KFOR ist mit 18 Jahren der längste deutsche Auslandseinsatz. Dazu ein Interview mit mir auf bundeswehr.de sowie zwei Stellungnahmen von mir zur allerersten KFOR-Truppe im Februar 1999 und nach Ende des NATO-Luftkrieges gegen Serbien Ende August 1999.
Interview zu 18 Jahren deutsche Beteiligung an KFOR im Kosovo (und zwei Stellungnahmen zum Kosovo-Einsatz von 1999: allererster KFOR-Beschluss + Lehren des Kosovo-Krieges)
„´Nachtwei: KFOR darf kein vergessener Einsatz sein.` Der Kosovo-Einsatz gestern und heute: Der frühere Bundestagsabgeordnete und Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei lässt die KFOR-Mission im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr ( http://bundeswehr.de ) Revue passieren.“
1999 umfasste das Bundeswehrkontingent bei KFOR mehr als 6.000 Soldaten, heute rund 520. Ende 2018 endet die Nutzung des Feldlagers Prizren. Die Liegenschaft wird dann UNMIK übergeben.
Als Mitglied der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und des Verteidigungsausschusses hatte ich ab 1997/98 intensiver mit dem Kosovo-Konflikt zu tun. Seit 1999 besuchte ich das Kosovo über zehn Mal, zum Beispiel
- im Oktober 1999 2. KFOR Kontingent,
- im Dezember 2002 mit den Obleuten des Verteidigungsausschuss mit Minister Struck, http://nachtwei.de/druck/druck%20Besuch%20bei%20KFOR%20im%20Kosovo%20im%20Dezember%202002.htm
- Ende Oktober 2003 Studienfahrt „Friedensarbeit auf dem Balkan, Kosovo und Mazedonien,
- im März 2004 bei deutschen Polizisten in Bosnien und Kosovo unmittelbar zu Beginn der Startphase der Märzunruhen, http://nachtwei.de/downloads/civpol_eu_un_04_2004.pdf
- nach der Unabhängigkeitserklärung 2008, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=11&aid=698
- Zuletzt im Februar 2011 mit dem Beirat Innere Führung, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1036
Hier zwei Stellungnahmen von 1999
(1) Vom Februar 1999 während der Rambouillet-Verhandlungen und vor dem am 24. März beginnenden NATO-Luftkrieg gegen Serbien; das Mandat für die KFOR-Truppe nach Kriegsende am 9. Juni verabschiedete der Bundestag am 11. Juni 1999, Obergrenze 8.500.
(2) „Abschreckendes Beispiel: Folgen und Bilanz des Kosovo-Krieges, 30. August 1999
Kosovo-Einsatz der Bundeswehr:
Notwendige Friedenstruppe oder
Interventionstruppe gegen Serbien?
Winfried Nachtwei, MdB (28.02.1999)
Am 25. Februar beschloss der Bundestag mit 556 Ja-Stimmen, 42 Nein-Stimmen und zehn Enthaltungen die Beteiligung der Bundeswehr an der militärischen Umsetzung eines Kosovo-Abkommens sowie an NATO-Operationen im Rahmen der Notfalltruppe (Extraction Force).
Mit 38 Mitgliedern der bündnisgrünen Fraktion votierten wir für den Antrag der Bundesregierung, fünf KollegInnen stimmten dagegen, eine enthielt sich.
Damit ist parlamentarisch grünes Licht gegeben für den bisher größten, massivsten und laut Minister Scharping riskantesten Auslandseinsatz der Bundeswehr.
Nicht wenige unserer WählerInnen, Grünen-Mitglieder und FreundInnen in Friedensorganisationen werden fragen, was uns Abgeordnete der Bündnisgrünen dazu gebracht hat, einem solchen Einsatz zuzustimmen: Ehrliche Überzeugung und Einsicht in die Notwendigkeit oder nur Koalitionsdisziplin und Streben nach Machterhalt?
Für unsere Entscheidung sind eindeutig friedenspolitische Argumente ausschlaggebend.
Der Beschluss
4.500 Bundeswehrsoldaten werden Richtung Kosovo entsandt, um
(a) nach Unterzeichnung eines Friedensabkommens zum Kosovo und mit Zustimmung der Bundesrepublik Jugoslawien als Teil von K(osovo)FOR(ce) die militärische Absicherung des Abkommens zu garantieren;
(b) die Notfalltruppe in Mazedonien für den Schlimmstfall einer Totalevakuierung der OSZE-Mission unter unfriedlichen Bedingungen zu verstärken.
Ausgestattet ist die Truppe u.a. mit 25 Leopard-2-Panzern und Schützenpanzern.
Laut Protokollnotiz der Außen- und Verteidigungsminister zum Beschluss ist eindeutig klargestellt, dass die Truppe als Friedenstruppe nur mit Zustimmung der Konfliktparteien und nach Vertragsunterzeichnung und im Rahmen der Notfalltruppe nur für zeitlich eng begrenzte Evakuierungsoperationen zum Einsatz kommen darf. Eine Auftragsausweitung durch die Hintertür, nämlich die Verwendung für eine Bodenintervention im Zusammenhang mit Luftschlägen, ist ausdrücklich ausgeschlossen.
Weil gegenwärtig das beabsichtigte Abkommen nur in Grundrissen bekannt ist, aber noch nicht vorliegt, hat die Bundesregierung zugesagt, den Bundestag nach Vertragsunterzeichnung umfassend und unverzüglich zu unterrichten und ihn erneut zu befassen, das heißt einen Beschluss fassen zu lassen.
Stellungnahme
(1) Was bisher erreicht wurde
Manche Kommentatoren sprechen vorschnell von einem Scheitern der Rambouillet-Verhandlungen. In der Tat kann niemand garantieren, daß es am 15. März zur Vertragsunterzeichnung kommt. Entgegen manchem Propagandadonner auf serbischer und kosovo-albanischer Seite ist ein Vertrag aber in greifbarer Nähe.
Die bisherigen, wenn auch vorläufigen Verhandlungserfolge sind enorm:
Durchgesetzt wurde ein von der Balkan-Kontaktgruppe (D, GB, FR, IT, RU, USA) getragener multilateraler Verhandlungsprozess. Abgewehrt wurde damit das US-Ansinnen, unilateral mit Hilfe der NATO mit Luftangriffen „einzusteigen“ und dann weiterzusehen. Im Gegensatz zur Lage im Herbst (NATO-Drohung mit Luftangriffen) und im Dezember (Irak) ist Rußland nun wieder mit im Boot. Damit haben sich die Chancen für ein UN-Mandat wieder entscheidend verbessert.
Das heißt: Zumindest vorläufig wurde eine große Chance zum Frieden in Kosovo eröffnet, wurde ein Luftkrieg gegen Serbien verhindert, wurden wichtige Schritte zurück zum Multilateralismus getan. Hierbei hat der deutsche Außenminister Joschka Fischer eine entscheidende Rolle gespielt und damit hervorragend praktische Friedenspolitik betrieben. Daß dies in den Medien kaum zur Geltung kommt, liegt an der diplomatischen Zurückhaltung, die angesichts verbreiteten Prestigegerangels zwischen verschiedenen Staaten angesagt ist.
(2) Es geht um eine Friedenstruppe für den Kosovo. Das ist keine Orwell’sche Sprachver-
drehung, sondern Tatsache. In Bosnien haben wir erfahren (müssen), dass eine solche friedensbewahrende Truppe unverzichtbar ist, um Kriegsparteien auseinander zu halten.
Dasselbe gilt für den Kosovo. Ohne KFOR bliebe das Abkommen bloßes Papier, würde es keinen Aufbau einer tragfähigen zivilen Ordnung geben, ja würde erst gar kein Abkommen zustande kommen. Die Konsequenzen wären absehbar: Verschärfung der Kämpfe mit katastrophalen humanitären Folgen und wahrscheinlich Luftangriffe der NATO.
Aus der bedeutenden Rolle Deutschlands in der Kontaktgruppe resultiert ein entsprechender Beitrag zur Friedenstruppe. Im Unterschied zu Bosnien übernimmt Deutschland erstmalig die Führung in einem - von insgesamt fünf – Sektoren im Süden des Landes. Zusammen mit den anderen Kontingenten (Luftüberwachung, Evakuierung, Luftwaffe) kämen damit im Raum Kosovo bis zu 6.000 Bundeswehrsoldaten zum Einsatz. In Bosnien sind es zur Zeit 2.800. Der Einsatz kostet über 600 Mio. DM in den nächsten 12 Monaten und wird mindestens über die ganze Interimsperiode von drei Jahren gehen.
Die Situation im Kosovo gilt als riskanter, weil hier beide Seiten einen Totalanspruch auf das Land erheben, sich die militärische Konfliktaustragung noch in einem relativ frühen Stadium befindet und von „Kriegsmüdigkeit“ keine Rede sein kann. Zudem gibt es keine Front und klare Trennungslinien zwischen den Konfliktparteien. Vor allem die UCK ist wegen ihrer wenig hierarchischen Struktur besonders unberechenbar.
(3) Völkerrechtliche Grundlage: Wenn die Bundesrepublik Jugoslawien dem Abkommen und damit der Stationierung der Friedenstruppe zustimmt, ist ihr Einsatz völkerrechtlich unproblematisch. Nichtsdestoweniger wird mit dem Abkommen der „Sicherheitsrat der UN ersucht, eine Resolution mit dem entsprechenden Mandat für eine multinationale Friedenstruppe zu verabschieden.“ (Bundestagsbeschluss) Wenn Rußland als Mitglied der Kontaktgruppe das Abkommen mitträgt, dürfte ein UN-Mandat kein sonderliches Problem mehr sein. Dass der UN-Sicherheitsrat am letzten Verhandlungstag in Rambouillet einstimmig im Sinne der Kontaktgruppe Stellung nahm, stimmt ebenfalls hoffnungsvoll.
(4) Der Entsendebeschluss musste jetzt gefällt werden. Ohne die klare Ankündigung von KFOR würden die Kosovo-Albaner nicht unterschreiben, d.h. ihrer Entwaffnung zustimmen.
Ohne klare und geschlossene KFOR-Ankündigung brauchte die serbische Seite den Willen der Kontaktgruppe zum Vertrag und seiner vollständigen und schnellen Implementierung nicht ernst zu nehmen. Andere Mittel wie politischer und wirtschaftlicher Druck können KFOR nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Ohne den jetzigen Beschluss wäre der deutsche Beitrag im Gegensatz zu dem aller anderen beteiligten Staaten nur angekündigt, aber nicht real einplanbar. Das aber würde die besonders gefährliche Übergangsphase zwischen Unterzeichnung und Implementierung verlängern.
Wir wissen um die sträflichen Versäumnisse der sogenannten internationalen Staatengemeinschaft gegenüber dem Kosovo-Konflikt in den letzten Jahren. Aber verglichen mit Bosnien sind die militärischen Auseinandersetzungen im Kosovo noch längst nicht soweit eskaliert, kann der bewaffnete Konflikt noch in einem relativ frühen Stadium gestoppt werden.
(5) NATO-Führung der Friedenstruppe: Wir fänden eine Führung durch die UN grundsätzlich besser und treten deshalb auch für eine Stärkung der UN und OSZE ein. Erste Schritte dazu hat die neue Bundesregierung getan. Vorläufig ist aber eine Führung solcher Großoperationen durch die UN nicht realisierbar: Sie verfügt nicht über entsprechende Führungs- und Kommandostrukturen und hat vorläufig wegen des UNPROFOR-Desasters auf dem Balkan kaum politische Autorität.
Insofern gibt es gegenwärtig zu einer NATO-geführten Operation keine reale Alternative.
Allerdings soll sie offen sein für Nicht-NATO-Mitglieder wie schon seit Jahren SFOR/IFOR in Bosnien, wo 1.500 russische Soldaten im amerikanischen Sektor agieren.
(6) Politisches Konzept: Die vorrangige Debatte um die militärischen Implementierung eines Kosovo-Abkommens darf nicht den Eindruck erwecken, als gebe es hier einen Primat des Militärischen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Friedenstruppe soll nur die Voraussetzung schaffen, daß die bisher schon recht detailliert verhandelte Übergangsordnung schrittweise in den nächsten drei Jahren aufgebaut werden kann. Hierbei kommt der OSZE eine entscheidende Rolle zu. Die neue Bundesregierung ist sich sehr bewusst, dass über den Kosovo hinaus ein kohärentes politisches Konzept für die ganze Region entwickelt werden muss. Dies alles hat das langfristige Engagement vor allem der europäischen Staaten zur Voraussetzung.
Eine solche nüchterne, vorausschauende und politisch-konzeptionelle Haltung war bei der früheren Bundesregierung nie zu spüren.
(vgl. die Bundestagsreden des Außen- und des Verteidigungsministers vom 25. Februar)
(7) Ungewissheiten und Risiken: Was geschieht, wenn der Vertrag am/nach dem 15. März nicht unterzeichnet wird?
Wenn es zu US-/NATO-Luftangriffen käme, könnten sich diese nur gegen das serbische Militär richten, würden sie somit zur Luftwaffe der UCK. Ob sie in der Lage wären, das politische Verhalten der serbischen Führung in Richtung Friedensverhandlungen zu beeinflussen, muß nach allen Erfahrungen mit der politischen Wirkung von Luftangriffen (zuletzt Irak) bezweifelt werden. Und was dann?
Parallel zur Aufnahme von Polen, Tschechien und Ungarn würde das Verhältnis zwischen Rußland und NATO massiv beeinträchtigt.
Käme es zu keinen Luftangriffen, ist die Eskalation des Bodenkrieges angesichts der zwischenzeitlichen Aufrüstung der UCK vorprogrammiert. Die Massenflucht, die humanitäre Katastrophe nähme ihren Lauf unter den Augen der hochgerüsteten Extraction Force jenseits der Grenze in Makedonien und unter den Augen der Weltmedien. Was dann? Würde dann die heutigen Positionen aller jetzt an KFOR beteiligten Staaten („kein Erzwingungseinsatz mit Bodentruppen“) und die klare Beschlußlage des Bundestages noch halten? Wäre das die Rutschbahn in die Bodenintervention, in den Sumpf eines neuen Balkankrieges?
Gerade wegen dieser unsicheren und brandgefährlichen Perspektiven ist es so enorm wichtig, dass das Abkommen zustande kommt und die Implementierung schnell beginnen kann.
(8) Die besondere Verantwortung einer Regierungsfraktion: In der Opposition kann man sich gegebenenfalls damit begnügen, Fehler der Vergangenheit oder einzelne Aspekte zu kritisieren und das Wünschenswerte zu fordern. In der Regierung sollte man das auch im Blick haben. Vor allem aber muß man sich hier und jetzt unter den gegebenen Bedingungen und angesichts der vorliegenden Alternativen verhalten, steht man nun in der Mitverantwortung für Menschenleben und für Krieg und Frieden.
Neben die Frage nach den politischen Grundsätzen und Zielen unserer Politik tritt nun unausweichlich die nach ihren Konsequenzen. Insofern ist auch eine persönliche KDV-Entscheidung, wo junge Männer nur für sich selbst Verantwortung übernehmen, nicht einfach auf die politische Ebene zu übertragen, wo wir Verantwortung für andere tragen.
Nach intensiver Prüfung sind wir überzeugt: zu KFOR gibt es keine nichtmilitärischen, sondern nur offen kriegerische Alternativen: Eskalation des Bodenkrieges oder Luftangriffe auf Serbien, Krieg mit Serbien. Auch Gegner des KFOR-Einsatzes konnten uns keine nichtmilitärischen Alternativen nennen.
Eine Ablehnung eines deutschen KFOR-Beitrages aus ethischen und friedenspolitischen Motiven steht vor dem unausweichlichen Dilemma, diametral entgegengesetzte, nämlich offen kriegerische Konsequenzen in Kauf zu nehmen.
Die PDS, deren Haltung zu Auslandseinsätzen in erster Linie parteitaktisch und keineswegs grundsätzlich pazifistisch oder antimilitaristisch motiviert ist, führte in der Bundestagsdebatte exemplarisch billige Opposition vor: Kritik nur an der völkerrechtlichen Problematik, kein Wort zu den realen politischen Alternativen.
(9) Perspektiven: Wenn es zur Vertragsunterzeichnung kommt, wird in den nächsten Wochen wieder mal die NATO im Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung stehen. Den oberflächlichen Zuschauern wird das den Eindruck vermitteln, als sei Militär d e r Konfliktlöser. Die Militärs wissen um ihre massiven, aber begrenzten Fähigkeiten.
Und der Bundesregierung bestätigt sich alltäglich in der Realität des Kosovo-Konfliktes, was SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Koalitionsvertrag zur Aufgabe erklärt haben: Die Stärkung der Krisenprävention, der OSZE, der Instrumente und Methoden des zivilen Peacekeeping und Peacebuilding. Hierzu wurden inzwischen erste praktische Schritte getan. Doch es bedarf noch erheblicher Anstrengungen, daraus auch eine Politik der effektiven Krisenprävention zu machen. Wenn dafür „nur“ die 600 Mio. DM des deutschen KFOR-Beitrages zur Verfügung stünden, käme die Krisenprävention einen Riesenschritt voran. Und dann könnte man sich künftig mehr von diesen späten und damit sündhaft teuren Krisenreaktionseinsätzen sparen.
Abschreckendes Beispiel –
Folgen und Lehren des Kosovo-Krieges
von Winni Nachtwei, 30.08.1999
(1) Schnelle Verdrängung: Die Auseinandersetzung um den Kosovokrieg war vor allem unter Friedensbewegten und Grün-Anhängern so schmerzhaft, daß sich mit dem Aufatmen über den Waffenstillstand und der Rückkehr des politischen Alltags das schnelle „Vergessen“ aufdrängt – wie nach dem Bosnienkrieg, wo eine umfassende politische Auswertung versäumt wurde und fast nur die direkten Interessenten ihre Schlussfolgerungen zogen. Solche Verdrängungen sind kurzsichtig und gefährlich. Angesagt ist eine (selbst-)kritische Bilanzierung.
(2) Kriegsbilder: Ungeklärt stehen gegensätzliche Bewertungen des NATO-Krieges, ja auch des serbischen Vertreibungskrieges und ihrer Folgen nebeneinander. War der serbische Vertreibungskrieg langfristig geplant oder vor allem Reaktion auf die NATO-Angriffe? War der Luftkrieg der NATO wirklich eine humanitäre Intervention oder – nüchterner formuliert - ein Übel zur Verhinderung noch größerer Übel? War er das erste Exempel der neuen NATO-Strategie und ein imperialistischer Krieg? Oder ging es ganz banal um die Gesichtswahrung der NATO? In dem realen Gemenge von Interessen, Motiven und Zielen waren für die rotgrüne Bundesregierung die Verhinderung eines zweiten Bosnien, die Stabilisierung des südlichen Balkan sowie der Zusammenhalt der NATO die ausschlaggebenden Motive.
Ungeklärt sind Schlüsselfragen wie die nach den Handlungsalternativen zu verschiedenen Zeitpunkten (z.B. im Sommer 1998, im März 1999), der westlichen Politik gegenüber UCK und LDK und ihrer Bedeutung für den Konfliktverlauf.
Die verbreitete selektive Wahrnehmung während der Kriegszeit setzt sich auch in den Bilanzen fort, man will möglichst Recht behalten: Die NATO prüft nur die Wirkung ihrer Angriffe auf militärische Ziele. Die Zerstörungen der zivilen Infrastruktur und ihre Folgen werden nicht offengelegt.
Kriegsbilanzen aus der Friedensbewegung kreisen praktisch nur um den NATO-Krieg. Der Vertreibungskrieg, dessen mörderische Realität jetzt mit der Entdeckung zahlloser Massen-gräber sichtbar wird, scheint kaum zu interessieren. (vgl. „Kriegs-Rückschau“, Friedens-Forum 4/99; „Kosovo – NATO-Krieg in Europa“, anti militarismus information/ ami 7/99)
(3) Kontinuität, Bruch oder was? Indem Bundeswehrsoldaten zum ersten Mal in einem Kriegseinsatz schossen und töteten, reihten sie sich in die Kontinuität früherer deutscher – und anderer - Armeen ein. Ansonsten steht der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr aber im diametralen Gegensatz zu den Kriegen von kaiserlicher Armee und Wehrmacht: Erstmalig war es eine demokratisch legitimierte Kriegsbeteiligung eines demokratischen Deutschland; erstmalig für die Überlebensrechte einer verfolgten Minderheit und für nichtimperialistische Ziele; erstmalig seit hundert Jahren war es ein multinationaler Einsatz zusammen mit den anderen demokratischen Staaten, darunter den Nachbarstaaten, die vor 60 Jahren von der deutschen Wehrmacht überfallen und besetzt worden sind.
Kontinuitätsbehauptungen wie „Der dritte Feldzug gegen Serbien“ (Broschüre der VVN) sind historisch absurd und laufen auf eine gnadenlose Verharmlosung der früheren Kriege gegen Serbien hinaus.
(4) Erfolg der NATO? Der NATO-Krieg endete mit der Kapitulation des Milosevic-Regimes im Kosovo und dem vollständigen Abzug aller serbischen Kräfte. Insofern war er der erste begrenzte, „siegreiche“ Luftkrieg ohne eigene Opfer in der Geschichte. Daraus wird vielfach die Schlussfolgerung gezogen, der Kosovo-Krieg könne Modell künftiger Kriseneinsätze der NATO werden, wenn die Europäer endlich ihren militärischen Rückstand gegenüber den USA aufholen würden. Diese Bewertung ist ein Kurzschluss.
Die NATO hat wohl einige Teilerfolge errungen: Milosevic wurde zum Einlenken gebracht und damit der Vertreibungskrieg nach elf Wochen, aber vor seiner Vollendung gestoppt. Ein Flächenbrand wurde verhindert und – erstmalig in diesem Jahrhundert der Vertreibungen – die Rückkehr der Vertriebenen ermöglicht. War das aber wirklich Ergebnis der Doppelstrategie von militärischem Druck und diplomatischer Initiative, wie ihre Akteure behaupten? War deshalb die westliche Politik erfolgreich? Genau besehen ergeben sich viel mehr Fragen als Antworten:
- Das erste und oberste Kriegsziel – die humanitäre Katastrophe stoppen, „dem Morden Einhalt gebieten“ – wurde nicht erreicht, im Gegenteil: mit Beginn der Luftangriffe konnten die serbischen Kräfte den Vertreibungskrieg in ungeahnte Dimensionen radikalisieren, wurden 1,5 Millionen Menschen vertrieben und schätzungsweise 10.000 Zivilisten ermordet. Zehntausende Häuser, Höfe und Wohnungen wurden geplündert und systematisch zerstört. Der begrenzte Luftkrieg aus der Distanz, der „Krieg ohne Kampf“ beeinträchtigte die serbischen Streitkräfte viel weniger als erwartet und im Krieg behauptet. Weder Luftabwehr, noch Führungssystem und Logistik wurden lahm gelegt. Die serbischen Truppen im Kosovo ließen mit ihrer dezentralen Kriegführung und der alten Primitivtaktik von Attrappen die High-Tech-Systeme der NATO/ USA ins Leere schießen. Die Zerstörung serbischer Waffen durch die NATO, darunter die 244 von deutschen Tornados verschossenen HARM-Flugkörpern, sind bis heute merkwürdig „unsichtbar“. Der britische ehemalige UN-Kommandeur in Bosnien, General Rose, spricht von einem „tragischen Fehlschlag“ des NATO-Luftkrieges.
- Erheblich zerstörerischer und politisch wirksamer waren offenbar die Bombardierungen der Infrastruktur, insbesondere die Unterbrechung der Stromversorgung durch Graphit-bomben. Indem damit die Grundversorgung der Zivilbevölkerung insgesamt ins Visier genommen und erhebliche zivile Opfer in Kauf genommen wurden, verstieß die NATO gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht und desavouierte den humanitären Anspruch ihrer Intervention.
- Beigetragen zum Einlenken Milosevic’s hat mit Sicherheit die vollständige internationale Isolation seines Regimes durch die Rückkehr von Russland und VN in die Kosovo-Politik (dafür waren die deutschen Initiativen besonders bedeutsam) und das Verhand-lungsgeschick der EU-Vermittler, aber auch der akut drohende Bodenkrieg. (angeblicher Geheimbeschluss der wichtigsten NATO-Länder am 27. Mai in Bonn)
- Total erfolgreich war die NATO mit ihrem Einsatzgrundsatz „keine Verluste“, der in einem auffälligen Gegensatz stand zur hochmoralischen Legitimation des Luftkrieges stand.
- Knapp vorbeigeschrammt ist die NATO an einer existentiellen Zerreißprobe und Europa an dem GAU eines Bodenkrieges, der das Verhältnis zwischen Rußland und dem Westen in die härtesten Zeiten des Kalten Krieges zurückkatapultiert hätte.
- Insgesamt wurde der militärische Sieg der NATO äußerst teuer erkauft: Nicht nur hinsichtlich der zig Milliarden NATO-Kosten, sondern auch wegen der in Jugoslawien angerichteten Zerstörungen (die Kriegskosten insgesamt werden auf ca. 100 Mrd. DM geschätzt) und enormen Wiederaufbaukosten. Schon die ca. 20.000 Splitterbomben sind eine verheerende Hinterlassenschaft. Eine VN-Kommission konnte bisher wohl nicht die befürchtete große ökologische Katastrophe erkennen, beobachtete aber besorgniser-regende Umweltschäden auf lokaler Ebene. Verschärft hat sich mit dem Doppelkrieg die Verfeindung zwischen den Volksgruppen, wodurch ein Zusammenleben noch viel schwieriger wird. Nachhaltig beschädigt wurden das Verhältnis Rußlands zum Westen. Viele nichteuropäische Staaten fühlen sich durch den Bruch des völkerrechtlichen Gewaltverbots durch die NATO bedroht, verstärkte Rüstungsanstrengungen sind die naheliegende Folge.
Inzwischen wird bekannt, daß es in der NATO erhebliche Dissense in der Zielauswahl gab und daß der NATO-Oberbefehlshaber für Europa, General Clark, deutsche und griechische Einwände gegen die Bombardierung ziviler Ziele ignoriert habe. Das ZEIT-Dossier berichtete von ihm als dem „gefesselten Kriegsherrn“, von dem 19 Dienstherren einen rücksichtsvollen Sieg über die Serben gefordert hätten. Die Botschaft: „Eine härtere Krieg-führung mit weniger Rücksicht auf Verluste hätte schneller zum Erfolg geführt. Die Politiker hätten die Militärs beinahe um den Sieg gebracht.“
(5) Modell zukünftiger Krisenbewältigung? Die bundesdeutsche Gesellschaft, viele Friedensbewegte und Grüne haben mit dieser ersten bundesdeutschen Kriegsbeteiligung eine (Hemm-)Schwelle überschritten und ein erstes Mal einen „Krieg im Frieden“ hingenommen, ja unterstützt. Damit sind Kriege gesellschaftlich ein Stück weit führbarer geworden. Aber der erste „Krisenreaktionskrieg“ der NATO ist kein Modell, sondern abschreckendes Beispiel einer verspäteten Krisenbewältigung durch die Staatengemeinschaft.. Er beweist erneut, wie kostspielig und opferreich, unberechenbar und riskant militärische Krisenreaktion und „Friedenserzwingung“ bei innerstaatlichen Konflikten ist. Viele, die in den letzten Jahren leichthin vom erweiterten Bundeswehrauftrag inclusive Peaceenforcement redeten, die auch Illusionen schneller und „sauberer“ Zukunftskriege schürten, erleben nun ihre große Ernüchterung. Wenn schon „begrenzte Luftoperationen“ ohne eigene Opfer hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und ihrer politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz so heikel waren, um wieviel mehr gilt das für einen Bodenkrieg, der zwangsläufig sichtbare eigene Opfer fordern würde.
Frühzeitige Krisenvorbeugung ist immer ungleich billiger, vernünftiger und menschlicher, auch wenn sie angesichts des geringeren Handlungsdrucks, divergierender Interessen und des Entwicklungsrückstandes entsprechender Instrumente schwierig in die Tat umzusetzen ist.
(6) Frieden schaffen nach dem Krieg: Die Kfor-Friedenstruppe kam als Befreier in das Kosovo. Die Soldaten versuchen nach besten Kräften und unparteiisch zu helfen und zu schützen und aus dem Stand alle möglichen staatlichen Funktionen zu übernehmen. Das Engagement der Bundeswehrsoldaten dabei ist vorbildlich und macht den Kontinuitätsbruch zur Wehrmacht vor 58 Jahren besonders deutlich.
Doch offenbar ist die Friedenstruppe nicht in der Lage die Racheakte, ja den Vertrei-bungsterror kosovo-albanischer Kräfte, die Massenflucht der Serben und Roma, die wuchernde Kriminalität zu unterbinden. Es besteht der Verdacht, dass der Schutz der Minder-heiten, der z.Zt. angesichts des vorhandenen Hass- und Waffenpotentials nur militärisch und nicht von einer internationalen Polizei geleistet werden kann, nur halbherzig zum Auftrag von Kfor gemacht wurde. Damit wird das offizielle Ziel der Staatengemeinschaft, ethnische „Säuberungen“ zu verhindern und einen multiethnischen Kosovo zu garantieren, konterkariert. Der gewalttätige Alltag im Kosovo zeigt, wie wenig die Staatengemeinschaft sich über das Militärische hinaus auf die komplexe Aufgabe des Friedenschaffen vorbereitet hatte und dadurch ein Machtvakuum entstehen ließ, in dem sich UCK und Bandenkriminalität ausbreiten können. Kurzfristig wurden die VN anstelle der OSZE mit dem zivilen Aufbau betraut, wieder wurde keine einheitliche Führungsstruktur aufgebaut. Für die so wichtige internationale Polizeitruppe, die erstmalig exekutive Funktionen wahrnehmen soll, gibt es nirgendwo ausreichende Personalreserven und kaum Ausbildung.
Was wir seit Jahren zusammen mit der Friedensforschung predigten, bestätigt sich seit Monaten krass. Alles spricht nun für einen forcierten Ausbau der Krisenprävention, von Instrumenten der zivilen Konfliktbearbeitung und des Peacebuiling, grundsätzlich und im Rahmen des Stabilitätspakts Südlicher Balkan, der riesigen Bewährungsprobe für Europa. Die Nachhinein-Stabilisierung ist um ein Vielfaches teurer und komplizierter, als es ein frühzeitiger Stabilitätspakt gewesen wäre. Weitere solche Krisenengagements kann sich die Staatengemeinschaft und auch das reiche Westeuropa schlichtweg nicht erlauben.
(7) Europäische „Nachrüstung“? Die USA, die den größten Teil der Kampfflugzeuge stellten, dominierten sehr stark die konkrete Kriegführung, vor allem hinsichtlich der militärischen Aufklärung, der Wahl der Ziele und Waffen. Die Klagen über die US-Dominanz, ja Arroganz der Macht im Kosovo-Konflikt ist aber wohlfeil, so lange ihr die Uneinigkeit und Schwäche der europäischen Staaten Vorschub leistet. Die viel beschworene Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik braucht einen kräftigen Schub – an der richtigen Stelle. Mit dem Hohen Repräsentanten der GASP, der Strategieplanungs- und Frühwarneinheit, den Gemeinsamen Strategien stehen Instrumente zur Verfügung, die mehr Einheitlichkeit im außenpolitischen Handeln der EU ermöglichen. Zuallererst auf den Aufbau von militärischen Fähigkeiten der EU zu setzen, heißt, das Pferd vom Schwanz aufzuzäumen. Es läuft auf den Widersinn hinaus, beim „nächsten Mal“ in der schlimmsten Form der Krisenbewältigung besser mithalten zu können.
(8) Programmatische Konsequenzen: Viele derjenigen Grünen, die enttäuscht sind über den Programmverstoß der Mehrheit, verlangen eine Rückkehr der Regierungsgrünen auf den „rechten Pfad“. Diese Erwartung geht davon aus, daß unser Programm richtig und nur unser Verhalten falsch wäre. In Wirklichkeit kommen wir nicht darum herum, uns den Widersprüchen der Realitäten zu stellen und dementsprechend das grüne Programm weiterzuentwickeln.
Auf dem Feld der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung, der konstruktiven Friedenspolitik wurden unsere Programmaussagen im ersten Jahr grüner Regierungs-beteiligung voll und ganz bestätigt, Revisionsbedarf sehe ich nicht. Nach den Erfahrungen der letzten Monate ist eine weitere Konkretisierung wie auch eine realistischere Bewertung ihrer Leistungsfähigkeit, aber auch ihrer Grenzen möglich. Auf diesem Politikfeld sind die Grünen weiterhin treibende Kraft und besteht völliger Konsens in der Partei.
Programmatischen Änderungsbedarf gibt es in der Militärfrage. Es gibt wohl keine Veran-lassung, von einer grundsätzlich militärkritischen Haltung abzugehen. Für diese sprechen weiterhin z.B. die Ressoucenverschwendung durch die weltweite Rüstung auf Kosten sozialer und nachhaltiger Entwicklung, die von den Eigeninteressen der militärisch-industriellen Komplexe vorangetriebene und Instabilitäten und Unfrieden stiftende Aufrüstung, die immer zerstörerischeren Fähigkeiten von Armeen und ihre Regelverwendung als Instrumente staatlicher Interessen- und Machtpolitik. Unverändert ist Widerstand angesagt gegen den Umbau der NATO zu einem Interventionsbündnis im Dienste „vitaler“ – sprich wirtschaftlicher – Interessen und gegen Bestrebungen zur Selbstmandatierung.
Aber: Spätestens seit Bosnien und Kosovo ist auch für immer mehr Friedensbewegte und Grüne offenkundig, dass es inzwischen einen teilweisen Funktionswandel von Militär gegeben hat, dass es in der Rolle friedensbewahrende Einsätze notwendig, ja unverzichtbar sein kann. Und mit der Regierungsbeteiligung stehen die Grünen – unbeschadet der pazifistischen und antimilitaristischen Einstellung eines Teils ihrer Anhänger - in der Mitverantwortung für die Bundeswehr, d.h. auch ihre Ausstattung, Ausbildung und Einsätze, und nehmen Einfluss auf das Agieren der Bundesrepublik in der NATO. Vorbei ist die Zeit, wo die Grünen sich mit selektiven Abrüstungsforderungen und bloßer Negativkritik an Bundeswehr und NATO begnügen konnten. Der Mitgestaltungsauftrag (im friedens- und abrüstungsförderlichen Sinne) ist unausweichlich und erfordert eine Abkehr von bisherigen Pauschal- bis Feindbildern hin zu einer nüchtern-kritischen Sicht der Bundeswehrrealitäten. Eine antimilitärische Fundamentalopposition und politische KDV-Haltung, wie sie für Friedensgruppen und Individuen weiterhin völlig legitim ist, kommt für eine Regierungspartei nicht mehr in Frage.
Entsprechend steht die Klärung der Rolle des Militärischen in einer Außen- und Sicherheitspolitik an, die realitätstüchtige und wirksame Friedenspolitik sein soll und weiterhin an den Prinzipien der Zivilisierung und Entmilitarisierung (d.h. Zurückdrängen der bisherigen Militärlastigkeit von Sicherheitspolitik) festhalten will. Im Hinblick auf die Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ werden wir in Kürze konzeptionelle Vorschläge zu einer Bundeswehr als einer in Auftrag und Umfang reduzierten Freiwilligenarmee vorlegen.
(9) Friedensbewegung ade? Die meisten Friedensorganisationen und viele Mitglieder und Anhänger der Grünen sind tief enttäuscht über die Kriegsbeteiligung der Regierungsgrünen. Für einige sind die Grünen nun die schlimmsten Verräter, als „Kriegspartei“ ausgeschlossen aus der Friedensbewegung. Auf der anderen Seite findet die Aussenpolitik Joschka Fischers in der Gesellschaft, in Medien, Fachöffentlichkeit und international höchste Anerkennung.
Obwohl in der Gesellschaft mit den Kriegswochen die Zweifel an der NATO-Strategie zunahmen, dümpelte der Antikriegsprotest eher vor sich hin. Am meisten Wirkung entfaltete er im Internet, in den Leserbriefspalten der überregionalen Zeitungen und innerhalb der Grünen, auffällig wenig unter jüngeren Leuten. Unter Gegnern des NATO-Krieges ist die Position verbreitet, die Medien und vor allem die Grünen („Dolchstoß in den Rücken der Friedensbewegung“) für die Schwäche des Protestes verantwortlich machen. Nach meiner Beobachtung hat aber auch der Antikriegsprotest selbst erheblich zu seiner Schwächung beigetragen. Je absoluter, ideologischer und selbstgerechter er auftrat, desto mehr isolierte er sich, zerbröselte mit dem Kriegsende und trug zur weiteren Spaltung und Marginalisierung der kleinen Friedensbewegung bei. Je solidarischer hingegen der Antikriegsprotest für alle Kriegsopfer Partei ergriff, je offener er sich den politisch-moralischen Dilemmata stellte, je mehr er sich für konstruktive Friedensarbeit und –politik engagierte, desto mehr bot und bietet er die Chance, daß die weitere Auszehrung der Friedensbewegung gestoppt wird, ja daß ein Wiederaufschwung möglich wird.
Denn eine Friedensbewegung, die in der Gesellschaft wieder gehört wird, ist auch und gerade unter Rot-Grün unverzichtbar!
Weitere Stellungnahmen zum Kosovo-Konflikt:
- Widersprüche, Glaubwürdigkeitslücken und Verantwortung – die Grünen zwischen Antikriegsprotest und Kriegsbeteiligung, 9.6.1999
- Zurück zur Politik! (zusammen mit Christian Sterzing, Winne Hermann, Claudia Roth, Hans-Josef Fell, Klaus Müller), 13.4.99
- NATO-Luftangriffe: Antiserbische Aggression oder einzige Rettungschance für das Kosovo? (Nach Beginn der Luftangriffe) 26.3.1999
- Kosovo-Einsatz der Bundeswehr: Notwendige Friedenstruppe oder Interventionstruppe gegen Serbien? (Zum Bundestagsbeschluss zu einer Kfor-Beteiligung und Extraction Force, zusammen mit Kerstin Müller, Volker Beck, Winne Hermann, Hans-Josef Fell, Klaus Müller, Christian Sterzing) 1.3.1999
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: