Erdrutsch-Katastrophe in Afghanistan: Kein Einzelfall und keine bloße NATUR-Katastrophe! Dazu sehr lesenswert Thomas Ruttig (AAN)

Von: Nachtwei amMi, 14 Mai 2014 15:38:16 +01:00

Der verheerende Erdrutsch in Nordost-Afganistan am 2. Mai war auch ein Alarmsignal. Ein Bündel von Ursachen kam da zusammen, viele davon menschengemacht. Weitere solche Katstrophen sind demnach vorprogrammiert. Hier die Zusammenfassung des Beitrags von Thomas Ruttig, dem Ko-Direktor des Afghanistan-Analysts Network. 



Die Erdrutsch-Katastrophe von Badakhshan:

Keine bloße NATUR-Katastrophe und kein Einzelfall! Thomas Ruttig (AAN) zu den ökologischen, sozialen und Entwicklungsaspekten

Längst ist der tödliche Erdrutsch von Nordost-Afghanistan aus den internationalen Nachrichten verschwunden. Er reiht sich ein in die endlose Kette von Unglücken und Katastrophen, die immer wieder wie schicksalhafte Blitze einschlagen und außerhalb des Kreises der Betroffenen schnell wieder vergessen sind. Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afganistan Analysts Network (AAN), lenkte am 9. Mai mit seinem sehr informativen Artikel „Slippery Slopes“ den Blick auf die Hintergründe und den bedrohlichen Kontext der Erdrutsch-Katastrophe: http://www.afghanistan-analysts.org/slippery-slopes-ecological-social-and-developmental-aspects-of-the-badakhshan-landslide-disaster . Links ermöglichen  Überblicke auf das entlegene, teilweise verschüttete Dorf Ab-e Barik, vier Fahrstunden entfernt von der Provinzhauptstadt Feyzabad: z.B. zum Landslide Blog der American Geophysical Union.

- Kein Einzelfall: Der Erdrutsch von Ab-e Barik war keineswegs der einzige bedeutende Erdrutsch in Afghanistan in der letzten Zeit. (Zuletzt im benachbarten Takhar; Liste von Flutkatastrophen des Jahres 2013) Berichtet wird von etlichen hoch gefährdeten Gebieten.

Ende April wurden neun Provinzen im Norden von plötzlichen Regenfluten heimgesucht. Straßen und Feldfrüchte wurden weggespült, über 160 Menschen getötet und ca. 1000 Häuser zerstört. Insgesamt 50.000 Menschen waren betroffen. Weicher Lösboden wie in Ab-e Barik kann sich bei starken Regenfällen in Schlamm verwandeln.

- Infolge des Klimawandels nehmen starke Regenfälle einerseits und Dürren anderswo zu. Das (semi-)aride Afghanistan wurde inzwischen als eines der Länder weltweit identifiziert, die gegenüber den Folgen des Klimawandels am meisten verwundbar sind. Das Land hat mehr und intensivere Dürren und häufigere Überflutungen zu erwarten! In der Großregion „High Asia“ (Hindukusch-Himalaya-Region, HKH) schmelzen die Gletscher, auf der Südseite des Pamirgebirges Richtung Badakhshan überproportional. Eine Konsequenz ist der Anstieg von Erdrutschen in der ganzen HKH-Region, vor allem im Norden von Indien, Nepal, Pakistan, Afghanistan und einigen Teilen von Bangladesh. In 2009 ereigneten sich fast 60% aller Erdrutsche weltweit in Südasien!

- Armut und Bevölkerungswachstum verschärfen das Katastrophenrisiko: Der überwiegende Teil der afghanischen Landbevölkerung ist abhängig von Subsistenzwirtschaft. Ein großer Teil ist extrem arm. Das Bevölkerungswachstum ist eines der höchsten in Asien. Damit steigt der Druck auf das für Landwirtschaft und Wohnen verfügbare Land. Wo bewässerte landwirtschaftliche Nutzfläche in den Flusstälern sehr beschränkt ist, ist die Landbevölkerung gezwungen, die Hänge zu besiedeln. Mangels Alternativen führt die Suche nach Feuerholz zu weiterer Bodenerosion. In den letzten Jahren soll dieser Prozess durch Preissteigerungen für Öl und Gas verstärkt worden sein.

- Entwicklung und Konflikt: Entlegene Gebiete kamen bei Entwicklungsprojekten schlechter weg als Bevölkerungszentren. Wo Hilfe über militärische Strukturen lief, wurden oftmals Gebiete mit Aufständischen-Aktivitäten bevorzugt. Nach Jahrzehnten des bewaffneten Konflikts war seitens des schwachen Staates an eine effektive Kontrolle von Bautätigkeit nicht zu denken. Schließlich sind die afghanischen Umweltschutz-Institutionen besonders schwach. Nach einem afghanischen Medienbericht sei die National Environmental Protection Agency (NEPA) eine der am schlechtesten aufgestellten Abteilungen der Regierung mit einem Jahresetat von 4,9 Mio. $, davon 1,6 Mio. für Entwicklungsmaßnahmen!

Das Umweltprogramm der VN (UNEP) hat als eine politische Priorität für Afghanistan die Entwicklung einer „Klima-Wandel-Anpassungs-Strategie“ empfohlen und die Initiative für eine nationale Finanzierungsplattform.

Ferdinando Rollando von der internationalen NGO Alpistan erinnert daran, dass die Bewältigung von solcher Art Katastrophen zehn Mal soviel kostet wie Vorbeugung in den gefährdeten Gebieten.