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Entschlossen + besonnen: Die Gratwanderung des 1. KFOR-Kontingents im Kosovo 1999 - Bericht mit Reden (u.a. meiner) vom Ehemaligentreffen in Regen/Bayer. Wald

Veröffentlicht von: Nachtwei am 13. August 2019 12:59:39 +01:00 (29902 Aufrufe)

Im Gespräch mit den Veteranen der ersten Task Force Prizren und über ihrer einmalige Bild-Dokumentation "Dienst für den Frieden im Kosovo" bekam ich so plastische Einblicke in die damaligen Heausforderungen, Belastungen und Leistungen wie nie zuvor. Der Geist und der Zusammenhalt dieser Truppe muss vorbildlich gewesen sein. Mit Entschlossenheit + Besonnenheit wirkten sie für die Einhaltung der Friedensvereinbarungen und zum Schutz aller Bevölkerungsgruppen. Dies war offenbar anläßlich 20 Jahre KFOR die enzige Ehemaligen-Veranstaltung in Deutschland. 

Entschlossen und besonnen –

Die Gratwanderung des 1. KFOR-Kontingents 1999

Ehemaligentreffen des vstkMechBtl/Task Force Prizren

am 27./28. Juli 2019 in Regen/Bayerischer Wald

Kurzbericht und Reden

von Winfried Nachtwei (August 2019)

(Fotos auf www.facebook.cim/winfried.nachtwei )

Am 10. Juni 1999 endete der Kosovo-Luftkrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und der serbische Vertreibungskrieg gegen die kosovoalbanische Bevölkerungsmehrheit.

Auf der Grundlage der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom selben Tag und des Bundestagsbeschlusses am 11. Juni rückte am 12./13. Juni 1999 das deutsche verstärkte Mechanisierte Bataillon an der Spitze der deutsch geführten Multinationalen Brigade Süd als Teil des 1. Deutschen KFOR-Kontingents in das Kosovo ein. Auftrag der KOSOVO FORCE (KFOR) war die Absicherung der vereinbarten Friedensregelungen und Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr, also Peacekeeping und Stabilisierung. Ungewiss war, ob der Waffenstillstand, der Abzug der serbischen bewaffneten Kräfte und die Entmilitarisierung der UCK gewaltsam durchgesetzt werden musste. Dementsprechend kampfstark war der gemischte gepanzerte Einsatzverband der Task Force Prizren mit 33 Leopard-Panzern, 32 Schützenpanzer Marder und Panzerhaubitzen 2000 eines niederländischen Panzerartilleriebataillons.

Leitverband der damaligen Task Force Prizren war das Panzergrenadierbataillon 112 aus Regen im Bayerischen Wald, unterstützt von je einer Panzerkompanie aus Augustdorf (PzBtl 214) und Luttmersen (PzBtl 33). Ihr Kommandeur war Oberstleutnant i.G. Maximilian Eder.

20 Jahre nach dem KFOR-Einmarsch trafen sich am letzten Juliwochenende 2019 mehr als 100 Veteranen des Verstärkten Mechanisierten Bataillon/TF Prizren, einige mit ihren Partnerinnen. Meines Wissens war es die einzige Veranstaltung dieser Art in Deutschland. Essen und Getränke wurden vom Katholischen Militärbischofsamt und dem Dt. Bundeswehrverband gesponsert. Das Kameradschaftstreffenfindet alle fünf Jahre in Regen in der Bayerwald-Kaserne des PzGrenBtl 112 statt, jeweils am Wochenende des Pichelsteiner Festes. Oberst a.D. Eder ist dabei die treibende Kraft. (vgl. Bayerwald-Bote, 30. Juli 2019, https://plus.pnp.de/lokales/regen/3402347_Gedruckte-Erinnerung.html )

Ende Juni fand in den Niederlanden ein Veteranentreffen der benachbarten Task Force Orahovac statt. Am 25. Juni brachte das kosovarische Fernsehen ein 23-minütiges Interview mit dem damaligen Kommandeur des niederländischen Panzerartilleriebataillons dem heutigen Generalleutnant a.D. Ton van Loon, vormals Kommandierender General des D-NL Corps in Münster, https://www.youtube.com/watch?v=dI3nZ8lAdGU&feature=youtu.be&app=desktop

Rechtzeitig zum Treffen erschien die erweiterte Neuauflage der 262-seitigen, großformatigen Bild-Dokumentation „DIENEN FÜR DEN FRIEDEN IM KOSOVO“ KVM/KFOR, 1999, 1. Kontingent, vstkMechBtl, herausgegeben vom PzGrenBtl 112, Maximilian Eder (HePeLo Verlag). Der Band ist ein informations- und facettenreiches Gemeinschaftswerk mit persönlichen Beiträgen vieler Bataillonsangehöriger, Auszügen aus Befehlen, Weisungen, Einsatztagebüchern. Anschaulich werden die enormen Herausforderungen im Kosovo und vorher in den Flüchtlingslagern, die beispielhaften Einsatzleistungen, aber auch Friktionen im Einsatz geschildert. Eine besondere Stärke des Bandes ist, dass verschiedene Perspektiven zur Sprache kommen und auch kritische Erfahrungen offen benannt werden. Schon in der Weisung Nr. 1 des damaligen Bataillons-Kommandeurs Eder und den darin formulierten Grundsätzen zum bevorstehenden Einsatz vom 05. Juni 1999 deutet sich der vorbildliche Geist und Zusammenhalt an, der im ganzen Einsatz der Task Force geherrscht haben muss.Der Band schließt auf der Rückseite mit dem Motto „Retten – Schützen – Helfen“.

Mit Rücksicht auf nichtmilitärische Leser wird auf eine Schilderung der vielen, unfassbaren Grausamkeiten verzichtet, mit denen die Soldaten dort konfrontiert waren. Aber schon einzelne Hinweise lassen die Vielzahl und Schärfe traumatisierender Einsatzerlebnisse erahnen.

Der offizielle Teil des Treffens beginnt mit der

Begrüßungsrede des ehemaligen Kommandeurs, Oberst i.G. a.D. Maximilian Eder

Ausgehend von dem Moltke-Zitat „Gehorsam ist Prinzip, doch der Mann steht über dem Prinzip“ spricht er frei zu wesentlichen Werten, illustriert durch Bilder und Karikaturen.

- Vertrauen und Zutrauen;

- Zuversicht – auch wenn von der Brigade kein schriftlicher Befehl vorlag und keine Rules of Engagement, wir machten es;

- Verantwortung (Karikatur einer Sitzungsrunde, wo jeder mit „er war`s“ auf den anderen zeigt) – in unserem Verband hat Verantwortung funktionier;

- Handeln in das Ungewisse hinein;

- Tapferkeit und Mut;

- Humanitäre Werte leben (ein Zelt mit Flüchtlingen, ein Generalstabsoffizier hoch zu Ross mit Dame hoch zu Ross – hier scheinen schlechte Erfahrungen durch) – es war nötig, dass wir es gemacht haben. Niemand im Bataillon habe jemals in diesem Einsatz einen Auftrag verweigert oder sich mal dienstunfähig gemeldet. Nach dem Unfall eines Panzers war die erste Frage von der Brigade, ob der Fahrer ausgeruht war. „Natürlich“ habe er als Kommandeur geantwortet zu einer Zeit, als alle bis an ihre Grenzen gingen und logischerweise nie richtig ausgeruht sein konnten.

- Säugling im Flüchtlingslager Cegrane;

- Die ethischen Prinzipien und humanitären Werte, die sie beim Dienen für den soldatischen Auftrag getragen hätten.

- Vorbild Stauffenberg, Patriot und Christ! Quasi „Spiritus Rector“ für unseren Antrieb, unsere Energie, für unsere Ideale, für das Durchstehen in einem sinnvollen Auftrag.

Anschließend  gedenken alle Anwesenden schweigend der im Einsatz für Freiheit und Sicherheit Gefallenen, Getöteten oder sonst wie ums Leben gekommenen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.

Der Kommandeur des PzGrenBtl 112, Oberstleutnant Germar Lacher, spricht zur aktuellen Lage des Bataillons, insbesondere zur Einführung des neuen Schützenpanzers Puma und zur Vorbereitung auf die VJTF 23 (Very High Readiness Task Force 1923) der NATO, bei der das Bataillon mit zwei Kompanien dabei ist.

Das Bataillon war bisher an zwei Einsätzen in Bosnien, sechs im Kosovo und vier in Afghanistan beteiligt. Als das Bataillon 2010/11 Kräfte für die Quick Reaction Force für das ISAF RC North stellte, erschoss am 18. Februar 2011 im OP North ein afghanischer Soldat die Regener Soldaten Georg Missula (30), Konstantin Menz (21) und Georg Kurat (22). (Zur Erinnerung an die Gefallenen und die anderen im Dienst gestorbenen Soldaten des Bataillons wurde in der Kaserne ein Gedenkort errichtet) Der Förderverein 18. Februar kümmert sich um in Not geratene Soldaten.

Als Gastredner sprechen jeweils rund 30 Minuten W. Nachtwei, General Erhard Bühler und Militärgeneralvikar Reinhold Bartmann, die auch Grußworte zur Bild-Dokumentation beigesteuert haben. Die anderen Reden habe ich nach meinen Notizen zusammengefasst.

Winfried Nachtwei, MdB a.D.: Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen von KFOR 1999

„Doppelt gerne bin ich aus Münster in Westfalen nach Regen im Bayerischen Wald gekommen: Mit KFOR bin ich von Anfang an verbunden. Dieses Ehemaligentreffen von KFOR-Veteranen der ersten Stunde ist bundesweit einzigartig.

Zu den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen des Kosovoeinsatzes 1998/99 spreche ich als jemand, der 1994-2009 Mitglied des Bundestages und des Verteidigungsausschusses war und an 70 Mandatsentscheidungen zu Auslandseinsätzen beteiligt war, also zu deren Auftraggebern gehörte. Deutlich erinnere ich mich an die Bundestagsbeschlüsse vom 16. Oktober 1998 (Androhung von Luftoperationen zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe im Kosovo), vom 25. Februar 1999 (Extraction Force für die Kosovo Verification Mission der OSZE) und 11. Juni 1999 (KFOR-Anpassung).

Ausgangslage

Als ich 1994 in den Bundestag gewählt wurde, stand ich wie auch die Mehrheit meiner Fraktion Auslandseinsätzen sehr skeptisch bis ablehnend gegenüber: Wir vermissten energische nichtmilitärische Maßnahmen gegen hauptverantwortliche Gewaltakteure. Wir befürchteten, dass ein militärisches Eingreifen alles nur viel schlimmer machen würde. Nach dem Massenmord von Srbrenica verschärfte sich in der deutschen Öffentlichkeit und insbesondere bei den Grünen der Streit um die Berechtigung und Verantwortbarkeit von Auslandseinsätzen. Also reisten wir im Oktober 1996 mit einer Spitzendelegation von Fraktion und Partei nach Bosnien, um uns vor Ort ein realistisches Bild zu machen und unsere Positionen zu klären. Da standen wir nun am Hang von Sarajevo. Ein Zeitzeuge berichtete, wie von hier serbische Scharfschützen jahrelang in die belagerte Stadt gefeuert hatten, dass allein in Sarajevo rund 10.000 Menschen, überwiegend Zivilpersonen, um`s Leben kamen und im Bosnienkrieg insgesamt 200.000 Menschen. Über die Medien hatten wir natürlich immer wieder davon erfahren. Jetzt am Tatort aber gab es kein Wegsehen und kein Verdrängen mehr. Jetzt erreichten die Schicksale der Belagerten und die Brutalität der Belagerer uns in Kopf und Herz. Unausweichlich erreichte uns, auch wenn es uns unangenehm war, die Erkenntnis: Es gibt Situationen, wo zum Schutz von Bevölkerung vor Massengewalt der Einsatz militärischer Gewalt notwendig, legitim und verantwortbar sein kann. Zu dieser ersten Schlüsselerfahrung kam eine zweite: Bei dem deutschen IFOR-Kontingent unter General Riechmann begegneten uns deutsche Soldaten, die den UN-Auftrag, Kriegsgewalt zu verhindern, wirklich ernst nahmen und sich deshalb keineswegs als Soldaten zweiter Klasse empfanden. Für die gestandenen Wehrdienstverweigerer in unseren Reihen war das eine „positive Enttäuschung“.

Unsere Schlussfolgerung aus dem Besuch im Nachkriegs-Bosnien war: Ein zweites Bosnien darf es im Einflussbereich europäischer Politik nicht geben!

Vom Kosovokonflikt zu Kosovokrieg

1998 eskalierte der Gewaltkonflikt im Kosovo. In den Jahren zuvor hatte sich die kosovoalbanische Bevölkerungsmehrheit gewaltfrei dem serbischen Unterdrückungssystem widersetzt. Als dies erfolglos blieb und auch international kaum Unterstützung fand, griffen vor allem jüngere Männer zur Waffe, entstand die UCK. Ihre Angriffe auf serbische Sicherheitskräfte beantworteten diese mit unverhältnismäßiger Gewalt. Die Gewaltspirale drehte sich schneller und schneller. Am 16. Oktober billige der Bundestag mit deutlicher Mehrheit den Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an Luftoperationen der NATO zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovokonflikt.[1] Ausschlaggebend waren der Bericht des UN-Generalsekretärs Kofi Annan und die Resolution Nr. 1199 des UN-Sicherheitsrates vom 23. September 1998, die angesichts von über 230.000 Binnenvertriebenen vor einer humanitären Katastrophe warnten. Als hauptverantwortlich dafür galten die serbischen Sicherheitskräfte. Überschattet wurde die Entscheidung durch zwei Dilemmata: Die humanitär gerechtfertigte Entscheidung war nicht durch ein UN-Mandat gedeckt. Und sie fiel drei Wochen nach der Bundestagswahl, wo eine Verweigerung von Bündnissolidarität in einer Kernfrage europäischer Sicherheit in der Startphase der neuen rot-grünen Koalition den Startabbruch bedeutet hätte.

In den Folgemonaten wurde mit der Beobachtermission KVM und den Verhandlungen von Rambouillet eine friedliche Lösung versucht, aber nicht erreicht. Stattdessen eskalierte die Gewalt im Kosovo erneut. Am 24. März begann der NATO-Luftkrieg („Allied Force“) gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, der am 10. Juni 1999 endete. Seine Ergebnisse waren zwiespältig:

- Der Luftkrieg dauerte nicht – wie erwartet – wenige Tage, sondern 78 Tage.

- Das erste Ziel der Abwendung einer humanitären Katastrophe wurde zunächst nicht erreicht, im Gegenteil. Der serbische Vertreibungsterror nahm nach Abzug der KVM-Beobachter an Fahrt auf, so dass nach einigen Wochen mehr als die Hälfte der kosovarischen Bevölkerung aus dem Land getrieben war.

- In Kombination von Luftschlägen und intensiven, von der Bundesregierung initiierten diplomatischen Verhandlungen und der Einbeziehung Russlands gelang es schließlich, Präsident Milosevic zum Einlenken zu bringen, die Massenvertreibung zu stoppen und rückgängig zu machen und eine mögliche Totalvertreibung zu verhindern.

Während des Kosovokrieges trugen die Hilfseinsätze deutscher KVM/KFOR-Soldaten in Flüchtlingslagern, insbesondere Cegrane, wesentlich zur Bewältigung der katastrophalen humanitären Lage – und damit zur Stabilisierung der Nachbarländer – bei.

In der deutschen Öffentlichkeit fand der Kosovokonflikt erst schlagartig mit den NATO-Bomben hohes Interesse. Im Bundestagswahlkampf im Spätsommer 1998 spielte der blutige Unfriede vor der Haustür der EU noch keine Rolle. Vor allem unter Anhängern von Grünen und SPD gab es massive Proteste gegen den angeblichen „Angriffskrieg“ der rot-grünen Bundesregierung. Unbestreitbar war, dass der von Deutschland  mitgetragene NATO-Luftkrieg zentralen Programmprinzipien der Grünen widersprach. Aber was tun zum Schutz der kosovoalbanischen Bevölkerung gegen den serbischen Vertreibungsterror, von dessen brutalen Realitäten uns KVM-Beobachtern glaubwürdig berichtet hatten? Die Gegner des NATO-Luftkrieges konnten darauf nie eine Antwort geben und relativierten dabei oft die von serbischen Kräften ausgehende Gewalt.[2]

Als politisch Verantwortliche konnten wir den Proteststurm nur bestehen, weil die Verhinderung eines „zweiten Bosnien“ tatsächlich das ausschlaggebendes Motiv war – und nicht irgendwelche geopolitischen Interessen -, weil in einer solchen internationalen Krisensituation unbedingt gemeinsam gehandelt werden musste und weil sich die deutsche Diplomatie besonders intensiv und wirksam um eine Verhandlungslösung mit Russland bemühte. (Anm.: Ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob wir die damaligen Proteste durchgehalten hätten, wenn es schon die heutigen „sozialen“ Medien mit ihren shit-hurricane-Potenzialen gegeben hätte.

KFOR-Einmarsch und Start

Am 8. Juni 1999 informierte die Bundesregierung im Verteidigungsausschuss über die Anpassung des KFOR-Operationsplans wegen veränderter Risikoanalyse und humanitärer Lage (über 500.000 Binnenvertriebene): Als erstes müsse sich KFOR um die Flüchtlinge kümmern; die deutsch geführte Multinationale Brigade Süd müsse von Anfang an alle Schlüsselaufgaben wehrnehmen.

Am 10. Juni befand sich der Bundestag in Erwartung des UN-Mandats im Stand by. Im Verteidigungsausschuss hieß es, KFOR solle durch Grenzkontrollen in den ersten 14 Tagen möglichst wenige Flüchtlinge in das Kosovo zurückkehren lassen. Laut Aufmarschplan des Deutschen KFOR-Kontingents solle zuerst ein verstärktes Mechanisiertes Bataillon, Leitverband das Panzergrenadierbataillon 112 aus Regen, in das Kosovo einmarschieren. Um 19.05 Uhr wurde aus New York die Verabschiedung der Sicherheitsrats-Resolution gemeldet.

Am 11. Juni Sitzung des Bundestages zum neuen KFOR-Mandat (Aufstockung um 2.500 auf 8.500 Mann): Außenminister Fischer: Er hoffe, dass dies der letzte Krieg in Europa sei. Jetzt dürfe Krieg nicht wieder Mittel der Politik sein. Es müsse das Bemühen sein, ihn aus Europa zu verbannen. Die Doppelstrategie sei konsequent durchgehalten worden. Um wieviel schlimmer wären die Folgen gewesen, „wenn wir weggeschaut hätten – die Herrschaft der Gewalt hätte sich durchgesetzt. (ca. zehn Mal Beifall von fast allen) Laut meinen persönlichen Aufzeichnungen war es ein „Vormittag der brennenden Augen“.[3] Der Bundestag stimmt dem neuen KFOR-Mandat mit der übergroßen Mehrheit von 505 Ja-Stimmen bei 24 Nein-Stimmen und 11 Enthaltungen zu.

Um 13.55 Uhr steht der Bundestagsbeschluss, um 14.03 ist das Bundeswehrkontingent KFOR unterstellt.

Die politische Erleichterung ist riesig. In den Fraktionen rücken sofort die vielen anderen Politikthemen nach vorn, die seit Wochen wegen der Fokussierung auf den Kosovokrieg hatten zurückstehen müssen.

Der Verteidigungsausschuss bleibt dran, wird über den Einmarsch und die enormen Herausforderungen der ersten Wochen unterrichtet. Im Oktober 1999 besuchen die Obleute des Verteidigungsausschusses erstmalig das Kosovo und KFOR. Wir sprechen ausführlich mit General Klaus Reinhardt, dem ersten deutschen COMKFOR, mit der UNMIK-Führung und dem Chef der UNMIK-Police, mit dem Kommandeur der Multinationalen Brigade Süd und besuchen das russische Fallschirmjäger-Bataillon in Malisevo und das Einsatzunterstützungsregiment Erebino in Mazedonien. So bekommen wir eindringliche Eindrücke von der komplexen Lage und der klugen Auftragserfüllung durch KFOR.

Eine plastische Vorstellung vom Einsatz des 1. KFOR-Kontingents erhielt ich aber erst durch die hervorragende Bild-Dokumentation der Task Force Prizren:

- In voller Gefechtsbereitschaft der Marsch ins Ungewisse – musste der Waffenstillstand, der vereinbarte Abzug der serbischen Kräfte etwa erkämpft werden?

- Die vielen Spuren von Zerstörungen, Gewalt und Grausamkeiten.

- Der Jubel der dankbaren kosovoalbanischen Bevölkerung.

- Die Racheakte, Brandstiftungen, unglaublichen Grausamkeiten zwischen den Volksgruppen.

- Die vielen konfrontativen Situationen mit Bewaffneten der Kriegsparteien, wo mit Entschlossenheit und Besonnenheit unabsehbare Explosionen verhindert werden konnten.

- Die schnell zurückflutenden Flüchtlingsmassen und die plötzliche Ausweitung des KFOR-Auftrages, die Allzuständigkeit von KFOR für öffentliche Ordnung.

Mit den vielen Bildern, Dokumenten, ungeschminkten Erfahrungsberichten aus verschiedenen Perspektiven und zeitlichen Abständen (damals und heute) ist die Bild-Dokumentation „Einsatz für den Frieden im Kosovo“ des vstkMechBataillon KFOR 1999 eine Publikation, die bundesweit wohl einzigartig ist und eine breite Leserschaft verdient. Sie ist ein fakten- und facettenreiches Zeugnis einer Gemeinschaftsleistung deutscher KFOR-Soldaten, Musterbeispiel eines Einsatzes zum Schutz von Zivilbevölkerung, von Auftragstaktik und Führen von vorne, von einsatzfähigen und einsatzfreudigen Staatsbürgern in Uniform.

Die später auch aus Afghanistan und anderen Konfliktregionen berichtende Spiegel-Reporterin Susanne Koelbl beobachtete 1999 beim deutschen KFOR-Kontingent eine „elektrisierende Spannung“ und „glühenden Eifer der Soldaten, die in diesem Chaos virtuos improvisierten und einen beeindruckenden Balanceakt zwischen Sensibilität und Stärke demonstrierten.“

Bilanz

Am 4. Oktober 2018 wurde Camp Prizren an die kosovarische Seite übergeben. Damit endete der deutsche Großeinsatz bei KFOR, wo nur noch ca. 70 Bundeswehrsoldaten verblieben.  Dieser Schritt war eine historische Zäsur, eine Gelegenheit, an den bisher längsten Auslandseinsatz der Bundeswehr zu erinnern, der seit Jahren auch in der Bundeswehr als „vergessener Einsatz“ gilt. Völlig zu Unrecht!

Unbestreitbar war der KFOR-Einsatz der Bundeswehr erfolgreich! Der militärische Kernauftrag – Absicherung der Friedensregelungen, Förderung eines sicheren Umfelds für die Flüchtlingsrückkehr – wurde erfüllt. Verhindert wurde ein befürchtetes „zweites Bosnien“. Gestoppt wurde die in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf dem Balkan grassierende Kriegsseuche. Ich erinnere mich deutlich, dass damals die akute Gefahr eines kriegerischen Flächenbrandes gesehen wurde.[4]

Dass im Kosovo weiterhin viel Arbeits- und Perspektivlosigkeit herrscht, dass Korruption und Organisierte Kriminalität verbreitet sind, ist unübersehbar, lag aber außerhalb der Wirkungsmöglichkeiten von KFOR.

Weil die Übergabe von Camp Prizren nur im Kosovo breite und dankbare Resonanz fand, aber nicht in Deutschland, wandte ich mich brieflich an den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn:

„Abertausende deutsche KFOR-Soldatinnen und Soldaten haben zusammen mit Kameraden vieler anderer Nationen Rückfälle in den Krieg verhindert und Stabilität gefördert. Sie taten das mit hohem Einsatz, Entschiedenheit und viel Klugheit. Sie haben damit Menschenleben gerettet, menschliches Leid gemindert und zu einem friedlicheren Zusammenleben der Volksgruppen beigetragen.

Die über 130.000 deutschen KFOR-Soldaten haben sich um die Menschen im Kosovo und Westbalkan, um Frieden und Sicherheit in Europa in hohem Maße verdient gemacht. Die KFOR-Veteranen können stolz auf ihren Einsatz sein.

Sie verdienen Aufmerksamkeit, hohe Anerkennung und herzlichen Dank von Seiten der politischen Auftraggeber, aber auch der Gesellschaft insgesamt. Ihre Leistungen sind beispielhaft und ein Eckstein der bundeswehreigenen Tradition.“

Vor diesem Hintergrund möchte ich insbesondere den KFOR-Veteranen des Panzergrenadierbataillons 112 und der Panzerbrigade 12 insgesamt für ihre herausragende Einsatzleistung danken. Es war die Leistung der Truppe vor Ort, dass der Ersteinsatz der Task Force PRIZREN gelang und die Voraussetzungen dafür schuf, dass die Kette der folgenden Kontingente ihren Auftrag erfüllen konnten. (Nach den Märzunruhen 2004 gelang es dem wesentlich von der Panzerbrigade 12 gestellten 9. Deutschen KFOR-Kontingents, die Lage wieder zu stabilisieren, die KFOR-Fähigkeiten gegenüber gewalttätigen Demonstrationen zu verbessern und Vertrauen zurückzugewinnen.)

Um den 12 Juni diesen Jahres herum waren die 20 Jahre KFOR im politischen Berlin und in den Tagesmedien praktisch kein Thema. Nur am „Tag der Einsatzveteranen“ am 21. Juni demonstrierten am Reichstagsgebäude in Berlin rund vierzig Veteranen mit dem Transparent „20 Jahre KFOR-Einsatz – Dank für Euren Dienst![5]

So ein Licht wie der KFOR-Einsatz gehört nicht unter den Scheffel, sondern in das Bewusstsein von Bevölkerung und Politik!

Umso wichtiger ist das Kameradschaftstreffen an diesem Wochenende und der neu aufgelegte und erweiterte Bildband. Großen Dank, Oberst Maximilian Eder, für Ihre tolle Herausgeberleistung!

Mit dem Beirat Innere Führung werden wir weiterhin darauf drängen, dass die Gemeinschaftsleistung  der über 130.000 KFOR Veteranen gebührend wahrgenommen und gewürdigt wird.“

General Erhard Bühler, Befehlshaber des Allied Joint Forces Command der NATO in Brunssum: Rückblick KFOR 1999

General Bühler ist der Region besonders verbunden. Am Arber lernte er Skifahren. In dieser Region war er auch Brigade- und Divisionskommandeur. Im Kosovo war er insgesamt ein Jahr und acht Monate im Einsatz, erst als Führer des 9. Deutschen KFOR-Kontingents nach den Märzunruhen 2004, dann 2010/11 als COMKFOR. (Im Sommer 2011 verzichtete Bühler angesichts brisanter Unruhen im Kosovo auf die militärische Räumung von Blockaden und erreichte im Grenzkonflikt mit Serbien eine Verhandlungslösung.[6]) Als Referent bei Staatssekretär Wichert 1999 bekam er die Besprechungen auf hoher politischer und militärischer Ebene mit, zum Beispiel am 24. März mit Bundeskanzler, Außen- und Verteidigungsminister, als der NATO-Luftkrieg begann. Damals waren alle der Auffassung, dass es nur ein, zwei Tage dauern würde. Es wurden dann aber 78 Tage mit 40.000 Einsatzflügen, davon 500 der deutschen Luftwaffe, die ca. 200 Harm-Flugkörper verschoss. Erstaunlich war, dass viel weniger militärisches Potenzial auf serbischer Seite zerstört wurde, als unmittelbar nach den Operationen gemeldet worden war. Vorgaben für die Luftangriffe waren: keine eigenen Opfer, möglichst wenig Zivilopfer. Ersteres wurde erreicht, das Zweite nicht. Er erinnert an den Beschuss eines Schnellzuges auf der Moravabrücke (12.04.1999, 14 Tote), eines Flüchtlingskonvois (14.04. bei Dakovica, 73 Toten) und die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad (07.05., drei getötete chinesische Journalisten).

Dass Milosevic schließlich einlenkte, war wohl der russischen Position geschuldet. Im Mai 1999 war nicht auszuschließen, dass der Einsatz der Extraction/Kosovo Force nicht in einen Stabilisierungs-, sondern in einen Bodenkampfeinsatz mit 100.000 Soldaten gemündet wäre.

KFOR insgesamt sei ein Erfolg gewesen – mit Rückschlägen 2004 (Märzunruhen) und 2011. Beide Male gehörte zum Kontext, dass KFOR reduziert wurde – nicht condition based, sondern wegen der Priorisierung des Irakeinsatzes, auf den Kräfte konzentriert wurden.

Die Lage im Kosovo heute sei nicht vergleichbar mit Kosovo damals. Enorme Fortschritte habe es vor allem auf dem Feld der Sicherheit, der Polizei gegeben. Aber viel gebe es noch zu tun. Eine geringe KFOR-Zahl sei noch einige Jahre nötig.

Warum noch keine nachhaltige Stabilität erreicht sei? Es gebe keine Versöhnung, auf keiner Seite. Und die europäische Perspektive: Bisher gebe es keine Visafreiheit für die Kosovaren. Die sei aber gerade für junge Menschen nötig, wo ungefähr die Hälfte der Bevölkerung jünger als 25 Jahre sei.

Video über den Einmarsch der KFOR-Bodentruppen 1999, Bundeswehr,[7]

Militärgeneralvikar Msgr. Reinhold Bartmann: Rückblick KFOR 1999

Msgr. Bartmann ist Priester der Diözese Regensburg und Leiter des Katholischen Militärbischofsamtes. Als Militärpfarrer war er 420 Tage auf dem Balkan tätig, 1996 und 1998 in Bosnien, vom 24. März bis 29. Juli 1999 bei KVM/KFOR in Mazedonien, Albanien und Kosovo.

Als Militärpfarrer bewege er sich zwischen zwei Welten. Der Grenzübergang Blace/ Mazedonien war der Endpunkt der Vertreibungen aus dem Kosovo. Dort wurden die Flüchtlinge „hingeschüttet“. Der Staat Mazedonien hatte an ihnen keinerlei Interesse.

In Skopje wurden deutsche Truppen mit Steinen beworfen.

Deutsche Soldaten unterstützen den Aufbau von Flüchtlingslagern. Cegrane wuchs in kurzer Zeit von null auf 40.000. Er erinnert sich an einen Besuch von Außenminister Fischer und seine Worte, er habe nie gedacht, dass er einmal sagen würde, dass er stolz auf deutsche Soldaten sei.

Der Aufwuchs an Material und Personal ging weiter.

Die Flüchtlingslager wären nicht über die Zeit gekommen ohne Ihre große Leistung!

Der Einmarsch lief glimpflich ab. Dann die Aufgaben: für Recht und Ordnung sorgen, Bewältigung der Flüchtlingsrückkehr, Verhinderung von Rache und Gewalttaten. Die Soldaten zeigten Umsicht und beachteten die Grundwerte. Seitens deutscher Soldaten gab es keinerlei Gräueltaten. Wenn sie Gewalt einsetzten, dann sei es angebracht gewesen.

Erinnert sei an die Toten: Oberstabsarzt Sven Eckelmann, der am 30.05.1999 in Durres/Albanien mit seinem Transportpanzer Fuchs tödlich verunglückte. Stabsunteroffizier Jacqueline Lenekamp war die erste, die im Kosovo beim Einmarsch eine Leiche abtransportieren musste. (am 13. Juni einen am Dulje-Pass mit zwei Kollegen erschossenen Stern-Reporter)

Den Menschen im Kosovo wurde eine Chance gegeben – und den nachfolgenden Kontingenten die Möglichkeit, ein stabiles Zusammenleben zu fördern. Das erste Kontingent legte den Grund dafür. Stabilität brauche noch weiter Begleitung. Die europäischen Staaten seien als erste dazu verpflichtet.

„Seien Sie stolz auf das, was Sie geleistet haben.“

Bei uns habe es damals die Angst gegeben, was mit den Flüchtlingen würde, wenn der Krieg nicht im Sommer beendet wäre, wenn der Winter käme. Cegrane wäre weggeschwemmt worden!

Seine sehr persönliche Rede schließt Msgr. Bartmann mit dem Satz:

Pfarrer, ich soag da oans, gleich woas kimmt oder woas passiert, Hauptsach mir san zum Pichelstoaner dahoam!!
(Übersetzung: Pfarrer, gleich was noch kommt oder was uns widerfährt, Hauptsache wir sind zum Pichelsteiner Fest wieder daheim in Regen.)

(Wieder-)Begegnungen

Reden können über Einsatzerfahrungen, die einschneidend waren und prägten, die einen nicht loslassen - mit Angehörigen, Bekannten? Am ehesten mit Kameraden. Dazu bestand nach den Reden, beim Pichelsteinerfest, bei den Stationen Puma und Geschichtsraum, beim Weißwurstessen  reichlich Gelegenheit.

Ich begegne etlichen derjenigen, die im Bildband als Zeitzeugen aus damaliger und heutiger Sicht lebhaft berichten und mit Lob und Kritik nicht hinterm Berg hielten. Ihre Erinnerungen bekommen so für mich Gesicht und Glaubwürdigkeit.

Immer wieder heißt es, der Einsatz mit dem 1. KFOR-Kontingent sei im Vergleich zu allen anderen Einsätzen – auch in Afghanistan – einzigartig und besonders prägend gewesen: Die schnellen Veränderungen einer komplexen Lage, die Vielfalt an Aufgaben, für die es keine standardisierten Verfahren gab, das extreme Spektrum an Erlebnissen, Erfahrungen und Gefühlen. Zerstörungen überall, Massengräber mit getöteten Frauen Männern und Kindern, grausame Rachemorde und blanker Hass. Und dann beim Einrücken jubelnde Menschenmengen, dankbares Händeschütteln, strahlende Kinderaugen. Schließlich in der Truppe der einzigartige Zusammenhalt, wo die Soldaten an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit gingen und darüber hinaus. Der niederländische Kommandeur, der auch den ihm unterstellten deutschen Soldaten Heimatanrufe per Satellitentelefon ermöglicht. Ein Einsatz, der ihnen – so ihr Kommandeur – trotz aller Strapazen und Entbehrungen sehr viel gegeben habe – an Erfahrungen, Lebensreife und Erfüllung.

Ein Offizier bilanziert: „Mit dem Aufwand, den Entbehrungen, unserem professionellen Engagement und unserem ganz persönlichen Einsatz haben wir den ethnischen Säuberungen und der grausamen Vernichtung von Menschenleben in unserer Nachbarschaft Einhalt geboten.“ (Bild-Dokumentation 2019, S. 260)

Ein anderer: „Nach meiner Überzeugung haben viele Einsatzsoldaten nach der Rückkehr ein anderes Koordinatensystem und einen neuen Maßstab mitgebracht, um ihr Leben und unsere Gesellschaft zu reflektieren! Was ist wirklich wichtig (…)!“ (S.243) „Was auf ewig bleibt und nicht vergessen wird: Das Erleben von Kameradschaft, das schnelle Zusammenwachsen einer Task Force und die Bereitschaft, an eigene Grenzen zu gehen, weil das Ziel und die Aufgabe überzeugen, bleibt in besonderer Erinnerung. Daran ändern auch unterschiedliche Ansichten, die eine oder andere kontroverse Bewertung (…) nichts. Die Fähigkeit, für völlig neue Herausforderungen und Aufgabenstellungen Problemlösungen zu entwickeln und in Handeln umzusetzen, habe ich in besonderer Erinnerung. (…) Zusammenhängende Operationen größerer Manöverelemente gab es nach dem Einmarsch nicht mehr. (…) „It`s a sergeant war“. Patrouillen  waren das entscheidende Manöverelement, deren Führer oft die personifizierte Repräsentanz von KFOR in ihren jeweiligen Einsatzräumen. (…) Das Führungsprinzip Auftragstaktik zusammen mit einer entwickelten Führungskultur (Initiative, Verantwortungsbereitschaft, Entschlusskraft, Zuversicht, Mut, Zusammenhalt sowie Rückhalt von seinen Vorgesetzten), eine entsprechende Erziehung und Ausbildung der Truppe und ein gewachsenes gegenseitiges Vertrauen zwischen Führern und Geführten waren die Basis dafür, dass die Task Force ihre Aufgabe in überdehnten Einsatzräumen und bei insgesamt nur bedingt hinreichenden Kräften erfüllen konnte.“ (S. 245)

Auch wenn ich mich wiederhole: Die Bild-Dokumentation „DIENEN FÜR DEN FRIEDEN IM KOSOVO“ ist dringend zu empfehlen!

Ebenfalls zu empfehlen sind zwei weitere NEUERSCHEINUNGEN zum Kosovoeinsatz:

  • Werner Pfeil, Ein Sommertag im Krieg – Mein D-Day im Kosovo, lau Verlag Reinbek 2019. Der Autor war 1978 bis 2010 Berufssoldat und seit 1996 bei Einsätzen in Bosnien, Kosovo und Afghanistan dabei. Sein KVM/KFOR-Einsatz begann Ende Februar in Griechenland, wo er – wie danach auch in Mazedonien – viele Proteste gegen die aufwachsende NATO-Truppe erlebte. Am Einmarsch in das Kosovo war der Augustdorfer im Rahmen der Vorhut des verstärkten Jägerbataillons von Albanien aus als Kommandant eines Transportpanzers Fuchs beteiligt. Auf Basis seiner Tagebuchaufzeichnungen schildert er sehr konkret und reflektiert die Einsatzwirklichkeit in ihrer ganzen Breite – und auch seine Ängste bei verschiedenen Gelegenheiten. Die Intensiverfahrung eines Soldaten ergänzt sehr gut die multiperspektivische Bild-Dokumentation.
  • Hans-Peter Kriemann, Der Kosovokrieg 1999, Reclam Ditzingen 2019. Das Buch basiert auf der Dissertation des am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) wirkenden Oberstleutnant. Der Autor schildert genau und mit unabhängigem Urteil die politischen, diplomatischen, militärischen und gesellschaftlichen Hintergründe und Abläufe der NATO-Intervention in Jugoslawien und der deutschen Beteiligung daran. Erstmalig bekommt hiermit eine breitere Öffentlichkeit Einblicke in die militärischen Planungen in der NATO, im Vorfeld der Intervention ab Ende Mai 1998  und nach sechs Wochen Luftkrieg ab Mai 1999 zu einer umfassenden Bodenoffensive. Offen benannt werden politische Zielkonflikte, Differenzen zwischen Verbündeten und Fehleinschätzungen bezüglich der Wirksamkeit eines „dosierten“ Luftkrieges unter Vermeidung eigener Opfer. Differenziert eingegangen wird auch auf damals verbreitete Vorwürfe gegen die Glaubwürdigkeit der westlichen und deutschen Kosovopolitik. Sehr deutlich wird die Initiativrolle der deutschen Diplomatie („Fischer-Plan“) bei der Suche nach einer politischen Konfliktlösung unter Wiedereinbeziehung Russlands, die auf Seiten der Verbündeten wie Russlands Widerhall fand und letztendlich erfolgreich war. Die wachsenden Zweifel und Proteste in Deutschland insbesondere bei den Grünen wirkten auf den ersten grünen Außenminister wie ein stürmischer Rückenwind (mit dem hohen Risiko, dadurch aus dem Gleis geworfen zu werden). Das reich illustrierte, gut lesbare Buch bringt eine Fülle von Sachinformationen und neuen Einblicken. Manchen Zeitgenossen mag eine Militärintervention als ein Mittel erscheinen, mit überlegener Militärgewalt einen Konfliktknoten durchschlagen zu können. „Der Kosovokrieg 1999“ verdeutlicht, dass auch moderne militärische Planungskompetenz die Unberechenbarkeit eines Krieges („Nebel des Krieges“) nicht abschaffen kann und dass eine multinationale Intervention mit so ungleichen Partnern und nationalen Öffentlichkeiten zusätzliche Unberechenbarkeiten produziert. Wo die Erinnerung an den Kosovokrieg – soweit überhaupt vorhanden – oftmals in damaligen Frontstellungen verharrt, bietet das Buch die einmalige Gelegenheit zur Selbstüberprüfung bisheriger Position – und insbesondere zum Lernen aus einer Zäsur europäischer und  deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. (Vom ZMSBw erhalte ich zehn Exemplare des Buches zur Verteilung an KFOR-Veteranen)

Weitere Informationen:

Als der Krieg nach Europa zurückkehrte: Berichte + Stellungnahmen zu den  Balkan-Kriegen und -Einsätzen (v.a. Kosovo) 1995-2019 von W. Nachtwei, Juli 2019, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1592

Ende des Kosovokrieges + Beginn des KFOR-Einsatzes vor 20 Jahren: Veranstaltungen und Publikationen, 18. Juni 2019, www.nachwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1594



[1] W. Nachtwei, Rückblende Kosovo 20 Jahre I, Persönliche Aufzeichnungen aus Bundestag und Fraktion Mai bis Oktober 1998, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1553 

[2] Rückblende Kosovo 20 Jahre IV, V, Persönliche Aufzeichnungen 28. März, 7, April 2019 http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1581  

[3] Rückblende Kosovo 20 Jahre VI, Persönliche Aufzeichnungen Juni bis September 2019, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1581

[4] W. Nachtwei, Vergessener Kosovo-Einsatz? Bloß nicht! 20 Jahre KFOR: erfolgreiche multinationale Kriegsverhütung und Friedenssicherung in Europa (VII), Vortrag beim Einsatzführungskommando, Februar 2019, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1588

[5] W. Nachtwei, Gelungene Friedenssicherung – nichts wert?„Fremde-Federn“-Kommentar in der FAZ 28.06.2019,www.nachwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1595  :

Ende des Kosovokrieges + Beginn des KFOR-Einsatzes vor 20 Jahren: Veranstaltungen und Publikationen, 18. Juni 2019, www.nachwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1594

[6] Deutscher General löst Grenzkonflikt im Kosovo, Hannoversche Allgemeine 05.08.2011,

https://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Deutscher-General-loest-Grenzkonflikt-im-Kosovo

[7] Bundeswehr, Einmarsch der KFOR-Bodentruppen in das Kosovo, 12.07.2019, 7:57, Classix , https://www.youtube.com/watch?v=I4PIlf8qrm8