Rede von Nachtwei auf der Sonder-BDK

Von: Webmaster amSa, 15 September 2007 11:57:22 +01:00
Folgenden Redebeitrag hielt Winfried Nachtwei auf der Sonder-Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Göttingen:

Rede von Winni Nachtwei, MdB, auf der Grünen Sonder-Bundesdelegiertenkonferenz zu Afghanistan am 15. September 2007 in Göttingen

Liebe Freundinnen und Freunde,

heute findet in Berlin eine Demonstration unter der Losung „Bundeswehr raus aus Afghanistan" statt. Ich kenne etliche der teilnehmenden Organisationen, mit denen wir z.T. gut zusammenarbeiten. Ich teile die Sorgen von Mitgliedern des Grundrechte-Komitees, von „Eirene", IPPNW und anderen über die Gewalteskalation in Afghanistan. Ich teile ihre Kritik an unzureichenden Aufbauanstrengungen. Diese Demonstranten grüße ich ausdrücklich.

Zugleich widerspreche ich den Pauschalbildern im Aufruf zur Demonstration:

Die sehr unterschiedliche afghanische Realität wird reduziert auf ein geschlossenes Katastrophengemälde, die Fortschritte neben den Rückschritten werden ignoriert.

Ich widerspreche der Gleichsetzung von ISAF gleich Besatzer gleich Enduring Freedom, als sei alles Krieg. In Wirklichkeit unterscheidet sich ISAF sehr von Region zu Region. Im Norden, dem deutschen Hauptverantwortungsbereich, ist ISAF eindeutig eine Unterstützungstruppe, Stabilisator in einem Umfeld vieler Gewaltakteure, ausdrücklich keine Besatzungstruppe. Würde die Bundeswehr, würde ISAF dort abgezogen, wäre das gegen den Willen der dortigen Bevölkerung.

An dieser Stelle kurz zu den Tornados - später mehr dazu beim Pro und Contra.

Meine Pflicht und Zumutung als sicherheitspolitischer Sprecher ist, hier abzuwägen zwischen Nutzen, möglichem Schaden, Kosten und politischen Prioritätensetzungen.

Auch wenn die Tornados weniger zur direkten Zielmarkierung geeignet sind, so sind andere entscheidende Bedenken längst nicht ausgeräumt. Deshalb bin ich weiterhin für Ablehnung.

Von letzten Besuchen in Afghanistan kehrte ich mit sehr gemischten Gefühlen zurück: Einerseits war ich voller Respekt für die vielen tollen Leistungen vor Ort, von MitarbeiterInnen der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der Welthungerhilfe, der von der Heinrich Böll Stiftung unterstützten Tribal Liason Offices und vielen anderen. Auf der anderen Seite wuchs meine Unzufriedenheit mit politischen Versäumnissen insbesondere in Berlin, mit dem Rückstand des zivilen Aufbaus.

Zum Beispiel der Polizeiaufbau. Der spielt für die Gesamtentwicklung Afghanistan eine strategische Rolle. Deutschland trug bei dessen Unterstützung Deutschland von 2002 bis zum letzten Juni die Führungsverantwortung: qualitativ waren die deutschen Beiträge gut, quantitativ waren sie völlig unzureichend. Und die jetzige EU-Polizeimission droht gegen die Wand gefahren zu werden.

Seit mehr als einem Jahr richte ich, der ich nicht zum Dramatisieren neige, Warnrufe an die Bundesregierung,

Als Echo kam freundliches Nicken von der Regierungsbank, aber kaum was an Taten.

Das neue Afghanistan-Konzept mit seiner Behauptung des verstärkten zivilen Aufbaus ist in erster Linie eine PR-Offensive.

Wer die Afghanen bei ihrem langen Weg raus aus Krieg und Gewalt hin zu etwas mehr Frieden, Sicherheit und Wohlergehen wirksam unterstützen will, braucht langen Atem. Deshalb muss von hier eine Botschaft der Verlässlichkeit ausgehen.

Aber Geduld alleine reicht nicht! Wo in Afghanistan die Zeit davon läuft, wo das Zeitfenster für eine Wende zum Besseren enger wird, da brauchen wir zugleich konstruktive Ungeduld - zuerst gegenüber der eigenen deutschen Politik und der Bundesregierung, aber auch im Rahmen der Staatengemeinschaft.

Auf eine zivile und Entwicklungsoffensive drängen, dafür Druck machen - das muss die Hauptaufgabe der Grünen sein.

(Anmerkung: Zur Pro- und Contra-Debatte um die Tornados kam es nicht mehr wegen der Ablehnung des Antrags des Bundesvorstandes. Meine Zwischenergebnisse zum Tornado-Einsatz unter www.nachtwei.de)