Folgenden Bericht verfasste Winfried Nachtwei über die Reise der Obleute des Verteidigungsausschuss, die vom 29.9.-2.10.2008 stattfand:
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Vor der ISAF-Mandatsentscheidung
Jüngste Eindrücke aus Kabul, Mazar-e Sharif und Kunduz
Winfried Nachtwei, MdB (5.10.2008)
Ziel der Obleutereise des Verteidigungsausschuss vom 29.9.-2.10.2008 war, im unmittelbaren Vorfeld der Mandatsentscheidung die militärische und politische Lage zu erkunden, insbesondere
Im Unterschied zu meinen AFG-Reisen im Juli + August (vgl. Bericht „Viele Lichtblicke bei wachsender Düsternis") standen jetzt militärische Fragen im Vordergrund.
Wegen des islamischen Feiertages Eid-al-Fitr zum Ende des Ramadan hatten wir nur internationale + deutsche GesprächspartnerInnen:
Kabul:
Mazar:
Kunduz:
.
Mit uns fahren Christoph Grabenheinrich, Saarländischer Rundfunk/ARD, Paul Elmar Jöris, WDR, Dr. Peter Stuckhard, Neue Westfälische.
Nachdem sich ein Sandsturm rechtzeitig gelegt hat, können wir doch noch planmäßig in Termez landen und am nächsten Morgen mit der Transall nach Mazar und Kabul weiterfliegen.
Zwei Tage vorher war Camp Marmal erstmalig in zwei Jahren mit Raketen + Mörsergranaten beschossen worden. Eine ging im Camp auf einer Kiesfläche nieder. Keine Schäden. Ich bin gespannt, wie sich die Situation im Norden seit dem 27./28. August entwickelt hat, als erst Hauptfeldwebel Mischa M. mit einem Sprengsatz umgebracht und tags drauf eine Frau und zwei Kinder von einem dt. Soldaten irrtümlich erschossen wurden. Ich freue mich auf die vielen Wiederbegegnungen mit unseren guten Leuten vor Ort, angefangen bei unserem treuen Close Protection Team.
1. Lichtblicke
Am 21. September, dem Internationalen Friedenstag der UN, nahmen nicht nur Zehntausende an Veranstaltungen in vielen Provinzen statt. Der UN-Aufruf zu einem 24-stündigen Waffenstillstand wurde von Präsident Karzai, ISAF und Taliban aufgenommen und überwiegend eingehalten. Die internationalen Medien nahmen davon keine Notiz.
Der Anstieg der Provinzen ohne Mohnanbau von 13 auf 18 in diesem Jahr ist nicht nur, aber auch der konsequenten Politik einzelner Gouverneure zu verdanken. Überdeutlich ist der Zusammenhang zwischen Konfliktintensität/Sicherheitslage und Opiumproduktion.
Am 28. August übernahm die Regierung die Sicherheitsverantwortung in Kabul.
Die Regierungen AFG`s + PAK`s gehen inzwischen konstruktiv miteinander um - statt demagogisch wie in der Vergangenheit. Der Aufstand wird als gemeinsames Problem erkannt. Der grenzüberschreitende Jirga-Prozess wird in diesen Tagen wieder aufgenommen.
2. Politische Lage
Seit der Pariser AFG-Konferenz im Juni habe sich die Lage weiter verschlechtert, habe der Pessimismus in der AFG Politik und der Internationalen Gemeinschaft zugenommen. Die bedrohliche Sicherheitsentwicklung habe auch die Agenda der UNAMA dominiert. Bis zum Frühjahr/Sommer müsse eine andere Stimmung geschaffen werden.
Der Versöhnungsprozess gegenüber den Aufständischen gehöre an die erste Stelle. Das setze aber eine starke Regierung und Internationale Gemeinschaft voraus. Der fast 100%-ige Erfolg vom 21. September zeige den Einfluss zentraler Autoritäten auf Seiten der Taliban. Das könnten Ansprechpartner sein.
Der Institutionenaufbau sei stark bei der Armee (ANA), schwach bei Polizei (ANP), Justiz und Provinz-/Distriktebene. Z.B. gibt es in der Provinz Zabul zwei (!) Richter. Der Distriktgouverneur von Ghazni verfügt über ein Jahresbudget von 400 $.
Die Internationale Gemeinschaft gebe sehr viel von ihren Hilfsgeldern außerhalb des Landes aus. Die verschiedenen Geberländer investieren zwischen 17 bis 80% ihrer Mittel in „ihren" Provinzen. So lasse sich die Afghan National Development Strategy nicht umsetzen! (UNAMA)
3. Sicherheitslage
3.1 Allgemein
Am 28.8. übernahmen die AFG Sicherheitskräfte offiziell die Sicherheitsverantwortung für Kabul. Landesweit gelte für ISAF der Grundsatz des Partnering: keine Operation alleine. „Wir wollen vom Fahrersitz auf den Beifahrersitz, auf den Rücksitz und schließlich raus". (ISAF)
Für die Ausbildung und Beratung der ANA (Planziel 134.000 bis 2012) sind 59 OMLT`s notwendig. Zzt. sind aber nur 37 aktiv.
Operationen: Am 29.9. führte ISAF landesweit über 50 Operationen durch, 31 sog. Framework Operationen und 22 „Clear" Operationen, bei denen man auf Waffeneinsatz eingestellt ist. Nachdem regierungsfeindliche Kräfte früher eher in entlegeneren Gebieten agierten, treffen sich jetzt alle Aktivitäten an der Ringroad.
Mit einer militärischen Großoperation wurde die 3. Turbine von Kandahar über 180 km zum Kajaki Damm in Nord-Helmand transportiert, gedeckt von einer Luftarmada. Ab Frühjahr soll Kajaki Strom für zusätzlich 1,6 Mio. Haushalte liefern. Zu erwarten ist aber, dass regierungsfeindliche Kräfte die Stromleitungen attackieren und anzapfen werden.
In der Opium-Hochburg Helmand können auch 10.000 britische Soldaten nur punktuell „halten", werde die Dringlichkeit politischer Lösungen besonders deutlich - aber auch ihre Schwierigkeit. Denn zentrale afghanische Akteure sind entweder schwach oder stark + korrupt.
Bis zum 27.9. gab es 6.363 Sicherheitsvorfälle landesweit (+34% ggb. dem Vorjahrszeitraum). Der Anstieg wird vor allem dem Zustrom vieler nicht-afghanischer Kämpfer aus den Sanktuarien in PAK zugeschrieben. 79% der Sicherheitsvorfälle (kinetic events) geschehen in 15% der Distrikte. Täglich ereignen sich durchschnittlich 30 solcher Vorfälle. Am 29.9., 7.00 Uhr, bis 30.9., 7.00, gab es 52 Vorfälle, davon 35 im Süden.
Die Attacken der heterogenen Insurgenten-Gruppen richten sich vermehrt gegen die Verkehrsinfrastruktur und „weiche" Ziele, gegen die Polizei (bisher in 2008 über 900 Tote), gegen Distriktzentren, Polizeichefs + Gouverneure. Wer wolle da noch Bürgermeister werden?
Ein Beispiel der 9. August, als an der Ringroad im Südwesten auf 20 km acht Brücken angesprengt wurden.
Hauptgefahr sind Sprengstoffanschläge (Sprengfallen am Boden, mobil mit Fahrzeugen/Selbstmordattentätern - IED`s), die 57% der internationalen Verluste verursachen. Die Anschlagsmethoden werden ständig „verbessert". Wo bisher jede 2. IED entdeckt wurde, werden diese inzwischen vermehrt mit Kämpfern gedeckt, die Räumer unter Feuer nehmen.
In der Woche 13.-20.9. gab es bei ISAF 2 Tote, 8 Schwerst- und 4 mittelschwer Verwundete, bei OEF 5/3/1, bei ANA 4/6/1, ANP 17/0/5.
Zivilopfer: Der Shindand-Zwischenfall im Süden der Provinz Herat ist weiter zwischen ISAF und UNAMA/Regierung strittig. UNAMA spricht von 90 Ziviltoten bei der OEF-Operation, ISAF von 30. Lt. ISAF habe es mit einer ANA-geführten Operation begonnen, wo erst OEF, dann Luftwaffe zur Unterstützung gekommen seien. COMISAF habe zum Umgang mit der Zivilbevölkerung am 2.9. eine neue Taktische Direktive herausgegeben, die eher sprachliche als inhaltliche Veränderungen gebracht habe.
Seit September sei im Stab ISAF eine Zelle mit Zivilisten eingerichtet worden, die die Zivilopfer insgesamt erfassen sollen. Die ISAF-Daten würden regelmäßÃg mit UNAMA ausgetauscht. Eine Veröffentlichung scheut man, weil man keinen „body count" wolle.
(Nach den bisherigen Daten seien in 2008 AFG Sicherheitskräfte für ein Mehrfaches und Insurgenten für ein Vielfaches der Zahl an Zivilopfern verantwortlich, die von internationalen Truppen verantwortet wurden.)
Luftnahunterstützung (close air support/CAS) werde immer vom Boden angefordert und geführt durch den Joint Tactical Air Controller/JTAC in der Terminal Control Area (unmittelbarer Einsatzraum). Der JTAC gibt Zielkoordinaten an den Bomber durch, der in Echtzeit sein Zielbild zur Gegenkontrolle zurück an den Boden sendet.
AWACS der NATO würden gebraucht zur besseren Luftraumkontrolle und Flugsicherheit, die bisher nur durch Bodenradar punktuell (z.B. ein OEF-Radar in Kabul) und US-AWACS zeitlich begrenzt unterstützt werde. AWACS können zum „tactical battle management" der Luftverteidigung gegen andere Luftziele beitragen, nicht aber direkt zu Luftangriffen gegen Bodenziele. Die AWACS lotsen Flugzeuge durch den Luftraum, also auch Kampfflugzeuge in ihre Einsatzräume. Dort „übernehmen" dann die Forward Air ControllerJTAC am Boden.
Ob die NATO-AWACS auch Richtung PAK oder Iran eingesetzt werden könnten? Technisch ja. Nur würden sich die USA bei ihren Operationen z.B. nach PAK auf ihre eigenen Systeme stützen - und zu allerletzt auf Bündnissysteme, wo Offiziere über die Einhaltung der Mandate wachen.
Offiziell heißt es bei ISAF, OEF + ISAF seien zwei Seiten derselben Medaille, würden sich ergänzen. OEF „nehme die IED-Netzwerker raus". Bei OEF, der geographisch unbegrenzten Operation, reiche ein allgemeiner Verdacht, ISAF brauche einen konkreten Tatverdacht.
Die Führungsstruktur der US-Streitkräfte in AFG (zzt. 20.000 bei ISAF + 10.000 bei OEF) wird bis zum 10. Oktober grundlegend geändert. Dem Kommandeur ISAF General McKiernan werden als US-Kommandeur der US-Streitkräfte in AFG die bisherigen OEF-Anteile Combined Security Transition Command AFG (CSTC-A für Ausbildung) und Combined Joint Special Operation Task Force AFG (CJSOTF-A) als nationale Truppen unterstellt. Unabhängig davon agiert weiter die US Task Force Counter Terrorism, von der ISAF und sogar auch die hiesigen Amerikaner nichts erfahren.
In den nächsten zwei Jahren sollen weitere 20.000 US-Soldaten nach Süd-AFG kommen, die nicht zuletzt den Abzug der Niederländer und Kanadier kompensieren sollen. Das kann perspektivisch dazu führen, dass im Süden und Osten nur noch US(GB)-ISAF-OEF wäre, im Norden multinationale ISAF.
3.2 Region North
Die Quick Reaction Force mit ihren 205 Soldaten führte bisher Patrouillen im Rahmen von Standardoperationen, Absicherungsoperationen, Aufklärungsoperationen gegen Opposition Militant Forces (OMF) zusammen mit der ANA durch. Die anderen Teilaufgaben (Einsatz gegen gewaltbereite Menschenmengen, Evakuierungen, Unterstützung bei Zugriffen und Durchsuchungen, Entsatz eigener Kräfte) waren bisher nicht gefragt.
Alle drei Züge wurden bisher schon beschossen. Der Mörserzug wurde an einem Tag zweimal „angesprengt". Personenschäden gab es nicht. Am letzten Samstag geriet eine Patrouille in einen Hinterhalt. Der infanteristische Beschuss wird dann unmittelbar beantwortet, um den Gegner niederzuhalten und sich von ihm zu lösen. Ein solches „Begegnungsgefecht" kann eine halbe Minute dauern. Abschreckend wirkte der Einsatz von Mörser-Leucht-munition, die einen Radius von 500 m taghell ausleuchtet. Sprengmunition wurde bisher nicht eingesetzt. Sie kann nur durch den Regionalkommandeur freigeben werden. „Taliban-Jagd" sei nicht die Aufgabe der QRF.
Das Fazit des Kommandeurs: „Alle Aufträge wurden bisher erfüllt. Wir brauchen uns hinter den Norwegern nicht zu verstecken. Jeder Soldat muss kämpfen können."
Region North: Die Sicherheitsvorfälle in der Gesamtregion sind quantitativ unverändert, „qualitativ" gesteigert. Vermehrt werden Zivilopfer in Kauf genommen. Es gibt vier „heiße" Gebiete, eines davon der Raum um Kunduz. Die Infiltrationswege sind dieselben wie in den 90er Jahren: Im Nordwesten von Badghis aus und vom Süden über Kunduz. Die Infiltration beginnt mit Gesprächen, Anknüpfen an Unzufriedenheiten, Geschenken, Rekrutierung junger Männer - Graswurzelarbeit. Die 18.-19.000 AFG und internationalen Sicherheitskräfte können flächendeckend Sicherheit im Norden mit seinen ca. 15.000 Orten und eine Fläche der halben Bundesrepublik nicht gewährleisten. Das Land sauge Divisionen auf. Schwerpunktbildung ist da unumgänglich.
Hier laufe ein „Kleiner Krieg" (Clausewitz). Agiere Bundeswehr/ISAF zu reaktiv, zu wenig aktiv? Bei Soldaten, die aus den Einsatzkräften kommen und für high intensity Kampfeinsätze ausgebildet sind, sei ein Bedürfnis zum Zurückschlagen verständlich. Aber das sei hier eben nicht sinnvoll. Oder man mache es wie die US-Kräfte. Dann habe man schnell eine andere Lage. Hier stehe die Bevölkerung noch überwiegend auf „unserer Seite".
Die Armut wächst, die Bevölkerung wächst. Mehr als 50% der Bevölkerung sind jünger als 14 Jahre. Bestimmte Machthaber warten nur darauf, dass die Regierung versagt, um selbst an die Macht zu kommen. „Wir haben nicht unbegrenzt Zeit. Die Zeit läuft uns weg."
Umso wichtiger sei, nicht nur auf die trouble spots zu sehen, sondern Leuchttürme zu fördern. In der Provinz Balkh sei am ehesten ein „transfer of security" möglich.
3.3 Kunduz
Erstmalig ist in Kunduz ein Kommandeur im Einsatz vorzeitig abgelöst worden. Kurzfristig übernommen hat die Aufgabe Oberst Rainer Buske, stv. Kommandeur der Panzerbrigade 21 aus Augustdorf, der schon Kommandeur des vorigen Kontingents in Kunduz gewesen war, sich gut vor Ort auskennt und eine offene Sprache spricht.
Zzt. umfasst das PRT gut 600 SoldatInnen, davon 200 Soldaten der Schutzkompanie und 120 Soldaten in drei Fallschirmjäger-Zügen. Rausgegangen wird nur noch mit gepanzerten Fahrzeugen ab Wolf SSA aufwärts.
Kunduz ist seit einem Jahr das bei weitem gefährdetste PRT im ganzen Norden. Die Zäsur war der Selbstmordanschlag vom 19. Mai 2008, dem drei Bundeswehrsoldaten auf dem Markt von Kunduz zum Opfer fielen. Bis dahin konnten sich Fußpatrouillen relativ frei bewegen, Gespräche führen. Sie begegneten einer sehr positiven Erwartungshaltung.
Seit September 2007 gab es 80 Raketenabschüsse (BM-1, 8 km max. Reichweite, ungelenkt) im Nahbereich des PRT, davon 56 seit 1. Januar und 31 seit 1. Juli. 6 Raketen landeten auf dem PRT-Gelände, ohne größeren Schaden anzurichten. Am Vorabend flogen die letzten beiden Raketen.
Die größte Gefahr geht von Sprengfallen und Selbstmordattentätern zu Fuß, auf Motorrädern oder Autos aus. Sprengstoffanschläge drohen vor allem tagsüber, nachts sind Hinterhalte die Hauptbedrohung. Am 23.9. versuchte ein Selbstmordattentäter mit seinem Toyota Corolla auf der Hauptstraße nach Kunduz („Pluto") in einer Bundeswehrkolonne das schwächste Fahrzeug zu treffen. Die Explosion bildete eine Feuerwand, die über Sachschäden an den gepanzerten Fahrzeugen hinaus aber keine Personenschäden verursachte. Wenige Minuten vorher hatte ein junger Mann per Handy die Vorbeifahrt des Konvois weitergemeldet.
(Am 24.9. tauchten auf www.blogfa.com 4 Fotos von dem Anschlag - von einer Bundeswehrseite - zusammen mit 2 Fotos von der Demo „Truppen raus aus Afghanistan" am 20.9. in Berlin auf. Hierzu schrieben „Heimatliebende": „Letzter Selbstmordanschlag gegen Besatzungstruppen in Kunduz. Nachdem die große Demonstration in Berlin forderte, dass die Bundeswehr zurück in die Heimat kommt, ist der letzte Selbstmordanschlag geschehen." Daneben ein Bild des alten Mujahedin-Führers Hekmatyar, dessen Kämpfern ein erheblicher Teil der Terroranschläge in AFG zugeschrieben wird.)
Insgesamt vier Insurgentengruppen sind in Distrikten um Kunduz lokalisiert. Sie verfolgen eine Einschüchterungsstrategie: mit „nightletters" (Drohbriefe), demonstrativen bewaffneten Auftritten bei Tage, Erschießungen von bisher zwei Lehrern, zwei Polizisten und einem Landarbeiter. Weitere Gewaltakteure sind Drogen- und Waffenschmuggler, die sich in ihren Geschäften gestört fühlen, sowie ehemalige Mujahedin-Kommandeure, die enttäuscht sind und sich zunehmend radikalisieren. Mit der erheblichen Armut gebe es auch eine gewisse Käuflichkeit, Anschläge als Nebenerwerb sozusagen.
Mehr als 90% der Bevölkerung seien den Deutschen gegenüber nicht feindlich gesonnen. Autonome Kleinstgruppierungen agieren nach der klassischen Guerillataktik. Es gibt keine klaren Strukturen, sondern ständig wechselnde Koalitionen + Konflikte.
Im Rahmen des neuen ANP-Stellenplans (Tashkiel) wurde das Polizeipersonal um 40% (!) reduziert. In manchen Distrikten gibt es nur 25 bis 60 - zudem kaum ausgebildete - Polizisten. Es deutet sich eine Landflucht an, wo Polizisten aus Angst nach Kunduz ziehen. Die Forderung des Polizeichefs nach 400 zusätzlichen Polizisten wurde abgelehnt.
Vor diesem Hintergrund musste der Gouverneur kürzlich bei einem Sicherheitsmeeting mit allen relevanten Machtträgern der Provinz, darunter auch Ex-Mujahedin-Kommandeure mit Kriegsverbrecher-Vergangenheit, zugestehen, dass er die Sicherheit außerhalb der Stadt nicht mehr gewährleisten könne. Es erging die Verpflichtung an alle, ihrerseits für Sicherheit in ihrem Gebiet zu sorgen.
Von April bis Juni hätte ISAF in der Provinz Kunduz noch die Initiative gehabt. Die habe jetzt der Gegner, dem gegenüber man nur reagieren könne. Mit dem jetzigen Kräfteansatz könne die Initiative nicht zurück gewonnen werden.
(Eindeutig scheint der Zusammenhang zu sein zwischen Kräfteumfang und Angriffshäufigkeit. Als zusätzlich in der ersten Jahreshälfte eine ganze Fallschirmjäger-Kompanie (ca. 200 Mann) vor Ort war, gingen die Attacken zurück. Sie nahmen zu, als nur noch zwei Züge vor Ort waren. Diese Reduzierung war nicht durch eine Entspannung vor Ort begründet, sondern offenbar einzig + allein durch die Ministerentscheidung, ja nicht vor der Herbstentscheidung zu ISAF an der Obergrenze zu rühren. Inzwischen ist ein zusätzlicher Fallschirmjäger-Zug in Kunduz.)
Die Operationen des PRT sind darauf ausgerichtet, dass Vertrauen der Bevölkerung + Hilfsorganisationen zurückzugewinnen.
Bei der Patrouille in den offenen „Mungos" über die „Platte" östlich und südlich des PRT ist die schnelle Totaleinstaubung eine neue Erfahrung. Als das Führungsjahrzeug nicht mehr die Auffahrt durch einen Hohlweg raus aus einem Wadi schafft, durchfahren wir ungeplant ein kleines Dorf. Vor den Lehmmauern sind die Dorfbewohner zusammengelaufen, sicher die Hälfte Kinder, viele freundliche Blicke, einiges Winken, fast „wie früher".
Innere Lage: Bei intensiven Rundgesprächen mit Offizieren verschiedener Dienstgrade, darunter Verantwortliche der Schutzkompanie und der Fallschirmjäger, wird eindringlich und einhellig nach besonderer Anerkennung ihres Einsatzes gefragt und die Sinnfrage gestellt.
Gesellschaftliche Anerkennung für den AFG-Einsatz sei nicht spürbar. Nach Rückkehr aus AFG habe sich niemand für seine AFG-Erfahrungen interessiert, so ein Offizier.
Warum gebe es angesichts der ständigen Einsätze unter Gefahr für Leib und Leben keine Tapferkeitsauszeichnung für solche, die sich dabei besonders bewähren, einen Kameraden retten? Warum werde bei Tod im Einsatz verharmlosend von „verunglückt" etc. und nicht von „gefallen" gesprochen?
Es fehle an Klarheit, „warum wir hier sind. Unsere Auftraggeber müssen das plausibel machen." „Wir nehmen nicht wahr, was wir schaffen. Wir sehen nicht, dass unsere Einsätze nachhaltig sind." „Wir haben ganz, ganz selten Erfolgserlebnisse." Einen Insurgenten habe man noch nie erwischt. Die Soldaten fühlten sich von den Mandatsgebern allein gelassen. Niemand könne den Soldaten überzeugend den Sinn des Einsatzes erklären. Gefragt wird auch nach einer Abzugsperspektive.
Als wir nach einigen Stunden auseinander gehen, hat es einiges an Verständigung und Klärung zwischen uns PolitikerInnen und den Soldaten gegeben. Es bleibt aber die alarmierende Erkenntnis, wie groß offenbar inzwischen die Kluft zwischen den Soldaten + Offizieren vor Ort und der politischen + militärischen Führung ist. Diese scheint „Gehorsam aus Einsicht", wie es die Innere Führung gebietet, ausgesprochen schwer zu machen. Man ist auf dem Weg, den Kampf um die Köpfe und Herzen in den eigenen Reihen zu verlieren.
(Anmerkung: Uns sitzen junge wache Offiziere und Feldwebel gegenüber, die ausdrücklich für „ihre Jungs" sprechen, die z.T. 80-100 Patrouillen hinter sich haben, dabei ständig von Anschlägen + Angriffen bedroht sind und einen Kameraden verloren haben. Wer ständig solche Risiken auf sich nimmt, ist nicht mit der Benennung der sicherheitspolitischen Ziele des Einsatzes (Terrorismus-Eindämmung, Stabilisierung, internationale Mitverantwortung) zufrieden. Die sind so richtig wie abstrakt - und oft nur noch Worthülsen. Der Sinn des Einsatzes muss auch konkret erfahrbar sein: In Erfolgen bei der Eindämmung der Gewalt, in Aufbaufortschritten vor Ort und der Intensität von Aufbauanstrengungen, in den Perspektiven und der Absehbarkeit des Einsatzes. Stattdessen kommt man an die Gewalttäter nicht ran. Und wenn mutmaßliche Attentäter oder Drahtzieher doch mal gefasst werden, sind Verurteilungen die Ausnahme und baldige Freilassungen die Regel - weil nachrichtendienstliche Erkenntnisse nicht gerichtsverwertbar sind, wegen Korruption + Vetternwirtschaft. Da kann sich dann ein Sisyphos-Gefühl breit machen. Hinzu kommt, dass es viel zu wenig zivil-militärischen Austausch zu geben scheint. Was ich bei AFG-Reisen an hoffnungsvollen Projekten + MacherInnen erlebe - Umspannwerk, Trinkwassersystem, Lehrertrainingszentren, Gesundheitsstationen, Mikrokredite, lokales Peacebuilding etc. -, bekommen die aller meisten Soldaten nie zu sehen. Überfällig ist eine Perspektive von Verantwortungsübergabe + Abzug mit realitätstüchtigen wie ehrlichen Zielmarken vor allem im Sicherheitssektor. Da ist ein Blick zu den Kanadiern und Niederländern hilfreich, die in 2011 bzw. 2010 ihre Führungsrollen in Kandahar bzw. Uruzgan abgegeben wollen, jetzt aber intensiv dafür powern, dass sie das dann guten Gewissens tun können.)
Beim Provincial Advisory Team (PAT) Taloqan ist die 2. Ausbaustufe blockiert, weil sie an die Besetzung der - seit 6 Monaten immer noch unbesetzten - BMZ-Stelle gebunden ist. Hier sei das Mindeste, das Junktim aufzuheben.
3.4 Bundeswehr im Krieg?
Die Soldaten vor Ort empfinden den Begriffsstreit in Deutschland als völlig abgehoben.
Wo Patrouillensoldaten ständig mit Angriffen rechnen müssen, wo mir ein junger Oberfeldwebel berichtet, mit bisher drei Sprengstoffanschlägen genug davon zu haben, da fühlt sich keiner mehr in einem Friedenseinsatz. Das sei Kampfeinsatz.
Im Raum Kunduz sei man inzwischen mit einer Guerillakriegführung konfrontiert.
Die Vorstellung aber, ISAF führe hier Krieg, sei absurd, so ein Kommandeur. Das sei weder das Ziel (das bleibe weiterhin Absicherung des Aufbaus), noch habe man dafür die Mittel mit ca. 600 Mann „brutto" in der Provinz Kunduz, die so groß sei wie Rheinland-Pfalz und Saarland zusammen. (vgl. meine Stellungnahme „Krieg in AFG - Bundeswehr im Krieg", www.nachtwei.de)
4. Drogenbekämpfung
Seit dem letzten Jahr nimmt die geteilte Entwicklung beim Mohnanbau deutlich zu: Konzentration in Konflikt- und Grenzprovinzen des Südens (98% in 7 Provinzen, mehr als 50% allein in Helmand), Rückgang in den stabileren Provinzen des Nordens und Zentrums. Die Zahl der mohnfreien Provinzen stieg von 6 in 2006 über 13 in 2007 auf 18 von 34 in 2008. Die Provinz Balkh (Mazar) ist im 2. Jahr mohnfrei. In Badakhshan mit seiner langen Opiumtradition, lange Zeit an 2. Stelle< beim Mohnanbau, wurden zuletzt nur noch 200 ha angebaut. In Nangarhar (östlich Kabul) ging die Mohnanbaufläche von 19.000 ha auf null ha! In den 18 poppy-freien Provinzen gab es keine Erradication (Erntevernichtung). Eine erhebliche Rolle spielten gute Gouverneure. Begünstigend wirkt die Preisentwicklung für Weizen und Safran (Herat)
Sehr beunruhigend sind die Perspektiven für das kommende Jahr. Wo wegen der Dürre 100% des Regenlandes ausfällt und ein Großteil der bewässerten Flächen, da wird der Zwang zum Opiumanbau wieder zunehmen. Hinzu kommt der Vorteil des Opiums, das kreditfähig ist und wo der Markt zum Bauern kommt - im Unterschied zu anderen Agrarprodukten, die nur schwer ihre Märkte finden.
ISAF könnte eine aktivere Rolle bei der Drogenbekämpfung spielen, - nicht bei der Erradication, aber bei der Interdiction (Transport + Verarbeitung).
Die Staatengemeinschaft sei sich einig hinsichtlich der verschiedenen Elemente der Drogenbekämpfung - nur nicht hinsichtlich ihrer Gewichtung.
Von strategischer Bedeutung sei die regionale Zusammenarbeit, gerade auch mit dem Iran, über den das meiste Heroin geschmuggelt wird.
Könnte der Aufkauf von Opium Sinn machen? Voraussetzung einer Aufkaufstrategie wäre Kontrolle. Ermutigt würde somit der Mohnanbau ausgerechnet in den mohnfreien Provinzen.
Schlussfolgerung: Das Fenster der Gelegenheit nutzen! Das geschehe noch viel zu wenig!
(Der aufschlussreiche Opium Survey AFG 2008 ist auf der UNODC-Homepage zu finden.)
5. Humanitäre Lage + Aufbau
5.1 Nach dem verheerenden Winter und der anhaltenden Dürre rückt die Ernährungskrise näher. Für die Nothilfe sind ausdrücklich UNAMA und World Food Program zuständig, die eine ISAF-Unterstützung bei der Verteilung von Hilfsgütern nicht wünschen. Ein Grundproblem ist, dass keiner den Überblick über bedürftige Dörfer habe. Bei ISAF betont man, nur auf Anforderung zu unterstützen. Nicht abgestimmte Hilfe könne mehr schaden als nutzen.
5.2 Angesichts der Schwäche der AFG Partner stehe man vor der Aufgabe, Fundament und Dach gleichzeitig errichten zu müssen.
Die letzten Monate haben auch im Raum Kunduz gezeigt, wie verwundbar der Aufbau ist. Bis vor zwei Jahren hatten zivile Helfer ein Gefühl von Unantastbarkeit. Nach der Ermordung von zwei Mitarbeitern der Dt. Welthungerhilfe in 2007 ging diese auf Distanz zum PRT in die Nachbarprovinz Takhar. Die Angriffe auf ein Fahrzeug der Polizei (Juli) und KfW (August) verunsicherte die EZ-Gemeinde sehr, auch wenn es keine Personenschäden gab. Überlegungen kamen auf, die Aufbauarbeiten auszusetzen. Die Anordnung einer zweiwöchigen Ausgangssperre aus Berlin war wohl eine Überreaktion.
Würde/müsste der Aufbau eingestellt werden, wäre das d i e strategische Niederlage. Denn ohne Aufbau macht alles andere keinen Sinn.
(Von daher ist auch die Art und Weise, wie in Deutschland von der Lage in AFG gesprochen wird, von eminenter Bedeutung für die Durchhaltefähigkeit der Aufbauanstrengungen. Wo pauschal von „Bundeswehr im Krieg" geredet und jede Aufbauleistung ignoriert wird, ist Verunsicherung, Demotivierung und Abschreckung von zivilen - freiwilligen - Helfern und ihres sozialen Umfeldes die Folge.)
5.3 In den vier Schwerpunkten des BMZ sorgen die KfW vor allem für Infrastruktur, die GTZ für Beratung und der DED für Basisarbeit. Die Arbeit ist partnerorientiert und zielt auf Nachhaltigkeit. Das braucht Zeit. Dabei stehe man in einem Spannungsverhältnis zwischen den katastrophalen Ausgangsbedingungen einerseits und den kurzfristig hohen Erwartungen andererseits. Dabei wirken die schwachen Kapazitäten von Ministerien äußerst verlangsamend. So verfüge das Energieministerium unter Ismail Khan über 2-3 richtige Fachleute - und dann nur noch über einige 100 Leute niedrigster Qualifikation.
Im Energiebereich wurde das Umspannwerk in Mazar (150 MW) für Strom aus Uzbekistan fertig gestellt. Es soll Anfang 2009 ans Netz gehen. Rehabilitiert werden mehrere Wasserkraftwerke in der Nähe Kabuls. Sie sollen in 2009 bis zu ein Drittel des Kabuler Strombedarfs decken. In Planung sind vier kleine Wasserkraftwerke z.B. in Wardak, bei Kunduz. Hierbei gibt es immer wieder Verzögerungen durch unklare Eigentumsverhältnisse und Uneinigkeiten auf AFG Seite.
Highlights sind die Trinkwasserprojekte in Herat - von Minister Steinmeier übergeben - und Kunduz. In Kabul mit seinen über 3 Mio. Einwohnern ist man noch nicht so weit.
Das Krankenhaus in Mazar sei von großer Bedeutung für den ganzen Norden. Ein solches Krankenhaus gebe es in Pakistan nicht!
Ausbildungsstätten für Grundschullehrer existierten vor drei Jahren nirgendwo, jetzt gibt es in jeder Nord-Provinz mindestens eine. Das sei aber immer noch viel zu wenig. Weiterer Schwerpunkt ist die Berufsausbildung (Kfz-Mechaniker, Bauarbeiter, Technikum in Kabul für rd. 1000 SchülerInnen, Technikum in Khowst und Kandahar).
Wirtschaftsförderung betreibe man vor allem auf der Makroebene in Kabul: Stärkung von Handelskammern, Gründung einer Investmentagentur (fast 3.000 registrierte Investitionen mit einem Gesamtvolumen von 500 Mio. US-$) und einer Exportförderagentur. Wiedereröffnet wurde in Kabul der Frauen vorbehaltene Frauenmarkt.
Die auch mit BMZ-Mitteln aufgebaute „First Micro Finance Bank" (FMFB) zahlte seit September 2007 an ihren 13 Standorten 43.000 Mikrokredite.
In Kunduz wurde eine Tomaten- und Reisverarbeitungsfabrik gegründet.
Das Rule of Law Projekt der GTZ sei das erfolgreichste in AFG. (vgl. das Handbuch)
(China will in das „kleinste" Kupfervorkommen AFG`s 3 Mrd. $ investieren. Angesichts der enormen chinesischen Investitionen in PAK müsse China eigentlich ein enormes Interesse an einer Stabilisierung der Region und der Eindämmung von Terrorismus haben. Bisher halte sich China aber noch sehr zurück.)
5.4 Polizeiaufbau: Bei EUPOL sind 180 von 230 Stellen besetzt. Erhebliche Probleme macht die qualifizierte Personalrekrutierung. Auf die 3. Ausschreibung für 40 verschiedene Positionen kamen für 10 Positionen keine Bewerbungen, für 10 weitere ein bis zwei, für 20 Positionen jeweils mehrere BewerberInnen. Einen Mehrbedarf gebe es im Senior Management. Die USA haben allein in den Ministerien mehr als 50 Berater im Rang eines Oberst.
Die USA entsenden keine aktiven Polizisten. Pensionäre oder Beurlaubte, die nach Rückkehr wieder als Police Officer anfangen müssen, kommen über die privaten Sicherheitsfirmen MIT und Dyncorps ins Land.
Insgesamt gebe es eine gewisse Annäherung zwischen europäischen und amerikanischen Polizeivorstellungen. Die Europäer hätten realisiert, dass die Polizei, die täglich 3-4 Mann verliert, Überlebensfähigkeit brauche. Die USA, die auf den Osten und Süden fokussiert sind, seien offen für zivilpolizeiliche Elemente in anderem Umfeld.
5.5. „Aufbau gescheitert"? Das behaupteten die Aufrufe zur Demo „Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan" am 20. September in Berlin + Stuttgart und der Unterstützungsaufruf der „Grünen Friedensinitiative". Die dafür genannten „Belege" verzerren die Wirklichkeit: „Alphabetisierungsrate seit dem Einmarsch gesunken"? Fakt ist, dass mehr als 6 Mio. Kinder (50% der schulpflichtigen) zur Schule gehen, davon ein Drittel Mädchen. Das ist eine mehr als Verfünffachung ggb. 2001. Der tatsächliche Rückgang der Adult literacy von 28,7% in 2003 auf 23,5% in 2005 hat auch mit dem erheblichen Rückstrom an Flüchtlingen zu tun. "Täglich sterben in AFG 600 Kinder unter 5 Jahren"? Die absolute Zahl ist schlimm, sagt aber nichts über Fort- oder Rückschritt. Fakt ist, dass inzwischen 85% der Bevölkerung Zugang zu Basisgesundheitsdiensten haben, dass von 2003 bis 2005 die Zahl der Babies auf 1.000 Lebendgeburten, die in ihrem ersten Lebensjahr starben, von 165 auf 135 zurückging. Insgesamt ging die Kindersterblichkeit lt. UNAMA um 25% zurück „Durchschnittliche Lebenserwartung ging zurück"? Von 2003 bis 2005 ging tatsächlich die Lebenserwartung von 44,5 auf 43,1 Jahre zurück. Der darauf angesprochene UNAMA Chef Eide bekräftigte aber den Anstieg der Lebenserwartung von 2001 bis heute insgesamt.
Das Fernurteil „Aufbau gescheitert" missachtet die Aufbauleistung vieler tausend Einheimischer + internationaler HelferInnen.
Zugleich ist offenkundig, dass Aufbau + Entwicklung angesichts der katastrophalen Ausgangsbedingungen zu langsam und zuwenig in der Fläche stattfinden und dass sie durch die verschlechterte Sicherheitslage (Zunahme der No-Go-Areas, Angriffe auf Hilfsorganisationen) gefährdet und zurückgeworfen werden.
6. Zeitbedarf und Zeitdruck
Diplomaten + Entwicklungsexperten betonen angesichts der Ausgangslage des Landes, der schwachen Kapazitäten und der Nachhaltigkeitsforderung den langfristigen Charakter des internationalen Engagements und die Notwendigkeit von Geduld und langem Atem
Die Militärs wie die UN-Vertreter betonen den Zeitdruck angesichts des Fensters der Gelegenheit beim Rückgang der Mohnanbaufläche, angesichts der sich verschlimmernden Sicherheits- und Stimmungslage und der Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr.
Beides stimmt: Langer Atem ist notwendig im Hinblick auf die AFG-Seite, ihre Akteure und ihren Wandel. Beschleunigung ist notwendig auf Seiten der Staatengemeinschaft - bei der strategischen Konsensfindung, bei der Unterstützung regionaler Sicherheitskooperation und Konfliktlösung zusammen mit PAK, Iran u.a., bei der besseren Koordinierung und Intensivierung der Aufbauanstrengungen.
Schließlich ist auch der Zeitbedarf in den verschiedenen Schlüsselbereichen unterschiedlich:
Weil ein internationales militärisches Engagement der jetzigen Intensität weder von den Afghanen, noch von den Entsendegesellschaften 10 und mehr Jahre durchgehalten werden kann, ist der Zeitdruck im Sicherheitssektor besonders hoch. Demgegenüber braucht z.B. der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung länger.
An den unterschiedlichen Zeitbedarfen haben sich auch die Eckpunkte und Zieldaten einer Abzugsperspektive zu orientieren.
Nachbemerkungen:
In Mazar überreicht mir der Regionalkommandeur ISAF Nord eine von ihm unterzeichnete Erinnerungsurkunde. Vor dem Hintergrund einer Hindukusch-Steilwand steht geschrieben: „Member of DEU Parliament Winfried Nachtwei served 12 Missions since 2002 - 2008 in Afghanistan. Well done! Mission accomplished. Mazar-e Sharif 1.10.2008"
Mein Reisebericht „Viele Lichtblicke bei wachsender Düsternis" (www.nachtwei.de) ist bei den meisten Gesprächspartnern bekannt und hat ein sehr zustimmendes Echo gefunden.
Andere empfehlenswerte Reiseberichte von FraktionskollegInnen:
Omid Nouripour über seine Reise nach AFG vom 2.-5.9.2008 (www.nouripour.de)
Kerstin Müller/Winni Nachtwei über ihre AFG-Reise 10.-16.8.2008
Außerdem meine jüngsten Stellungnahmen unter www.nachtwei.de:
- Krieg in Afghanistan - Bundeswehr im Krieg?
- Kurswechsel statt Sofortabzug
- Better News stat Bad News aus Afghanistan, I + II
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: