Zum neuen Afghanistan-Mandat: Endlich wirksamer?

Von: Nachtwei amMi, 14 März 2018 18:16:47 +01:00

Hier mein Kommentar zur aktuellen Resolute-Support-Debatte im Bundestag, erschienen im "Behörden Spiegel newsletter Verteidigung. Streitkräfte. Wehrtechnik" am 14. März 2018. Eindrücke von der Jahrestag des "Freundeskreises Afghanistan", einem Leuchtturm verlässlicher + erfolgreicher deutsch-afghanischer Partnerschaft mit langem Atem auf meiner Facebook-Seite.



Zum neuen Afghanistan-Mandat: Endlich wirksamer?

Winfried Nachtwei. MdB a.D.

(erschienen im „Behörden Spiegel newsletter

Verteidigung. Streitkräfte. Wehrtechnik“, 14. März 2018,

auch auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )

Der neue Bundestag entscheidet in diesen Wochen über den Antrag der Bundesregierung, die deutsche Beteiligung an der NATO-geführten Beratungsmission Resolute Support in Afghanistan fortzusetzen. Das deutsche Kontingent soll um ein Drittel aufgestockt und sein Einsatzgebiet im Norden ausgeweitet werden.

Laut ursprünglicher NATO-Planung sollte nach ISAF-Abzug in 2014 die Folgemission Resolute Support (RSM) 2016 zu Ende gehen. Diese auch von Bundesregierung und Bundestag voll mitgetragene Absicht erwies sich als große Illusion mit verheerenden Begleitfolgen: Die auf sich gestellten afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) waren vielerorts den zunehmenden Angriffen der Aufständischen nicht gewachsen. Schon 2014 stieg die Zahl der Zivilopfer im Kontext des bewaffneten Konflikts um 20% und blieb seitdem auf der Rekordhöhe von jährlich über 10.000, davon 3.500 Toten.  Laut New York Times sollen allein im letzten Jahr rund 10.000 ANDSF-Angehörige getötet worden sein.

17 Jahre nach Start des internationalen und deutschen Afghanistan-Engagements, nach enormen Kosten und menschlichen Opfern, nach vielen Teilfortschritten, Rückschlägen und Enttäuschungen stellen sich die die Schlüsselfragen: Was ist nötig und leistbar,

- um den worst case eines staatlichen Zusammenbruchs, von Taliban-Machtergreifungen in den  Städten, Aufstieg von Daesh und offenem Bürgerkrieg zu verhindern,

- um die Chancen von Stabilisierung, Aufbau, Friedenslösung bestmöglich zu nutzen und eine reale Abzugsperspektive zu eröffnen.

Bei der letzten RSM-Debatte im Dezember hatten Abgeordnete mehrerer Fraktionen auf eine kritische Bestandsaufnahme und Wirkungsanalyse des bisherigen Einsatzes gedrungen. Drei Jahre lang hatte die Bundesregierung keine umfassendere Unterrichtung, geschweige Bilanzierung vorgelegt. Ihr jetzt veröffentlichter 28-seitiger Perspektivbericht verweigert weiterhin die dringend notwendige Wirkungsanalyse, präsentiert aber wichtige Informationen zur ganze Breite des Afghanistan-Engagements, von dem in der Öffentlichkeit in der Regel nur die militärische Komponente wahrgenommen wird.

Zu Recht betont die Bundesregierung die zentrale Bedeutung eines afghanischen Friedenprozesses und der regionalen Zusammenarbeit dabei.  Bei der jüngsten Konferenz des Kabul-Prozesses wirkte die deutsche Seite in diesem Sinne.

Der Berichtstenor ist jetzt grundsätzlich realistischer, betont nüchterne Lageanalyse, realistische Ziele, strategische Geduld und die Absage an eine von starren Fristen getrieben Strategie, die kontraproduktiv wirken kann. Die langjährige Neigung zu Verharmlosungen und fehlender Selbstkritik sind aber keineswegs überwunden.

Die Behauptung eines „strategischen Patt“ ist NATO-offiziell, lässt sich erheblich bezweifeln: Der Anstieg gerade von Suizid- und komplexen Angriffen, ihre Fokussierung auf die besonders gesicherte, im Brennpunkt der Medien stehende  Hauptstadt, insbesondere gegen Schiiten, verbreitet besonders wirksam Schrecken und Ohnmacht. Die jährliche „Schwundrate“ der ANDSF liegt bei 30%, der Zulauf zu den Taliban ist trotz hoher Verluste ungebrochen. Die internationalen Kräfte sind weitgehend von ihren afghanischen Partnern, der Bevölkerung und realen Lage abgeschnitten. Dass trotz aller Alltagsbedrohung noch erstaunlich viele von Deutschland geförderte Stabilisierungs- und Entwicklungsprojekte mit rund 1.500 lokalen Mitarbeitern laufen – und weitere von mutigen NGO`s beharrlich vorangetrieben werden -, schafft vor Ort für Abertausende Menschen Lebenschancen und Perspektive, kann aber an der Verschlechterung der Gesamtlage nichts ändern.

Die Beratung der ANDSF durch RSM wird auch von den Vereinten Nationen weiterhin für notwendig erachtet. Von den 120 Militärberatern im Norden stellt die Bundeswehr rund 80. Als Berater vorrangig auf der Korpsebene haben sie aber praktisch keinen Einblick in die Umsetzungsebene der Brigaden und Bataillone. Der Verdacht, dass eine solche Art von Beratung nur sehr begrenzt wirksam ist, wurde bisher nicht entkräftet. Verschärfend kommt die Feststellung im Perspektivbericht hinzu, dass die Bundeswehr wegen mangelnder eigener Schutzkräfte bis zur Hälfte der notwendigen Train-Advise-Assist-Aufträge nicht durchführen konnte.

Um die unverzichtbare Beratungskapazität wirksamer zu machen, ist die im neuen Mandat angekündigte Aufstockung des Kontingents um ein knappes Drittel und die Ausweitung des Einsatzgebiets im Norden voll gerechtfertigt. Ob sie ausreicht, um bestmögliche Beratungswirkung zu erzielen, bleibt ungeklärt. Dieselben Wirksamkeitsfragen stellen sich auch bei der deutschen Polizeiaufbauhilfe, die trotz ihrer strategischen Bedeutung im politischen Berlin kaum Beachtung findet.

Der Afghanistaneinsatz gilt hierzulande für viele, auch in der Politik und unter Bundeswehrangehörigen, als gescheitert. Der Gefahr eines Endlos-Einsatzes kann nur glaubwürdig begegnet werden, wenn politische und militärische Führung sich und den Bundestag rücksichtslos ehrlich machen und realistische,  operationalisierte, überprüfbare Ziele und Exit-Kriterien definieren. Hier besteht akuter Nachholbedarf.