Lob + Kritik am Aktionsplan Zivile Krisenprävention und seiner Umsetzung

Von: Nachtwei amMo, 31 Oktober 2016 17:44:57 +01:00

Der Beratungsprozess "PeaceLab2016 - Krisenprävention weiter denken" bereitete mit seinen über 20 Veranstaltungen und seinem hervorragend bestückten Blog das Feld für die künftigen Leitlinien "Krisenengagement und Friedensförderung" der Bundesregierung. Hierfür trug ich die wesentlichen positiven und kritischen Stellungnahmen zum Aktionsplan und seinen vier Umsetzungsberichten zusammen.



Stellungnahmen zu 12 Jahren Aktionsplan Zivile Krisenprävention

und seinen vierUmsetzungsberichten:

Positive und kritische Bewertungen

Winfried Nachtwei, 9/2016)

Seit 2004 gab es zum Aktionsplan und seinen vier Umsetzungsberichten (2006, 2008, 2010, 2014) mehr als dreißig Stellungnahmen aus den interessierten Teilen der Fachöffentlichkeit (Friedens- und Konfliktforschung, von Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, GKKE, VENRO, Beirat Zivile Krisenprävention).[1] Stellungnahmen aus der weiteren außen- und sicherheitspolitischen Fachöffentlichkeit wurden nicht bekannt. Das Bundestagsplenum debattierte erstmalig im Dezember 2006 anlässlich des 1. Umsetzungsberichts über den Aktionsplan.[2]Am 5. Mai 2014 hörte der Bundestags-Unterausschuss „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ fünf externe Sachverständige zu Lehren aus 10 Jahren Aktionsplan (https://www.bundestag.de/ausschuesse18/a03/ua_zks ).

Im Folgenden sind die Bewertungen zusammengefasst, auf die sich die Stellungnahmen besonders fokussierten.

-         durchgängig der konzeptionelle Ansatz des Aktionsplans (der drei strategischen Ansatzpunkte, der globalen, regionalen und nationalen Handlungsebene, der nationalen Infrastruktur für zivile Krisenprävention/Verankerung als Querschnittaufgabe)

-         die – auch für Insider überraschende - Breite an Maßnahmen und Instrumenten mit Relevanz für zivile Krisenprävention;

-         die Betonung von Kohärenz, des Vorrangs ziviler Mittel („Krisenprävention soll vorrangig ziviler Natur sein“, II.2), des Prinzips „Do no harm“ („die mit Abstand wichtigste Regel für den Umgang Dritter mit gewaltsamen Konflikten“, Aktionsplan Glossar), des multidimensionalen Ansatzes und des „langen Atems“, des effektiven Dialogs mit der Zivilgesellschaft im Aktionsplan;

-         die mit dem Aktionsplan bekräftigten neueren Instrumente der zivilen Krisenprävention (ZIF, ZFD, zivik, DSF, FriEnt), die sich über die Jahre ausgesprochen bewährten und deren Ausbau ausdrücklich begrüßt wurde;

-         die Etablierung neuer Strukturen (Ressortkreis, Beirat) und der weitere Ausbau neuer Instrumente der zivilen Krisenprävention;

-         die produktive Rolle des 2009 neu gebildeten Unterausschusses Zivile Krisenprävention des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, die zunehmende Beachtung und auch Implementierung des Politikfeldes in der laufenden Legislaturperiode (Review 2014, neue Abteilung „S“ (Stabilisierung) im Auswärtigen Amt, 4. Umsetzungsbericht Dez. 2014).

-         die mangelnde Schwerpunktsetzung/Priorisierung angesichts der Fülle von 161 Aktionen;

-         die weitgehende Verkürzung des Präventionsansatzes auf Konfliktnachsorge und die Vernachlässigung der Primärprävention;

-         die „Entkernung/Verflachung“ der Krisenprävention, wo über Rüstungskontrolle, Abrüstung und UN-Friedenssicherung hinaus unterschiedslos alle Maßnahmen zur Stärkung militärischer Fähigkeiten von NATO und EU in den Aktionskatalog aufgenommen wurden;

-         die (zeitweilige) Vernachlässigung von Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie die friedenspolitischen Entgleisungen der Rüstungsexportpolitik

-         das Fehlen eines friedenspolitischen Leitbildes;

-         der unzureichend umgesetzte Zusammengang von ziviler Krisenprävention und Menschenrechtspolitik;

-         das „Verschwinden“ des „Do no harm“-Prinzips aus den Umsetzungsberichten, der Verzicht auf ressortübergreifende Weiterentwicklung;

-         die Beschönigung der erheblichen Kohärenzdefizite in der Praxis der Krisenengagements, der zeitweilige affirmative Umgang mit dem Ansatz vernetzter Sicherheit und der Mangel an Selbstreflexion, gar selbstkritischer Perspektive;

-         das Fehlen eines integrierten und politisch hoch angebundenen Frühwarnsystems unter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure;

-         die notorische Vernachlässigung der Schlüsselfragen Wirksamkeit und Evaluierung, notwendige Fähigkeiten (zivile Planziele) und die dafür unabdingbaren finanziellen und personellen Ressourcen; über Jahre dominierte die – unausgesprochene – Haltung, ein Mehr an ziviler Krisenprävention sei zum Nulltarif zu bekommen; die Diskrepanz zwischen Fähigkeiten + Ressourcen der Militärpolitik einerseits und der zivilen Krisenprävention andererseits ist ungebrochen;

-         die schwache Rolle des Ressortkreises, der seine Aufgaben (Aktionsplan V.5 Übersicht) nur ansatzweise wahrnehmen konnte und über die Funktion Informationsaustausch kaum hinauskam; relativ schwach blieb auch die Rolle des Beirats, wo das Potenzial seiner Mitglieder nur punktuell genutzt werden konnte;

-         die nie umgesetzte Ankündigung des ersten Umsetzungsberichtes, angesichts der strukturellen „Unsichtbarkeit“/Sichtbarkeitshindernisse ziviler Krisenprävention eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln.



[1] http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1420

[2] Christian Egbering, Tagesordnungspunkt: „Zivile Konfliktbearbeitung“ – Eine Diskursanalyse anhand von Reden im Deutschen Bundestag, Neumünster 2012 (Bockel-Verlag)