Nachtwei im Bundestag zur Wehrpflicht

Von: Webmaster amDo, 20 September 2007 11:07:28 +01:00

Die Wehrpflicht war Thema der Rede, die Winfried Nachtwei im Bundestag hielt. Hier seine Rede:



Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe dem Kollegen Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst einmal als Gäste bei uns die Wehrpflichtigenvertreter im Vorstand des Bundeswehr-Verbandes begrüßen.

Kollege Herrmann, Sie haben in einer Art für die allgemeine Wehrpflicht gesprochen, die ich seit vielen Jahren hier im Parlament und außerhalb des Parlaments von der Union und vom überwiegenden Teil der SPD kennengelernt habe. Man hat bei diesen Fürsprachen für die Wehrpflicht den Eindruck, dass die Wehrpflicht ein Wert für alle Ewigkeit ist. Da gehen Sie an einem entscheidenden Punkt vorbei, den der Kollege Stinner in der Einleitung angesprochen hat. Sie übergehen schlichtweg die Tatsache, dass die Wehrpflicht - eigentlich geben Sie das zu - ein massiver Eingriff in die Grundrechte junger Männer ist. Das hört sich vielleicht abstrakt an, aber wenn man immer wieder einmal mit einzelnen Fällen von Wehrpflichtigen zu tun hat - das sind nicht wenige -, dann merkt man, dass die Wehrpflicht konkret einige Benachteilungen und Mehrbelastungen mit sich bringt. Insofern kann man nicht darüber hinweggehen. Deshalb brauchen Sie eine ganz besondere sicherheitspolitische Begründung.

Wie verhält es sich denn mit dem Bedarf der Bundesrepublik bzw. der Bundeswehr an Wehrpflichtigen? 1989 waren noch 44 Prozent der 490 000 Bundeswehrsoldaten Wehrpflichtige. Inzwischen sind es nur noch 30 000. Der Anteil der Wehrpflichtigen an den Bundeswehrsoldaten ist auf 12 Prozent gesunken. Von den 400 000 jungen Männern eines Geburtsjahrgangs leisten nur noch 60 000 Grundwehrdienst bzw. freiwillig einen längeren Wehrdienst. Es heißt eigentlich, dass die allgemeine Wehrpflicht - so hat es das Bundesverfassungsgericht gesagt - eine allgemein belastende Pflicht sein muss. Wie können Sie das bei diesen Zahlen noch behaupten? Die Wehrdienstungerechtigkeit ist wirklich mit Händen zu greifen.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es wird behauptet, die Wehrpflicht sei so wichtig für den Austausch zwischen Streitkräften und Gesellschaft. Dieser Austausch und diese Integration sind in der Tat sehr wichtig. Daran liegt uns, den Wehrpflichtkritikern, ebenfalls. Aber das, was in den letzten 50 Jahren ein wichtiger Beitrag der Wehrpflicht war, ist inzwischen angesichts dieser Zahlen kaum noch ein Beitrag zu dieser Integration. Da muss man sich etwas anderes überlegen.

Nun zu dem SPD-Vorschlag im Hinblick auf den Parteitag der SPD. Immerhin wird mit diesem Vorschlag das Wehrpflichtdogma in den Reihen der SPD zumindest relativiert. Zumindest kann von der SPD nicht mehr ein Argument wie das kommen, was Peter Struck leider in den vorigen Jahren öfter gebracht hat, nämlich es drohe die Söldnerarmee. Das ist wirklich eine Unterstellung gegenüber den Zeit- und Berufssoldaten, was damals deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN - Ute Kumpf [SPD]: Das hat er nie gesagt!)

Bei diesem Vorschlag der SPD bleiben allerdings ganz zentrale Fragen unberücksichtigt. Was bringen diese neun Monate für die verschiedenen Beteiligten? Wie soll es mit den Anreizen bei dieser Art von Wehrdienst aussehen? Was ist schließlich mit der kleineren Gruppe der Wehrpflichtigen, die am Ende übrig bleiben und dann zwangsweise gezogen werden müssen? Dann wird die Wehrdienstungerechtigkeit wirklich auf die Spitze getrieben. Ob das verfassungsrechtlich einwandfrei ist, da habe ich meine größten Zweifel.

SPD-Kollegen erinnern sich vielleicht, dass wir in unserer Koalitionszeit im November 2004 einen Vorschlag für einen freiwilligen Kurzdienst eingebracht haben. Dieser Kurzdienst sollte einen Zeitraum von zwölf bis 24 Monaten umfassen, offen für Männer wie Frauen, von vornherein attraktiver angelegt.

 


Dies ist damals von den SPD-Kollegen leider beiseite gewischt worden. Wenn man aber über diesen Vorschlag genauer nachdenkt, wird man feststellen, dass beide Seiten erheblich etwas davon haben, nämlich eine bessere Ausbildung, viel mehr Verwendungsmöglichkeiten und ein gegenseitiges Erproben.

Bei der besseren Attraktivität wird einerseits zu Recht auf die materielle Seite hingewiesen. Eine andere Seite der Attraktivität ist aber von ganz entscheidender Bedeutung. Darauf hat auch der Bundeswehr-Verband mit seiner Umfrage hingewiesen. Aus ihr ging nämlich hervor, dass 74 Prozent der Berufssoldaten ihnen nahestehenden Personen nicht raten, zur Bundeswehr zu gehen. Das ist in der Tat unmöglich. Wenn man dieses Verhältnis umdreht, hat man schon einen erheblichen Beitrag zur Steigerung der Attraktivität geleistet.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP)

Ein solcher freiwilliger Kurzdienst wäre geeignet als Brücke zur Umstellung von einer Armee mit Wehrpflichtigen zu einer Freiwilligen-Armee. Ich meine, es ist viel besser, diesen Übergang jetzt demokratie- und sozialverträglich zu gestalten, bevor er uns irgendwann einmal vom Bundesverfassungsgericht aufgezwungen wird.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Nachtwei!

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Ich komme jetzt auch zum Schluss. Das habe ich genau geplant.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Darum würde ich bitten.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Selbstverständlich. - Ich glaube, dieser Vorschlag enthält viele Elemente, die auch auf eurem Parteitag in die Diskussion aufgenommen werden könnten. Herr Kollege Herrmann, nach dem, wie Sie sich vorhin geäußert haben, könnte darüber sogar mit der Union diskutiert werden, weil auch die Union in diesem Bereich sicher nicht dogmatisch sein will.

Danke schön.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)