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Kurzbilanz des Afghanistaneinsatzes nach 13 Jahren: Kein Grund zur Selbstzufriedenheit - dranbleiben!

Veröffentlicht von: Nachtwei am 7. Januar 2015 10:54:06 +01:00 (52449 Aufrufe)

Jahrelang gehörte ich zu den parlamentarischen Mitauftraggebern des deutschen Afghanistaneinsatzes. Hier eine selbstkritische Kurzbilanz anläßlich des Endes von ISAF, erschienen im Monatsmagazin des Dt. Bundeswehrverbandes. 

Kurzbilanz Afghanistan-Engagement[1]

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (11/2014)

Als wir am 22. Dezember 2001 im Bundestag erstmalig über die deutsche Beteiligung an ISAF abstimmten, war das wenig kontrovers und friedenspolitisch nahezu selbstverständlich: im UN-Auftrag sollte das kriegszerstörte und von der Taliban-Herrschaft befreite Afghanistan beim Übergang zum Frieden unterstützt werden. Außenminister Fischer sagte damals, es gebe es kein dauerhaftes deutsches Interesse an Afghanistan und keine Absicht, wie im Kosovo länger zu bleiben. UN-Experten, die zu Realismus und Konsequenz mahnten, fanden kaum Gehör.

13 Jahre später geht der komplizierteste, teuerste und opferreichste Großeinsatz der Bundeswehr mit ISAF zu Ende. Eine Bilanz ist überfällig, kann jetzt aber nur vorläufig sein. Wieweit das internationale Engagement nachhaltig ist, wird erst in Jahren erkennbar sein.

Heute gehen die Meinungen über die Wirksamkeit des internationalen und deutschen Afghanistan-Engagements weit auseinander: Von Erfolg spricht niemand, viele von verfehlten Zielen und gemischter Bilanz, andere von Scheitern.

Das erste Hauptziel des Afghanistaneinsatzes (Operation Enduring Freedom) war, dem internationalen Terrornetzwerk Al Qaida sein Hinterland zu nehmen. Das gelang zunächst, allerdings weder gründlich noch nachhaltig.

Das zweite Hauptziel (ISAF) war, für Interimsregierung und internationale Hilfe ein sicheres Umfeld zu schaffen. Nach den Fortschritten der ersten Jahre kehrte ab 2006 erkennbar Krieg nach Afghanistan zurück. Das landesweite Vorrücken der Aufstandsbewegung konnte durch die große Counterinsurgency-Anstrengung ab 2010 kurzzeitig zurückgedrängt werden. Im ersten Halbjahr 2014 erreichte aber die Zahl der Zivilopfer mit über 1.500 Toten ihren bisherigen Höhepunkt. Die seit 2006 forciert aufgebauten afghanischen Sicherheitskräfte erreichten eine bemerkenswerte eigenständige Operationsfähigkeit. Wie nachhaltig dieser Aufbauerfolg ist, wird die Zukunft zeigen.

Beim dritten Hauptziel, der Förderung von Aufbau und Entwicklung, gibt es unbestreitbar Teilfortschritte: deutlich gesunkene Kindersterblichkeit, verbesserte Zugänge zu Trinkwasser, Energie, vor allem Bildung, Kommunikation. Dafür stehen beispielhaft die von der deutschen GIZ initiierten großen Alphabetisierungsprogramme für Polizisten oder die Teacher Training Colleges im Norden. Trotzdem: Afghanistan bleibt eines der ärmsten Länder der Welt.

Staatliche Institutionen wurden aufgebaut, sind oft aber eher Fassaden und geschwächt durch schlechte Regierungsführung und Korruption.

Wer 2002 nach Kabul kam, sah die krassen Zerstörungen, erlebte viel Hoffnung. Dass viele Hoffnungen enttäuscht, Ziele nicht erreicht und Krieg zurückkehrte, wurde durch strategische Fehler begünstigt: Die internationale Gemeinschaft agierte jahrelang auf der Basis allgemeiner UN-Mandate ohne gemeinsame Strategie, ja mit konträren strategischen Ansätzen. Nationen, die primär den Aufbau unterstützen wollten, unterschätzten die Herausforderung von Staatsaufbau unter solchen widrigen Voraussetzungen. Fixiert auf Zentralstaatlichkeit wurde lange die in Afghanistan so wichtige regionale und lokale Ebene vernachlässigt. Bündnisse mit Kriegsherren konterkarierten den Anspruch von Rechtsstaatsförderung. Ausgeblendet blieb viel zu lange die pakistanische Seite des Gewaltkonflikts. Verbreitete Neigungen zu Schönrednerei förderten Realitätsverlust, erschwerten eine Politik mit Bodenhaftung und Erfolgsaussichten.

Hunderten deutschen Soldaten, aber auch Polizisten, Zivilexperten und Diplomaten bin ich in Afghanistan begegnet. Ich habe sie durchweg als sehr professionell, einsatzfreudig, umsichtig erlebt. Sie haben sich um den Aufbau des Landes und Friedenssicherung verdient gemacht.

 

Der Knackpunkt des mit der Zeit abdriftenden Einsatzes war ein kollektives politisches Führungsversagen in den Hauptstädten, auch in Berlin. Als Mitauftraggeber der Einsätze tragen der Bundestag und besonders wir Außen- und Verteidigungspolitiker erhebliche Mitverantwortung. Koalitionsmehrheiten verweigerten jahrelang eine ehrliche und systematische Wirksamkeitsbeobachtung des Einsatzes.

Die Zukunft Afghanistans ist ungewiss, verschiedene – auch schlimmste - Szenarien sind denkbar. Mit einer glimpflichen Entwicklung wäre schon viel gewonnen. Unabdingbar dafür ist, dass die Internationale Gemeinschaft ihre versprochene Aufbaupartnerschaft auch verlässlich umsetzt. Für Deutschland bleibt Afghanistan d a s  Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit. Im Dezember hat der Bundestag über die ISAF-Nachfolgemission Resolute Support (RSM) zu beschließen. Diese Beratungsmission vor Ort ist, zusammen mit Polizeiberatern, unverzichtbar, damit die afghanischen Sicherheitskräfte sich festigen können und nicht schnell zerbröseln. Voraussetzung dafür ist, dass RSM auch seinen Auftrag solide erfüllen kann.

Trotz aller Afghanistan-Müdigkeit bleibt Afghanistan ein Brennpunkt internationaler und deutscher Sicherheitspolitik. Die politische Durchhaltefähigkeit dafür gibt es nur, wenn der Einsatz ressortübergreifend, ehrlich und öffentlich ausgewertet wird, wenn daraus für künftige Krisenprävention und -bewältigung gelernt wird.

An Afghanistan „dranzubleiben“, ist nicht zuletzt eine Verpflichtung gegenüber den Zehntausenden Frauen und Männern in Uniform und Zivil, die demokratisch legitimiert nach Afghanistan entsandt wurden und deren Einsatz nicht umsonst gewesen sein darf.



[1] Als Gastbeitrag „Wir müssen an Afghanistan ´dranbleiben`“ erschienen in „Die Bundeswehr – Magazin des Deutschen BundeswehrVerbandes 1/2015