Rede beim 1. Münsteraner Streitschlichtertag

Von: Nachtwei amSa, 08 Oktober 2011 09:22:29 +01:00

Am 6.10.2011 fand im historischen Rathaus von Münster der 1. Streitschlichtertag mit 180 StreitschlichterInnen von 17 Schulen statt. W. Nachtwei hielt zu Beginn die folgende Rede.



Rede von Winfried Nachtwei, MdB a.D., zum Beginn des 1. Münsteraner Streitschlichtertags am 6. Oktober 2011 im Rathausfestsaal

 

(Vorbemerkung: Am 1. Streitschlichtertag in Münster nahmen ca. 180 Schülerinnen und Schüler von 17 Münsteraner Schulen sowie ca. 20 unterstützende Lehrerinnen und Lehrer teil. In acht Workshops begegneten sich SchülerInnen der verschiedenen Schulformen und vertieften ihre Kenntnisse - z.B. zu gewaltfreier Kommunikation, Anti-Gewalt-Training mit Smily und Frusty, Cybermobbing, Sambatrommeln. Nach einer Podiumsdiskussion mit vier SchülerInnen, den Leitern von Geistschule und Gymnasium Paulinum, Kalle Neubert und Dr. Gerd Grave, Titus Dittmann und der Moderatorin Bernadette Spinnen überreichte Bürgermeisterin Karin Reismann den StreitschlichterInnen in Anerkennung ihres Engagements Urkunden: „Wir freuen uns, dass Du dazu beiträgst, in Konflikten konstruktiv zu vermitteln." „Green Chocolate" von der Realschule Wolbeck begeisterte zwischendurch mit ihren heißen Rythmen. Initiiert und organisiert wurde der Tage von der Regionalgruppe Münster des Bundesverbandes Mediation, an erster Stelle die Leiterin der Gruppe, Gabi Tewes, und Heide-Marie Reuter-Biehlig. Münster Marketing unterstützte den Tag, der in der Reihe der „Dialoge zum Frieden" steht. www.streitschlichtertag-muenster.de; der Bundesverband unter www.bmev.de)

 

Liebe Streitschlichterinnen und Streitschlichter, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,

heute hier zur Eröffnung des 1. Münsteraner Streitschlichtertages sprechen zu dürfen, ist mir eine ganz besondere Freude! Großer Dank der Regionalgruppe Münster des Bundesverbandes Mediation, die diesen Tag initiiert hat und von der Stadt Münster voll unterstützt wird.

Nachdem vorher die 17 heute teilnehmenden Schulen genannt wurden, nenne ich jetzt nicht die fehlenden. Die werden sicher beim 2. Streitschlichtertag dabei sein.

Manche werden sich fragen, warum jetzt ausgerechnet ein Politiker redet - wo diese sich doch ständig und ungeschlichtet zu streiten scheinen. Und dann noch einer, der viele Jahre im Verteidigungsausschuss des Bundestages war, also vor allem mit Militär und Gewaltkonflikten zu tun hatte.

Nun: Seit 30 Jahren war ich immer wieder in Krisen und (Nach-)Kriegsgebieten, zuerst Somalia, dann auf dem Balkan, im Kongo, in Afghanistan. Ich habe viele Zerstörungen und Massengräber gesehen, bin Opfern und Überlebenden begegnet. Dabei habe ich erlebt, gespürt, wie wertvoll Frieden ist.

Ein besonderer Ort

Heute kommt hier im Münsteraner Rathaus phantastisch was zusammen. An einem Ort,

- wo vor 363 Jahren ein dreißigjähriges Gemetzel durch Verhandlungen beendet wurde und in den weltberühmten Westfälischen Frieden mündete;

- wo vor 97 Jahren Abertausende Münsteranerinnen und Münsteraner draußen auf dem Prinzipalmarkt Kolonnen von Soldaten jubelnd in einen Krieg verabschiedeten, der zum Ersten Weltkrieg wurde, einer regelrechten Menschenmühle;

- wo vor 67 Jahren, am 28. Oktober 1944 ein Bombenangriff das 600 Jahre alte Rathaus und den Prinzipalmarkt zerstörte;

- wo seit 1998 alle zwei Jahre der Westfälische Friedenspreis verliehen wird (2002 an „Schüler Helfen Leben" und Carla del Ponte, die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien und den Völkermord in Ruanda; 2008 an Kofi Annan, den UNO-Generalsekretär);

- wo 2003 30.000 Menschen in einer bis nach Osnabrück reichenden Menschenkette gegen den Irakkrieg demonstrierten.

An einem solchen Ort kommen heute erstmalig fast 200 Streitschlichterinnen und Streitschlichter von 19 Münsteraner Schulen und 20 unterstützende Lehrer zusammen.

Besondere Schülerinnen und Schüler

Ihr seid Schülerinnen und Schüler,

die nicht darauf warten, dass andere, Lehrer und Erwachsene Eure Konflikte lösen. Ihr packt selbst an. Ihr wisst, dass guter Wille allein nicht reicht, dass Streitschlichtung und Frieden Fachleute braucht. Ihr wisst, dass Vorbeugen viel klüger und besser ist, als nachher Scherben zusammenzukehren und Wunden zu pflegen.

Selbst anpacken

1996 besuchte ich erstmalig Sarajewo und Mostar, ein Jahr nach Ende des dreijährigen Bosnienkrieges. Die Waffen schwiegen. Verwundet waren Zigtausende Menschen an Körper und Seele, verfeindet waren die früheren kroatischen, muslimischen, serbischen Nachbarn. Wo der Krieg in den Köpfen und Herzen der Erwachsenen andauerte, entstand zum Beispiel die „Junge Brücke" in Mostar. Hier kamen muslimische und kroatische Jugendliche zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten zusammen. Da wuchs ab 1992 in Deutschland die Initiative „Schüler Helfen Leben", die Unterstützung mobilisierte für Schulen und Jugendzentren auf dem kriegsgeplagten Balkan. Bei jährlichen „Sozialen Tagen" erarbeiteten viele Tausend Jugendliche Millionen Euro an Unterstützungsgeldern. (Schüler Helfen Leben ist inzwischen die größte Hilfsaktion von Schülern in ganz Europa. Am 8. Juni 20011 nahmen ca. 100.000 Schülerinnen und Schüler teil. Der nächste Soziale Tag ist am 14. Juni 2012. www.schueler-helfen-leben.de)

Streitschlichtung + Frieden brauchen Fachleute + Unterstützung

Vor 15 Jahren stellten wir, Abgeordnete von SPD, Union, FDP und Grünen, im Bundestag einen gemeinsamen Antrag zur Einführung eines Zivilen Friedensdienstes (ZFD). Damit kamen wir erst mal nicht durch. Doch einige Jahre später war es soweit, begann die Ausbildung und Entsendung von Friedensfachkräften. Diese unterstützen mit ihrem Können auf Anforderung friedensbereite Kräfte in Konfliktländern. 2002 nahm in Berlin das Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) seine Arbeit auf: Hier wird Fachpersonal für Internationale Friedensmissionen von UNO, EU und Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) trainiert und rekrutiert.

Zum Beispiel „lokales Peacebuilding" in Afghanistan. Ausgangsproblem war (und ist), dass nach 23 Jahren Krieg viele Alltagskonflikte (zwischen Familien und Dörfern, um Wasser und Land) mit den reichlich vorhandenen Waffen ausgetragen wurden. Einige Nichtregierungsorganisationen wollten sich nicht damit abfinden. Zusammen mit der deutschen Friedensfachkraft Cornelia aus Berlin machte man sich daran, die gegenwärtigen Konflikte genauer zu untersuchen und nach Wegen zu suchen, diese ohne Gewalt zu lösen. Hierbei entstanden Poster über die Stationen von Konflikten und Konfliktlösung, ja sogar ein Handbuch.

(Andere Beispiele: Die mehr als zwei Dutzend Friedensschulen und Basisgesundheitsstationen in Ostafghanistan, die von der „Kinderhilfe Afghanistan" des ehemaligen Bundeswehrarztes Dr. Erös und seiner Familie ermöglicht wurden. Oder das Skater-Projekt der Titus-Dittmann-Stiftung in Westafghanistan. Oder die Entwicklung von Curricula für Friedenserziehung in den großen Lehrerausbildungszentren in Nordafghanistan.)

Das sind tolle Beispiele von Friedensarbeit.

Nur: Solche Pflanzen dürfen nicht zertrampelt werden. Die Politik muss mitspielen. Friedensarbeit braucht Friedenspolitik.

Zum Beispiel durch tatsächliche Friedensmissionen der UNO, wo Diplomaten, Soldaten und Polizisten daran arbeiten, Gewalt einzudämmen und zu verhüten. (vgl. die ZIF-Weltkarte „Peace Operations 2011, www.zif-berlin.de)

Ein regelrechter Leuchtturm internationaler Friedenspolitik war und ist Kofi Annan, der hier vor drei Jahren ausgezeichnet wurde. Er bewegte sich auf den Gipfeln internationaler Politik, ist ein begnadeter Streitschlichter, sehr freundlich, offen und ganz und gar nicht abgehoben.

Vorbeugen ist besser ...

Ungelöste Konflikte kosten enorm viel. Sie produzieren Ärger, Frust, miese Stimmung. Sie schlagen Wunden und Schmerzen. Große Konflikte kosten fürchterlich viel Geld und  Menschenleben, sie zerstören Zukunft.

Immer wieder lief das so: Frühe Konfliktanzeichen wurden übersehen, bei Verschärfungen wurde lieber weggesehen, Vorbeugung verpasst.

Ihr steht für den klugen Weg: HISEHEN, rechtzeitig was tun, vorbeugen!

Sichtbar machen ...

Das meiste über unsere Welt erfahren wir über Medien. Gewalt und schlechte Nachrichten stehen da oft an erster Stelle. Streitschlichter und Friedensmacher haben da meistens schlechte Karten. Das Miteinanderreden, oft hinter den Kulissen, ist nicht spektakulär, bringt keine fetzigen Bilder. Das ist wie beim vorbeugenden Brandschutz. Wenn der funktioniert, sieht man nichts. Wenns aber brennt, die Feuerwehr eingreift, dann bringt das Bilder, Spannung, Aufmerksamkeit.

Aber es geht doch. Streitschlichtung und Friedensförderung können sichtbar gemacht werden. Mit Erfolg hat das Projekt „Peace counts" das vorgemacht. Geduldige Journalisten und Fotografen beobachteten Friedensmacher in der ganzen Welt. Heraus kamen spannende und faszinierende Reportagen, veröffentlicht in Zeitschriften, Radio, Internet, auch als Buch und Ausstellung. (www.aja-online.org/de/peace-counts/ueber-peace-counts/ Das Institut für Friedenspädagogik in Tübingen macht mit bei Peace Counts und bietet vielfältige und beste Materialien zur Friedenserziehung, z.B. die „Praxisbox Streitkultur", www.friedenspaedagogik.de)

Der heutige Streitschlichtertag soll gerade auch das bringen: Das sichtbar machen, was an Gutem sonst eher im Verborgenen läuft.

Wer Frieden will ...

Viele von Euch gehören inzwischen zur dritten Generation, die in Mitteleuropa keinen Krieg mehr, nur Frieden erlebt hat. Ich gehöre zur ersten Generation. Das ist ein tolles Glück! Aber man gewöhnt sich dran. VORSICHT! Frieden gibt's nicht geschenkt.

Wer Frieden will, bereite den Frieden vor! Jeder an seinem Platz!

Ihr erlebt und macht vor, dass man da was machen kann.

Ihr wisst, dass es keiner allein schafft - und dass es Spaß macht!

Ihr seid Mutmacher!

Ich danke Euch herzlich dafür - sicher auch im Namen von Maria, Ruprecht, Christoph und Daniel. Das sind die aktiven Bundestagsabgeordneten aus Münster.

Euch einen tollen Tag, ich bin gespannt!

Nachbemerkung:

Die WDR-Lokalzeit berichtete abends 4:30 Minuten im Fernsehen über den Streitschlichtertag. Bei Westfälischen Nachrichten und Münsterscher Zeitung schlug wieder der bekannte Mechanismus von „bad news are good news" zu: Die erste Seite der Lokalteile wurde am Folgetag beherrscht von acht Wasserrohrbrüchen im Stadtgebiet und einem tickenden Wecker in einem Schließfach, der den Bahnhof lahmlegte. Berichte über den Streitschlichtertag tauchten erst jeweils auf Seite 7 auf. Der 1. Streitschlichtertag erscheint damit als Thema unter vielen anderen. Angesichts der Verdienste der Streitschlichterinnen und Streitschlichter und des hohen Anspruchs der Friedenstadt Münster ist das ausgesprochen bedauerlich.

Â