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Nachtwei zum Wehrbeauftragtenbericht

Veröffentlicht von: Webmaster am 4. Dezember 2008 20:12:03 +01:00 (48255 Aufrufe)

Für seine Fraktion nahm Winfried Nachtwei im Deutschen Bundestag Stellung zum Jahresbericht 2007 des Wehrbeauftragten. Hier seine Rede:

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie gestatten, dass ich jetzt nicht die vielen einzelnen Punkte, die im Zusammenhang mit dem Mängelbericht des Wehrbeauftragten genannt wurden, wiederhole, sondern einige ergänzende Punkte anspreche.

Aufgabe des Wehrbeauftragten ist es, den Schutz der Grundrechte der Soldaten und die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte zu unterstützen. In diesem Amt laufen das Grundverständnis von Streitkräften im demokratischen Rechtsstaat zum einen und Parlamentsarmee zum anderen zusammen. Vor diesem Hintergrund stellt sich meines Erachtens inzwischen die Frage, ob nicht angesichts erheblich anderer Aufträge der Bundeswehr und einer anderen Bundeswehrrealität Ergänzungen der bisherigen Befugnisse, die immerhin schon 1982 gesetzlich festgelegt wurden, zu diskutieren wären. Ich denke dabei an die Zunahme von geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen, bei denen bekanntermaßen die parlamentarische Kontrolle, gelinde ausgedrückt, minimal ist; bei solchen Spezialeinsätzen ist auch die Innere Führung stärker unter Druck. Zu diskutieren ist, ob nicht in dem Zusammenhang andere Befugnisse des Wehrbeauftragten angebracht wären oder ob diese, was langfristige Trends in den Streitkräften angeht, nicht sozusagen durch einzelne Mängelfeststellungen identifiziert werden können. Ich denke zum Beispiel an das Recht, beim Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr entsprechende Untersuchungen in Auftrag zu geben. Darüber sollten wir einmal sprechen.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der SPD)

Im Bericht des Wehrbeauftragten hat ein Problem einen ganz besonderen Stellenwert, das in der medialen Berichterstattung fast gar nicht beachtet wird. Das ist das Führungsverhalten. Führungsverhalten fängt selbstverständlich ganz oben an, so etwa bei der Rechtsklarheit von Aufträgen und Aufgaben.

Ich erinnere mich noch an die erste Lesung des Berichts des Wehrbeauftragten am 19. Juni. Damals habe ich Sie, Herr Minister, auf folgenden Sachverhalt hingewiesen: In der Taschenkarte „Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten" der Bundeswehr sind für Bundeswehrsoldaten verbotene Kampfmittel eindeutig festgestellt. Dies sind neben Antipersonenminen auch atomare Waffen. Gleichzeitig wissen wir alle, dass der Einsatz von Atomwaffen im Rahmen der nuklearen Teilhabe weiterhin geübt wird, dass dafür Tornado-Besatzungen vorgehalten werden. Herr Minister, ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Ministerium auf diesen Vorhalt taub und stumm reagiert hat. Inzwischen hatten Sie sechs Monate Bedenkzeit, um sich eine Antwort da-rauf zu überlegen. Ich erwarte, dass Sie diesen Widerspruch gleich in Ihrer Rede aufklären.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Wehrbeauftragte stellt in seinem Bericht zunehmend Defizite im Führungsverhalten von Vorgesetzten fest, und zwar - das ist eine wichtige Ergänzung dazu - nicht in Einzelfällen. Außerdem stellen Sie eine wachsende Tendenz anonymer Eingaben fest, insbesondere wenn es um Kritik an höhergestellten Vorgesetzten geht. Dies ist - da kann man Ihrer Bewertung nur zustimmen - in der Tat ein beunruhigender Trend. Da reicht es ganz und gar nicht, dass das Ministerium in der Stellungnahme zu Ihrem Bericht darauf nur grundsätzlich eingeht. Das geht so nicht.

Zu einem richtigen Führungsverhalten gehört schließlich auch, dass höhergestellte Vorgesetzte kritische Entwicklungen offen und ehrlich benennen und weitermelden. Hierzu ist immer wieder festzustellen, dass stattdessen auf den verschiedenen Ebenen der Hierarchie Beschönigungsfilter greifen. Vorhin ist bereits von mehreren Kolleginnen und Kollegen ein Extrembeispiel genannt worden, nämlich die enorme Abwanderung von Bundeswehrärzten. Da haben einzelne Kolleginnen und Kollegen, zum Beispiel die Kollegin Hoff, früh Alarm geschlagen. Auch der Wehrbeauftragte und andere haben früh Alarm geschlagen. Aber der Inspekteur des Sanitätsdienstes - das sage ich ganz deutlich - hat erst einmal den Schleier darüber gehalten. Inzwischen hat es auch der Minister als Problem erkannt. Aber so etwas zu beschönigen, ist mit dem zu fordernden Führungsverhalten nicht vereinbar.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP)

Herr Wehrbeauftragter, wenn wir Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Ihre Arbeit danken, dann ist das, obwohl es sich immer wiederholt, ganz und gar kein Ritual. Es ist jedes Mal ehrlich gemeint. Das geht den anderen auch so.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Im Zusammenhang mit der Realität und der Praxis der Inneren Führung möchte ich noch einen Aspekt ansprechen. Gestern ist der Bundesvorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes verabschiedet worden, von dem man wirklich sagen kann, dass er in seinen 15 Jahren zu so etwas wie einer Verkörperung des Staatsbürgers in Uniform geworden ist. Natürlich hat er auch immer mal wieder gestört; aber das gehört zu seiner Aufgabe. Ich möchte ausdrücklich betonen: Bernhard Gertz hat sich für die Streitkräfte in der Demokratie, um eine Bundeswehr im Friedensauftrag des Grundgesetzes und nicht zuletzt um seine Kameradinnen und Kameraden verdient gemacht.

Danke schön.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)