritte.

Danke schön, auch dafür, dass Sie mir Ihre zwei Mi­nuten Redezeit gegeben haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP so­wie bei Abgeordneten der LINKEN)