www.nachtwei.de :: Pressemitteilung + Beiträge von Winfried Nachtwei :: Erinnerung an das "Karfreitagsgefecht" bei Kunduz vor 10 Jahren (2. April 2010) http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=36&aid=1629 en-us Webmaster hourly 1 http://backend.userland.com/rss

Erinnerung an das "Karfreitagsgefecht" bei Kunduz vor 10 Jahren (2. April 2010)

Veröffentlicht von: Nachtwei am 2. April 2020 16:00:14 +01:00 (82975 Aufrufe)

2010 war das kampfintensivste und opferreichste Jahr des deutschen Afghanistaneinsatzes. Was gestartet war als Stabilisierungseinsatz im Auftrag des UN-Sicherheitsrates, was bis 2005/06 viel Aufbau ermöglicht hatte, war ab 2007 zunehmend mit einem Guerilla- und Terrorkrieg konfrontiert. Der 02. April 2010 wurde zu einem blutigen Höhepunkt dieser Eskalation. Hier einige Erinnerungsstücke: Sicherheitsvorfälle im April 2010, mein Trauerschreiben, Trauerfeier in Seedorf, Erinnerungsorte in Kunduz, bei Potsdam, in Seedorf.  

Erinnerung an das „Karfreitagsgefecht“ (2. April 2010) vor 10 Jahren

Winfried Nachtwei (02.04.2020)

(Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )

Vorbemerkung: 2010 war das kampfintensivste und opferreichste Jahr des ISAF-Bundeswehreinsatzes in Afghanistan: 127 Feindkontakte (von über 370 zwischen 2002 und 2014 insgesamt), davon  25 mit eigenen Verwundeten, 56 mit eigenem Schusswaffengebrauch (von rund 150), mit acht Gefallenen, 62 körperlich Verwundeten und erheblich mehr seelisch Verwundeten.

(1) Kontext: Sicherheitsvorfälle Afghanistan-Nord im April 2010

(Auszug aus „Sicherheitsvorfälle AFG-Nord 2010“, August 2010,

http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=996 )

Am 1. April Beendigung der Operation TAOHID (seit 27.3.) in der Provinz Baghlan.

2.4. Schweres Gefecht in Chahar Darreh/Kunduz: 1. Infanteriekompanie des Fallschirmjägerbataillons 373 aus Seedorf/Niedersachsen gerät gegen 13.00 Uhr Ortszeit bei Isa Khel ca. 5 km westlich des PRT Kunduz bei der Aufklärung von Sprengfallen (IED-sweep) in einen Hinterhalt, Beschuss durch ca. 30-40 Taliban mit Handwaffen und Panzerfäusten, drei dt. Soldaten verwundet, davon zwei schwer. Beim Ausweichen der 1. Kompanie gerät um 14.50 Uhr ein Dingo auf Sprengfalle, vier Soldaten verwundet. (Dingo schwer beschädigt, durch eigene Kräfte zerstört.) Gefechte zwischen Taliban und 1. Kompanie bis gegen 17.00 Uhr, vier weitere Soldaten verwundet. Parallel gegen 15.35 Angriff von weiteren ca. 40 Taliban auf die nördlich liegende Polizeistation Chahar Darreh, Gefahr der Abschneidung der Kompanie vom PRT. Evakuierung der Verwundeten durch US-Hubschrauber, die beschossen werden. Von den insgesamt neun verwundeten Bundeswehrsoldaten sterben  drei an ihren Verwundungen. Es sind Hauptgefreiter Martin Augustiniak (28), Hauptfeldwebel Niels Bruhns (35), Stabsgefreiter Robert Hartert (25). Überwachung des Gefechtsgebietes mit Drohnen (KZO und LUNA). close air support (CAS) mit show of force durch US F-16-C und F-15-E, kein Waffeneinsatz wegen schlechter Witterung (zeitweilig Sandsturm) und mangelhafter Unterscheidbarkeit. Gegen 21.00 Uhr Ablösung  der 1. Kompanie durch 2. Kompanie. Nach 19.40 Uhr Zwischenfall mit zur Ablösung kommenden drei Schützenpanzer Marder: Als zwei Zivilfahrzeuge nicht auf Haltesignale reagieren, eröffnet ein Marder das Feuer. Dabei werden 6 ANA-Soldaten getötet.

Lt. afg Geheimdienst sollen mindestens 5 Taliban getötet worden sein, darunter ein lokaler Kommandeur.  Reuters bringt Fotos, wo Taliban vor einem brennenden dt. Militärfahrzeug am 3.4. in Isa Khel posieren. Im STERN vom 15.4. minutiöse Darstellung des Gefechtsverlaufes durch Christoph Reuter.

Im Internet melden die „Mujahideen Of Islamic Emirate Of Afghanistan“ (www.theunjustmedia.com):

 „In the Name of Allah, the Most Beneficent, the Most Merciful (…)

15 German Invading Terrorists Killed Or Wounded, 3 Tanks Destroyed in Kunduz  (…) as a result of Mujahiden attack in Char Darha district of Kunduz province (…) two of the German Invaders tanks were hit by rocket-propelled grenades during a face-to-face fighting in Qasab village of Char Darah district (…) two of the Mujahideen sustaines injuries in this 2-hour long fighting. 8:::9 A German military tank was blown up by a roadside bombe placed under a bridge (…) the tank was destroyed in the blast, killing all the German terrorists.“ Diese Berichte sind  für ihre durchweg überzogenen Zahlenangaben bekannt.

Ein japanischer Journalist im Raum Kunduz  entführt.

3.4. in Kunduz höherer Polizeioffizier Abdul Latif auf dem Weg zur Arbeit von unbekannten Bewaffneten erschossen. Bei Raketenangriff auf das Distrikt-Hauptquartier von Archi/Kunduz ein Kind getötet und zwei Frauen verletzt.

5.4. bei Durchsuchung eines Compound südwestlich Kunduz zwei verdächtige Militante festgenommen. Lt. ISAF Operational Update vom 6.4. keine Schüsse, keine afg Bürger in Mitleidenschaft gezogen; in letzten Monaten seien viele Koalitions-Operationen relativ friedlich verlaufen; der Gebrauch  tödlicher Gewalt sei gemieden worden.  CAS mit show of force im Raum Kunduz.

6.4. westlich Ludin/Kunduz Stadt bei Durchsuchung eines Compound ein Taliban Facillitator (early warning system) gefangen genommen.

9.4. 4 km nördlich PRT Kunduz ein  dt. „Wolf“ durch IED beschädigt.  Ca. 1 km westlich des PRT Kunduz zwischen 17.00 und 17.30 Uhr 6 Raketen- bzw. Granateneinschläge, keine Schäden. In der Nacht zuvor bei Isa Khel/Chahar Darreh/Kunduz lt. Gouverneur durch US Spezialkräfte 3 Taliban getötet, darunter ein Kommandeur.

10.4. CAS/Show of Force im Raum Kunduz.

11.4. gegen 9.30 Ortszeit von ca. 5 km südlich PRT Kunduz 4 Raketengeschosse  über`s Feldlager,  nördlich eingeschlagen, keine Schäden.

Zzt. über 3.100 zusätzliche US-Soldaten in der Region Nord. US-Trainerbrigade für ANP und US-Pionierbataillon fast vollzählig. Mit der Combat Aviation Brigade werden insgesamt 57 US-Hubschrauber dem RC North unterstellt, davon 18 für mediz. Evakuierung. Weitere acht unterstehen nationalem US-Kommando.

12.4. in Meymaneh/Faryab 4 ANP Polizisten durch IED getötet. Am 10.4. westlich von Kunduz bei OMF-Angriff auf ANA ein Soldat getötet.  Beschuss des Wagens des Distriktpolizeichefs von Waerduj/Badakhshan, er und sein Stellvertreter schwer verletzt, weitere Person getötet.

13.4. in Ghormach/Faryab Beschuss einer Foward Operating Base mit Raketen; ein Haus außerhalb getroffen, eine Zivilperson getötet.

Im PRT Feyzabad Kommandowechsel von Oberst Martin Lütje an Oberst Fritz Urbach

15.4. in der Provinz Baghlan  vier Bundeswehrsoldaten getötet: im Rahmen der Operation TAOHID II im Distrikt Baghlan-E Jadid (ca. 100 km südlich Kunduz) gegen 14.30 Ortszeit IED gegen Eagle IV als letztes Fahrzeug einer Marschkolonne, die an der „Dutch Bridge“ gehalten hatte; drei deutsche Soldaten (dt. OMLT eines ANA-Bataillons aus Feyzabad) getötet und fünf verwundet (innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs). Nachmittags Angriff auf ANP-Hauptquartier des Distrikts Baghlan-E Jadid. Gegen 17.00 Uhr Entführung von fünf afghanischen UNAMA-Arbeitern bei der Kreuzung LOC Pluto und LOC Uranus nördlich Pol-E Khomri. Nach 18.00 Uhr zwei weitere Angriff auf dt. Kräfte (Bergekräfte aus Mazar) acht km nördlich PRT Pol-E Khomri, ein YAK des beweglichen Arzttrupps getroffen, ein Oberstabsarzt getötet.  Gefechte über sechs Stunden. Der Distrikt ist Hauptrückzugsraum von Aufständischen, bei vorherigen ANSF-/ISAF-Operationen massiv aus vorbereiteten Stellungen und mit IED verteidigt, OMF-Gruppen von bis zu 50 Mann gegen ANSF. Ziel der Operation TAOHID: Kontrolle über wichtige Brückenübergänge zurückgewinnen, eigene Bewegungsfreiheit auf der strategisch zentralen Nord-Süd-Verbindung halten. Erste Phase Rückgewinnung der Dutch Bridge und des Raumes um Kuk Chenar.  TAOHID zzt. Schwerpunktoperation des 209. ANA Korps und des RC North mit 4 Infanteriekandaks (Bataillon)  und zwei Logistik-Kandaks sowie ANP, dabei die entsprechenden OMLTs, schwedische Task Force, deutsche Soldaten insgesamt über 100.

Zahlreiche US-Kampfflugzeuge in CAS durch show of force als Begleitschutz für Patrouillen, medizinische Evakuierung.

17.4. in Raum Kunduz CAS mit Show of Force und Präzisionsmunition gegen feindliche Stellung.

18.4. in Baghlan-e Markazi/Baghlan 20 Taliban durch afgh. Und Koalitionskräfte getötet, 112 verwundet.

19.4. 8 afgh. Angestellte einer Baufirma (Straßen + Brücken) in Ali Abad/Kunduz entführt. Im Raum Kunduz CAS mit Show of Force und Präzisionsmunition gegen feindliche MG-Stellung.

20.4. 30 km westlich von Feyzabad dt. EAGLE IV auf Rückfahrt von TAOHID II in Verkehrsunfall verwickelt, 4 Soldaten verletzt. Im Raum Kunduz CAS/Show of Force.

22.4. in Ghormach/Faryab 2 ANP Polizisten durch IED getötet. Im Raum Kunduz CAS durch F-15E, B-1B und F-16C mit Show of Force und Präzisionsmunition.

An der andauernden Operation TAOHID II des 209. ANA Corps in der Provinz Baghlan sind ca. 2.800 Soldaten und Polizisten beteiligt, davon 600 ISAF (mehr als 100 dt.). Ziel: Einnahme von Ortschaften, die von Militanten genutzt werden. Erstmaliger Einsatz von Kampfhubschraubern Mi-35 des ANA Air Corps.

23.4. CAS/Show of Force im Raum Kunduz.

24.4. in Imam Shahib/Kunduz nach Taliban-Überfall auf zwei Dörfer 8 Militante getötet. Im Nachbardistrikt Archi/Kunduz 13 Militante durch  Luftangriff getötet. Lt. Provinzgouverneur seien 100 ausländische Kämpfer in die Provinz eingedrungen.

25.4. in Kunduz erkrankten 13 Schülerinnen, am 24.4. 47, am 21.4. 23, nachdem in ihren Klassenräumen ein fremder Geruch bemerkt worden war. Die drei Schulen liegen in einem Umkreis von 3 Kilometern. Untersuchungen laufen, ob es sich um einen Angriff von Militanten gegen Mädchenschulen handelte oder eine Massenhysterie.

26.4. in der Provinz Kunduz der Taliban-Schattengouverneur und 2 Gehilfen durch Luftangriff gegen ihr Fahrzeug getötet.

27.4. in Archi/Kunduz 3 Zivilpersonen durch Raketenangriff getötet.

29.4. ein Distriktchef der Taliban in Chahar Darreh/Kunduz durch afgh. Kräfte getötet.  CAS/Show of Force im Raum Kunduz.

(2) Mein Trauerschreiben nach Kunduz, Münster 04. April 2010

An Kommandeur PRT Kunduz, Herr Oberst Reinhardt Zudrop

Sehr geehrter Herr Oberst,

liebe Soldatinnen und Soldaten,

liebe Freunde in Kunduz,

Sie haben am heutigen Ostersonntag Ihren am Freitag in Chahar Darreh gefallenen Kameraden Martin Augustiniak, Niels Bruhns und Robert Hartert die letzte Ehre erwiesen und von ihnen Abschied genommen.

Ich trauere und fühle mit Ihnen um die gefallenen Kameraden, mit den Angehörigen der Soldaten, die ihre Liebsten verloren haben. Den an Leib und Seele Verwundeten wünsche ich baldige und vollständige Genesung sowie verlässliche Solidarität.

Der Hinterhalt vom Freitag richtete sich nicht nur gegen eine Bundeswehrpatrouille. Er richtete sich zugleich gegen alle Bemühungen, in Afghanistan Jahrzehnte der Gewalt zu überwinden, Frieden zu gewinnen und Aufbau und Entwicklung voran zu bringen.

Wenn sich so wie jetzt der innere Himmel verdunkelt, dann ist jeder Trost schwach.

Umso mehr will ich Ihnen sagen, wie hoch ich Ihren Einsatz aus eigener Anschauung schätze: Seit Januar 2004 besuchte ich als Mitglied des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages ca. zehnmal Kunduz, sah von Jahr zu Jahr die Fortschritte. Ich erfuhr, was Ihre Vorgänger zusammen mit anderen Unterstützern leisteten. Aber ich erfuhr auch, wie das seit 2007/2008 überschattet wurde von einer Verschärfung der Sicherheitslage.

Sie setzen sich ein, sie kämpfen für mehr Sicherheit in einem kriegsgeschundenen Land, im Dienste der Vereinten Nationen und im Auftrag des deutschen Parlaments, im Sinne der internationalen Sicherheit und menschlicher Solidarität.

Sie – und Ihre Angehörigen – nehmen dafür große Belastungen und erhebliche Risiken auf sich. Auf Sie, auf Ihre Leistung und Ihr Auftreten gegenüber der afghanischen Bevölkerung, auf Ihre Besonnenheit, Ihren Mut und Ihre Tapferkeit kann die deutsche Bevölkerung stolz sein.

Umso mehr haben Sie Rückenstärkung aus Deutschland verdient. Sie haben Anspruch auf eine Politik, die sich der Riesenaufgabe Afghanistan ehrlich und konsequent, mit Realismus und Ehrgeiz stellt, die ihre Grundpflicht zum sinnvollen und verantwortbaren Auftrag erfüllt. Beunruhigt und beschämt muss ich feststellen, dass deutsche Afghanistanpolitik immer noch zu wenig die Realitäten und Erfordernisse des Einsatzes im Blick hat.

Ihnen wünsche ich jetzt viel Kraft und gegenseitige Unterstützung.

In herzlicher Verbundenheit

Ihr

Winfried Nachtwei

(3) Persönliche Notizen von der Trauerfeier am 09. April 2010 in der St. Lamberti-Kirche in Senslingen bei Seedorf (Standort des Fallschirmjäger-bataillons 373)

(07.-09.04. Teilnahme an der Tagung „Vorrang für Zivil. Neue deutsche Strategie für Afghanistan?“ in der Evangelischen Akademie Loccum)

Mit Taxi von Loccum nach Nienburg, ab dort mit Katja Keul (grüne MdB aus der Region) über die Dörfer.

Im Landkreis Fahnen auf Halbmast, Trauerflor an Ortsschildern. Vor Seedorf Pace-Fahne und Transparent „Truppen raus aus Afghanistan“. Kleine Dorfkirche, die Masse ist draußen.

Verteidigungsminister (zu Guttenberg) spricht sehr persönlich, intensiv, mit zunehmend patriotischer Note („für`s Vaterland“, „stolz“, „Helden“). Er verstärkt sein Wort vom Krieg: Nach „umgangssprachlich“ „die Soldaten empfinden es so, ich auch“. Bundeskanzlerin mehr politisch. Beide aber sehr auf nationale Sicherheit orientiert. Bundeskanzlerin bringt erstmals Zweifel zur Sprache.

Die engere Trauergemeinde der Angehörigen, Freunde: einfachere Leute, viele besonders stämmige jüngere Männer. Bei den Fallschirmjägern und bei Kameraden aus Kunduz besonders viele, die Eindruck von Kämpfertypen machen – eine andere Art Soldaten. Draußen stehe ich neben welchen, spreche sie dann doch nicht an.

Heute so sehr Staatsakt wie nie zuvor: Minister kommt nicht bei den Abgeordneten vorbei. MdB werden nur von Minister von vorne begrüßt. Ansonsten eher der Wehrbeauftragte.

Von einem General erfahre ich, dass ihm ein Staatssekretär untersagt habe, die Öffentlichkeit offen zu unterrichten.

Mit Ruprecht Polenz (MdB aus Münster, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses) zurück, sehr viel Übereinstimmung.

(4) Persönliche Notizen von der

Trauerfeier für Hauptgefreiten Sergej Motz, dem ersten, ein Jahr vorher (29.04.2019) im Kampf gefallenen Bundeswehrsoldaten

Trauerfeier  am 07. Mai 2009 in Bad Saulgau/Oberschwaben. Ein gemütlich-idyllischer Ort in Pracht-Maiwetter.

Neben dem Sarg stehen Kameraden derselben Altersgruppe. Mit ihren Blicken reagieren sie sehr verschieden: starr in die Ferne, suchender Blick, unsicherer Blick, fester Blick.

Militärdekan Alfred Gronbach hält eine gute Ansprache, klar zum Auftrag Frieden und Sicherheit, Zeit kaufen für politische Lösungen.

Minister Jung`s Rede bewegt mich zum ersten Mal – unabhängig von den üblichen Floskeln „feige und hinterhältig“, „an der Quelle bekämpfen“, „für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger“.

… und wie immer wird in der Schlussphase der Gefühls- und Tränendruck immer stärker: Als die Kranzträger reinkommen, die Sargträger, ihn aufnehmen und sich in langsamem Trauermarsch aus der Kirche bewegen. Gipfel des Schmerzes bei den Angehörigen und bei den Freunden, vor allem der Oma, die gestützt werden muss.

Angesichts der Zusammensetzung der Trauergemeinde ist ofenkundig: Es sind Russlanddeutsche. Der erste im Kampf Gefallene ist ein Zugewanderter.

Der Abschied vor der Kirche nach dem Trompetensolo „Ich hatt` einen Kameraden“.

Mit KollegInnen des Verteidigungsausschusses einig, wie wichtig eine Trauerfeier gerade vor Ort, bei Verwandten und Freunden, der ganzen Stadtgesellschaft ist. Und auch für uns: Uns bewusst zu sein, was die Risiken und die fürchterlichen Konsequenzen unserer Aufträge sein können.

(5) Kunduz-Besuch Anfang Mai 2012 (aus dem Bericht meiner 17. AFG-Reise, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1183 )

Wie bei früheren Besuchen nutze ich die frühen Morgenstunden ab 5.30 Uhr für einen Rundgang durchs Feldlager. Zu dieser Zeit sieht alles aus wie heller Frieden. Die Begrünung des PRT-Geländes kommt voran. Bäume haben inzwischen mittlere Höhe erreicht und überragen die Unterkunftsgebäude. Zwischen den Gebäuden große Rosenbeete, am Flugfeld rote Flecken von dicht wachsendem Klatschmohn. Der Innenhof unseres Unterkunftsgebäudes „Augsburg“ ist wieder eine regelrechte Oase. (…)

Am Flugfeld ein kleiner „privater“ Ehrenhain mit sieben Kreuzen für HFw Nils Bruns, 35 Jahre (gefallen 2.4.2010), StGefr Robert Hartert, 25 Jahre (2.4.2010), HGefr Martin Augustyniak, 28 Jahre (2.4.2010), HGefr Sergej Motz, 21 Jahre (29.4.2009), HFw Mischa Meier, 29 Jahre (27.8.2008), StGefr Roman Schmidt, 22 Jahre (20.10.2008), StUffz Patrick Behlke, 25 Jahre (20.10.2008). Daneben ein Schildkrötengehege:

„Im Gedenken an unsere gefallenen Kameraden der 2./InfTF KDZ ist dieses

Schildkrötengehege entstanden. Die Soldaten der 2./InfTF KDZ verpflichten sich,

diesen Ehrenhain und die dazu gehörigen Schildkröten zu pflegen. In mühevoller Kleinarbeit über mehrere Kontingente wurde der Ehrenhain am 06.12.2011 fertiggestellt.

Schildkröten symbolisieren in diesem Land „ewiges Leben“.

Damit unsere gefallenen Kameraden in unseren Gedanken immer weiter leben,

halten wir für jeden Kameraden eine Schildkröte.

Schenkel, OStFw u. KpFw, 2./PzGrenLehrBtl 92 06.12.2011“

(Das Panzergrenadierlehrbataillon 92 ist im niedersächsischen Munster stationiert und gehört zur Panzerlehrbrigade 9 in Munster.)

(6) Im Wald der Erinnerung in der Henning-von-Tresckow-Kaserne des Einsatzführungskommandos in Schwielowsee bei Potsdam seit 15.11.2014

Die 5. Stele (2009, 2010): Am 29. April 2009 starb im Distrikt Chahar Darreh/Kunduz der 21-jährige Hauptgefreite Sergej Motz. Er ist der erste Bundeswehrsoldat, der im Gefecht fiel.

(Sein Vater kämpfte als Sowjetsoldat in den 80er Jahren in Afghanistan.)

Am 23. Juni 2009 ertranken drei Soldaten in ihrem Fuchs, als dieser bei einem Gefecht in einen Wasserlauf kippte.

Am 4. Oktober 2009 starb der Stabsgefreite Patric Sauer an den Spätfolgen eines Selbstmordanschlages im August 2008.

(Er gehörte zu einem Bergetrupp und sicherte bei einem technischen Halt, als auf einem Motorrad ein Selbstmordattentäter angriff. Er ist der sechste Afghanistangefallene des Fallschirmjägerbataillons 263 in Zweibrücken. Sein Spieß berichtete bei der Trauerfeier in Fulda, dass er nach der Verwundung zu einem Freund seiner Familie geworden sei und seinen schweren Gesundungskampf begleitet habe. Eines Tages kam der Anruf „ich schaffe eine Stufe!“ Er war wieder bei der Kompanie, wollte wieder nach Afghanistan. Dann kam die plötzliche Verschlechterung …)

Am 2. April 2010 fielen drei Soldaten bei Isa Khel/Distrikt Chahar Darreh/Kunduz (Karfreitagsgefecht).

Am 15. April 2010 fielen vier Soldaten in Baghlan (davon drei durch eine Sprengfalle)

Am 7. Oktober 2010 starb der 26-jährige Oberfeldwebel Florian Pauli bei einem Selbstmordanschlag in Baghlan.

(Bei der Trauerfeier in der Dorfkirche von Selsingen bei Seedorf/Niedersachsen wird berichtet, dass Pauli nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr und dreijähriger Ausbildung zum Rettungssanitäter freiwillig zum Bund gegangen sei, um Sanitätsfeldwebel zu werden. In Baghlan kam ein angeblich Hilfsbedürftiger auf ihn zu und sprengte sich in die Luft.)

(Am 24. Dezember 2010 wurde in Khulm in der Provinz Balkh der deutsche Ingenieur Mathias Schröder, Verantwortlicher des Straßenbauprojekts Khulm-Kunduz, in seinem Kfz erschossen. Er, der sehr Landeserfahrene, hatte mir vier Monate zuvor etliche Projekte in seinem Distrikt gezeigt

(7) Neuerscheinung: Chris Helmecke, Gefallen und verwundet im Kampf - Deutsche Soldaten im Karfreitagsgefecht 2010, 8 S., Sonderdruck aus „Militärgeschichte – Zeitschrift für historische Bildung, 2/2020, http://www.zmsbw.de/html/einsatzunterstuetzung/downloads/sonderdruckfreitagsgefechtinternetgesamt.pdf

Peter Carstens, Der Tag, der alles veränderte, FAZ 02.04.2020, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bundeswehr-in-afghanistan-hinterhalt-am-karfreitag-16707498.html

Mike Szymanski, Tod am schwarzen Karfreitag, SZ 03.04.2020, https://www.sueddeutsche.de/politik/einsatz-in-afghanistan-tod-am-schwarzen-karfreitag-1.4866264