Bundestag zu Afghanistanbilanz und Beratungsmission "Resolute Support" - meine "Persönliche Erklärung zur Abstimmung"

Von: Nachtwei amDi, 30 Dezember 2014 08:40:02 +01:00

Am 18. Dezember debattierte und beschloss der Bundestag über die deutsche Beteilgung an der Beratungsmission "Resolute Support", die ab Januar ISAF in folgt. Erstmalig teile ich bei einem AFG-Mandat nicht die Mehrheitsposition meiner früheren Fraktion. Dazu meine "Persönliche Erklärung zur Abstimmung".



Bundestag zur Afghanistanbilanz und zur

Beratungsmission „Resolute Support“ -

Meine „Persönliche Erklärung zur Abstimmung“

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (28.12.2014)

13 Jahre nach Start des internationalen und deutschen Afghanistaneinsatzes und wenige Tage vor Ende des ISAF-Kampfeinsatzes debattierte der Deutsche Bundestag am 5. und 18. Dezember 2014 über die künftige Beratungsmission „Resolute Support“ sowie über den jüngsten „Fortschrittsbericht Afghanistan“ der Bundesregierung mitsamt der Zwischenbilanz des Afghanistan--Sonderbeauftragten.

492 Abgeordnete stimmten für die deutsche Beteiligung an RSM, 102 stimmten mit Nein, 18 mit Enthaltung. Damit setzten sich Abstimmungsrelationen der letzten ISAF-Entscheidung vom 20.2.2014 im Wesentlichen fort (498/84/17) – ausgenommen bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wo vor zehn Monaten 35 grüne Abgeordnete für das ISAF-Abzugsmandat votiert hatten (bei 10 Nein und 14 Enthaltungen), votierten nun 34 gegen das RSM-Mandat (bei 9 Ja und 17 Enthaltungen).

Erstmalig seit 2001 stimme ich bei einer Afghanistanentscheidung nicht mit der Mehrheitsposition meiner langjährigen Fraktion überein. Das bedauere ich sehr.

Ein Antrag der Koalitionsfraktionen  („Transformationsdekade mit zivilen Mitteln erfolgreich gestalten“, Drs. 18/3405) wurde von der Koalition mit Zustimmung der Grünen angenommen, Entschließungsanträge der Opposition (Linke Drs. 18/3589; Grüne 18/3590) wurden abgelehnt.

In den Medien fanden die Bundestagsdebatten kaum noch Widerhall. Die FAZ berichtete noch über die erste Lesung am 5. Dezember, die taz vor der zweiten Lesung über das heterogene Stimmverhalten der grünen Fraktion („Ja. Nein. Enthaltung“), die Süddeutsche weder über die erste noch die zweite Lesung. (Das Protokoll der Debatte vom 18. Dezember  http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18076.pdf )

Auf der Zuschauertribüne des Bundestags waren bei der Schlussdebatte vier TeilnehmerInnen der 28. Afghanistan-Tagung in Villigst vom Vorwochenende ziemlich die einzigen Beobachter mit Afghanistanbezug: Brigadegeneral Kay Brinkmann, Oberstleutnant Karl-Rüdiger Tillmann, beide von der Military Advisory Unit von UNAMA, Nicole Birtsch (mehr als sechs Jahre GIZ Kabul, zuletzt High Peace Council) und ich.

Am 2. Dezember hatte die grüne Bundestagsfraktion zu dem öffentlichen Fachgespräch „AFGHANISTAN – Welche Optionen gibt es für das weitere Engagement der Internationalen Gemeinschaft?“ eingeladen. Als Sachverständige nahmen Thomas Ruttig, Afghanistan Analysts Network, Cornelius Friesendorf, HSFK, Robert Lindner, Oxfam/Venro, und ich teil. (vgl. www.nachtwei.de/index,php?module=articles&func=display&aid=1328 )

In der ersten Lesung am 5. Dezember hatten Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Wolfgang Gehrke (Linke), Parlamentarischer Staatssekretär Thomas Silberhorn (BMZ, CSU), Frithjof Schmidt (Grüne), Hans-Peter Bartels (SPD), Christine Buchholz (Linke), Philipp Mißfelder (CDU) , Omid Nouipour (Grüne), Henning Otte (CDU), Stefan Rebmann (SPD), Thosten Frei (Union), Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Roderich Kiesewetter (CDU) gesprochen.

Am 18. Dezember eröffnete Ministerin Ursula von der Leyen die auf 38 Minuten angesetzte Debatte. Ihre Rede war geprägt von der milden Von-oben-Sicht Ihres jüngsten Besuches in Mazar und Kabul: Die begrüßenswerten Prioritäten des neuen Präsidenten, der „gemeinsam gepflanzte Baum“ (General Wesa), bei dessen Pflege die Internationalen jetzt in die zweite Reihe träten; die verschiedenen Realtäten von fragiler Sicherheitslage einerseits und jungen motivierten Menschen andererseits; die Chance auf eine gute Zukunft, wenn die politisch Verantwortlichen an einem Strang ziehen.

Jan van Aken (Linke) attackierte vom ersten Satz an massiv alle Einsatzbefürworter: als „Lügner“, als Ignoranten gegenüber afghanischen Opfern und bedrohten afghanischen Ortskräften. Seit 13 Jahren hätten sie zugestimmt, „dass die NATO dort Krieg führt gegen die Menschen in Afghanistan.“ Damit hätten sie sich mitschuldig gemacht am Tod vieler Menschen. RSM sei das Gegenteil von Abzug, die Verwicklung in weitere Kämpfe sei vorprogrammiert.

Niels Annen (SPD) skizzierte eine Bilanz des Einsatzes ohne Schwarz-Weiß-Malerei, von Fehlern und zu hohen Erwartungen, von Fortschritten. Nicht angemessen sei, von einem kompletten Scheitern des Einsatzes zu sprechen. Er lobte die Aussagen des grünen Entschließungsantrages und bedauerte die Ablehnung der künftigen Ausbildungsmission durch die Mehrheit der grünen Fraktion.

Tom Koenigs, der bisher immer den ISAF-Mandaten zugestimmt und 2006/7 als Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs UNAMA geleitet hatte, begründete, warum heute erstmalig eine Mehrheit der Grünen Fraktion (34 Abgeordnete) gegen einen vom UN-Sicherheitsrat begrüßten Afghanistan-Einsatz stimmte (Zur Bilanz des AFG-Engagements und zur weiterhin notwendigen Aufbauunterstützung nimmt der Entschließungsantrag der Grünen differenziert Stellung):

- Afghanistan brauche unsere Unterstützung noch viele Jahre. „Wir haben Unterstützung in Höhe von 430 Mio. Euro für die nächsten Jahre zugesagt. (…) Ich würde mir wünschen, wir könnten die 280 Mio. Euro, die die Resolute Support Mission kostet, auch für zivile Projekte verwenden. Denn wir haben die Verantwortung für die Sicherheit an die afghanischen Sicherheitskräfte abgegeben. Die nehmen diese Verantwortung jetzt wahr.“

- Die Afghanen brauchen nur noch unsere Unterstützung als „Softpower, nicht mehr als militärische Kraft“.

- Das neue Mandat sei eines „ohne absehbares Ende. Man weiß nicht, wohin das hingeht. Das erinnert uns an die Jahre 2002/2003. Da war das auch kein Kampfmandat, kein Kriegsmandat. Wo geht das hin?“ Hier gebe es keine Beschränkung.

- Es heiße, es sei jetzt ein Ausbildungsmandat, „als ob man dann auch schnell weg könnte.“ Aber die Ausbildung mache nur den kleinsten Teil aus, 100 von insgesamt 850.

- In Wirklichkeit gehe es um die „Aufrechterhaltung des Camp Marmal, des Riesenmilitärstützpunktes im Norden Afghanistans. Nun haben die Vereinigten Staaten ein Konzept der Stützpunkte, die sie aus geopolitischen Gründen dort brauchen. Wir brauchen die nicht. Wir sind auch nicht Teil dieser geopolitischen Strategie. Aber in dem Mandat steht, dass wir das durch den Betrieb des Flughafens unterstützen. Was? Special Operations, die wir nicht wünschen. Drohnen? Vielleicht auch Capture and kill Aktionen? (…) Und natürlich CIA. Wollen wir da mithelfen? (…) Warum müssen wir da noch der Pudel sein, der das macht? (…)

- Letzten Endes glaube ich, dass diese Mission zur Sicherheit in Afghanistan nichts beitragen wird, dass sie für die symbolische Präsenz die falschen Signale gibt. (…).“

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken)

Kommentar:

(1) Bilanzierung: Beratungsgegenstand war neben RSM und „Fortschrittsbericht“ auch die „Zwischenbilanz“ des AFG-Sonderbeaufragten. Mit dieser Plenardebatte hat der Bundestag seine Grundpflicht zu einer systematischen Einsatzbilanz kaum mehr als angetippt, aber noch keineswegs erfüllt. Hier sind ganz andere Anstrengungen nötig, dabei auch eine parlamentarische Selbstprüfung.

(2) Sehschwächen: Die langjährige Neigung zum weniger genauen Hinsehen, zu selektiver Wahrnehmung je nach Interessen zeigt sich auch heute auf allen Seiten. Eigentlich müsste die Verschärfung der Unsicherheitslage (so viele Zivilopfer, so viele gefallene und verwundete afghanische Polizisten und Soldaten wie nie seit 2002)[1]  j e d e r  Seite zutiefst zu denken geben:

den Einsatzbefürwortern, weil ISAF kein sicheres Umfeld (so sein Kernauftrag) hinterließ;

den Sofortabzugsbefürwortern, weil der ISAF-Abzug den Krieg in Afghanistan keineswegs schrumpfen ließ, sondern im Gegenteil mit einer Zunahme an Kämpfen unter Afghanen einherging.

Der Abzug der Masse der ISAF-Truppen, eine hochkomplexe und riskante Operation, gelang praktisch ohne eigene Verluste. Dass die immer mehr auf sich gestellten Afghan National Security Forces (ANSF) sich nur zum Teil gegenüber dem Ansturm der Aufständischen behaupten konnten, in entlegeneren Gebieten aber reihenweise Polizeiposten massakriert wurden, dass allein in der Südprovinz Helmand zwischen Juni und November 2014 1.300 Sicherheitskräfte getötet wurden[2], dass im letzten Sommer jede Woche durchschnittlich mehr als doppelt so viele afghanische Polizisten und Soldaten fielen (130) wie Bundeswehrsoldaten in den ganzen 13 Jahren, wurde hierzulande gar nicht erst wahrgenommen. (Jüngste UNAMA-Veröffentlichung zu Zivilopfern: http://unama.unmissions.org/LinkClick.aspx?fileticket=RXsQo-z16X4%3d&tabid=12254&mid=17720&language=en-US )

(3) Wieder kein umfassendes Mandat. Wo sich jetzt der Schwerpunkt des deutschen und internationalen Engagements eindeutig auf die zivile Aufbauunterstützung verschiebt, wäre ein „umfassendes Mandat“ (Benennung auch der wichtigen zivilen und polizeilichen Aufbauziele, Fähigkeiten und Ressourcen) sehr angebracht gewesen. Leider beließ es die Bundesregierung bei der traditionellen Fokussierung ausschließlich auf die militärische Dimension. Fortgesetzt und bekräftigt wird damit die überwiegend militärlastige Wahrnehmung des AFG-Einsatzes. Obwohl dem Polizeiaufbau und der Rechtsstaatsförderung ganz besondere Bedeutung zukommt, spielten diese Herausforderungen in den Debatten praktisch keine Rolle. Wie viele internationale Polizeiberater stehen insgesamt im Norden, in Kabul zur Verfügung – im Rahmen EUPOL, von bilateralen Projekten und RSM? Wie läuft da die Koordination? Warum scheint das niemand zu interessieren?

(4) United Nations Assistance Mission in Afghanistan UNAMA (größte politische Mission weltweit): Wo sich ISAF-NATO weitgehend aus der Fläche zurückgezogen hat und RSM-NATO auf Kabul und vier „Speichen“ konzentriert, nimmt die relative Bedeutung der politischen Mission UNAMA (über 1.500 zivile Mitarbeiter, davon 336 Internationale) eher zu. Für niemanden der RednerInnen ist die Zukunft von UNAMA (und der ca. 30 UN-Programme und –Agencies in Afghanistan) ein Thema. Leider werden die UNAMA-Gäste von keinem Redner begrüßt. Dabei sind sie „Unikate“: Brigadegeneral Brinkmann ist der erste (!) Bundeswehroffizier in Leitungsfunktion bei einer UN-Mission. Oberstleutnant Tillmann war einer der ersten deutscher Offizier bei einer UN-Mission und absolvierte die meisten UN-Einsätze.

(5) Die Frage nach der grundsätzlichen Notwendigkeit von RSM spricht der Redner der Grünen Fraktion gar nicht erst an. Das ist mir unbegreiflich.

Eine umfassende und forcierte internationale Aufbauhilfe für die ANSF gab es seitens der USA ab 2006, von Deutschland ab 2008 – sträflich spät. (Dass Grüne als erste auf verstärkte Anstrengungen vor allem bei der Polizeihilfe drängten, ist ein schwacher Trost.) Zu meinen, innerhalb von sechs/acht Jahren eine Polizei und Armee aufbauen zu können, die verlässlich auf eigenen Füßen steht, ist eine Illusion.

Konsens ist, dass die ANSF ohne den Tropf der jährlich über 5 Mrd. US-$ internationale Unterstützung schnell auseinanderbrechen würden. Hinzu kommt. „Ohne Vor-Ort-Beratung und –Unterstützung wäre – so meine Überzeugung – das schnelle Wegbröckeln der ANSF vorprogrammiert.“ So habe ich es auch als geladener Sachverständiger beim Fachgespräch der grünen Fraktion am 2. Dezember deutlich zu verstehen gegeben.

Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an – in der Öffentlichkeit wenig bekannte - internationale Erfahrungen mit extern gestütztem Institutionenaufbau. Laut World Development Report 2011 der Weltbank brauchten  die schnellsten 20 Länder durchschnittlich für die Einordnung des Militärs in die Politik 17 Jahre, für eine deutliche Qualitätssteigerung der Bürokratie 20 Jahre und für Durchsetzung von Rule of Law 41 Jahre.

Nicht nachvollziehbar ist für mich, dass der Vertreter der grünen Mehrheitsposition die deutliche Zustimmung der maßgeblichen afghanischen Repräsentanten (Präsident, Parlamentskammern, Spitzenkandidaten im Wahlkampf) zu den Stationierungsabkommen – und damit indirekt zu RSM – sowie die begrüßende Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 12. Dezember[3] völlig übergeht. (Im Entschließungsantrag der grünen Fraktion wird wohl betont, dass die ANSF weiterhin internationale Unterstützung benötigen, dass der UN-Sicherheitsrat RSM ausdrücklich begrüßt und das Stationierungsabkommen als völkerrechtliche Grundlage akzeptiert habe. Das bleibt aber ohne politische Schlussfolgerung.)

(6) Die unverzichtbare zweite Frage bei Einsatzentscheidungen ist die nach der Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit, Leistbarkeit und Verantwortbarkeit eines deutschen Beitrags.

- Dass die Afghanen keine deutschen Militärberater mehr brauchen und wollen, wage ich angesichts der o.g. offiziellen Erklärungen, der eher besseren Erfahrungen der Afghanen mit Deutschland als Lead-Nation im Norden und angesichts der deutschen Schlüsselrolle als RSM-Rahmennation im Norden zu bezweifeln.

- Ungeprüft bleibt die Frage, ob die in Aussicht genommenen 80-100 Militärberater (plus wieviel Berater von Verbündeten?) sowie die 40-50 GPPT-Polizeiberater ein im Sinne des Auftrages angemessener und sinnvoller Beitrag sind - oder ob es vielleicht bloße Symbol- und Alibipolitik ist. Hierzu habe ich bisher keine Antwort gehört.

- Seit 2002 war für das bilaterale deutsche Polizeiprojekt die Abstützung auf das Bundeswehrkontingent (bez. Sicherheit und Logistik) immer eine notwendige Voraussetzung des zivilpolizeilichen Einsatzes. Hat sich daran etwas geändert?

- Kann die Bundesrepublik ihre eigenen Entsandten im Extremfall auf die Rettungs- und Evakuierungskräfte anderer Länder verweisen, ohne selbst etwas dazu beizutragen? („in extremis support“)

- Ende offen und Rutschgefahr? Richtig ist, dass die genaue Dauer von RSM im Ein-Jahres-Mandat für RSM nicht festgelegt ist und dass Äußerungen der Kanzlerin und Verteidigungsministerin hierzu „Offenheit“ andeuteten.

Bisher lautete die NATO-Planung: Phase 1 „Nabe & Speichen“ bis Ende 2015, Phase 2 „Kabul-Centric“ bis Ende 2016, Phase 3 „Redeployment“ 2017. Dieser Ansatz gilt – wie eigentlich schon der ISAF-Abzug - als „time-driven“, nicht als „condition based“, also ohne Rücksicht auf die konkreten Übergabebedingungen, ohne Rücksicht auf Verluste der anderen, der Afghanen.

Hier verbindliche zeitliche Festlegungen zu fordern, mag innen- und parteipolitisch naheliegend sein (soweit das überhaupt noch innenpolitisch wahrgenommen wird). Sicherheitspolitisch wäre es zumindest fragwürdig. Es bleibt der Zielkonflikt zwischen dem möglichst schnellen militärischen Rückzug einerseits und der Verhütung eines Rückfalls a la Irak.

Bisher sehe ich bei keiner Fraktion die Kraft, ehrlich und offen mit diesem fiesen Dilemma umzugehen. (Und ich als externer Beobachter des Politikbetriebes habe leicht reden.)

(Der Verweis auf 2002/3 hinkt. Damals waren Auftrag und Befugnisse von ISAF viel weiter gefasst als es heute bei RSM der Fall ist: Schon im Bundestagsbeschluss vom 22.12.2001 (Drs. 14/7930) hieß es: Ausgehend von der Resolution 1386 (2001) des UN-Sicherheitsrates auf Basis des Kapitels VII der UN-Charta Kernauftrag „Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung“, damit „die vorläufige afghanische Regierung als auch das Personal der Vereinte Nationen in einem sicheren Umfeld arbeiten können“. (Nr. 3 Auftrag) Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe ist autorisiert, alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen, um den Auftrag gemäß Resolution 1386 (2001) durchzusetzen. Die Wahrnehmung des Rechts zur individuellen und  kollektiven Selbstverteidigung bleibt davon unberührt. Den im Rahmen dieser Operation eingesetzten Kräften wird auch die Befugnis zur Wahrnehmung des Rechts auf bewaffnete Nothilfe zugunsten Jedermann erteilt.“ (Nr. 6 Status und Rechte) 39 grüne Abgeordnete stimmten zu, vier enthielten sich, niemand lehnte ab.

- Hauptzweck des deutschen RSM-Kontingents sei lt. Tom Koenigs der Betrieb des großen Stützpunktes Camp Marmal – letztendlich für die Amerikaner im Rahmen ihres geopolitischen Interesses an Stützpunkten, für ihre unkontrollierbaren Antiterroroperationen.

In der Tat bestehen erhebliche Unklarheiten im Hinblick auf den jüngst erweiterten Auftrag der US-Kräfte. Misstrauen gegenüber kontraproduktiven Operationsweisen von US-Kräften ist sehr begründet.

Der Generalverdacht „Camp Marmal als US-Sprungbrett“ ist gängig und publikumswirksam.

Allerdings wage ich da einige konkrete Zweifel:

Für die RSM-Speiche Nord/Mazar sind die ca. 20 beteiligten Nationen auf das stehende Camp Marmal und auf die dt. Kapazitäten als hier erfahrene und angesehene Rahmennation zwingend angewiesen ist. Wo die militärische Infrastruktur in instabilem Umfeld autark sein muss (anders als in Erbil in Irakisch-Kurdistan), ist der Anteil an Unterstützungspersonal naturgemäß besonders hoch.

Im Rahmen von RSM sollen in Camp Marmal ca. 10 US-Soldaten eingeplant sein. Von einem separaten US-Stützpunkt in Camp Marmal habe ich bisher nichts gehört.

Laut Präsident Obamas Transition „Plan“ vom 27. Mai 2014 sollten US-Streitkräfte ab 2015  nur noch zur Beratung/Ausbildung sowie zur Unterstützung von Antiterror-Operationen gegen Überbleibsel von Al Qaida eingesetzt werden. Bis Ende 2015 sollte die US-Präsenz um die Hälfte auf Kabul und Bagram Airfield reduziert werden. Ein Jahr später sollte das US-Militär auf eine normale Botschaftspräsenz in Kabul gesenkt werden – wie im Irak.

In der Vergangenheit war das Interesse der USA an Stützpunkten rund um den Globus unübersehbar. Heute haben sich für die USA Bedrohungen und Prioritäten erheblich verschoben. Anthony H. Cordesman, Burke-Lehrstuhl für Strategie am Center for Strategic & International Studies (CSIS) in Washington, kommt in seinen vielen umfangreichen Studien zu Afghanistan und Zentralasien zu eindeutigen Ergebnissen: Die USA hätten zunehmend ein marginales Interesse an Zentralasien und wollten dort keine militärische Präsenz behalten. Der beste Weg, irgendein Great Game in Zentralasien zu gewinnen, sei, es gar nicht zu spielen. Afghanistan und Pakistan seien nicht länger Zentren terroristischer Bedrohungen für die USA. Die USA erklärten, in Afghanistan keine Stützpunkte behalten zu wollen. Die bisher größte CIA-Station weltweit in Afghanistan soll von ca. 1.000 auf unter 200 Personen verkleinert werden. (Losing the „Forgotten War“. The Need to Reshape US Strategy in Afghanistan, Pakistan, Central Asia. 6. Okt. 2014, www.csis.org/files/publication/141006_losing_the_forgotten_war_final.pdf )

(7) Sorgfaltspflicht. Eine Mandatsentscheidung darf keine Bekenntnisfrage sein, sie muss immer konkret sein, sorgfältige Antworten bringen auf die Fragen nach der friedens- und sicherheitspolitischen Dringlichkeit, der völkerrechtlichen Legalität, nach politischer Sinnhaftigkeit und Erfolgschancen, nach Leistbarkeit und Verantwortbarkeit. Wenn wichtige Fragen zu einem Mandat unklar bleiben, dann ist es eben nicht zustimmungsfähig, auch wenn es grundsätzlich zu befürworten wäre. Wo sich Koalitionsfraktionen immer wieder durch Koalitionsdisziplin sedieren lassen, sind Oppositionsfraktionen ganz besonders in der Pflicht, ihre Kontroll- und Korrekturfunktion mit Rückgrat und Sorgfalt wahrzunehmen.

Zugleich ist angesichts der frustrierenden „Endlosigkeit“ des Afghanistaneinsatzes und der Konkurrenz vieler näherer Krisen und Kriege eine wachsende Afghanistan-Ermüdung unübersehbar und auch nachvollziehen. Afghanistan ist wahrlich kein Winner-Thema.

Trotzdem: Wie im Bundestag von grüner Seite die Ablehnung einer deutschen RSM-Beteiligung begründet würde, empfand ich es als nicht überzeugend, reichlich intransparent und auch für mich als „Versteher“ wenig nachvollziehbar. Schutz von Zivilbevölkerung, Förderung Basissicherheit, Sicherheitssektorreform, multilaterale Verlässlichkeit – wofür sonst Grüne stehen, das sehe ich hier eher ausgeblendet.

In seinem ausführlichen rbb-inforadio-Interview am 20. Dezember widersprach Thomas Ruttig der „Sofortabzugs-Forderung“ von Jan van Aken und Tom Koenigs. Er halte sich dabei an nahestehende, für ein demokratisches und offenes Afghanistan eintretende Afghanen. Die hielten ausländische Streitkräfte noch für nötig, wünschten sich zugleich ein anderes, rücksichtsvolleres Agieren. ( http://thruttig.wordpress.com/2014/12/20/afghanistan-ende-einer-mission-sendetermine/ ab Minute 15:50)

Irritierend fand ich nah der grünen Rede den Schlussbeifall auch von Abgeordneten der Linken – von denjenigen, die seit 13 Jahren den UN-mandatierten Afghanistaneinsatz pauschal denunziert und seine Unterstützer demagogisch diffamiert haben, bei denen ich über die Jahre nur wenig Interesse an Problemlösung in Afghanistan, dafür umso mehr Interesse an einer parteipolitischen Instrumentalisierung des Afghanistan-Konflikts erfahren habe.

Mir fiel auf, dass es aus der Fraktion nur zwei Persönliche Erklärungen zur Abstimmung gab. Aber das kann auch am Stress der letzten Sitzungswoche vor der Weihnachtspause liegen.

(8) Der tatsächliche Ernst der Lage in und um Afghanistan kam in den Bundestagsdebatten zu RSM kaum zum Ausdruck. Anthony H. Cordesman hat seit geraumer Zeit intensiv und faktenreich gewarnt:

In „Losing the ´Forgotten War`“ Anfang Oktober 2014: „Afghanistan is the forgotten war at a time when the Taliban is making steady gains, civilian casualties are rising, the Afghan economy is in crisis, and there still are no clear plans for any post-2014 aspect of transition. (…)  The end result is that United States has failed to define meaningful future Strategies for Afghanistan, Pakistan, and Central Asia. It is cutting its presence in Afghanistan so quickly that its Transition efforts may well fail, and it has no clear future Strategy for Pakistan or Central Asia. (…)  The current realities on the ground strongly indicate that the present US approach to Transition in Afghanistan will fail at the military, political, economic, and governance levels.” (ii)

Oder im August 2013 in seiner alarmierenden Studie „Failing Transition“ –das Führungsversagen von US-Regierung und Kongress und der neue Pentagon-Report („Report on Progress Toward Security and Stability in Afghanistan“), zusammengefasst unter www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1229 ):

Die USA hätten bisher  keine glaubwürdigen Pläne für die Sicherheits-, Governance- und ökonomischen Aspekte der Übergabe (Transition) vorgelegt. Gegenüber den Alliierten und den Afghanen habe man den Level der künftigen US-Verpflichtungen nicht klar gemacht. Kläglich sei man damit gescheitert, den Kongress und das amerikanischen Volk davon zu überzeugen, dass es glaubwürdige Gründe für die Unterstützung der Transition über 2014 hinaus gebe. (…)  Es gebe viel leere Rhetorik, aber keine glaubwürdigen Pläne, Budgetlinien, Wirksamkeitsmaßstäbe.

Notwendig sei eine ehrliche Debatte über Prioritäten, Kosten und Nutzen.

Fakt sei, dass Afghanistan längst seine Priorität bei den US-Anstrengungen gegen globalen Terrorismus und Extremismus verloren habe, dass AFG nur noch von marginaler strategischer Bedeutung sei verglichen mit vielen anderen Verpflichtungen und Prioritäten der USA.

Der Pentagon-Report liefere kein umfassendes Bild der Sicherheitsentwicklung, sondern konzentriere sich auf die taktische Ebene. Deutlich werde, dass die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) Jahre davon entfernt seien, ihre Mission allein durchzuführen. Zugleich falle auf, dass die Aufständischen in ihren Fähigkeiten noch relativ beschränkt seien. Sie kontrollieren kein bedeutenderes Bevölkerungszentrum. Sechs der zehn gewaltträchtigsten Distrikte liegen in der Region Südwest (u.a. Helmand)

Alle Daten belegen ein ständig steigendes Gewaltniveau. Bei den Aufständischen-Aktivitäten gebe es keinen bedeutenden Einschnitt. Der zurückliegende Surge (besondere Kraftanstrengung) in Afghanistan sei – verglichen mit den Standards im Irak – kläglich gescheitert. (…)

Mein Kommentar: Die Aussagen der Studie sind verheerend und deprimierend. Die Versuchung ist groß, sie zu verdrängen, vor allem auf Seiten der grundsätzlichen Befürworter des Afghanistan-Engagements. Auch wenn der Bundestagswahlkampf dem sehr entgegensteht, auch wenn die Prioritäten andere sind, gehören sie in Berlin dringend überprüft und diskutiert.

-         Die ganzen Kraftanstrengungen seit 2009, die Kräfteverstärkung, die Rückgewinnung von Aufständischen kontrollierten Gebieten, die vielen Opfer dabei, scheinen nur Raum und Zeit für den Aufbau der ANSF gewonnen zu haben, darüber hinaus aber umsonst gewesen zu sein. Sie haben insgesamt kein sichereres Umfeld geschaffen, die Gesamtopferzahlen sind heute höher als vor dem Surge. (Ohne die Kraftanstrengung wären aber – so meine Annahme -  Kunduz und Baghlan 2010 ganz weggerutscht.)

-         Die sowieso schon immer sehr unübersichtliche und schwer zu erfassende Lageentwicklung in AFG wird immer nebliger: ISAF stellte im März die monatliche Berichterstattung zur Sicherheitsentwicklung ein; die ANSO/INSO-Reports sind öffentlich nicht mehr zugänglich; die einmalig materialreichen Halbjahresberichte des Pentagon sind selektiv und beschönigend. Zum Nebel gehört der mediale Bad-News-Mechanismus, der positive Ereignisse und Prozesse, die es trotz alledem weiterhin gibt, nicht bekannt werden lässt.

-         Die USA haben von allen Truppenstellern und Gebern in AFG die bei weitem höchsten Lasten getragen und das höchste Gewicht. Inzwischen scheinen sie sich aus der politischen Führungsverantwortung zu verdrücken. Eine Haltung, sich letztlich immer auf die USA als Hauptakteur zu verlassen (angefangen bei der umfassenden Analyse), führt in die Sackgasse. Was kann, was sollte, was müsste ohne Abstützung auf die USA getan werden? Vielleicht tun sich da sogar Chancen auf.

-         Afghanistan hat nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland und den meisten anderen Länder an politischer Priorität verloren. Andere Herausforderungen und Konflikte werden nicht zu Unrecht als drängender + wichtiger empfunden. Wie kann damit möglichst ehrlich, verantwortlich und wirksam umgegangen werden – damit die afghanischen Menschen zumindest glimpflich über die Klippen der nächsten Jahre kommen? In dem taz-Artikel „Bloß weg? Bloß nicht“ vom 25. Mai 2013 habe ich dazu Vorschläge gemacht.

(9) Langer Atem und strategische Geduld: Einige RednerInnen beteuerten im Bundestag, man wolle Afghanistan nicht im Stich lassen. Sie werden es auch ernst gemeint haben.

Damit aber Afghanistan nicht unter die Räder der drängenderen anderen Konflikte gerät, wäre es angebracht, unabhängig von „Resolute Support“ den viel beschworenen „langen Atem“ auch von parlamentarischer Seite zu organisieren: Warum gibt es keine ausschussübergreifende „Freundesgruppe Afghanistan“ oder Berichterstattergruppen zu Afghanistan?

(10) Leuchtturm deutsch-afghanischer Freundschaft: Ein herausragendes Beispiel von langem Atem war die seit 1984 28. (!) Afghanistan-Tagung in Villigst/Ruhr am 12.-14. Dezember.Wo sonst meist  ü b e r Afghanistan geredet wird, sprachen hier Gäste aus Afghanistan, Ältere und jüngere Exilafghanen und Deutsch-Afghanen, Deutsche mit Afghanistanerfahrungen miteinander. Keine Spur von Afghanistan-Müdigkeit. „Wir bleiben dran und da!“ war die Botschaft dieser Tagung. Einmütig war der Wille, selbstverständlich weiterzumachen mit den Hilfs- und Aufbauprojekten, aus Erfahrungen zu lernen, neue Chancen zu nutzen, Menschen hierzulande zu informieren und für eine verlässliche Aufbaupartnerschaft zu gewinnen. Gerade nach den vielen massiven Fehlern der letzten Jahre stehe die internationalen „Gemeinschaft“ in der Verantwortung, Afghanistan überlegter und wirksamer zu unterstützen. (Bericht unter www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1331 )



[1] Aktuell zum Beispiel am Morgen des 11. Dezember Anschlag auf einen Bus der afghanischen Armee, mindestens sechs Soldaten wurden getötet; am frühen Abend Anschlag in der Aula des Lycée Esteqlal (Oberschule und Französisches Kulturzentrum) während einer Theateraufführung, ein deutscher Mitarbeiter einer NGO wurde getötet, ca. 20 Menschen verletzt. Das Stück „Herzschlag: Stille nach der Explosion“ richtete sich gegen Selbstmordattentate. Der ebenfalls getötete Attentäter soll 15/16 Jahre gewesen sein.

[2] Rod Nordland, Taliban Push Into Afghan Districts That U.S. Had Secured, New York Times 22.12.2014. Britische ISAF-Truppen standen seit Frühsommer 2006 in Helmand in einem intensiven Guerillakrieg. Über 400 britische Soldaten kamen hier um`s Leben. 2010 lief in Helmand die ISAF-ANSF-Operation „Muschtarak“ mit 15.000 Soldaten und Polizisten, davon allein 4.500 US-Marineinfanteristen.  Zum Helmand-Desaster vgl. Schlussteil www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1300  

[3] Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete am 12.12. die Resolution 2189, mit der er die Nachfolge-Mission von ISAF begrüßte, http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/RES/2189%20%282014%29 , mit Zustimmung Russlands. Interessant ist mit Blick auf die vorherigen Vorbehalte Russlands folgendes Statement des russischen UN Botschafters (http://www.russiaun.ru/en/news/so_0312) bei einem Pressetermin vom 3.12.